"Die Krise haut uns nicht vom Markt"
Caritas in NRW Welche Auswirkungen der Corona-Krise erleben Sie?
Michael Doersch: Wir haben viele Kundenaufträge verloren. Kunden haben zurzeit keinen Bedarf mehr. Wir sind oft nur Teil einer Lieferkette. Wenn diese Kette unterbrochen wird, sind auch wir schnell betroffen. Wenn ein Unternehmen, mit dem wir in einer Geschäftsbeziehung stehen, pleitegeht, ist der Auftrag weg.
Caritas in NRW: Wo haben Sie Aufträge verloren?
Michael Doersch: In der Zulieferung für die Automobilindustrie. Da werden Ketten komplett abreißen, weil Kunden sich umstellen auf alternative Produkte, auf alternative Fertigungsverfahren und damit auf alternative Lieferanten. Gerade im Bereich Automotive sind die Wege zu neuen Aufträgen ziemlich lang. Wir werden drei, vier oder noch mehr Jahre brauchen, um Aufträge neu zu akquirieren und wieder neue Aufgaben für unsere Beschäftigten heranzuholen.
Caritas in NRW: Was produziert die CBW für die Automobilindustrie?
Michael Doersch: Ein schönes Beispiel ist der Tankeinfüllstutzen. In Spitzenzeiten haben wir fünf Werkstätten verteilt bis zu 55.000 Stück pro Woche produziert. Je nach Anforderung an den einzelnen Produktionsschritt konnten Menschen mit ganz verschiedenen Behinderungen eingesetzt werden. Es gab für viele Leute sinnvolle Arbeit, die von der Industrie benötigt wurde.
Caritas in NRW: Die CBW ist auch in der Produktion von Medizinprodukten tätig - das Image von Bastelarbeiten stimmt für die Werkstätten schon lange nicht mehr. Wäre die Werkstatt mit Bastelarbeiten weniger anfällig?
Michael Doersch: Ich will die Bastelarbeit grundsätzlich nicht ausschließen. Aber wir nehmen unseren gesetzlichen Auftrag, Teilhabe am Arbeitsleben zu bieten, sehr ernst und genau. Deshalb streben wir unbedingt herausfordernde Arbeiten für unsere Beschäftigten an, wie zum Beispiel die Medizintechnik. Auch in der Schreinerei arbeiten wir grundsätzlich sehr industrienah. Zudem produzieren wir 1500 Ladestationen für Elektromobilität pro Jahr für ein Aachener Unternehmen. Es bleibt auch während und nach der Krise unser Anspruch, unseren Beschäftigten hochqualitative Arbeit anzubieten. Denn es heißt ja: Teilhabe am Arbeitsleben und nicht Teilhabe am Bastelleben.
Caritas in NRW: Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung mussten in der Krise abrupt schließen. Wie haben Sie die Beschäftigten betreut, wenn sie nicht an ihren Arbeitsstellen waren?
Michael Doersch: Wir haben den gesetzlichen Auftrag, die Menschen mit Behinderung zu begleiten. Und wenn sie nicht bei uns sind, machen wir das unter anderem telefonisch, über Facebook, über Internet, über E-Mail. Das betrifft vor allem die Beschäftigten, die nicht in Wohnheimen leben. Für die gibt es auf elektronischem Wege auch kleine Aufgaben, die gelöst werden müssen. Für die Beschäftigten, die in Wohnheimen leben, haben wir auch knapp 30 Kolleginnen und Kollegen in Tagesschicht in den Wohnheimen beschäftigt. Die unterstützen dort die Wohnanbieter, weil diese in der Regel keine Tagesschicht vorhalten müssen. Zu normalen Zeiten sind die Menschen mit Behinderung ja tagsüber in den Werkstätten, also bei uns.
Für die Beschäftigten, die in der CBW die berufliche Bildung durchlaufen, gab es auch Aufgaben, die wir ihnen in einem kleinen Kartönchen nach Hause schickten. Kürzlich haben wir den Teilnehmern in einer Aktion ein Kresse-Saatbett geschickt. Dazu gab es dann ein Lernvideo, das wir erstellt haben: Wie ziehe ich eine Pflanze heran? Und dazu gab es dann die entsprechenden theoretischen Lerneinheiten.
Caritas in NRW: Stichwort Schutzkleidung: In der Krise haben sie irgendwann umgeschaltet und Leute an die Nähmaschinen gesetzt und Alltagsmasken genäht.
Michael Doersch: Als die Krise kam, haben wir relativ frühzeitig festgestellt, dass wir Schutzkleidung besorgen müssen. Unser Einkäufer hat dann die Fühler ausgestreckt. Es ist ihm zwar gelungen, noch in größeren Mengen Desinfektionsmittel zu bevorraten, aber andere Schutzkleidung wie Masken waren nicht mehr zu bekommen. Und deshalb haben wir dann unsere beiden Nähereien in Weisweiler und in Kohlscheid direkt darauf angesetzt, eine einfache textile Mund-Nasen-Maske zu nähen. Wir haben das Schnittmuster mit dem Gesundheitsamt in Aachen abgestimmt, und seitdem nähen wir etwa 1000 Masken pro Tag. Nach diesem Schnittmuster näht nun übrigens auch der deutsche Sportartikel-Hersteller Trigema Masken.
