Kein Geld für Nachzahlungen
Mahmud Smo (51) ist niemand, der klagt. Auch jetzt nicht, wo die steigenden Preise seiner sechsköpfigen Familie arg zu schaffen machen. Man muss schon hartnäckig nachfragen, um ihm eine negative Äußerung oder gar ein Wort der Kritik zu entlocken. Dabei steht das Konto in den Miesen, an die Heizkosten und die fällige Nachzahlung mag er gar nicht denken. Zudem hofft er inständig, dass die 16 Jahre alte Familienkutsche weiterhin durchhält, selbst eine Reparatur kann er nicht bezahlen. Aber dennoch will er sich nicht beklagen: "Ich bin dankbar, dass ich in Deutschland lebe. Vielen geht es schlechter."
Der Mann, der in Syrien zuletzt als Verwaltungsangestellter gearbeitet hat, steckt voller Energie. Er ist ehrgeizig, engagiert (auch ehrenamtlich), spricht neben Arabisch und Kurdisch perfekt Deutsch, die ganze Familie hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Ein Mann mit Power, dennoch reicht es vorne und hinten nicht.
2014 ist er aus dem umkämpften Qamischli geflohen, zu bedrohlich war die ständige Angst vor Bombardierung. Zwei Jahre lebte die Familie in einem Flüchtlingslager im Irak, dann schlug sich der vierfache Vater nach Deutschland durch in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, Frau und Kinder musste er zurücklassen. Bei allem hat er seinen Optimismus bewahrt.
Seit dem vergangenen Jahr hat Mahmud Smo einen Job beim IFAK, dem Verein für Migrationsarbeit in Bochum, befristet auf fünf Jahre, finanziert über das Teilhabegesetz. 1300 Euro netto verdient er, seine Frau Ghada bekommt in ihrem Minijob als Haushaltshilfe rund 500 Euro. Allein für die Warmmiete zahlt die Familie 950 Euro. Ohne den Wohngeldzuschuss (rund die Hälfte der Kaltmiete) und den erweiterten Kinderzuschlag kämen die Smos gar nicht über die Runden.
Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 sind Familien mit geringem Einkommen von den aktuellen Preissteigerungen besonders betroffen. Bei ihnen machen Energie und Lebensmittel einen besonders großen Teil der Ausgaben aus. Kosten, die in den letzten Monaten drastisch gestiegen sind.
Schnäppchenjagd und strenge Heizkontrolle
Ghada Osman, die auch nach der Heirat ihren eigenen Familiennamen beibehalten hat, vergleicht vor jedem Einkauf sorgfältig die Preise. Spontankäufe sind nicht vorgesehen, außer wenn kurz vor Ladenschluss Melonen oder anderes reduziert werden. Ghada kocht jeden Tag frisch. Fastfood kommt nicht auf den Tisch: zu teuer - und außerdem längst nicht so lecker.
Die Hausfrau achtet genau auf die Ausgaben. "Ghada ist unsere Heizungs-Polizei", sagt ihr Ehemann scherzhaft. Sie kontrolliert, dass die Thermostate maximal auf eins stehen. Bereits im letzten Winter hat die Familie die Zimmertemperatur gesenkt, stattdessen einen wärmeren Pullover angezogen und eine Decke dazugenommen. Für Tochter Nour (20) ist das in Ordnung, "zumal es dem Klima zugutekommt".
Kinder helfen beim Sparen mit
Die Älteste der vier Kinder hat gerade ein Einser-Abi abgelegt, was den Vater sichtlich mit Stolz erfüllt. Für die Prüfungen hat Nour meist in der Stadtbücherei gelernt: "Da ist es schön ruhig". Zu Hause teilt sie das Zimmer mit der Schwester, und gleich nebenan liegt das Zimmer der beiden Jungs, da ist immer was los.
"Je älter die Kinder werden, umso teurer wird es", weiß Vater Mahmud. Die Brüder Imad und Zana (14 und 18) hätten auch gerne mal coole Klamotten so wie ihre Mitschüler auf dem Gymnasium. Einmal hat Zana seinen Wunsch verwirklichen können. Er wollte Sportschuhe haben, die deutlich über dem Familien-Budget lagen. "Dann haben wir so lange im Internet geguckt, bis die Schuhe irgendwann reduziert wurden", erzählt der begeisterte Volleyballer.
Nour sagt, dass sie keinen Wert auf Markenklamotten lege. Und sich dadurch auch nicht ausgegrenzt fühle: "Auf Freunde, die mich danach beurteilen, was ich für Klamotten trage, kann ich gut verzichten." Die 20-Jährige ist gerade zum ersten Mal verreist - 14 Tage Malta. "Das war sooo toll", schwärmt die hübsche junge Frau. Finanziert wurde der Sprachurlaub durch ein Schüler-Stipendium.
Problem: unvorhergesehene Ausgaben und Preissteigerungen
Neulich musste sich Mahmud Smo Geld von seinem Bruder leihen. Was eigentlich seinem Prinzip widerspricht: Nur das Geld ausgeben, das man hat. Doch es ging nicht anders, eine Nachzahlung für Strom stand an. Und für unvorhergesehene Ausgaben ist kein Geld da. Als im Lockdown auf Online-Unterricht umgestellt wurde, musste Zana seine Hausaufgaben so lange auf dem Handy erledigen, bis die Schule Tablets anschaffte. Ein eigenes Gerät konnte die Familie nicht finanzieren.
Jetzt hofft Mahmud Smo, dass der gute alte VW nicht kaputtgeht. Zwar bleibt das Auto wegen der hohen Benzinpreise immer öfter stehen. Aber für den Großeinkauf im Supermarkt oder den Besuch bei Verwandten wird der Wagen gebraucht.
Die Eltern überweisen jedem Kind zehn Euro im Monat aufs Sparbuch. An den Kindern würde sie zuallerletzt sparen, sagt die Mutter, auch wenn es noch knapper werde.
Und weitere Kostensteigerungen sind wahrscheinlich. Fachleute prognostizieren, dass Gas bald doppelt bis dreimal so teuer wird wie bisher. Eine Aussicht, die auch Mahmud Smo Sorgen bereitet. Wenn demnächst die dicke Gas-Nachzahlung ins Haus flattert, weiß er nicht, wie er das Geld aufbringen soll.
Ungerechte Politik
Wünscht er sich mehr staatliche Unterstützung? Schließlich kritisiert nicht nur Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dass die Bundesregierung mit der Gießkanne übers Land ziehe. Und dabei Unterstützung leiste, wo sie überhaupt nicht gebraucht werde - Stichwort Tankrabatt für jeden, auch für den teuersten SUV. Während an anderer Stelle dringend nötige Hilfe nicht ankomme. Mahmud Smo bleibt zurückhaltend, während Tochter Nour eine gezieltere Förderung für durchaus sinnvoll hält.
Nour würde gerne viel mehr auf eine nachhaltige Lebensweise achten, am liebsten nur Bioprodukte, die jetzt unbezahlbar für die Familie sind, kaufen. Wenn die junge Bochumerin erst einmal ihr großes Ziel, ein Pharmazie-Studium, umgesetzt hat, ist vielleicht auch Bio drin.
Definition: Armutsgefährdet bedeutet, über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zu verfügen.
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