Wo Menschen wieder Gemeinschaft finden
Erst einmal ist die Koordinationsstelle des Projekts "Vielfältiges Leben im Alter" in einer Wohnküche in der Weseler Str. in Wesel-Büderich untergekommen, wo Jessica Tepass (l.) und Pia Schuyesmans für Besprechungen zusammensitzen.Foto: Harald Westbeld
Seniorenberatung leistet mehr als nur Information. Ein älterer Mann, vor Kurzem zugezogen und allein lebend, besucht Pia Schuyesmans ein- oder zweimal im Monat. Letztens haben sie sich zusammen Fotos von Sehenswürdigkeiten in fernen Ländern angeschaut, dazu konnte er Geschichten aus seinem Leben erzählen. "Man muss sich Zeit nehmen", hat die 35-jährige Sozialpädagogin gelernt. Dann geht auch mehr. Er wird zu ihrer Ideenwerkstatt kommen, bei der sie demnächst die Wünsche der alten Büdericher sammeln will, wie sie sich ihr Zusammenleben im Alter vorstellen.
Das Projekt, in dem Schuyesmans und zwei weitere Mitarbeitende der Caritas Dinslaken-Wesel an Standorten in Voerde, Wesel-Büderich und Dinslaken tätig sind, ist der neueste Baustein im Beratungsnetzwerk des Verbandes. Das übergreifende Ziel ist für Caritasdirektor Michael van Meerbeck klar: Menschen sollen wieder Gemeinschaft finden, selbstständig zu Hause leben können, solange das Sinn macht. Und wenn das nicht mehr geht, sollen sie darin unterstützt werden, geeignete Plätze in Tagespflege oder Altenheim zu finden. All das will die Caritas inklusive Wohnraum- und Demenzberatung bis hin zur Begleitung am Lebensende organisieren.
Dazu braucht es ein Team mit unterschiedlichen Schwerpunkten, das eng zusammenarbeitet. Mit 17 Mitarbeitenden ist es bei der Caritas Dinslaken-Wesel der größte Bereich nach der Beratung für Kinder, Jugendliche und Familien. "Eigentlich noch zu wenig", muss van Meerbeck feststellen. Und nur ansatzweise zu schaffen mit der Unterstützung von rund 130 Ehrenamtlichen.
Es geht nicht zuletzt um Einsamkeit wie bei dem 80-Jährigen, der Pia Schuyesmans regelmäßig besucht. Die Situation ist bei vielen Senioren typisch: die Frau oder der Mann gestorben, die Kinder weit weg, nur noch wenige oder keine Verwandten oder Bekannten mehr. Dafür will sie Gruppenangebote organisieren, die seit dem Start des Projekts wegen Corona noch nicht möglich waren. Für das Knüpfen neuer Kontakte bieten sich auch Seniorenreisen an.
Erste Frage: "Haben Sie einen Pflegegrad?"
Ganz häufig sind es allerdings Fragen rund um die Pflege, berichtet Jessica Tepass, die den Bereich der Altenberatung leitet. Da kommen in der Regel die Angehörigen und vor allem "die Frauen, wenn das Paar in der Beratung ist", beobachtet Tepass. Meist gehe es um die Finanzierung von Entlastungsangeboten, und entsprechend laute standardmäßig die erste Frage: "Haben Sie einen Pflegegrad?"
Ohne Einstufung in einen Pflegegrad wird es schwieriger mit der Finanzierung von Pflege, hauswirtschaftlicher Unterstützung oder einem Platz in der Tagespflege. Selbst bezahlen können das die wenigsten, die zur Caritas kommen. Altersarmut werde immer mehr zum Thema, sagt Jessica Tepass. Michael van Meerbeck registriert, dass zunehmend über 70-Jährige berichten, dass sie noch etwas hinzuverdienen müssten. "Diese Notwendigkeit dürfte nicht bestehen", kritisiert er.
Für Beate Herdinga, die den Hospizdienst koordiniert, wird Altersarmut besonders darin deutlich, dass inzwischen Wunschbäume zu Weihnachten für Senioren in Geschäften aufgestellt werden. Es ist bezeichnend, "wie bescheiden die aufgehängten Wünsche daran sind, mal ein Café-Besuch oder ein neuer Schlafanzug".
Barrierefreie Sozialwohnungen sind äußerst selten
Mit Geldmangel, aber auch mit einem weiteren Problem in der Altenberatung kämpft Olaf Saddeler ständig. Der Architekt berät zum barrierefreien Wohnen, damit das selbstständige Leben in der eigenen Wohnung länger möglich bleibt. Technisch ist vieles möglich, aber meist hat er es mit wenig begüterten Haushalten zu tun und eher zurückhaltender Zuschussbereitschaft der Kranken- und Pflegekassen. Hinzu kommt die Scheu, "Schwäche" zu zeigen. "Das leugnen sie lieber, wenn wir eine Rampe anbieten." In den eher ärmlicheren Stadtteilen, in denen die Caritas unterwegs sei, seien zudem "barrierefreie Sozialwohnungen wie Diamanten", ist Saddelers Erfahrung.
