"Integration ist nicht einfach"
Caritas in NRW Herr Qarqash, sie kommen aus Syrien. Warum sind sie geflohen?
Samer Qarqash: Leider ist in meinem Heimatland Krieg. Es gibt große Konflikte zwischen unterschiedlichen Seiten. Ich habe in meiner Heimat nach meinem Studium der Geschichte und Zivilisations- und Kunstgeschichte an der Universität als Dozent für Zivilisationsgeschichte und Kunstgeschichte gearbeitet und war zudem noch bei den Vereinten Nationen als Sozialarbeiter tätig. Dort war ich Berater für palästinensische Flüchtlinge. Denn mein Land hat viele Erfahrungen mit Flüchtlingen: aus dem Irak, aus dem Libanon, aus Palästina. Durch diese Tätigkeit bei den Vereinten Nationen war aber das Leben meiner Familie in Gefahr. Mir und meiner Familie wurde mit Entführung gedroht.
Caritas in NRW: Also haben Sie sich entschlossen, Syrien zu verlassen.
Samer Qarqash: Ich bin zunächst alleine in die Türkei geflüchtet. Später ist meine Frau mit unserem Sohn und unserer Tochter auch in die Türkei geflüchtet. Von dort kamen sie dann, als ich schon in Deutschland war, als Familiennachzug hierher. Ich habe einen entsprechenden Antrag gestellt. Meine Frau wurde dann in der Türkei von Angehörigen der Deutschen Botschaft befragt, erhielt ein Visum und kam mit den Kindern mit dem Flugzeug nach Deutschland. Sie kamen ein Jahr später als ich nach Deutschland, also im November 2015.
Caritas in NRW: Über welche Route sind Sie nach Deutschland gekommen?
Samer Qarqash: Ich bin von der Türkei mit einem Boot übers Meer nach Italien gekommen. Das Boot war etwa 35 Meter lang und hatte etwa 250 Personen an Bord. Ich habe zuerst versucht, das Flugzeug zu nehmen, aber das hat nicht geklappt. Also waren wir zehn Tage auf dem Meer unterwegs.
Caritas in NRW: Und die Angst war ihr ständiger Begleiter.
Samer Qarqash: Natürlich. Ich habe gedacht, dass ich das nicht überleben würde.
Caritas in NRW: Wie verändern Erfahrungen, die Sie während der Flucht gemacht haben, einen Menschen?
Samer Qarqash: So generell lässt sich das nach meinen Erfahrungen, die ich in der Beratungsarbeit mache, nicht beantworten. Es gibt Menschen, die mit Gefahren umgehen. Und dann gibt es Menschen, die sind regelrecht geschockt.
Caritas in NRW: Und wie haben Sie diese Überfahrt übers Meer verkraftet?
Samer Qarqash: Es war eine Katastrophe. Zehn Tage auf dem Meer in diesem Boot zu sein, auf dem viele Frauen waren und auch Kinder, die geschriene haben, war sehr hart. Aber es gab keinen Weg zurück. Wenn ich heute am Meer bin denke ich immer an meine Flucht. Das geht nicht weg.
Caritas in NRW: War Ihnen bewusst, dass Sie sich in Lebensgefahr begeben würden, als sie in der Türkei in dieses Boot gestiegen sind?
Samer Qarqash: Nein. Die Leute, die in der Türkei die Überfahrt nach Italien organisiert haben, sind Menschenhändler. Sie sind Lügner. Zu mir haben Sie gesagt, dass auf dem Meer ein großes Schiff liegen würde und die Überfahrt nach Italien nicht gefährlich sei. Aber die Passagiere müssten mit kleinen Booten zu dem Schiff gebracht werden. Ich habe nicht gewusst, was mich tatsächlich erwarten würde und dass es so gefährlich werden würde.
Caritas in NRW: Hatten Sie auf dem Boot zu essen?
Samer Qarqash: Wir hatten wenig zu essen. Für jede Person gab es pro Tag ein Fladenbrot, eine Dose Fisch und ein Glas Wasser.
Caritas in NRW: Sind auf der Flucht in diesem Boot bei diesen Bedingungen Menschen gestorben?
Samer Qarqash: Zum Glück nicht. Wir hatten einen Mann an Bord, der Diabetiker war. Das war extrem schwierig, aber er hatte großes Glück, dass er diese Strapazen überlebt hat.
Caritas in NRW: Von Italien kamen Sie dann wie nach Deutschland?
Samer Qarqash: Mit dem Auto, wir waren zu Dritt.
Caritas in NRW: Waren Sie in Deutschland sofort in Mönchengladbach, wo sie jetzt leben?
Samer Qarqash: Nein, ich kam zuerst in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Dortmund, kurz EAE genannt. Von dort kam ich in eine Flüchtlingsunterkunft nach Essen, wo ich zwei Wochen blieb. Dann ging es für mich weiter nach Niedersachsen, nach Osnabrück. Dort bin ich sechs Monate geblieben und habe dort auf den Bescheid vom BAMF gewartet. Als der da war, habe ich Kontakt aufgenommen mit einem Onkel von mir in Kempen am Niederrhein. Er war dort Arzt, ist mittlerweile aber verstorben. Er lebte schon 30 Jahre in Deutschland. Und sein Sohn, also mein Cousin, wohnt in Mönchengladbach. So kam ich hierhin. Ich hatte Glück.