Wohnzimmer für arme Rentner
Viele ältere Menschen im Viertel betrachten das Café des „zentrum plus“ als ihr zweites Wohnzimmer.Hans-Jürgen Bauer
Menschen aus über 140 Nationen leben in Oberbilk. Den Glanz der Königsallee, alles, was man an Glamour mit Düsseldorf verbindet, sucht man hier vergeblich. An der Kölner Straße sind die Fassaden eher grau. Sie ist eine der Lebensadern, Handygeschäfte reihen sich an Fast-Food-Läden, Ein-Euro-Shops und Discounter-Filialen. Der Autoverkehr fließt meist mehr zäh als flüssig. Über dem Edeka in Nummer 250 hat der "i-Punkt Arbeit" seinen Sitz. Hier beraten Gaby Keil und Sabine Laur Langzeitarbeitslose. Sie unterstützen sie bei beruflicher Orientierung und Arbeitssuche, bringen Unterlagen auf Vordermann, helfen beim Schreiben von Bewerbungen, begleiten ihre Klienten im besten Fall bei der Arbeitsaufnahme und darüber hinaus.
Dicke Brocken beseitigen
"Meist müssen wir aber erst einmal schauen, welcher Brocken zuerst aus dem Rucksack muss, bevor es leichter wird, weiterzugehen", sagt Gaby Keil. Das kann die Vermittlung zu einem anderen Fachdienst wie Schuldnerberatung oder Suchthilfe sein oder die Organisation eines Deutschkurses. Das kann aber auch die Suche nach dem passenden Berufsfeld sein. Gespräche mit ihren Klienten helfen ihr dabei, sich den Problemen zu nähern, und oft ist es eher das Ungesagte, das die erfahrene und engagierte Caritas-Frau auf die richtige Fährte führt. Das alles erfordert Zeit und individuellen Einsatz, und das ist es, was die Arbeit der i-Punkte so besonders macht. Vier dieser Einrichtungen gibt es in Düsseldorf, gefördert von der Stadt, in unterschiedlicher Trägerschaft. Der in Oberbilk unter Caritas-Regie, mit einer Vermittlungsquote von 25 Prozent. Als Stadtdirektor Burkhard Hintzsche jüngst verkündete, die Zahl der Langzeitarbeitslosen sei 2017 erneut gesunken, lobte er ausdrücklich den Anteil der i-Punkte daran.
Netzwerk im Quartier
Ist der "Rucksack geleert", geht es an die aktive Arbeitssuche. Dann aktiviert Gaby Keil ihr Netzwerk, stöbert nach Stellen, versucht, Arbeitgeber im Quartier mit ins Boot zu holen, um Praktika oder Probearbeitsplätze für ihre Klienten zu finden, die im Idealfall in ein Beschäftigungsverhältnis münden. "Ich liebe die Recherche, weil man dabei immer wieder auf ganz neue Ideen kommt", sagt die bekennende Querdenkerin.
Gaby Keil berät im „i-punkt Arbeit“ Menschen, die schon lange ohne Beschäftigung sind. Sie versucht, ihre Kunden ganzheitlich zu betrachten und sie so nachhaltig in Arbeit zu bringen.Hans-Jürgen Bauer
Dass der Weg zum Ziel manchmal um die Ecke führt, zeigt das Beispiel einer 57-jährigen Frau mit bulgarischen Wurzeln. Nach langer Familienzeit vermittelte das Jobcenter ihr Weiterbildungen im kaufmännischen Bereich, die sie mit Bravour abschloss. Depressionen hinderten sie an einer Arbeitsaufnahme. Gaby Keil versuchte, mit der Frau herauszufinden, was sie wirklich wollte - und fand schließlich die Aufgabe in einer Poststelle. Hier fühlt sich die Kundin nun wohl, die Menschen sind freundlich, die Aufgaben gut zu bewältigen - die Depression ist im Moment kein Thema. Das Jobcenter war zunächst nicht begeistert, die Bewerberin sei überqualifiziert, die Bezahlung zu gering. Für Gaby Keil aber ist es genau das, was ihre Arbeit ausmacht: den Menschen sehen, seine Möglichkeiten, seine Bedürfnisse. "Nur dann", davon ist sie überzeugt, "ist Jobvermittlung wirklich nachhaltig."
