"Bleib mir vom Leib"
Von 1974 bis 1999 amtierte Prälat Günter Berghaus als Direktor des Diözesan-Caritasverbandes Essen. Für den charismatischen Priester gehörten Seelsorge und Caritas untrennbar zusammen. Wie nur wenige verkörperte er mit Person und Amt diese beiden wichtigen Seiten der Kirche.Foto: Christoph Grätz
Der Beginn der Caritas-Aids-Hilfe in Deutschland ist aufs Engste verbunden mit dem Namen Prälat Günter Berghaus. Der langjährige Diözesan-Caritasdirektor und Essener Dompropst, ein damals weit bekannter, innovativer Caritas-Mann, eröffnete 1988 in Essen die bundesweit erste katholische Beratungsstelle für HIV-Infizierte - zu einem Zeitpunkt, als es angesichts der "Geißel Gottes" viel Panik und wenige Hilfsangebote gab.
Ende Februar 1988 waren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 81 433 Aids-Fälle gemeldet worden - die Zahl war innerhalb eines einzigen Monats um mehr als 4000 Infizierte gestiegen. Für NRW sprach der damalige NRW-Gesundheitsminister Hermann Heinemann 1989 von 256 Aids-Todesfällen und weiteren 399 als aidskrank Gemeldeten. Es herrschte Panik und Diskriminierung. Man hielt sich die Betroffenen vom Leibe, beäugte sie misstrauisch als Homosexuelle oder Drogensüchtige und versagte ihnen die Hilfe, die sie angesichts der Erschöpfungskrankheit doch so dringend benötigten - nicht erst, wenn die Krankheit ausgebrochen war. Schweigen und Einsamkeit begleiteten die Infektion, die oft sogar vor der Familie geheim gehalten wurde.
Im April 1991, drei Jahre nach Gründung ihrer Aids-Beratung, bot die Caritas in Essen ein zweitägiges Fachsymposium an. Es sei "Ausdruck unseres Willens, die Aids-Problematik als Herausforderung für Caritas und Kirche anzunehmen", schrieb Günter Berghaus in der Einladung, "wir möchten viele Menschen sensibilisieren und informieren, um gemeinsam der Not und dem Leiden aidserkrankter und HIV-infizierter Menschen zu begegnen".
Im selben Jahr kündigte Berghaus die Errichtung eines Pflege-Hospizes mit 15 Pflegeplätzen in Duisburg-Hamborn an, das an eine Sozialstation und die Kirchengemeinde angebunden werden solle. Ungeachtet der allgemeinen Berührungsängste gegenüber Aids-Kranken appellierte er an die Mitarbeiterinnen der Caritas-Konferenzen, eine ehrenamtliche Gruppe aufzubauen, die sich um die Kranken kümmern sollte.
Mit Fantasie und Einfühlungsvermögen wurden in Essen weitere Hilfen aufgebaut: in der Hautklinik der Universität Essen ein eigenes Beratungszimmer für Menschen mit HIV und anschließend noch ein Patientencafé, um Hemmschwellen zur Beratung zu senken. Oder ein Caritas-Musikwettbewerb für Nachwuchs-Bands in NRW zum Thema "Liebe und Sex im Zeichen von Aids" - sechs Bands durften schließlich ihre eigens für den Wettbewerb geschriebenen Musikstücke in Essen präsentieren. 1996 ging man dann mit elf HIV-Positiven und einer Krankenschwester samt ihrem roten Medikamentenköfferchen auf einen von Rotary und Sparkasse gesponserten Segeltörn nach Dänemark. Das Ziel: nette Leute kennenlernen, mal auf andere Gedanken kommen, einfach etwas Schönes erleben. Der begleitende Skipper antwortete auf die Frage, ob er denn keine Angst vor Ansteckung habe, in genau zwei Worten: "Ach was." Die Neu-Segler allerdings tauschten sich auf dem Törn auch darüber aus, wie ablehnend die Gesellschaft nach wie vor reagiere auf Krankheit, Aids und Homosexualität.
"Kirche muss sich - auch finanziell - an der Aufklärung über Aids beteiligen!"
1987 | Die Schwerpunktkampagne der BZgA zur Aidsprävention erhält das Logo „GIB AIDS KEINE CHANCE“, das bald und bis heute zu den bekanntesten Logos überhaupt gehört.Logo: BZgA
Nachdem in Essen der Anfang gemacht war, nahm die Aids-Aufklärungsarbeit in NRW schnell an Fahrt auf, auch wenn konkrete Hilfen für Erkrankte eher zögerlich aufgebaut wurden. Im Mai 1989 sprachen sich in Aachen Mitarbeiter "von der Basis" und der Anstellungsträger einstimmig dafür aus, weiterhin in der Aids-Prävention tätig bleiben zu wollen. Aufklärung über Aids und die damit zusammenhängenden Fragen der Sexualität, aber auch über Leiden und Sterben seien ein eigener kirchlicher Auftrag, an dessen Umsetzung sich neben Land und Kommunen auch die Kirche finanziell beteiligen müsse.
Im Diözesan-Caritasverband Köln stand die psychosoziale, ambulante und stationäre Versorgung Aids-Kranker 1989 im Mittelpunkt einer Fachtagung. Über 100 Teilnehmende aus Caritas, Fachverbänden und Pfarreien informierten sich, ohne allerdings über die "Prophylaxe" hinaus schon eigene Hilfen anbieten zu können.
Im Jahr 1993 zog der Aachener Bischof Klaus Hemmerle nach und weihte in der Pfarrei St. Josef in Mönchengladbach die Wohngemeinschaft "Oase e. V." für aidskranke Drogenabhängige ein. Den Anstoß dafür hatten hartnäckige Jugendliche der Pfarrei nach einer Projektwoche zur Aids-Problematik gegeben. Hemmerle ermutigte bei der Einweihung zum Einsatz für die Erkrankten, zumal es unter den Pfarrangehörigen immer noch Skeptiker gegenüber dem Projekt gebe.
Auch in Köln-Lindenthal öffnete 2020 nach achtjähriger Planungszeit das "Haus Lukas" als Wohn- und Pflegehaus für aidskranke Menschen seine Pforten. Die lange Projektphase war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass Caritas und SKM in Köln ursprünglich ein Hospiz errichten wollten, dann aber dank besserer Behandlungsmethoden gegen die Immunschwächekrankheit ein Wohn- und Lebenshaus einweihen konnten.
Inzwischen gehört die Aids-Beratung bei der Caritas längst zum Standardangebot. Besonders gefragt: die anonymisierte, kostenlose Online-Beratung.
Caritas fackelte nicht lange
Sie haben Angst, riesengroße Angst. Diejenigen, die an Aids erkrankt oder HIV-infiziert sind. Aber auch diejenigen, die befürchten, sich angesteckt zu haben. Mit den Sorgen und Nöten dieser Menschen sieht sich der Caritasverband für das Bistum Essen immer stärker konfrontiert. Und darum fackelte er nicht lange. Seit Anfang des Jahres gibt es ein Aids-Zentrum in der Alfredstr. 297 in Essen. […] "Wir helfen jedem", sagte Prälat Günter Berghaus, Direktor des Caritasverbandes, "unabhängig von seiner Herkunft oder seiner Konfessionszugehörigkeit. Niemandem werden ethische Wertvorstellungen aufgezwungen, der sie nicht tragen kann. Wir fragen auch nicht nach Schuld, sondern appellieren an die Verantwortung."
Quelle: caritas in NRW, 3/1988, S. 262
Dieser Beitrag erschien zuerst im November 2022 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift "caritas in NRW" aus Anlass des 50jährigen Erscheinens.