"Eine solche Situation habe ich noch nie erlebt"
Caritas in NRW Wie viele Menschen aus der Ukraine haben Sie in den Hochzeiten im Februar und März täglich am Hauptbahnhof in Empfang genommen?
Corinna Rindle: Zweimal in der Stunde kam ein Zug mit Kriegsflüchtlingen an, meist aus Richtung Berlin oder Dresden. Wie viele Geflüchtete in den Zügen sitzen, teilte uns die Deutsche Bahn vorab mit. Die Menschen reisen ja kostenlos mit einem "Help Ukraine"-Ticket, das zuvor ausgegeben wurde. Es kamen täglich zwischen 50 und 300 Menschen.
Caritas in NRW: Wie haben Sie die Menschen zur Bahnhofsmission geleitet, und wie ging es dann weiter?
Corinna Rindle: Unsere Ehrenamtlichen standen am Gleis, wenn der Zug einfuhr. In der Hand ein Schild in Ukraine-Farben. Wir schauen, wer in Köln bleiben und wer weiterreisen möchte. Die, die eine Unterkunft in Köln benötigen, haben wir in das Ankunftszelt vor dem Bahnhof geleitet - zur Registrierung. Die anderen bleiben bei uns - meistens so lange, bis der Zug eintrifft, der sie dann zu den Zielen bringt.
Caritas in NRW: Welchen Eindruck haben Sie von den Menschen?
Corinna Rindle: Es kamen vor allem Frauen, Mütter mit Kindern und alte Menschen. Die meisten waren still. Viele hatten nicht einmal einen richtigen Koffer dabei. Das deutet darauf hin, dass sie sehr eilig fliehen mussten. Die ersten Geflüchteten Anfang März hatten fast alle einen Kontakt und wussten, wo sie unterkommen. Das änderte sich dann. Die meisten wussten nicht, wohin.
Caritas in NRW: Vermitteln Sie an Privatunterkünfte?
Corinna Rindle: Nein, das machen wir bewusst nicht. Ich weiß das Engagement zwar sehr zu schätzen, aber meine Erfahrung sagt mir: Die meisten wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Dass da häufig traumatisierte Menschen kommen, die professionelle Hilfe brauchen.
Caritas in NRW: Wie stellen Sie sicher, dass die Menschen aus der Ukraine nicht an die falschen Leute geraten?
Corinna Rindle: Ganz ausschließen können wir das nicht. Aber unsere 75 Haupt- und Ehrenamtlichen, Freiwilligen und Praktikantinnen und Praktikanten haben einen guten Blick dafür, wer am Bahnhof steht, um zu helfen, und wer zweifelhafte Angebote macht. Wir achten sehr genau darauf, mit wem die Ukrainer in Kontakt kommen, geben notfalls Hinweise.
Caritas in NRW: Die Bahnhofsmission ist ein Seismograf für aktuelle Krisen, bei Ihnen schlagen Menschen in Not häufig als Erstes auf. Was unterscheidet die aktuelle Situation von anderen Krisen?
Corinna Rindle: Ich leite die Bahnhofsmission seit elf Jahren. Eine solche Situation habe ich noch nie erlebt. Die Menschen, denen wir helfen, sind uns kulturell und sozial sehr nahe. Sie könnten unsere Nachbarn sein. Sie so traumatisiert zu erleben, ist für alle Helfenden belastend.
Die Fragen stellte Markus Harmann.
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