Hilfe am Ende des Lebens
Auf der anderen Straßenseite, ein Stück weiter Richtung Innenstadt, öffnet das "zentrum plus" seine Türen für alle, die das Berufsleben bereits hinter sich haben. Das Angebot für Menschen ab 55 ruht auf drei Säulen: soziale Teilhabe durch ehrenamtliches Engagement, Veranstaltungsangebote und Beratung. Welche Möglichkeiten gibt es, das Leben im Alter zu gestalten? Aber auch: Wo bekomme ich praktische Hilfen bei Fragen der Finanzen, der Gesundheit, der Pflege? Acht "zentren plus" betreibt der Caritasverband in Düsseldorf. "Das Zentrum in Oberbilk ist dabei in vielerlei Hinsicht besonders, ein Knüller", sagt Georg Peters, heute Koordinator für die "zentren plus" der Caritas in der ganzen Stadt, früher verantwortlich für Oberbilk.
Wohnzimmer des Viertels
Dienstagvormittag. Im Cafébereich des "zentrum plus" sind nahezu alle Stühle besetzt. Die Tasse Kaffee gibt es für 70 Cent, kostenlos dazu gute Gespräche und vertraute Gesichter. An einem Tisch sitzt eine türkische Gruppe, an einem anderen die griechische, an einem dritten die Spielegruppe bei Karten und "Mensch ärgere dich nicht". "Wir sind deren Wohnzimmer", sagt Melanie Stumpf, die das Zentrum seit fast fünf Jahren leitet. "Viele kommen an sechs Tagen in der Woche her." Oft sind hier die einzigen Kontakte, die nach einem langen Leben geblieben sind. Deutsche Senioren, die den Kontakt zu noch lebenden Angehörigen verloren haben. Menschen mit Migrationsgeschichte, denen der Weg zurück heute verwehrt wird: von der eigenen körperlichen Verfassung, der politischen Situation im Heimatland oder schlicht weil das Geld für den Flug fehlt.
Beraten und Ängste nehmen
Auch eine Spielegruppe trifft sich regelmäßig im Café des „zentrum plus“.Hans-Jürgen Bauer
Im hinteren Bereich, von wo aus man auf die Kirche St. Josef schaut, geben Melanie Stumpf und ihre Kollegin Anke Bendokat Hilfestellungen in allen Bereichen des Lebens. Die meisten ihrer Gäste betreuen sie schon über Jahre. "Rund 80 Prozent unserer Beratungen haben mit Armutsgeschichten zu tun und allem, was daraus resultiert", sagt Melanie Stumpf. Sie zeigen Möglichkeiten für Grundsicherungsleistungen im Alter auf, helfen, Formulare auszufüllen. "Viele kommen erst einmal mit ihrem gesammelten Briefkasteninhalt zu uns", sagt Melanie Stumpf. Dann wird gemeinsam sortiert, und die Probleme werden angegangen. "Vieles macht den alten Menschen einfach Angst." Mahnungen, Forderungen von Vermietern oder Energieversorgern und auch die Folgen berüchtigter Haustürgeschäfte, deren Opfer die alten Menschen nicht selten werden.
Oft ergibt sich bei der Beratung aber auch die Gelegenheit für ein gutes Gespräch. "Den Menschen tut es gut, wenn sie einfach mal erzählen können", sagt Melanie Stumpf, manche äußern auch einfach ihre Dankbarkeit: "Gerade neulich, beim Tanz in den Mai, hat mir eine ältere Dame aus Mazedonien erzählt, wie dankbar sie sei, in Deutschland zu sein. ‚Uns ist hier so viel Gutes widerfahren‘, sagte sie. ‚Ein Sozial- und ein Gesundheitssystem, das jeden, unabhängig von seinem Ansehen, auffängt."