Corona als Zäsur
Die Pandemie hat die Situation der Menschen, die von Armut betroffen oder durch sie gefährdet sind, drastisch verschärft. Die Katastrophe des Ukraine-Kriegs und die damit verbundenen Dynamiken der globalen Wirtschaft verstärken diesen Negativtrend aktuell erheblich. "Mich besorgt, dass wir nicht über die Lehren aus der Pandemie reden. Wir reden nicht über die Aufwertung von Arbeit, über den Ausbau von sozialer Sicherung und über die Stärkung von öffentlichen Diensten", so jüngst die Soziologin Nicole Mayer-Ahuja im Deutschlandfunk. New Work und New Pay sind Lernfelder gelingender organisationaler Gegenwart und Zukunft - auch in der Caritas.
Es geht jedoch nicht allein darum, strukturelle Stellhebel zu bewegen, sondern wesentlich um Verständnis und Verständigung. Nicht ohne Grund haben Public-History-Projekte Konjunktur, die authentische Erfahrungen und Eindrücke aus der Pandemie sammeln und archivieren. Wie weit der Fächer der gesellschaftlichen Wahrnehmung noch immer auseinanderklappt, zeigt eine dadaistisch anmutende Einlassung, die Ex-Bild-Mann Julian Reichelt Mitte Mai gezwitschert hat: "Wir sollten Menschen, die noch Maske tragen, nicht verhöhnen, sondern ihnen helfen." Wer noch Maske trage, sei nicht achtsam, sondern eingeschüchtert.
Corona markiert offenkundig eine Zäsur. Zeugnisse dieser Zäsur sind für Politik, Kirche und Gesellschaft gleichermaßen bedeutsam. Sie bilden ein Amalgam, das Versöhnung und Fortschritt ermöglicht. Fürsorge und Selbstsorge angesichts der Pandemie bedeutet daher, Resonanzräume für das Erlebte zu eröffnen - und offen zu halten. In Zeiten weitreichender Lockerungen liegt darin die Chance, einander als heilsames Korrektiv zu entdecken und Gemeinsinn wieder neu zu stärken.