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Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte Christoph Menz vom Diözesan-Caritasverband Paderborn noch die Hoffnung, dass die Versorgung mit Schutzmaterialien in Altenheimen und Pflegediensten halbwegs in geregelte Bahnen gelenkt werden könnte. "Es war in NRW ein Verteilerschlüssel in der Diskussion, der die kommunalen Gesundheitsbehörden verpflichtet hätte, das Material nach einem festen Prioritätenschlüssel für Krankenhäuser, Altenheime oder Feuerwehren zu reservieren", sagt Menz, der das Referat Altenhilfe, Hospiz und Sozialstationen leitet. Doch anstelle eines Verteilerschlüssels kam eine andere Vorgabe: Es solle nach Bedarf verteilt werden; jedes kommunale Gesundheitsamt entscheide selbst, wer wie viel bekomme.
Wohin auch immer die knappen Materialien gelenkt wurden, die stationäre und ambulante Altenhilfe standen nicht an erster Stelle. "Die angekündigte Versorgung über Behörden hat nicht funktioniert", kritisiert Christoph Menz. "Die Altenhilfe sah sich schnell ganz am Ende der Versorgungskette." So kam es zu kuriosen Situationen, in denen Zufälle oder persönliche Beziehungen über die Versorgung entschieden, wenn etwa die örtliche freiwillige Feuerwehr den ambulanten Pflegedienst eines Altenheims mit Schutzmasken versorgte, so geschehen im Kreis Höxter.
Verteilung nach Bedarf oder per Zufall
Natürlich gibt es auch Fälle, in denen die Zusammenarbeit mit den Behörden vorbildlich funktioniert hat. In Hövelhof im Kreis Paderborn konnte die Kommune dem dortigen Caritas-Altenzentrum angesichts eines größeren Corona-Ausbruchs sofort das notwendige Schutzmaterial in hoher Stückzahl zur Verfügung stellen. Doch die Regel war das nicht. Laut einer Spontanabfrage des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste bei über 450 Mitgliedseinrichtungen in NRW hatten bis Ende April knapp 50 Prozent der Einrichtungen nur auf Anfrage Schutzmittel über die Kommune erhalten. In Einrichtungen, die von einem Infektionsgeschehen betroffen waren, mangelte es bei weit mehr als der Hälfte der Einrichtungen an entsprechenden Schutzmaterialien wie z. B. Schutzkitteln, Hauben, Brillen und Visieren. Und in etwa 40 Prozent der Einrichtungen waren die notwendigen FFP2-Masken nicht in ausreichender Menge vorhanden.
Der Pandemiefall war nicht vorgesehen
Die große Masse der Einrichtungen, insbesondere Heime ohne Infektionsgeschehen, musste also von Anfang an selbst aktiv werden und eigene Lieferanten kontaktieren, etwa die im Jahr 2018 als erste Caritas-Genossenschaft in Deutschland gegründete Caritas Dienstleistungs- und Einkaufsgenossenschaft im Erzbistum Paderborn (cdg). Die cdg hat bis Anfang Mai fast eine halbe Million Schutzmasken, darunter die Hälfte nach FFP2-Standard, an über 100 Kunden überwiegend aus dem Altenhilfe-Bereich liefern können. Chef-Einkäufer Markus Grams kann inzwischen auf einen kleinen Kreis zuverlässiger Lieferanten bauen, gleichzeitig wächst sein "Spam-Ordner" für dubiose Angebote. "Fast täglich melden sich Anbieter, deren Lieferversprechen wir für unrealistisch halten." Schwieriger noch als Masken sind Schutzkittel zu besorgen. Auch hier bewährt sich der genossenschaftliche Einkaufsverbund: 80 000 Schutzkittel hat die cdg bislang den Altenhilfe-Einrichtungen anbieten können.
