Die Revolution braucht Reflexion
Digitale Arbeits-, Kommunikations- und Alltagsunterstützungstechnologien verändern die soziale Arbeit massiv. Konkrete Interaktionen zwischen Klientinnen und Klienten und Beratenden finden digital statt, die Pandemie-Erfahrung hat hier einen regelrechten Schub ausgelöst. Arbeitsprozesse werden digital ausgestaltet. Wiederkehrende Tätigkeiten, Verwaltungs-, Dokumentations- und Abrechnungsaufgaben können mit technischer Unterstützung oder sogar automatisiert bewältigt werden.
Digitalisierung ermöglicht über die Bündelung von Angeboten neue Formen von Dienstleistungen, die das Leben von Menschen mit Handicaps oder Benachteiligungen verbessern und ihnen erweiterte Partizipationschancen und Möglichkeiten zu selbstbestimmtem Leben eröffnen, beispielsweise über Umfeldsteuerung durch Sprache.
KI-Bots in der Sozialberatung?
Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) wie Chat-GPT und andere Sprachmodelle werden heutzutage routinehaft im Alltag genutzt. Diese Entwicklung ist in ihrer Geschwindigkeit vergleichbar mit dem Gebrauch von Suchmaschinen. Es ist erforderlich, medienpädagogische Kompetenz (wie gehen Pädagoginnen und Pädagogen damit in ihrem pädagogischen Alltag um?) sowie Medienkompetenz an Adressatinnen und Adressaten (was sollen Bürgerinnen und Bürger über die Möglichkeiten, die Grenzen und die Risiken von KI verstehen?) zu vermitteln. ChatGPT und andere Modelle von sprachbasierter KI scheinen Potenziale für Beratungsleistungen zu haben, auch deswegen sind sie relevant für die soziale Arbeit. Allerdings "fantasieren" sie hin und wieder, sodass Nutzerinnen und Nutzer verstehen wollen, wann sie der Sprachauskunft einer KI vertrauen dürfen oder wie sie diese prüfen müssen. Vor der Entwicklung und vor ihrem Einsatz wird daher eine Analyse erforderlich, welche ethischen Prinzipien wie zu gestalten oder in welchen Kontexten welche Ungenauigkeiten akzeptabel oder eben nicht hinnehmbar sind.
Nicht wenige dieser genannten Veränderungen werfen neue Fragen danach auf, wer Entscheidungen treffen sollte und gegebenenfalls die Verantwortung trägt. Es braucht dauerhaft Reflexion, Entscheidungsfindung (und Forschen) darüber, wie das Verhältnis zwischen datengestützter Auswertung und fachlicher menschlicher Expertise und Verantwortung gestaltet werden sollte. Wer trifft beispielsweise nach welchen Kriterien und auf Grundlage welcher Daten die Entscheidung, ob ein Kind in Obhut genommen werden sollte? Es gilt beispielsweise auch, die Chancen und Gefahren von Online-Beratungsformen in sozialen Diensten, den Einsatz von Chatbots für die Informationsbeschaffung sowie bei der Kooperation mit Influencerinnen und Influencern zur Informationsvermittlung zu untersuchen.
Digitale Projekte aus der Forschung
Der Forschungsschwerpunkt DITES - Digitale Technologien und Soziale Dienste - an der TH Köln untersucht Phänomene der Digitalisierung, Informatisierung und Mediatisierung in der sozialen Arbeit, entwickelt Szenarien für eine realitätsnahe Anwendung digitaler Technologien und trägt neu gewonnene Erkenntnisse, aber auch Fragen und Herausforderungen in den wissenschaftlichen, fachpolitischen und öffentlichen Diskurs. Ein paar Beispiele:
Beim aktuellen Forschungsprojekt "BOTschafft Inklusion" ist es das Ziel, einen inklusiven Chatbot zu entwickeln, der die Eingliederung und Teilhabe von pflegenden Angehörigen in den Arbeitsmarkt fördert. Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels sind pflegende Angehörige, die ihre Berufstätigkeit aufgeben, obwohl sie gerne weiter berufstätig wären, eine wichtige Zielgruppe für Unterstützungsmaßnahmen.
Die Entwicklung eines KI-basierten Chatbots soll hier ein Tool schaffen, um Informationen zur Vereinbarkeit von Pflegeverantwortung und Berufstätigkeit gebündelt zur Verfügung zu stellen. Ausgangsmaterial sind vorhandene Technologien und Informationsquellen, die mittels KI neuartig zusammengesetzt, strukturiert, weiterentwickelt und für einen bislang nicht existenten Anwendungsbereich aufbereitet werden. So wird mittels KI komplexe Informationsrecherche vereinfacht und der Erkenntnisgewinn für zeitlich belastete Pflegende erhöht.
