Von Corona und Verordnungen befallen
Das Virus erzwang eine Notbremsung: Innerhalb weniger Tage und manchmal nur Stunden schlossen Beratungsstellen und Einrichtungen der Caritas ihre Türen für Ratsuchende und Besucher, die Mitarbeitenden wurden großenteils ins Homeoffice geschickt.
Es blieben die Not und der Hilfebedarf. Und mancherorts wuchsen sie noch, in Altenheimen vor allem, wenn das Virus dort unter Bewohnern und Mitarbeitenden wütete. Von jetzt auf gleich mussten neue Wege gefunden werden, um weiter mit Klienten in Kontakt zu bleiben. Schüler in den stationären Jugendhilfeeinrichtungen mussten plötzlich auch morgens betreut werden, weil die Schule ja dicht war. Beschäftigte in Behindertenwerkstätten sogar den ganzen Tag, weil die Werkstätten auch schließen mussten.
Entscheidungen fielen kurzfristig, "auf Sicht", in einer Situation, in der nicht nur das Coronavirus "neuartig" war. Bundes- und Landesregierung wie untergeordnete Behörden schickten fast täglich neue und manchmal innerhalb weniger Stunden wieder geänderte Regelungen und dazu als Anlagen Hygienepläne und immer wieder angepasste Bußgeldkataloge.
Dass das häufig nicht zusammenpasste und Leitungen von Einrichtungen und Diensten eher verwirrte, als Orientierung zu bieten, verwundert nicht. Manchmal war die Liste der FAQ länger als der Gesetzestext. Hilfreich wäre gewesen, wenn "alle Ministerien die Expertise unserer Praktiker eingeholt hätten", sagt Anne Eckert, Referatsleiterin Altenhilfe und ambulante Dienste im Diözesan-Caritasverband Münster.
Ein Beispiel für die Kluft zwischen gutem Willen und praktischer Umsetzbarkeit ist die Corona-Aufnahmeverordnung, die Mitte März für viel Aufregung in den Altenheimen sorgte. Sie verfügte für den Fall eines Infektionsfalles, dass Einrichtungen in drei Bereiche für Nicht-Infizierte, Verdachtsfälle und Infizierte aufgeteilt werden müssen, räumlich getrennt mit Schleusen und eigenen Mitarbeiter-Teams. Bei einem Grippefall hätte noch ein vierter Bereich hinzukommen müssen. In kleineren Einrichtungen sei das nicht möglich, erklärt Eckert, sowohl von den Räumlichkeiten wie auch von der Kapazität der Mitarbeitenden. Bei einzelnen Infizierten wäre eine Einzelzimmer-Quarantäne die einfachere und machbare Lösung gewesen.
Laute Proteste halfen nicht. Erst Mitte April lief die Verordnung aus, und nachfolgende Regelungen ließen auf sich warten. Bis dann neue Regelungen tatsächlich das praktisch Mögliche berücksichtigten. Die Ruhe währte allerdings nicht lange, denn nach Wochen der immer wieder verfeinerten Restriktionen verkündete Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die schlagartige Öffnung der Altenheime für Besucher zum Muttertag, einem Sonntag. In der Verordnung selbst war sogar schon der Samstag davor genannt. Was die Heime am Dienstagnachmittag per Pressekonferenz des Ministers und über Facebook erfahren hatten, setzten sie unter großen Anstrengungen so weit wie möglich bis zum Wochenende um.
Bis zum Redaktionsschluss Mitte Mai hatte sich die Verordnungslage wieder etwas beruhigt. Was nicht heißt, dass schon alles gut geregelt war. In großer Sorge blieben die Altenheime, weil die Öffnung auch die Vorgabe enthielt, dass Angehörige wieder mit den Bewohnern Spaziergänge außerhalb des Geländes unternehmen durften. Einerseits würden Bußgelder angedroht bei Nichteinhaltung der strengen Hygieneregelungen, andererseits entfalle jegliche Kontrolle über Kontakte bei diesen Ausflügen, kritisierte Andreas Plietker, Leiter des Hauses St. Benedikt in Recke.
Wie viele seiner Kollegen fühlt er sich Mitte Mai in der Zwickmühle. Im Geflecht von Verordnungen, Regelungen und Erlassen tragen die Altenheim-Leiter die Verantwortung. Sie dürfen die Bewohner einerseits nicht in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken, müssen aber andererseits strenge Hygienevorschriften einhalten, um Ansteckungen zu verhindern. "Rechtlich befinden sie sich auf schwankendem Boden", befindet Klaus Schoch, Justiziar des Diözesan-Caritasverbandes Münster. Auflösen lässt sich das Dilemma für sie nicht.
Trotz allem: Im Ergebnis ist es gemeinsam gelungen, relativ und im Vergleich gut durch die Krise zu kommen - pragmatisch von Tag zu Tag. Andreas Plietker hat da auch Lob für die Politik: "Jetzt gab es einmal Entscheidungen ohne Lobbyisteneinfluss." Und natürlich müsse man Politik und Ministerien zugutehalten, dass die Lage völlig neu gewesen sei.