"Integration ist nicht einfach" (Teil 4)
Caritas in NRW: Was würden Sie als Lösung vorschlagen?
Samer Qarqash: Es wäre schön, wenn es eine besondere Planung für diese Gruppe der älteren Geflüchteten gäbe. Zum Beispiel im Deutschkurs. Zurzeit ist es so: 20-Jährige lernen mit 55-Jährigen. Die jungen Leute lernen schnell, ältere langsamer. Das ist ein Problem. Es wäre gut, wenn es Kurse für ältere Menschen gäbe. Nicht anders ist es mit Frauen. Wenn eine Familie zwei Kinder hat und sie auf Kita oder Schule wartet, dauert das manchmal. Wo bleiben die Kinder? Zu Hause. Es sind dann die Frauen, die sich kümmern. Auch auf die Situation solcher Frauen müssten die Planungen reagieren.
Caritas in NRW: Was können Sie Geflüchteten nach Ihren Erfahrungen an Ratschlägen geben,
damit sie sich gut integrieren können?
Samer Qarqash: Sie sollen die Sprache, die Gesetze und das System kennenlernen. Die Menschen in Deutschland sollen keinen Stress bekommen, weil es hier Flüchtlinge gibt. In Deutschland gibt es keine Risiken wie in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Und ich kann ihnen nur raten, Geduld und Entschlossenheit zu haben. Das ist aber nicht einfach. Denn manche Geflüchtete warten zehn Monate bis ein Jahr auf einen Bescheid vom BAMF. So lange müssen sie in der EAE bleiben und dürfen das Gelände nicht länger als 24 Stunden verlassen. Das ist eine große Belastung. Ich kann nur immer wieder an die Geduld der Menschen appellieren. Das Wichtigste ist, dass sie hier in Sicherheit sind, nicht im Krieg und nicht von Menschenhändlern abhängig sind. Geflüchtete sollten auch die deutsche Kultur kennenlernen. Hier ist es üblich, sich mit Handschlag zu begrüßen, anderswo nicht. Hier grüßt der Mann eine Frau, dies ist beispielsweise in anderen Kulturen nicht möglich. Solche Dinge lernen Geflüchtete in Integrationskursen. Diese müssen sie belegen, wenn sie einen positiven Bescheid vom BAMF erhalten. Viele möchten aber keine Integrationskurse machen, die würden stattdessen lieber arbeiten. Ich halte das aus meiner Erfahrung für falsch. Erst die Sprache lernen und sich integrieren, dann arbeiten.
Caritas in NRW: Kinder haben es da sicher einfacher.
Samer Qarqash: Ich sehe das an unseren Kindern. Unser Sohn ist sieben Jahre alt und besucht die Grundschule. Unsere Tochter ist zwölf Jahre alt, sie geht auf die Gesamtschule. Da ist Integration kein Problem. In der Schule lernen sie alles und kommen gut zurecht.
Caritas in NRW: Sie kennen auch den berühmten Satz der Bundeskanzlerin: "Wir schaffen das!"
Der kam ja sehr spontan. Nehmen wir einmal an, Frau Merkel wäre zu Ihnen gekommen und hätte Sie gefragt, ob sie diesen Satz sagen soll. Was hätten Sie geantwortet?
Samer Qarqash: Ich hätte ihr gesagt: "Ja, den Satz sollten Sie sagen." Ich meine, dass die Integration von Flüchtlingen Beharrlichkeit braucht. Ich persönlich habe einen Job bekommen und auch eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Ich werde in wenigen Monaten die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Und daher sage ich ergänzend zum Satz der Bundeskanzlerin noch einen anderen Satz dazu: Wir müssen am Ball bleiben. Wenn wir es wirklich wollen, schaffen wir das.
Das Interview führte Christian Heidrich.
Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Mönchengladbach
Das Land Nordrhein-Westfalen betreibt auf dem Gelände des früheren Joint Headquaters in Mönchengladbach-Rheindahlen, das von 1954 bis 2013 als Hauptquartier verschiedener Verbände der britischen Streitkräfte und der NATO diente, seit Mitte 2016 eine Erstaufnahmeeinrichtung, kurz EAE genannt. Zuständig für die Einrichtung ist die Bezirksregierung in Düsseldorf. Sie hat die gemeinnützige Malteser Werke GmbH mit der Versorgung der Asylsuchenden in der EAE beauftragt. Die Verfahrensberatung der Geflüchteten übernehmen sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SKM in Rheydt. Zurzeit (Juli 2020) leben in der Einrichtung rund 600 Personen aus rund 50 Nationen