Vier Wände in der Fremde
Weil das ehemalige Hotel leer stand, konnte die Caritas Dinslaken es als Flüchtlingsunterkunft anmieten. Dort leben aktuell 62 Menschen, die alle hoffen, bald auf dem Wohnungsmarkt etwas Bezahlbares zu finden.Foto: Tobias Krause
Eine Frau trug ihre Kleidung, Sandalen an den Füßen und einen kleinen Beutel mit Lebensmitteln bei sich - das war alles, was sie noch hatte", erinnert sich Caritasdirektor Michael van Meerbeck an eine Nacht im Herbst 2015, als Reisebusse mit geflüchteten Menschen auf den Hof des Caritasverbandes für die Dekanate Dinslaken und Wesel fuhren. Engagiert waren Mitarbeitende und Ehrenamtliche zur Stelle, um Betten aufzubauen, Versorgung und Notbetreuung sicherzustellen. In vier Übergangswohnheimen beherbergte die Caritas am Niederrhein zeitweise bis zu 2000 geflüchtete Frauen, Männer und Kinder.
Eine Fluchtgeschichte ist mit dem Überschreiten einer Ländergrenze nicht abgeschlossen. In Deutschland angekommen, folgt eine Odyssee durch Übergangswohnheime. Von der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) werden Geflüchtete prozentual einzelnen Kommunen zugewiesen. In einer neuen Stadt beziehen sie ein weiteres Mal ein Zimmer auf Zeit. "Auf dem Weg geflüchteter Menschen liegen viele Stationen", weiß Sabine Walczak. Die Sozialarbeiterin ist Ansprechpartnerin für Menschen mit Fluchthintergrund in den Kommunalen Unterbringungseinrichtungen der Caritas für die Dekanate Dinslaken und Wesel.
Hürden bei der Wohnungssuche
Im ehemaligen "ECCO-Hotel", einer leer stehenden Hotel-Anlage in Schermbeck, leben aktuell 62 Frauen, Männer und Kinder, betreut von der Caritas. Die meisten kamen aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und Guinea nach Deutschland. Aktuell, so die Sozialarbeiterin, flüchten viele aus der Türkei. Und auch wenn das Thema Flucht in den Medien an Aufmerksamkeit verloren habe, betont Guido Busch, Fachbereichsleiter für Existenzhilfen: "Es kommen immer noch Menschen zu uns - und das ist auch gut so." In vielen Herkunftsländern der "Besucher", wie die Bewohner der Übergangsunterkünfte genannt werden, herrschten unmenschliche Bedingungen, gibt Busch zu bedenken.
Im März dieses Jahres haben Caritas-Einrichtungen in Schermbeck 40 weitere Geflüchtete aufgenommen. Auch Fatima* (45) hat mit Tochter Nadia* (11) ein 18-Quadratmeter-Zimmer im "ECCO-Hotel" bezogen - ein lang ersehntes Wiedersehen mit ihrem Mann Ahmed* (51), der ein Jahr zuvor geflohen war. Der Familienvater war in der Türkei Universitätsprofessor, bis die Regierung der Hochschule vorwarf, die Gülen-Bewegung zu unterstützen. Die Universität musste schließen, Angestellte wurden arbeitslos ohne berufliche und soziale Perspektive. Fatima berichtet, die Familie habe Haus und Wohnung verkauft, um finanziell zu überleben. Als Ahmed und seine Kollegen 2019 zu Haftstrafen verurteilt wurden, war der Entschluss zur Flucht getroffen. "Jetzt sind wir sehr froh, in Deutschland zu sein", sagt Fatima. Auch die Perspektive, die Flüchtlingsunterkunft bald verlassen zu können, trägt dazu bei. In naher Zukunft kann die Familie voraussichtlich eine 2,5-Zimmer-Wohnung in Schermbeck beziehen.
