Eine Aufgabe wie ein Marathon ...
Aus dieser Erkenntnis lässt sich aber nun eine wichtige Konsequenz für unsere Flüchtlingspolitik und die Flüchtlingshilfe ableiten: Bei aller Notwendigkeit, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen und die aktuell notwendige Hilfe zu leisten, muss gleichzeitig Vorsorge getroffen werden, auch zukünftig Flüchtlinge aufnehmen und Not lindern zu können. Wir haben uns auf einen Marathonlauf begeben und dürfen nicht den Fehler machen, die Strecke im Sprinttempo anzugehen. Konkret bedeutet dies: Wir können stolz sein auf all das, was wir in den Gemeinden und Verbänden unseres Landes im Laufe des letzten Jahres in der Flüchtlingsarbeit geleistet haben. Ehrenamtliche und hauptberufliche Helferinnen und Helfer haben dazu beigetragen, dass eine große Zahl von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft aufgenommen wurde und der Beitrag der Gruppen und Initiativen im Umfeld der Kirche von der Gesellschaft als unverzichtbar anerkannt wird. Aber gleichzeitig sollten wir uns bemühen, aktuell Überforderungen zu vermeiden und nachhaltige, stabile Strukturen der Unterstützung und Hilfe aufzubauen. Das Bild vom Marathonlauf macht aber noch auf etwas Weiteres aufmerksam. Auf einer solchen langen Distanz passiert immer wieder etwas Unvorhergesehenes, nicht alles lässt sich planen. Übertragen auf die Flüchtlingspolitik und die Flüchtlingshilfe: Die Forderung nach endgültigen politischen Lösungen ist zwar verständlich, aber unrealistisch. Wir können und wir dürfen nicht von der Politik erwarten, dass sie bereits heute Lösungen für alle die Probleme hat, die sich morgen oder übermorgen stellen werden. Und wie in anderen Politikfeldern auch wird sich die Flüchtlingspolitik nur Stück für Stück den "richtigen" Lösungen annähern können. Dies gilt natürlich auch für uns selbst im Flüchtlingsengagement in Kirche und Caritas: Wir dürfen nicht von uns erwarten, dass wir für alle Probleme, die die Gesellschaft (noch) nicht gelöst hat, schon die Lösung zur Hand haben. Was man allerdings von uns erwarten darf: die klare Orientierung am Auftrag Jesu Christi, der in dem Leitbildspruch "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen" (Mt 25,35) zum Ausdruck kommt. Viele von denen, die heute als Asylsuchende zu uns kommen, werden nach Abschluss ihres Verfahrens für einen langen Zeitraum bei uns bleiben. Wenn wir keine Parallelgesellschaft mit all ihren Verwerfungen und Gefährdungen des sozialen Friedens wollen, dann sollten wir eher heute als morgen alles unternehmen, um diejenigen Flüchtlinge, die bei uns bleiben, in unsere Gesellschaft hineinzunehmen.
Auch eine rein wirtschaftliche Betrachtung führt uns zu keinem anderen Ergebnis: Die Integration der Flüchtlinge ins Arbeitsleben wird erhebliche Kosten verursachen, gleichzeitig stellen diese neuen und zusätzlichen Arbeitskräfte eine wichtige Ressource für das zukünftige wirtschaftliche Wachstum und Wohlergehen unserer Volkswirtschaft dar. Nicht nur unsere sozialen Sicherungssysteme werden davon profitieren, sondern auch das Fachkräfteproblem wird sich bei gelungener Integration in wenigen Jahren deutlich verschoben haben.
Bei alldem dürfen wir nicht bei einer Betrachtungsweise stehen bleiben, die den Integrationsprozess als eine möglichst reibungslose Angleichung der Migrantinnen und Migranten an die aufnehmende deutsche Gesellschaft betrachtet. In dem Maße, wie diese Menschen mit ihrer je individuellen Geschichte und Herkunft selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft werden, wird sich auch unsere Gesellschaft ändern - sie wird bunter, vielfältiger, offener, toleranter und gastfreundlicher. Und das ist doch nach allem ein Ziel, für das es sich einzutreten lohnt!