Wenn die IT nicht mehr geht
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Verzweifelt suchte sie die Beratungsstelle der Caritas Brilon auf: "Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich mal hier bei der Caritas sitze", sagte die Frau. Sie bekomme kein Geld, müsse aber dringende Rechnungen bezahlen, berichtete sie Maria-Theresia Kupitz von der Allgemeinen Sozialen Beratung. Dabei sollte die Frau nach dem Willen des Sozialamtes mehr Geld bekommen. Mit Wohngeld werde sie besser dastehen als mit der Sozialhilfe, hatte ihr das Sozialamt vorgerechnet.
Doch dann das: Zwei Tage bevor sie ihr erstes Wohngeld beziehen sollte, legte am 30. Oktober 2023 ein Hackerangriff die Verwaltung komplett lahm. Und zwar nicht nur bei der Stadt Brilon, sondern auch beim Hochsauerlandkreis, bei sämtlichen Kommunen des Kreises und in der ganzen Region. Der mutmaßlich von russischen Hackern durchgeführte Angriff auf die Südwestfalen-IT, ein kommunales Technologie-Unternehmen, das für mehrere Verwaltungen IT-Dienstleistungen anbietet, hatte schwerwiegende Folgen. Primär betroffen waren 72 Mitgliedskommunen, darunter fünf Landkreise. Insgesamt waren wohl mehr als 150 Verwaltungen und Organisationen aus NRW und Niedersachsen zumindest teilweise beeinträchtigt. In den Kommunen in Südwestfalen stand von einem Moment zum anderen alles still. Ob Auto anmelden, Anträge auf Pass, Geburtsurkunde, Kindergeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss stellen - nichts ging mehr. Auch weil eine Lösegeldzahlung für die beim Hackerangriff verschlüsselten Dateien seitens der Kommunen nicht infrage kam.
"Es war wie ein Rückfall in die Steinzeit", sagt Susanne Mütze von der regionalen Flüchtlingsberatung der Caritas Brilon. Zu ihr kommen Menschen, die mehr als alle anderen unter dem Hackerangriff leiden. "Für Geflüchtete hat dies ganz gravierende Folgen", sagt sie und berichtet von einem Familienvater aus Syrien. Gerade wurde sein Asylantrag bewilligt. Nun möchte er schnell einen Aufenthaltstitel beantragen, um möglichst bald seine Familie nachholen zu können. Denn seine Frau mit den sechs Kindern war nach dem Erdbeben des vergangenen Jahres aus der nordsyrischen Heimat in den Irak geflohen. Und nun wurde bei ihr auch noch eine lebensbedrohliche Krankheit festgestellt. Es war dringend. Doch der Hackerangriff machte die vorgeschriebene Datenabfrage beim Landeskriminalamt unmöglich. Auch mehr als drei Monate nach der Cyberattacke war noch unklar, wann er seinen Aufenthaltstitel bekommt. "Der Mann hat hier gesessen und geheult", erinnert sich Susanne Mütze. "Das ist schon sehr existenziell, sehr besorgniserregend."
Stellten teilweise schwerwiegende Folgen des Hackerangriffs vor allem für Flüchtlinge fest (v. l.): Susanne Mütze, Maria-Theresia Kupitz und Nicolas Hilkenbach von der Caritas BrilonFoto: Markus Jonas
Dabei lieg es nicht am guten Willen der Verwaltungen, betonen Susanne Mütze und Maria-Theresia Kupitz unisono. "Die sind extrem bemüht und versuchen, alles möglich zu machen, was geht", sagt Kupitz. Immerhin: Laufende Zahlungen gingen weiter, nur neue Anträge waren zunächst nicht möglich. Rund zwei Monate nach dem Hackerangriff gingen in den Städten erste Dienstleistungen wieder an den Start. So können seit Mitte Januar wieder HSK-Kennzeichen beantragt werden, während Sauerländer für ihr Auto zwischenzeitlich Kennzeichen von Nachbarkreisen beantragen konnten. Wann wieder alles funktioniert, konnte die Südwestfalen-IT lange nicht sagen.
Der verzweifelten Dame, die kein Wohngeld bekam, konnte Maria-Theresia Kupitz übrigens aushelfen: Dank des Stärkungspakts NRW, mit dem die Landesregierung 2023 den Kommunen Gelder auch für Einzelfallhilfen zur Verfügung stellte, sowie des Caritativen Energiefonds des Erzbistums Paderborn bekam sie 250 Euro an Überbrückungshilfen, um wenigstens ihre Stromrechnung bezahlen zu können. "Das war eine glückliche Fügung, dass wir diese Gelder hatten", sagt Kupitz. All die Jahre davor habe es vergleichbare Möglichkeiten nicht gegeben.
Auch bei künftigen Notsituationen aufgrund von Hackerangriffen sei die Möglichkeit zur schnellen, unbürokratischen Hilfe aus Hilfsfonds ein gutes Mittel der Wahl, zieht Nicolas Hilkenbach ein erstes Fazit der bisherigen Erfahrungen - und empfiehlt: "Die Tür offen halten!" Selbst bietet er mit einem "CariMobil" im Gebiet des Caritasverbandes Brilon eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Anliegen aller Art an. Nur so könnten auch Vorbehalte und Scham abgebaut werden, dass sich die Leute trauten, um Hilfe zu bitten, sagt Hilkenbach. "Es hilft schon viel, wenn die Leute einfach mal von ihren Ängsten erzählen können."