Caritas in NRW: Würden Sie sich wünschen, dass sie in Krisenzeiten wie diesen mehr Einflussmöglichkeiten hätten auf den Gang der Politik und die Umsetzung der Verordnungen? Die Altenhilfe beklagte bei der Lockerung der Besuchsregelung zum Muttertag, es sei viel zu kurzfristig informiert worden.
Michael Doersch: Grundsätzlich würde ich sagen: Es kann wieder so laufen. Wir haben intern überlegt, wie die Werkstatt wiedereröffnet werden kann. Wir haben bei unseren Überlegungen sehr rasch festgestellt, dass die Überlegungen beim Landschaftsverband, beim Gesundheitsamt der Städteregion, bei der Bundesagentur für Arbeit und bei den Wohnanbietern ziemlich ähnlich sind. Also wir hatten, ohne uns abzustimmen, relativ schnell einen Konsens in der Frage.
Caritas in NRW: Wie erklären Sie den Beschäftigten Hygienemaßnahmen oder Abstandsregeln? Wie gehen Sie damit um?
Michael Doersch: Das ist die größte Herausforderung: Wir müssen mit manchen umgehen, als wären sie Covid 19 infiziert. Wer Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen hat, muss entsprechend geschützt sein. Unter den Beschäftigten ist es äußerst schwierig, entsprechende Regelungen einzuhalten. Man muss es so deutlich sagen: Wenn die Beschäftigten in normaler Anzahl wieder arbeiten, haben wir hier ein gewisses erhöhtes Restrisiko.
Caritas in NRW: Müssen hauptberufliche Mitarbeiter den Beschäftigten so geschützt begegnen wie eine Krankenschwester auf der Intensivstation mit Corona-Patienten?
Michael Doersch: Ja. Wir haben für unsere Mitarbeiter hinsichtlich des Gesundheitsschutzes eine vom Gesetzgeber geforderte so genannte Gefährdungsbeurteilung zu machen. Ich muss jeden Arbeitsplatz beurteilen. Dazu gehört zum Beispiel auch der Arbeitsplatz des Heilerziehungspflegers im heilpädagogischen Arbeitsbereich. Dieser Mitarbeiter arbeitet tagtäglich mit Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen. Wenn wir bei der Gefährdungsbeurteilung zu dem Ergebnis kommen, dass eine Covid-19-Infektion bei dem Beschäftigten nicht auszuschließen ist, dann sind dem Kollegen nicht nur entsprechende persönliche Schutzausrüstungen an die Hand zu geben, sondern er ist zu verpflichten, diese Schutzausrüstung auch zu benutzen. Das heißt: Er steht dann mit Schürze, Mund-Nasen-Schutz, Augenschutz und zusätzlichem Gesichtsschild da und macht seinen Job.
Caritas in NRW: Haben Sie schon die Fühler ausgestreckt nach neuen Dingen, die die CBW nach Ende der Pandemie machen könnte?
Michael Doersch: Ja. Wir sind zum einen mit einem Hersteller in China im Gespräch, der FFP-II- und FFP-III-Masken herstellt. Mit ihm werden wir hier für den europäischen Markt Masken prüfen beziehungsweise einzeln verpacken. Die werden dann in Apotheken verkauft. Da kommen in den nächsten drei Wochen 50.000 Stück zur Bearbeitung. Den ersten Probeauftrag - 9000 Stück - haben wir im Haus. Da sind wir dran. Da optimieren wir gerade die einzelnen Produktionsschritte, die erforderlich sind. Ich gehe davon aus, dass in drei Wochen die 50.000 Stück hier eintreffen werden.
Caritas in NRW: Schutzmasken - so ein Geschäft bahnen Sie doch nicht an, ohne sich dabei nichts zu denken.
Michael Doersch: Wenn wir mit solch einem chinesischen Lieferanten unterwegs sind, dann haben wir direkt FFP-II- und FFP-III-Masken im Zugriff. Und wir können darüber auch gewisse vertriebliche Dinge gestalten. Wenn der Hersteller an die Apotheken verkauft, sind wir genauso in der Lieferanten-Kunden-Beziehung, wie jeder andere auch und könnten direkt darauf zugreifen. Wir könnten dort auch direkt FFP-II- und FFP-III-Masken preiswert erwerben, gegebenenfalls auch für andere Caritas-Einrichtungen. Aber da verschließt sich der Lieferant bisher noch, weil er sagt: Ich verkaufe die Maske lieber einzeln für 7,90 Euro pro Stück an die Apotheke.
Caritas in NRW: Sind diese Masken auch Medizinprodukte?
Michael Doersch: Nein, das sind keine Medizinprodukte, das sind zertifizierte Arbeitsschutzprodukte, die natürlich auch im medizinischen Bereich eingesetzt werden können. Die werden also nicht im Reinraum geprüft. Die müssen nur sauber bleiben. Da gibt es keine spezifischen Anforderungen wie im Reinraum, wo es heißt: ISO Kasse 8 oder noch sauberer. Sondern es geht einfach darum, eine Arbeitsatmosphäre frei von Stäuben bereitzustellen.
