Kranken- und Altenpflege im Corona-Hotspot
Wenn das Lächeln hinter einer Maske verschwinden muss, ist manchmal die Verwirrung groß. Denn Pflege ist auch Beziehungsarbeit. Doch die Angst vor Ansteckungen mit dem Coronavirus ist groß, und alte Menschen sind besonders gefährdet.Foto: Achim Pohl
China ist weit weg, dachte Josef Aretz, als er zum ersten Mal vom Coronavirus hörte. "Dass es zu einer weltweiten Pandemie kommen würde mit diesen Ausmaßen, das habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet", sagt der 60-Jährige. Er leitet in Gangelt im Kreis Heinsberg das Katharina Kasper-Heim der Katharina Kasper ViaNobis GmbH. Es umfasst zwei stationäre Einrichtungen, eine mit 60 Plätzen für Menschen, die geistig behindert und pflegebedürftig sind, und eine mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt mit 33 Plätzen. Zudem ist Aretz auch für das Wohn- und Pflegezentrum Hehn in Mönchengladbach verantwortlich, ein Altenheim mit 86 Plätzen und zwei Tagespflegen mit 14 und 25 Plätzen. Gangelt, das ist die Gemeinde, die nach Karneval bundesweit in die Schlagzeilen geriet. Nach einer Kappensitzung im rheinischen Karneval im Ortsteil Langbroich stellten die Gesundheitsbehörden des Kreises Heinsberg bei Hunderten Bürgern das Coronavirus fest. Eine Krankheitswelle nahm ihren Lauf, die den Landrat Stefan Pusch das öffentliche Leben im Kreis drei Wochen früher als in Deutschland komplett herunterfahren ließ.
Wenn Besuch wegbleiben muss und Spaziergänge ausfallen, müssen kreative und fröhliche Pflegekräfte für Abwechslung und Entspannung sorgen.Foto: Achim Pohl
Nachts tagt der Krisenstab
"In der Nacht auf Aschermittwoch haben wir die ersten Nachrichten über den Ausbruch der Infektion in Gangelt bekommen", sagt Josef Aretz. Um ein Uhr nachts tritt daraufhin in Gangelt - das Katharina Kasper-Heim ist Teil eines Einrichtungskomplexes, der ein Fachkrankenhaus für psychisch Kranke sowie verschiedene Einrichtungen der Eingliederungshilfe, der Jugendhilfe und der Seniorenhilfe umfasst - der Krisenstab zusammen. Er beschließt: Besuchsverbot in allen Einrichtungen, Absage aller Fortbildungen, Zutrittsbeschränkungen für öffentlich zugängliche Einrichtungen wie ein Geschäft auf dem Gelände. "Durch die Komplexeinrichtung in Gangelt waren wir in der Lage, in einem größeren Krisenstab die Maßnahmen zu bündeln", sagt Josef Aretz in der Rückschau. Das sei vor allem ein großer Vorteil gewesen, als es darum gegangen sei, Gebäude zu finden, in denen Quarantäne-Bereiche hätten eingerichtet werden können.
Am Aschermittwoch bekommen auch Evelyn von Heel und Kerstin Mengeler von der Caritas-Pflegestation (CPS) im zehn Kilometer entfernten Geilenkirchen die Nachricht, dass in Gangelt das Coronavirus festgestellt wurde. Die Gemeinde gehört zum Einzugsgebiet der CPS. Eine Information, die vieles in dem Pflegedienst auf den Kopf stellt. Wissentlich ist zu diesem Zeitpunkt niemand aus der 51-köpfigen Mitarbeiterschaft infiziert. Aber eine Woche zuvor gab es in der CPS eine Reihe von Krankmeldungen wegen grippaler Infekte. "Ob es nicht doch Corona war, lässt sich heute nicht mehr feststellen", sagt Kerstin Mengeler, die stellvertretende Pflegedienstleitung der CPS. "Und dann kamen am Aschermittwoch Mitarbeiter, die berichtet haben, dass sie selbst oder Angehörige von ihnen bei der Kappensitzung in Langbroich gewesen seien", erzählt Marion Peters, Vorstand und Leiterin der Abteilung Gesundheit und Pflege beim Caritasverband für die Region Heinsberg, in dessen Trägerschaft die CPS Geilenkirchen ist. "Wir hatten auch Mitarbeiter, deren Kinder in den Kindergarten gingen, in dem die Frau des Ersterkrankten im Kreis Heinsberg beschäftigt ist", sagt Evelyn von Heel, die Leiterin der CPS. Für die Pflegestation hatte das Konsequenzen: Auf Anordnung des Kreises mussten alle Mitarbeitenden, die krank waren oder Kontakt mit möglicherweise Infizierten hatten, zwei Wochen in häusliche Quarantäne. "Wenn in dieser Situation die Mitarbeiter, die noch arbeiten konnten und durften, nicht so flexibel gewesen wären, dann wäre es gar nicht machbar gewesen. Viele haben auf ihre freien Wochenenden verzichtet", sagt Kerstin Mengeler. Bis zu 22 Mitarbeiter waren krank oder in Quarantäne. Von den 330 Kunden, die die CPS betreut, waren (Stand Mai) fünf Kunden infiziert. Drei von ihnen sind an Covid-19 gestorben.