Das Alter eher auszublenden und schon gar nicht sichtbar werden zu lassen, dieses Verhalten beobachtet auch Beate Herdinga: "Anders als sonst befassen sich die Menschen nicht mehr mit dem Altwerden und Sterben." Die Tendenz sei, unangenehme Situationen zu vermeiden. Entsprechend gebe es einen großen Bedarf an Beratung zu Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen.
Viele möchten so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben. Das unterstützt das Beratungsteam - aber nur, soweit es Sinn macht. "Wenn wir die Menschen über Jahre begleiten und sehen, dass es nicht mehr geht, dann sagen wir auch, dass das Altenheim eine gute Lösung ist", sagt Petra-Maria Brüggemann aus der Alten- und Demenzberatung. Gemeinsam kann nach einem passenden Platz gesucht werden.
Vertrauen ist die Basis der Beratung
Letztlich sind die Fragen rund um das Altwerden und Altsein so vielfältig wie das Leben. Leicht kann man sich in der Vielfalt der möglichen Antworten und Hilfsmöglichkeiten verirren. Alle Mitarbeitenden in der Altenberatung haben den Anspruch, die Ratsuchenden nicht einfach mit einer Telefonnummer weiterzuschicken. Sie knüpfen selbst den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen und gehen, falls nötig, einmal mit zur Tagespflege, um die Hürde vor dem ersten Besuch gemeinsam zu überwinden.
Wichtig für das Netzwerk ist es, möglichst viele Akteure im Sozialraum einzubinden. Daran arbeitet Pia Schuyesmans und hat schon einige Kooperationspartner für ihr Projekt gewonnen. Der alteingesessene Arzt gegenüber schickt Patientinnen und Patienten über die Straße zu ihr, ebenso der Apotheker. Sie hat ihr Büro erst einmal in einem alten Wohnhaus an der Weseler Straße bezogen, deren Bewohner verstorben sind. Die Einrichtung ist bis hin zu den dicken Schmuckkerzen im Regal noch weitgehend original und fordert von ihrer älteren Klientel kein großes Umgewöhnen. Nur das alte Fernsehzimmer zur Straße hin hat sie für ihr Büro ausgeräumt.
Wenn demnächst der Umzug in die neue Tagespflege ansteht, wird das keine Herausforderung für die Büdericher sein. Dafür wird gerade die aufgegebene Dorfgaststätte mitten im Ort umgebaut. Vertrauen ist für Schuyesmans der Einstieg, der vieles möglich macht, und dafür sind vertraute Orte ein guter Anfang. Auch wenn noch nicht klar ist, ob die Theke erhalten werden kann…
Förderung durch das Land
Mit dem Projekt "Vielfältiges Leben im Alter" setzt der Caritasverband für die Dekanate Dinslaken und Wesel das Förderprogramm "Miteinander und nicht allein" des Ministeriums für Gesundheit und Soziales des Landes NRW um. Das Projekt läuft in Dinslaken bis Ende 2022. Eine Verlängerung ist bereits in Aussicht gestellt.
Kommunale Pflichtaufgabe
Die Aufgaben der Seniorenberatung liegen nicht nur in der Beantwortung von Fragen, die die Freizeit betreffen. Auch in Sachen materieller und finanzieller Unterstützung steht sie hilfreich zur Seite und informiert Senioren über die jeweiligen Möglichkeiten. Betreuungs- und Pflegedienste, Mahlzeitendienste sowie Haushaltshilfen stehen dabei im Zentrum.
Viele ältere Menschen wissen nicht, wie sie sich Hilfen leisten können. Ängste sowie Sorgen zu zerstreuen und vermittelnd einzugreifen zählt ebenfalls zu den Aufgaben der Seniorenberatung. Fragen der Finanzierung gelten mit als die häufigsten, decken doch Rente und Pflegegeld leider in den meisten Fällen nicht ausreichend den Bedarf. Wenn die häusliche Pflege nicht mehr ausreicht, rückt oftmals ein Pflegeheim in den Fokus vieler Angehörigen. Diese sind allerdings nicht selten mit dieser Situation überfordert und benötigen kompetente Informationen, um alles Nötige in die Wege leiten zu können. Diese Funktion übernehmen Beratungsstellen für Senioren und eben deren Angehörige.