"Immer mehr Normalverdiener kommen zur Beratung"
Caritas in NRW Herr Schlag, kommen in den Schuldnerberatungsstellen die Folgen der Inflation bereits an?
Roman Schlag: Normalerweise erleben wir in der Schuldnerberatung, dass Krisen wie die Finanzkrise oder die Pandemie erst ein bis zwei Jahre später aufschlagen. Aber das Thema Inflation spüren wir bereits jetzt. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Haushaltspläne, die die Beratungsstellen mit den Schuldnern erstellt haben, entsprechend den steigenden Kosten angepasst werden mussten.
Caritas in NRW: Haushaltspläne sind also offenbar ein Instrument der Schuldnerberatung?
Roman Schlag: Ja, sogar ein sehr wichtiges Instrument in der Schuldnerberatung. Wir machen am Anfang die Haushaltspläne, um zwei Fragen zu klären: Wie entstehen die Schulden? Und warum kommen die Menschen immer weiter ins Minus? Dann werden die Haushaltspläne immer genauer angepasst. Und es wird geschaut, ob ein Budget vorhanden ist, mit dem die Menschen entschuldet werden können.
Caritas in NRW: Wäre dann nicht ein Haushaltsplan auch ein gutes Instrument für alle?
Roman Schlag: Das können alle nutzen, weil es sehr gut veranschaulicht, wie viel Einnahmen jemand hat, wie seine Ausgaben aussehen und wo die betreffende Person einen finanziellen Puffer hat und was ihr noch übrig oder eben nicht übrig bleibt.
Caritas in NRW: Sind Haushaltspläne ein Werkzeug, um Sparmöglichkeiten aufzuzeigen?
Roman Schlag: Ja, auch dafür nutzen wir sie. Wenn ich mir einen einzelnen Posten anschaue, kann ich erkennen, dass ich mir da vielleicht noch eine Sparmöglichkeit erschließen kann. Einschränkend muss ich aber sagen: Leider haben wir viele Menschen, die momentan überhaupt keine Möglichkeit haben, mit ihrem Einsparpotenzial die deutlich steigenden Kosten irgendwie auszugleichen. Das ist eine sehr schwierige Situation, und die Menschen sind auf Hilfe angewiesen.
Caritas in NRW: In meiner Vorstellung kommen zu den Schuldnerberatungsstellen vor allem Menschen, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, zum Beispiel Empfänger von staatlichen Unterstützungsleistungen. Trifft diese Einschätzung zu?
Roman Schlag: Grundsätzlich ja. Ein Großteil der Beratenen ist auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen. Aber immer mehr Menschen aus der gutbürgerlichen Schicht, also Normalverdiener, kommen bei uns in die Beratungsstellen. Durch die gestiegenen Kosten, die steigenden Mieten oder durch Kurzarbeit ist plötzlich ihr gesamter Finanzplan zusammengebrochen, und sie sind auf einmal in eine Überschuldung geraten.
Caritas in NRW: Wie sieht es aus mit den Zugängen zur Schuldnerberatung? Sind die für alle möglich?
Roman Schlag: Das ist ein großes Problem. Gerade in Nordrhein-Westfalen haben wir einen riesigen Flickenteppich. Es gibt Kommunen, in denen alle Menschen die Möglichkeit haben, kostenfrei eine Schuldnerberatung zu bekommen. Aber es gibt auch sehr viele Kommunen, in denen dies nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich ist, in denen nur Menschen im Sozialleistungsbezug kostenlose Hilfe bekommen. Alle anderen haben dann keinen Anspruch auf eine Schuldnerberatung.
Caritas in NRW: Das heißt, Sie fordern eigentlich das Recht auf einen Zugang zur Schuldnerberatung für alle?
Roman Schlag: Das ist eine Forderung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände und der Caritas. Wir sagen: Wir brauchen einen gesetzlich geregelten Rechtsanspruch in der Sozialgesetzgebung, dass jeder Mensch Zugang zur Schuldnerberatung hat.
Caritas in NRW: Nehmen wir einmal an, es gäbe diese Möglichkeit: Sind denn die Schuldnerberatungsstellen überhaupt darauf vorbereitet, der steigenden Nachfrage nach Schuldnerberatung aufgrund zum Beispiel der Inflation zu begegnen?
Roman Schlag: Da müssen wir ehrlich sagen, dass sie nur bedingt vorbereitet sind. Natürlich lassen wir nach Möglichkeit keinen Menschen im Regen stehen, aber die Kapazitätsgrenzen sind bereits jetzt ausgeschöpft. Wir müssen sicherlich auch darüber nachdenken, dass aufgrund des höheren Bedarfs zusätzliche Kapazitäten in der Schuldnerberatung geschaffen werden.
Caritas in NRW: Wenn Sie ein Politiker fragen würde, was die Politik tun solle, um die Folgen der Inflation abzufedern, was würden Sie ihm aus Ihrer Erfahrung im Kontakt mit den Schuldnerberatungsstellen empfehlen?
Roman Schlag: Als Erstes würde ich sagen: Die Unterstützungsmaßnahmen, die beschlossen worden sind - ich denke da vor allem an die Energiepreispauschale für alle -, sind Hilfen, die letztendlich verpuffen. Man müsste viel zielgenauer schauen, welche Menschen bedürftig sind, und starke Unterstützungsmaßnahmen für die Menschen mit knappen Einkommensressourcen schaffen. Gleichzeitig muss man sagen: Steuererleichterungen, die gleichzeitig wieder über Kostensteigerungen ausgeglichen werden, helfen auch nicht. Unter Umständen muss über Dinge wie den Mietpreisdeckel oder andere Deckelungen nachgedacht werden.
Caritas in NRW: Aus Sicht der Verbraucher gefragt: Können Sie ihnen Tipps geben zum Umgang mit den steigenden Preisen?
Roman Schlag: Wir hatten ja schon die Haushaltspläne erwähnt. Und es gibt eine weitere Vielzahl von Tipps. Unter anderem ist es vernünftig, einmal ein Haushaltsbuch zu führen. Dann kommen ganz kleine, praktische Hilfsmittel für den Haushalt in Frage, wie Steckerleisten, die man im Standby-Betrieb ausschalten kann, oder Wasserspardüsen, damit nicht so viel Warmwasser mit Gas oder Strom produziert werden muss. Solche kleinen Hilfsmittel sind ganz wichtig. Auch ein Budgetplan kann helfen. Auch einen Einkauf sollte man gut planen und genau schauen, was ich an Einnahmen habe und was ich ausgebe, damit ich eine Kostenkontrolle habe. Man sollte sich wirklich jeden einzelnen Posten genau anschauen, um zu prüfen, wo ich noch sparen kann.
Caritas in NRW: Können Sie abschätzen, wie lange die Schuldnerberatungsstellen das Problem der steigenden Preise noch beschäftigen wird?
Roman Schlag: Ich fürchte, es wird kein Sprint werden, aber ich habe auch die Hoffnung, dass es kein Marathon wird. Aber das Problem der steigenden Preise wird uns schon noch einige Zeit beschäftigen. Es ist eine große Herausforderung, aber viele bemühen sich ja, Lösungen zu finden. Das wird hoffentlich auch ein bisschen dazu beitragen, dass es Licht am Ende des Tunnels geben wird.
Das Interview führte Christian Heidrich.
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