Sie unterstützen geflüchtete Menschen – von einem ersten Bett in der Notunterkunft bis zur Schlüsselübergabe der eigenen Wohnung: Guido Busch (Fachbereichsleiter), Michael van Meerbeck (Caritasdirektor) und Sabine Walczak (Sozialarbeiterin) der Caritas (v. l.) für die Dekanate Dinslaken und Wesel.Foto: Juliane Büker
"Das ist nicht die super Lösung", kommentiert Sozialarbeiterin Sabine Walczak die Größe der Wohnung, "aber es hilft der Familie, nach einer aufreibenden Zeit zur Ruhe zu kommen." Aus ihrer Erfahrung heraus ist die erste eigene Wohnung nach einer Übergangsunterkunft eine weitere Station auf dem Weg des Ankommens in einem neuen Land - von hier sei es oft leichter, eine Arbeitsstelle und dann auch eine angemessenere Wohnung zu finden.
Die Caritas unterstützt Besucher ihrer Übergangsunterkünfte darin auszuziehen. Oft wird beispielsweise eine finanzielle Grundversorgung durch Arbeitslosengeld II beantragt, Wohnkosten inbegriffen. Eine geeignete Wohnung zu finden, ist dann schon schwieriger. Regelmäßig sichtet Sozialarbeiterin Sabine Walczak den Wohnungsmarkt. Insgesamt habe sie gute Erfahrungen mit Vermietern gemacht. "Nur manchmal heißt es auch: ‚Wir wollen keine arbeitslosen Mieter - oder keine alleinstehenden Männer.‘ Dann ist das Bauchgefühl klar - da will jemand keine geflüchteten Mieter."
Sind Geflüchtete zudem an Wohnsitzauflagen gebunden, die gesetzlich vorschreiben, mindestens drei Jahre an dem Ort der Zuweisung bleiben zu müssen, wird die Wohnungssuche in Städten mit knappem Wohnraum nicht leichter. Von den 40 Neuankömmlingen, die im März nach Schermbeck kamen, sind 38 an diese Auflage gebunden.
Auch das knappe Angebot an sozialem Wohnraum ist für geflüchtete Menschen häufig schwer zugänglich. Berechtigt, eine Sozialwohnung anzumieten, seien Niedrigverdienende, erklärt die Sozialarbeiterin. Die notwendige Bescheinigung darüber, den Wohnberechtigungsschein, erhalten aber nur diejenigen, bei denen geklärt ist, dass sie wenigstens ein Jahr in Deutschland bleiben dürfen.
Ein wahrer Türöffner: Die Sozialarbeiterin Sabine Walczak sichtet regelmäßig das örtliche Wohnungsangebot und tritt mit Vermietern in Kontakt. 25 Wohnungszusagen für Geflüchtete konnte sie so schon gewinnen.Foto: Juliane Büker
Was über die Hürden bei der Wohnungssuche helfen könne, sei, als Caritas präsent zu sein. "Ich biete Vermietern an, sich bei Schwierigkeiten an uns zu wenden", sagt Walczak. 25 Wohnungen hat sie in den letzten dreieinhalb Jahren für Geflüchtete gewinnen können.
Die Botschaft "Wir kümmern uns" hat Substanz. Damit der Übergang in die eigenen vier Wände gelingt, bietet die Caritas aufsuchende Hilfen an: ein Betreuungsangebot für Geflüchtete, die in eigenen Wohnungen leben - über eine Zeit im Flüchtlingsheim hinaus. "Es reicht nicht aus, den Mietvertrag zu unterschreiben und den Umzug zu begleiten - danach fangen neue Probleme an", weiß Guido Busch. Wie kaufe ich günstig ein? Wie entsorge ich meinen Müll? Welches Ticket brauche ich im Bus? Und was mache ich mit der Post von den Stadtwerken? Fragen, die in einem unbekannten Land vermutlich nur wenige Neuzugezogene beantworten können, deren Klärung einen großen Teil zu einem guten Mietverhältnis, Ankommen und Auskennen beiträgt.
Ahmed und Fatima können ihr baldiges Glück der eigenen Wohnung noch gar nicht richtig glauben und danken ihrem "Engel Sabine". Die Zeit der Flucht sei wie ein "schlechter Traum". Doch das Fußfassen in Deutschland nimmt Form an. Ahmed hat Kontakt zu Universitäten aufgenommen und einzelne Lehraufträge in Aussicht. Nur eine Sorge bleibt: Zwei erwachsene Töchter der Familie sind noch in der Türkei - und ihre Zukunft ist ungewiss. "Dass unsere Familie wieder zusammen ist", ist der größte Wunsch der geflüchteten Eltern.