"Ich bin dafür, Eigenverantwortung zu stärken"
Von abgehängten Milieus zu sprechen, wenn sie an die Wohnungslosen denkt, mit denen sie täglich arbeitet, würde Simone Holzapfel nie einfallen. Aus ihrer Sicht sind das gesellschaftliche Zuschreibungen. Gerecht werden sie den Menschen nicht. Für die Sozialarbeiterin der Caritas in Aachen vermitteln sie eher den Eindruck, als gehe es um Personengruppen, mit denen ohnehin niemand etwas anfangen könne. Um die, die sich als Folge gesellschaftlicher Fehlentwicklungen in Lebenslagen wiederfänden, die sie als aussichtslos erlebten, eben als abgehängt. "Ich bin dafür, Eigenverantwortung zu stärken", sagt Simone Holzapfel. Die 49-Jährige ist sich bewusst, dass es gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen gibt, die Menschen in persönliche Notsituationen stürzen. Und da wäre sie auch die Letzte, die das nicht anprangern würde. "Es ist auch Aufgabe von Sozialarbeit, darauf hinzuweisen", sagt sie. Aber dabei dürfe es nicht bleiben. Sozialarbeit versteht Simone Holzapfel in erster Linie als das Schauen auf die Stärken des Einzelnen. "Und aus diesem Blickwinkel geht es mir dann darum, die Menschen in ihrer eigenen Handlungsfähigkeit zu stärken, sie nicht in einer Abhängigkeit zu belassen", sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Und auch darum, in der Öffentlichkeit immer wieder aufzuklären. "Unsere Klientel ist stigmatisiert: wohnungslos, süchtig, fertig. Da geht bei vielen die Klappe runter." Manchmal fragt sich Simone Holzapfel, wer da wen abhängt.
Seit 15 Jahren leitet Simone Holzapfel das Café Plattform, das es seit 30 Jahren in der Aachener Innenstadt gibt. Es ist Treffpunkt für Wohnungslose, die "Platte machen", also auf der Straße schlafen. Die Einrichtung der Caritas mit Notübernachtung gibt den Wohnungslosen täglich von 16.30 Uhr bis morgens 7.30 Uhr Verpflegung. Für rund 50 Personen wird dort täglich gekocht. Sie können dort duschen, schlafen und werden - wenn notwendig - auch zum Arzt begleitet, Ehrenamtler und Fachkräfte sind für die Wohnungslosen da. Bindungslosigkeit und Einsamkeit sind für sie die größten Probleme, nicht wissen, wo sie hingehören. Besucher mit psychisch auffälligem Verhalten sind heute an der Tagesordnung. Frauen sind in der Mehrzahl. Zunehmend kommen auch Migranten. Simone Holzapfel und ihr Team versuchen, den Menschen ein Zuhause auf Zeit zu geben.
Zu Behördengängen begleiten die Mitarbeiter des Cafés Plattform nur in Ausnahmefällen, wenn sie den Eindruck haben, dass nur das noch in einer bestimmten Situation helfen wird. Viel besser ist es, so die Erfahrung von Simone Holzapfel, die Wohnungslosen zuvor zu befähigen, es selbst zu schaffen, sie etwa zu unterstützen, wenn es um das Ausfüllen von Anträgen geht. "Es ist doch gerade die Aufgabe von Sozialarbeit, mit den Menschen und an ihrem Verhalten zu arbeiten, das ihnen manchmal im Wege steht. Dafür muss ich aber die Person nicht in Frage stellen. Genau das geschieht aber, wenn wir von abgehängten Menschen sprechen. Da verfestigt sich etwas, das nicht gut ist. Wir sagen abgehängt und meinen klein und schwach. Wir sagen damit eigentlich: ,Wir trauen dir nicht zu, für dich selbst zu sorgen.‘ An uns ist es aber zu sagen: Jeder Mensch hat Fähigkeiten."