Der Marathonlauf geht weiter
Mittlerweile - gerade auch in den Zeiten von Corona - ist das Flüchtlingsthema aus den Schlagzeilen der Presse und der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden, aber der Marathonlauf ist sicherlich noch nicht beendet.
Der große Zustrom an Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 hat in unserer Gesellschaft Spuren hinterlassen. Während in den ersten Wochen und Monaten noch die Bilder des Willkommens und das "Wir schaffen das!" der Bundeskanzlerin dominierten, ist die Tendenz der politischen Diskussion in der Folge doch wesentlich restriktiver geworden. Dieser Trend ist dann auch in der Bundesgesetzgebung zu Flüchtlingsfragen erkennbar (zum Beispiel zeitweise Aussetzung des Familiennachzugs, Definition von "sicheren Herkunftsstaaten", Verschärfung der Abschieberegelungen etc.). Besonders deutlich wurde diese veränderte gesellschaftliche Bewertung des Themas durch das Erstarken populistischer und nationalistischer Positionen und die Wahlerfolge der AfD bei vielen Landtagswahlen und der Bundestagswahl 2017.
Eine ähnliche gesellschaftliche und politische Entwicklung ist auch in den anderen EU-Staaten feststellbar und hat dazu geführt, dass es nach wie vor keine abgestimmte EU-Flüchtlingspolitik gibt. Dieses Versagen der EU und ihrer Mitgliedstaaten führt zu unmenschlichen Zuständen zum Beispiel in den griechischen Flüchtlingslagern und verlängert den unhaltbaren Zustand, dass weiterhin Tausende von Flüchtlingen im Mittelmeer ertrinken. Die verabredete Aufnahme von 1600 Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern ist nicht mehr als ein erster Schritt und auf keinen Fall ein Beleg für ein Umdenken der EU.
Schauen wir auf die Situation in Deutschland zurück, so ist die Entwicklung vor allem durch den deutlichen Rückgang der Zahlen der Asylbewerber in den Jahren nach 2015 gekennzeichnet. Dieser Rückgang ist sicherlich nicht das Ergebnis einer deutlich verbesserten Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, sondern resultiert aus dem Abkommen der EU mit der Türkei und der nun eher auf Abschreckung ausgerichteten restriktiveren Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Rückblick auf die letzten fünf Jahre Flüchtlingspolitik kann aber auch auf erste schmale Integrationserfolge verweisen: Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehen ca. 50 Prozent der Geflüchteten nach fünf Jahren einer Erwerbstätigkeit nach. Auch hat sich für viele Flüchtlinge - trotz der schwierigen Situation am Wohnungsmarkt - die Wohnungssituation deutlich verbessert. Aber - der Marathon geht weiter. Gerade im Bereich des Wohnens wird deutlich, dass nach wie vor viele Geflüchtete in Sammelunterkünften untergebracht sind - mit all den besonderen Gefährdungen, die in den Corona-Zeiten deutlich geworden sind.
Auch für die Caritas waren diese fünf Jahre eine sehr anstrengende und lehrreiche Zeit. An vielen Stellen haben nicht nur die Flüchtlings- und Integrationsdienste, sondern auch andere Arbeitsfelder der Caritas einen wichtigen Dienst geleistet, angefangen von der unmittelbaren Soforthilfe in den Jahren 2015 und 2016 bis zu den vielfältigen integrationsunterstützenden Angeboten, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben. Dieses Engagement der Caritas ist von der Gesellschaft, aber auch im politischen Raum sehr anerkennend und dankbar wahrgenommen worden und hat vielfältige Unterstützung gefunden. Wir können auf dieses Engagement durchaus stolz sein, weil es zu einer positiven Wahrnehmung von Kirche und Caritas in diesem Feld beigetragen hat. Besonders möchte ich dabei auch die vielfältigen ehrenamtlichen Aktivitäten und Initiativen benennen, die häufig zu einem neuen konstruktiven Miteinander von Ehrenamtlichen in den Pfarrgemeinden und der Caritas geführt haben.
Der Marathon ist noch nicht zu Ende, aber vielleicht kann das Engagement der Caritas hinweisen auf den Weg zu einer bunten, vielfältigen, offenen, toleranten und gastfreundlichen Gesellschaft, die - so wie 2015 - unser Ziel bleiben sollte.