Von Eritrea in die Gärten Mettmanns
Die Heckenschere heult immer wieder auf. Geübt führt Kidane Negash das an einem anderthalb Meter langen Stil befestigte Gerät an den oberen Ästen entlang, um sie zu stutzen. Es macht ihm sichtlich Spaß - und er ist schnell. "Mach mal ’ne Pause", ruft Michael Vogelsang, sein Chef.
Seit fünf Monaten verbringt der 27-jährige Mann aus Eritrea seine Tage in den Gärten und Parks in Mettmann und Umgebung. Für seinen Arbeitgeber, den Garten- und Landschaftsbaubetrieb von Michael Vogelsang, kürzt er Zweige, mäht Rasen, legt Wege an oder pflanzt Sträucher. "Was man eben so macht als angehender Landschaftsgärtner", sagt Vogelsang.
Mit Kidane Negash habe er seit Langem endlich mal wieder einen jungen Mitarbeiter, der "die nötige Lust und Disziplin" mitbringe, sagt Vogelsang. "Es ist alles andere als leicht, gute Arbeitskräfte zu finden." Er zahlt dem jungen Geflüchteten deshalb auch einen Gesellenlohn, obwohl Kidane Negash ungelernt ist. Wenn alles gut geht, wird Negash in einigen Wochen in seinem Betrieb eine Ausbildung beginnen. "Man merkt, dass er auch in Eritrea schon mit Maschinen gearbeitet hat, er ist sehr geschickt darin", so Vogelsang.
Kidane Negash hat es geschafft - nach fast fünf Jahren. Er hat eine Arbeit und verdient Geld, lebt in einer eigenen Wohnung, sein Deutsch wird von Tag zu Tag besser. Ein Ziel aber bleibt: Er möchte seine Frau Semert nachholen, die noch in einem Flüchtlingslager in Uganda lebt. "Ich vermisse sie sehr", sagt der junge Mann. Damals war er zusammen mit ihr in Eritrea, einer Diktatur am Horn von Afrika, aufgebrochen.
Wie Kidane Negash haben es viele andere Männer und Frauen, die in den vergangenen fünf Jahren nach Deutschland gekommen sind, überraschend schnell auf den deutschen Arbeitsmarkt geschafft. Nach einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat rund jeder zweite Geflüchtete fünf Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland einen Arbeitsplatz. Dabei gibt es ein starkes Gefälle zwischen Männern und Frauen. Sind nach fünf Jahren 57 Prozent der Männer erwerbstätig, liegt der Anteil der Frauen nur bei 29 Prozent.
"Du hast es geschafft"
Insgesamt aber überrascht der hohe Anteil von Arbeitsaufnahmen die Experten, denn das gleiche Institut stellte Anfang dieses Jahres auch fest, dass das deutsche Integrationsgesetz eine Anstellung eher erschwert als fördert - das liegt zum Beispiel an Wohnsitzauflagen und Beschäftigungsverboten. Die Wahrscheinlichkeit, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, liegt für Geflüchtete, deren Aufenthalt staatlicherseits eingeschränkt ist, um gut sechs Prozentpunkte unter der jener Migranten, die keine Auflagen haben, hat das IAB festgestellt.
Starthilfe in solchen Fällen gibt die Caritas in Mettmann, die seit 2016 am EU-geförderten Projekt Chance+ teilnimmt. Ziel des Projekts ist es, Geflüchtete in Arbeit zu vermitteln. Das gelang in den vergangenen vier Jahren insgesamt 58-mal. "Wir haben 45 Personen in Voll- oder Teilzeitbeschäftigungen und 13 Personen in Minijobs vermittelt - eine Erfolgsquote von über 30 Prozent, das ist schon ziemlich gut", sagt Martin Sahler von der Caritas Mettmann.
Auch Kidane Negash gehört zu den Vermittelten. Es sei letztlich nicht schwierig gewesen: "Ein Betrieb, der sucht, und ein junger Mann, der gern arbeiten möchte - das passte von Anfang an", so Sahler.
Negash‘ Chef Michael Vogelsang hat es trotz Corona mit vollen Auftragsbüchern zu tun. "Wir kommen kaum noch hinterher", sagt er. Für einen privaten Plausch bleibe gerade wenig Zeit. Er weiß nicht allzu viel aus dem Leben von Kidane Negash, er möchte ihn aber auch nicht immer fragen, ihn nicht bedrängen. "Wenn er selbst erzählen möchte, dann höre ich zu", sagt Vogelsang, der sich anfangs fragte, warum so viele Menschen ihre Heimat verlassen und eine lebensgefährliche Flucht auf sich nehmen. "Ich dachte vor einigen Jahren noch, es sei besser, den Leuten in ihrer Heimat zu helfen." Inzwischen hat er, wie er selbst sagt, einen "unwahrscheinlichen Respekt" vor dem Mut vieler Geflüchteter. "Man kann sich hier wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie schlimm es in Ländern wie Eritrea ist."
Vor mehr als fünf Jahren floh Kidane vor dem Militärdienst, der für alle jungen Männer in Eritrea verpflichtend ist. Seine Eltern, die einen landwirtschaftlichen Betrieb haben, und seine fünf Geschwister ließ er zurück. Auf der Ladefläche eines Pick-ups, eingeklemmt zwischen jungen Männern, Kindern und Schwangeren, die vor Schmerz schrien, ging es durch den Sudan an die libysche Grenze.
In Libyen stockte die Flucht. Für mehrere Wochen war er eingesperrt in einem der berüchtigten Flüchtlingslager unweit der Mittelmeerküste. Als er das Lager schließlich verließ, war er bereits sechs Monate auf der Flucht. 2000 Euro zahlte er für die Überfahrt mit einem Schlepperboot nach Lampedusa.
Seiner Ehefrau möchte er die lebensgefährliche Bootsfahrt über das Mittelmeer ersparen. Einen Großteil des Gehalts legt er deshalb zurück - für eine legale und hoffentlich ungefährliche Ausreise. Ob es klappt, weiß er nicht. Sie telefonieren regelmäßig über WhatsApp oder Facetime. So hält Kidane Negash auch Kontakt zu seinen Eltern in Eritrea.
Als er ihnen vor Kurzem von seiner Arbeit berichtete, waren sie stolz, erzählt der junge Mann. "Du hast es geschafft - haben sie zu mir gesagt."
Michael Vogelsang, seit über 20 Jahren selbstständig, sagt, Kidane Negash sei noch nicht ein einziges Mal zu spät zur Arbeit gekommen. Dabei hat er nicht mal ein Auto und muss fast jeden Tag zu einem anderen Ort kommen - je nachdem, wo die Kunden wohnen. "Er ist sehr ehrgeizig. Und er möchte arbeiten, so einfach ist das."