"Wir müssen politischer werden"
In der Mitte der Gesellschaft sehen sich die Einrichtungen der Erziehungshilfe und ihre Beschäftigten.Foto: Thomas Götz
Ende letzten Jahres hatte der Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE) seinen Namen in Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe geändert, weil viele seiner Einrichtungen heute Arbeitsfelder und Leistungen in ihrem Portfolio haben, die den Bereich der erzieherischen Hilfen überschreiten und ergänzen: Kindertageseinrichtungen, Angebote im Sozialraum wie Familienzentren, präventive und beratende Angebote, Betreuung im Ganztagsschulbereich, Schulsozialarbeit.
Auch damit unterstreicht der BVkE, dass er sich selbst in der Mitte der Gesellschaft verortet. Die Kinder- und Jugendhilfe sei inzwischen endlich aus der Schmuddelecke herausgekommen, betonte der Bundesvorsitzende Dr. Klaus Esser zum Auftakt der Tagung. "Wer die Hilfe zur Erziehung annimmt, ist kein geächteter Außenseiter mehr, und wer sie leistet und anbietet, auch nicht", unterstrich Esser. Das allerdings war in Zeiten der Pandemie so selbstverständlich doch wieder nicht. Als besonders vulnerable Gruppen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit absorbierten und dann die Politik im Kampf um Corona-Hilfen die Systemrelevanz zum Kriterium machte, fühlte sich die Jugendhilfe missachtet. "Kein Gesundheitsminister in Bund und Land hat die Jugendhilfe auf dem Schirm gehabt, keine Schutzverordnung hat an die Kinder in unseren Hilfen gedacht, keine Impfverordnung hatte uns im Blick", klagte Esser. Man müsse lauter und vernehmbarer werden, die Interessen und Ziele offener vertreten, kurzum: "Wir müssen politischer werden", forderte Esser.
Dass politische Interessenvertretung nicht rein einrichtungsbezogen und damit quasi über die Köpfe der Kinder und Jugendlichen hinweg geschehen darf, drückte sich im Motto der Tagung aus: mit jungen Menschen Lebensperspektiven gestalten. "Die Zeiten, dass die Erziehungshilfe von oben herab besser wusste, was für die Kinder und Jugendlichen, für die jungen Erwachsenen und Familien richtig und notwendig ist, sind wirklich vorbei", sagte Esser.
Klare Ansage: BVkE-Vorsitzender Klaus EsserFoto: Thomas Götz
Dabei scheinen die Lebensperspektiven aller junger Menschen im Vergleich zu früheren Generationen vielfach verdunkelt zu sein, so der Aachener Diözesan-Caritasdirektor Stephan Jentgens, der für die Caritas in NRW das Grußwort sprach. "Wenn wir die Ausbeutung und Verwüstung unserer Erde nicht bald stoppen können, schaffen wir Hypotheken, die die Zukunft der nächsten Generationen massiv belasten", warnte er mit Blick auf den Klimawandel. Jentgens forderte eine nachhaltige Umgestaltung der Einrichtungen und zugleich pädagogische Arbeit mit den jungen Menschen mit dem Ziel der Entkoppelung von Lebensqualität und Konsumsteigerung. Ebenso wie Esser ging auch Jentgens auf den Ukraine-Krieg ein, der auch der Pädagogik die Aufgabe stelle, "der Realität gewaltsamer Verhältnisse ins Aufgabe zu sehen, sich zu positionieren, standhalten zu lernen - dennoch vom Grundsatz einer friedlichen Lösung jeglicher Konflikte nicht abzulassen".
Neben diesen großen gesellschaftspolitischen Themen wird sich die Jugendhilfe in den nächsten Jahren aber auch mit den Auswirkungen des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes befassen.