Caritas in NRW: Glauben Sie, dass sie für eine weitere Infektionswelle besser gerüstet sind?
Michael Doersch: Wenn ich jetzt in Richtung Schutzausrüstung schaue, werden wir uns, wenn die Corona-Welle abflacht und sich die Preise wieder Richtung normales Preisniveau stabilisiert haben, entsprechende Mengen auf Vorrat legen. Ob das dann die richtigen Teile sind, je nachdem, welche Katastrophe auf uns zusteuert, kann ich heute noch nicht sagen. Wenn so eine oder eine ähnliche kommt, wären wir dann aber etwas besser vorbereitet.
Caritas in NRW: Wann kann die CBW wieder normal arbeiten? Haben Sie da irgendeine Vorstellung?
Michael Doersch: Sobald alle Menschen mit Behinderung wieder an Bord sind, denn jeder von uns ist Teil unserer Dienstgemeinschaft. Unsere Arbeitsprozesse sind so ausgelegt, dass wirklich jeder Beschäftigte nach seinen Möglichkeiten und seinen Fähigkeiten beschäftigt ist. Und wenn auch nur einer fehlt, ist irgendeine Dienstleistung nicht vollständig zu erbringen beziehungsweise sie muss dann von anderen aufgefangen werden. Aber vollständig arbeitsfähig sind wir erst eine gewisse Zeit nachdem wieder alle da sind. Denn wenn die Kolleginnen und Kollegen wieder im Haus zurück sind, gibt es zunächst viel Unterstützungs-, viel Aufbauarbeit, viel Beziehungsarbeit zu leisten, bevor wieder an 100 Prozent Arbeitsniveau gedacht werden kann.
Caritas in NRW: Die CBW ist auch ein Wirtschaftsunternehmen, das sich am Markt behaupten muss. Machen Sie sich Sorgen, dass die CBW aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt verschwinden könnte?
Michael Doersch: Nein. Es steht in der Bibel, dass nach sieben fetten sieben magere Jahre kommen. Wir hatten in der Vergangenheit sieben oder acht fette Jahre. Davon können wir, so hoffe ich, in den nächsten sieben Jahren zehren. Ich hoffe aber nicht, dass es so lange dauert. Aber die CBW wird nicht vom Markt verschwinden. Wir werden dieses Jahr ein deutlich schlechteres Ergebnis fahren als vergangenes Jahr, möglicherweise sogar ein negatives Ergebnis. Die Krise haut uns aber nicht vom Markt. Auch nicht im nächsten Jahr würde das passieren. Die Situation spornt uns aber an, weiterhin neue Ideen zu entwickeln, um dem vorzubeugen.
Caritas in NRW: Und gab es schon neue Ideen?
Michael Doersch: Wir haben einen kontaktlosen Weihwasserspender gebaut. In den Kirchen sind ja zurzeit die Weihwassergefäße leer. Ich habe nicht die Möglichkeit, beim Betreten der Kirche das Kreuzzeichen mit Weihwasser zu machen. Mit unserem Produkt kann man das. Man hält an einer bestimmten Stelle unter dem Gerät die Hand hin, und man bekommt eine fein dosierte Menge Weihwasser auf die Hand, mit der ich dann das Kreuzzeichen machen kann. Ein Bauteil steht in der St.-Sebastian-Kirche in Würselen zur Probe. Dann wollen wir sehen, wie es ankommt und funktioniert und den Weihwasserspender anbieten.
Caritas in NRW: Wie kamen Sie denn auf diese Idee?
Wir haben einfach einmal überlegt, welche Teile jetzt in einer Situation, in der ich nichts anfassen darf, benötigt werden. Und da haben wir diese Idee gehabt. Wir sind zurzeit mit chinesischen Lieferanten im Gespräch. Auch da ist die Liefersituation nicht einfach. Ich habe gerade einmal fünf Stück dieser Geräte, die wir hier zusammenbauen, im Zugriff. Aber das reicht nicht aus, um die Spender nur im Bistum Aachen an den Markt zu bringen. Die Bauteile sind auch nicht billig. Wir bauen die Spender und haben einen Partner, der uns Steine dazu produziert, je nachdem wie der Kunde das möchte: aus Granit, aus Blaustein oder aus Marmor. Unsere Beschäftigten bzw. wir mit Hauptamtlichen bauen die Bauteile dann zusammen.
Das Interview führte Christian Heidrich.
Caritas Betriebs- und Werkstätten GmbH
Gesellschafter sind der Caritasverband für das Bistum Aachen (Mehrheitsgesellschafter) und der Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land.
- Hauptberufliche Mitarbeitende: zurzeit 280
- Beschäftigte (mit Behinderung): 1341
- Werkstätten: acht Werkstätten an sechs Standorten in der StädteRegion Aachen
- Unterbringung der Beschäftigten: Die Beschäftigten wohnen entweder in Wohnheimen (ca. 400) oder individuell bei den Eltern, im betreuten Wohnen (BeWo) oder allein.
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