Der Mangel an Centartikeln, wie es die notwendigen FFP2-Masken eigentlich sind, sorgte für öffentliche Empörung. Ein bis ins Detail geregeltes deutsches Gesundheits- und Altenhilfe-System wurde offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. Auf das Ausmaß des Bedarfs und der Anforderungen waren Altenheime und Pflegedienste - trotz anderer öffentlicher Erwartungen - nicht vorbereitet. Konnten sie auch nicht sein. Die für den Betrieb stationärer Einrichtungen geltenden rechtlichen Grundlagen regeln, so Christoph Menz, den Infektionsnotfall so, dass lediglich eine bestimmte Grundausstattung an Schutzmaterial vorgehalten werden muss. Kommt es beispielsweise zu einer Grippevirus- oder Norovirus-Infektion unter Bewohnern, solle, so der Plan, eine "Versorgungskette" ausgelöst werden. "Eine Bevorratung für den Pandemiefall ist nicht vorgesehen und auch nicht möglich."
Auch im ambulanten Bereich ist laut SGB V (§ 132) nur eine Notfall-Ausstattung mit Schutzmaterial vorgesehen: "Die Pflegekräfte halten bei ihren Pflegeeinsätzen einen Pflegekoffer bereit, der für den Notfall mindestens folgende Materialien bzw. Arbeitsmittel enthält: Blutzuckermessgerät, Fieberthermometer, sterile Pinzetten, Scheren, Händedesinfektionsmittel, sterile und unsterile Handschuhe sowie ein Blutdruckmessgerät. (…) Sofern eine Versorgung mit Verband- oder Hilfsmitteln erforderlich erscheint, informiert der ambulante Pflegedienst den behandelnden Arzt und die Krankenkasse."
Verantwortung bleibt bei den Einrichtungen
Der Mangel an Schutzmitteln steht in Kontrast zum hohen Stellenwert, den der Umgang mit Hygiene und ansteckenden Krankheiten sowohl in der "alten" als auch in der neuen, generalistischen Pflegeausbildung genießt. So sehen die Generalistik-Rahmenlehrpläne schon gleich zu Beginn der Ausbildung vor, Kompetenzen bei Hygieneanforderungen zu erwerben und Grundregeln der Infektionsprävention zu beherrschen. Diese Kompetenzen werden im dritten Ausbildungsjahr intensiviert. Dann geht es u. a. darum, das Hygienehandeln in den jeweiligen Versorgungsbereichen mithilfe der dort vorliegenden Hygienepläne zu organisieren. Schon in der früher getrennten Altenpflegeausbildung nahm das Lernfeld Hygiene breiten Raum ein und war mit 30 Unterrichtsstunden veranschlagt.
Auch nach dem Abflauen des Infektionsgeschehens in NRW und den danach erfolgten Lockerungen der Besuchsverbote in stationären Einrichtungen wird das Thema Schutzmittel aktuell bleiben. Denn bei der von vielen Experten erwarteten zweiten Corona-Welle wird die Altenhilfe wiederum im Fokus stehen. Werden dann die Dienste ausreichend mit Materialien versorgt sein? Die dem NRW-Gesundheitsministerium am 24. April vorgelegten "Handlungsempfehlungen zum Schutz vor Infektion und vor sozialer Isolation von Menschen mit Pflegebedürftigkeit und Teilhabebeeinträchtigungen in einer Exit-Strategie in interdisziplinärer Expertise" lassen jedenfalls nichts Gutes ahnen. Obwohl das Expertengremium feststellt, dass, abweichend von den Empfehlungen und Hinweisen in vielen Einrichtungen, die Ausstattung mit Desinfektionsmitteln, Schutzkleidung etc. limitiert war und ist, soll auch in Zukunft die Verantwortung für deren Anschaffung bei den Einrichtungen liegen. "Bestehende Defizite bezüglich persönlicher Schutzausrüstungen", so die Empfehlung, "müssen so rasch als möglich ausgeglichen werden. Sie sind im Verantwortungsbereich der Einrichtungen." Immerhin sei "für faktische Knappheit [sic!] zu prüfen, ob eine überinstitutionelle Stelle dies kompensieren muss".