Auf Zeitungstour
Franz Meurer, Pfarrer in der Kölner Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth, Buchautor und erster Kölner 'alternativer Ehrenbürger'Foto: Smilla Dankert
Drei Uhr nachts. Das Telefon klingelt. Ist es das Krankenhaus, das zur Krankensalbung ruft?
Nein, es ist die Zeitungsausträgerin. Am Anhänger hinter ihrem Fahrrad ist ein Rad abgebrochen. Sie bittet um Hilfe.
Fast fünf Stunden bin ich nun mit ihr per Auto unterwegs. Mit dem Fahrrad geht es schneller, mit dem Auto langsamer. Oft muss ich mit der Warnblinkanlage auf der Straße stehen bleiben, wie es ja auch die machen müssen, die die Pakete tagsüber ausliefern.
Es wird ein interessantes Praktikum bei einer Leistungsträgerin unserer Gesellschaft. Zuerst einmal bin ich stolz, dass sie mich anruft. Denn dafür bin ich doch als Mensch der Kirche da: in der Not zu helfen. Manche junge Menschen sagen ja: "Mit Kirche sehe ich scheiße aus." Zitate darf man nicht verändern!
Die Zeitungsfrau sieht mit Kirche gut aus. Das macht mich froh.
Interessant ist, wer in unserem leider armen Stadtteil die Zeitung per Botin bekommt. Es sind die Menschen in den bürgerlichen Ecken des Stadtviertels, vor allem in den zwei kleinen Bereichen mit Eigenheimen. Im Hochhaus gegenüber der Kirche, das den Kirchturm überragt, sind es gerade mal zwei Abonnenten.
Eine Dame wartet am offenen Fenster auf die Zeitung. Die Botin reicht sie hoch, dann folgt ein kurzes Gespräch. Wer weiß, vielleicht ist das der wichtigste Kontakt des Tages für die alte Dame?
Eine praktische Frage treibt mich um: "Wo gehen Sie denn zur Toilette, wenn dies auf der Tour nötig wird?" Die Antwort der Zeitungsbotin: "An der Tankstelle, die kennen mich ja seit zehn Jahren."
Das macht mich froh. Offensichtlich halten die Damen und Herren des Nachtdienstes der Tankstelle, die 24 Stunden offen ist, und die Botin zusammen.
Ich erlaube mir am Ende der Tour die Frage: "Was verdienen Sie denn in diesem anstrengenden Job?" Es ist zum Glück kein Minijob. Die Botin erhält im Monat etwa 1100 Euro für knapp fünf Stunden an sechs Tagen in der Woche. Also ein Stundenlohn von knapp zehn Euro.
Am Ende meines Praktikums schaue ich voll Hochachtung auf die Leistung der Botin. Damit die Abonnenten beim Frühstück die druckfrische Zeitung lesen können, ist sie bei Wind und Wetter für kleines Geld unterwegs. Eine Leistungsträgerin unserer Gesellschaft. Ich hoffe, Sie sehen das auch so wie ich.