Inklusion und Partizipation bei der Technikentwicklung
Soziale und digitale Teilhabe sind heutzutage untrennbar ineinander verschränkt. Digitale Teilhabe muss als Menschenrecht angesehen werden, wenn man dem Sozialgesetzbuch folgt und einschlägige UN-Deklarationen ernst nimmt. In der Forschung sprechen wir von digitaler Spaltung, wenn Personengruppen nicht über die gleichen Zugangsmöglichkeiten zur digitalen Welt verfügen wie der Großteil der Gesellschaft. "Digital divide" meint dabei erstens einen ungleichen Zugang zu Technologien (z. B. fehlendes WLAN in Altenheimen), auf einer zweiten Ebene (second-level digital divide) eine Ungleichheit bei der Nutzung digitaler Geräte sowie unterschiedliche Medienkompetenz. Von "third-level digital divide" wäre demnach zu sprechen bei der Diskriminierung von Personengruppen durch Algorithmen oder infrastrukturell-technologische Herausforderungen.
Um digitale Spaltung zu reduzieren, gilt es, vulnerable Personengruppen inklusiv und partizipativ an der Technologieentwicklung zu beteiligen. Dieser Ansatz fördert die Entwicklung nützlicher und schließlich auch genutzter Technologien für diverse Zielgruppen.
Jugendliche in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe gehören oftmals zu benachteiligten Personengruppen im Hinblick auf soziale Teilhabe (wie sich während der Pandemie unzweideutig gezeigt hat). Weil in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe meist kein oder nur schwaches WLAN und keine leistungsfähigen Endgeräte zur Verfügung standen, konnten die Jugendlichen dort am plötzlich verbreiteten Homeschooling nur sehr eingeschränkt teilnehmen. Neben diesen Barrieren (Infrastruktur, Ausstattung mit Geräten, finanzielle Grenzen) zählen fehlende Medienkompetenz (auch des sozialen Umfeldes), kognitive und emotionale Beeinträchtigungen sowie Lernschwierigkeiten und Überforderung zu den Ursachen von mangelnder digitaler Teilhabe.
Im Forschungsprojekt INTIA ("Inklusive Technikideen für den Alltag") an der TH Köln ging es uns darum, aus der Perspektive der sozialen Arbeit, der Informatik und des Service-Designs herauszufinden, wie benachteiligte Jugendliche, Menschen mit Behinderungen an Ideenfindungsprozessen beteiligt werden können, um daraus partizipativ Technologien zu entwickeln, die sie bei der Alltagsbewältigung unterstützen. Der kostenfrei ausleihbare "INTIA-Koffer" und das Methoden-Radar enthalten und zeigen Methoden oder Technik-Bausteine, um Bedürfnisse im Alltag besser zu verstehen. Es ist möglich, technische Lösungen für Probleme zu entwickeln und diese sogar selbst zu bauen.
Digitale Medien erleichtern gesellschaftliche Teilhabe
Nahezu jeder Mensch greift auf digitale Medien zurück, um seinen Alltag zu bewältigen und an gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen. Die Organisation von Treffen, Freizeitaktivitäten, Reisen, die Gestaltung von Beziehungen, Arbeit, das Leben in der Familie sowie das Einkaufen und Finanzmanagement erfolgen mittels digitaler Tools. Auch Einrichtungen in der Behindertenhilfe haben längst erkannt, dass sowohl kleine als auch große digitale Hilfsmittel für die Gestaltung des Alltags ihrer Klientinnen und Klienten von Nutzen sein können.
Durch die Wheelmap teilen Menschen Informationen über die Barrierefreiheit von Gebäuden oder Haltestellen, während Smarthome-Technologien und Umfeldsteuerung es ermöglichen, Licht, Rollläden oder Wohnungstüren auch bei eingeschränkter motorischer Bewegungsfähigkeit zu bedienen. Darüber hinaus sind Informationen zu Themen wie Recht, Produkte, Hilfsmittel und Unterstützungsstrukturen leichter zugänglich und können im Rahmen des kollegialen Austauschs geteilt werden.
