Kinderlärm im Kloster
Im Kloster ist wieder Leben eingekehrt. Sechs Kinder aus der Ukraine spielen im Innenhof des Hauses Maria Immaculata in Paderborn. "Vorsicht", ruft Schwester Ines und läuft schnell zu der kleinen Julia, die im Begriff ist, auf einen metallenen Fahrradständer zu klettern. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie sich womöglich wehtut. "Ich bin deren Oma", sagt Schwester Ines und lacht fröhlich. "Vor allem die Kleine rennt immer auf mich zu, weil sie weiß, sie kriegt etwas Süßes."
Seit Mitte März leben im Kloster der "Schwestern der Christlichen Liebe" bis zu 15 ukrainische Flüchtlinge - im gleichen Haus mit den 42 zumeist betagten "Mallinckrodt-Schwestern", wie sie auch genannt werden, sowie Gästen des integrierten Bildungshauses. "Wir haben extra eine ganze Etage für sie freigeräumt", berichtet Sr. Ines.
Schon kurz nach Kriegsbeginn erreichten die Paderborner Klöster teils auf verschlungenen Wegen Hilfsanfragen. Anna Philipp (68), die selbst vor 45 Jahren aus Kirgisien nach Paderborn übergesiedelt ist, suchte auf Bitten ihrer in die USA ausgewanderten Tochter Irina Unterstützung und Hilfe beim Diözesan-Caritasverband Paderborn, der sie an Sr. Ines verwies. Die in Texas lebende Tochter hatte vor sieben Jahren zwei ukrainische Teenager aus einer unter prekären Bedingungen lebenden Familie mit sieben Kindern adoptiert.
Flucht vor den Bomben
Als die Bomben fielen, bat deren ältere Schwester Ludmilla, die mit ihren drei Kindern in Chmelnizky im Westen der Ukraine lebt, voller Angst die amerikanischen Geschwister um Hilfe. "Meine Tochter als Adoptivmutter hat dann Bustickets von Kiew nach Deutschland gekauft", berichtet Anna Philipp. "Sie rief mich dann an und fragte: Mama, kannst du dich kümmern?" Anna Philipp, die im Gegensatz zu ihrer in Deutschland aufgewachsenen Tochter Russisch spricht, nahm Kontakt zu Ludmilla auf, die in Berlin gestrandet war. "Sie war völlig aufgelöst, da habe ich gebetet, und tatsächlich hat Gott einen Engel geschickt, der ihr geholfen hat, Tickets zu kaufen und den richtigen Zug zu finden."
Überraschend brachte Ludmilla neben ihren drei Kindern auch noch die 14-jährige Freundin ihrer Tochter mit. "Und dann rief meine Tochter Irina an und hatte Kontakt zu noch einer Frau, die ihr so sehr bei der Adoption geholfen hatte und die nun weinend allein irgendwo stand und seit einer Woche nicht weiterkam." Irina besorgte Inna, die aus Luhansk im Osten der Ukraine geflohen war, ein Flugticket von Warschau nach Düsseldorf, wo Anna Philipp sie abholte. Einige Tage später kamen dann auch noch die Mutter der 14-Jährigen sowie Innas Schwester mit zwei Kindern. "Wir haben mehrere Tage im Keller ohne Licht und Strom gesessen", berichtet Inna. "Als wir bombardiert wurden und die Fenster rausflogen, haben wir entschieden zu fliehen." Die Eltern wollten allerdings bleiben. Nun machen sich die Töchter Sorgen. Seit der Besetzung durch russische Truppen können sie die Eltern nicht mehr erreichen.
Verständigung trotz Sprachproblemen
In starkem Kontrast zu dem Grauen des Krieges steht die idyllische Lage des Klosters inmitten eines kleinen Parks. "Die Kinder spielen gern draußen, und die Erwachsenen genießen sichtlich das Leben im Kloster", sagt Sr. Ines. "Unsere Nonnen freuen sich sehr, wenn sie sie treffen." Zwar sprechen sie keine gemeinsame Sprache. "Die Verständigung klappt trotzdem", lächelt Sr. Ines. Unterstützt wird die Unterbringung der Flüchtlinge übrigens von amerikanischen "Schwestern der Christlichen Liebe": Sie sammelten 16000 Euro, mit denen die Ukrainer gut versorgt werden können.
Auch im Mutterhaus der Vincentinerinnen nur wenige Hundert Meter entfernt sind ukrainische Flüchtlinge eingezogen. In den leer stehenden Schwesternzimmern leben sogar 49 Mütter und Kinder. "Wir haben uns gefragt, was wir tun können", sagt Generaloberin Sr. Katharina. "Es war schnell klar, dass wir in unserem Kloster Menschen aufnehmen wollen." Und bei den Missionsschwestern vom Kostbaren Blut im Vorort Neuenbeken kamen eine achtköpfige Familie und zwei Ehepaare im Gästetrakt unter. "Alles sehr freundliche Leute", schwärmt die Oberin, Sr. Gisela.
Behörden sind geschlossen
Schwieriger als erwartet gestalten sich allerdings die Kontakte zu den Behörden. "Das hatte ich mir einfacher vorgestellt", sagt nicht nur Sr. Gisela. Anna Philipp ist geradezu frustriert. "Ich bin mit meinen Schützlingen jeden Tag Stunden unterwegs - zu Ämtern, Schulen, Ärzten", sagt sie. Doch viele Türen bei den Behörden seien noch immer zu - obwohl überall sonst wieder normales Leben herrsche. Häufig sei auch telefonisch nur ein Anrufbeantworter zu erreichen. "Machen Sie ein PDF, heißt es dann - aber damit kenne ich mich nicht aus." Mit Hilfe schafft sie es dann doch - "und dann antwortet niemand", ist sie empört.
Trotz allem: Es geht voran. "Die Kinder sprechen schon erstaunlich gut Deutsch", sagt Sr. Ines - dank Schule und Deutschunterricht durch die Schwestern am Nachmittag.
Die Angst bleibt
Auch die Erwachsenen werden von einer Schwester, die früher Deutsch-Lehrerin war, unterrichtet. Und ein Künstler-Ehepaar, das bei den Mallinckrodt-Schwestern lebte, hat inzwischen eine eigene Wohnung - und stellt ukrainische Kunst im Paderborner Stadtmuseum aus. Doch die Sorgen bleiben: Ludmilla hat Angst um zwei ihrer Brüder: Sie sind als ukrainische Soldaten an den Kämpfen beteiligt.