Erste Heime erließen eigene Besuchsverbote, mit der Corona-Schutzverordnung galten sie landesweit vom 22. März bis Muttertag. Die Isolation war für viele Bewohner sehr schmerzhaft.Foto: Achim Pohl
Fachkräfte des Medizinischen Dienstes müssen mit anpacken
Im Katharina Kasper-Heim in Gangelt lässt der Kreis Heinsberg mehrfach Bewohner und Mitarbeiter testen. In dem Teil der Einrichtung, in dem Menschen mit Behinderung leben, waren 26 Bewohner und neun Mitarbeiter infiziert. Im gerontopsychiatrischen Altenheim wurden ein Bewohner und ein Mitarbeiter positiv getestet (alle Zahlen Stand Mai). Die Infizierten kamen in Quarantäne. "Im Quarantäne-Bereich haben wir in Absprache mit dem Gesundheitsamt des Kreises Heinsberg auf freiwilliger Basis auch drei Mitarbeiter eingesetzt, die selbst positiv getestet waren", sagt Josef Aretz. Sie hatten zu dem Zeitpunkt keine Erkrankungssymptome. Und Aretz ist auf das Angebot des Medizinischen Dienstes Nordrhein der Krankenkassen (MDK) eingegangen: Pflegefachkräfte, die sonst Einrichtungen prüfen, wurden zum Einsatz in Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Bis Ende Mai waren sie da. "Das war eine große Entlastung", sagt Aretz. Er ist froh, dass die Einrichtung (bis zum Redaktionsschluss Mitte Mai) keinen Sterbefall zu verzeichnen hatte. "Zwar gab es Bewohner mit einer schweren Symptomatik, aber ohne dass sie Atemnot bekamen. Bei uns hatten die Bewohner eher hohe Temperaturen, Hals- und Gliederschmerzen. Nur einen Bewohner mussten wir in ein allgemeines Krankenhaus verlegen, er musste auch beatmet werden", sagt er.
Man achtet mehr aufeinander
Seit Beginn der Corona-Pandemie ist in der CPS in Geilenkirchen nichts mehr so, wie es vorher war. Am augenfälligsten wird es daran, dass die Pflegekräfte generell mit chirurgischen Mund-Nasen-Schutzmasken unterwegs sind. Bei Covid-19-Verdachtsfällen kommt die dafür vorgesehene spezielle Schutzausrüstung zum Einsatz. Hinzu kommt: Touren mussten kurzfristig verändert werden, wenn bei Kunden ein Covid-Verdachtsfall bekannt wurde. "Diese Patienten werden zum Schluss einer Tour angefahren, sodass die Pflegekräfte danach nicht nur ihre Schutzausrüstung ablegen, sondern sich auch komplett umziehen können", sagt Kerstin Mengeler. Auch Covid-Infizierte, die insulinpflichtig seien, würden nach diesem Prinzip versorgt. "Und wenn wir jetzt einen Dienstplan machen, schauen wir anders hin. Wir fragen uns: Ist das für den Mitarbeiter wirklich so machbar?", sagt Evelyn von Heel. Unter den Pflegekräften seien nämlich auch Mütter, die hätten in der Corona-Hochphase nicht die Möglichkeit gehabt, die Kinder bereits um sechs Uhr in die Betreuung zu bringen. "Man achtet mehr aufeinander. Die Mitarbeiter spüren, dass wir auf sie eingehen. Viele kommen von sich aus auf uns zu und sagen: An diesem oder an jenem Tag könnte ich aber schon früher anfangen."
Marion Peters, Evelyn von Heel und Kerstin Mengeler (v. l.) freuen sich, dass die Arbeit der Caritas-Pflegestation auch in Corona-Zeiten anerkannt wird. Davon erzählt das „Danke-Herz“, das die Mitarbeiter an einem Schrank aufgehängt haben.Foto: RCV Heinsberg/Melanie Bodem
Selbstkritische Rückschau
Im Katharina Kasper-Heim in Gangelt schaut Josef Aretz nach den ersten zwei Monaten der Pandemie selbstkritisch zurück. "Eines haben wir gelernt: dass wir künftig einen größeren Vorrat an Schutzausrüstung vorhalten werden", sagt er. Hygiene habe in den Pflegeeinrichtungen immer einen hohen Stellenwert gehabt, Hygienefachkräfte seien ausgebildet worden. "Aber mit diesen Ausmaßen haben wir nicht gerechnet", gesteht Aretz. "Bei den Schutzmasken, die ein Verfallsdatum haben, haben wir aus wirtschaftlichen Gründen immer dafür gesorgt, dass der Vorrat niedrig gehalten wurde. Das haben wir jetzt geändert." Das Thema Schutzausrüstung beschäftigt auch Evelyn von Heel von der CPS in Geilenkirchen in der Rückschau. "Ich habe mich manchmal gefragt: Mein Gott, warum hast du nicht im Januar noch das eine oder andere an Schutzausrüstung bestellt? Da wäre es sicherlich noch direkt zu haben und preiswerter gewesen. Da werde ich demnächst aufmerksamer sein", sagt sie. Und Marion Peters ergänzt: "Wir werden jetzt, was die Schutzausrüstung angeht, immer zusätzlich zu dem Material, das wir regelmäßig brauchen, Vorrat für zwei Monate haben. Was die chirurgischen Mund-Nasen-Schutzmasken angeht, haben wir jetzt so viel gekauft, dass wir bis Ende des Jahres jeden Tag mit Mundschutz fahren können. Und dann ist es hoffentlich vorbei."
www.caritas-heinsberg.de
www.katharina-kasper-heim.de