Text-to-Speech-Module erleichtern das Vorlesen von Texten für Menschen, die lieber hören, Übersetzungsapps unterstützen bei Sprachbarrieren, und Steuerungen per Augen, Kopf oder Zunge ermöglichen die Bedienung eines Computers auch bei komplexen Einschränkungen. Soziale Teilhabe ist ohne digitale Teilhabe verkürzt, unvollständig, weltfremd. Dies gilt auch für Menschen mit komplexen Behinderungen. Es ist hier allerdings besonders wichtig, auf die Risiken hinzuweisen, denen Menschen mit komplexer Behinderung bei der Nutzung digitaler Medien ausgesetzt sind: Vulnerabilität, sexueller Missbrauch (auch bspw. Cybergrooming), ungewollte Vertragsabschlüsse, Belästigung usw.
Die Ausbildung hinkt der Entwicklung hinterher
Leider sind Themen wie digitale Fördermöglichkeiten und digitale Teilhabepotenziale bei der Ausbildung von Fachkräften der sozialen Arbeit noch zu wenig gesetzt. Auch im Studium der sozialen Arbeit registrieren wir nur einen langsamen Anstieg von Angeboten zur Medienpädagogik. Unklare (oder ungekannte) rechtliche Voraussetzungen und die häufig noch nicht durch den Träger in leicht anwendbare Routinen übersetzten Datenschutzvorschriften bilden weitere Barrieren.
Datenanalyse und Scoring
Scoring ist eine Methode zur Erfassung und Analyse von Leistung und Verhalten, die in einer Bewertung, dem sogenannten Score, resultiert. Es verknüpft ausgewählte Beobachtungen des Verhaltens mit Bewertungen, wobei Belohnungen und Bestrafungen innerhalb des maschinellen Systems, beispielsweise bei automatisierten Preisanzeigen, aufgrund hoher oder niedriger Scores erfolgen. Obwohl Scores anfänglich als neutrale Zahlen erscheinen, beeinflussen sie das Verhalten zunehmend durch ihre normierende Wirkung.
Die scheinbar neutralen Algorithmen hinter Scoring sind undurchsichtig. Wenn Maßstäbe und Bewertungskriterien nicht transparent gemacht werden, bleibt unklar, wie Variablen verarbeitet werden und wer diese Variablen wie programmiert hat.
Scoring-Praktiken und die möglicherweise benachteiligende Klassifizierung bereits strukturell benachteiligter Personen können deren Entwicklungschancen beeinflussen, wie Studien zur digitalen Ungleichheit in der Mediennutzung zeigen. Daher wird die Aufklärung über Scoring zu einer Aufgabe der sozialen Arbeit, um die Förderung der Chancengleichheit, eines selbstbestimmten Lebens und einer diskriminierungsfreien gesellschaftlichen Teilhabe zu gewährleisten.
Um über Datenerhebung und Datenverarbeitungsmöglichkeiten bis hin zur Erstellung von Scores informiert zu sein und entsprechende Verhaltensweisen zu entwickeln, ist Medienkompetenz erforderlich. Dies meint nicht nur die Kenntnis über existierende Medien, sondern insbesondere eine reflektierte Einschätzung darüber, wann welche Medien wie und mit welchem Ziel einsetzbar sind, um die Aufträge der sozialen Arbeit bestmöglich zu erfüllen.
Im Kontext digitaler, algorithmusbasierter Medien verschwimmt die Unterteilung in technische und pädagogische Fragestellungen schnell. Technische Kompetenzen, wie technisches Wissen und Handeln, werden in Zukunft genauso wichtig wie Medienkompetenz als kulturelle Technik. Für eine teilhabeorientierte und Ressourcen fördernde soziale Arbeit ist es erforderlich, für die Fachkräfte wie für die Adressatinnen und Adressaten Angebote zu machen, um nicht nur diese Fähigkeiten, sondern auch die passgenaue Entwicklung geeigneter Technologien zu entwickeln.
Welches Bild hat KI von sozialer Arbeit?
Für dieses Heft wollte die Redaktion mit den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz experimentieren. Der Fotograf Andre Zelck sollte mit Werkzeugen der KI fotorealistische Bilder zum Thema "Digitalisierung und soziale Arbeit" schaffen. Die Anweisungen an die KI, die sogenannten Prompts, gehören dazu. Die Ergebnisse sind interessant und doch auch ernüchternd (zum Glück). Den Job eines guten Fotografen kann KI (noch lange?) nicht übernehmen, als Hilfsmittel bei der Bildbearbeitung wird sie allerdings schon längst gern genutzt. Kleine inhaltliche Unstimmigkeiten und optische Fehler (Menschen mit sechs Fingern) fordern jedoch mehr denn je die Wahrnehmung des Betrachters. Es gilt: alles Offensichtliche in Zweifel ziehen.