"Was ich bin, verdanke ich auch den Jugendlichen"
In Gelsenkirchen ist Bruder Anno Müller bekannt wie ein bunter Hund. Seit 25 Jahren ist er dort - "lieber in Jeans als in Kutte" - in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig, ebenso lang, wie er dem Orden der Amigonianer angehört. Kinder und Jugendliche in Gelsenkirchen-Nord haben oft nicht viel zu lachen, gehen unter schwierigen Bedingungen ins Leben. "Ein Fass ohne Boden" sei der sozialpädagogische Bedarf in der Stadt, sagt der Ordensmann und geht mit umso mehr Idealismus an seine Aufgabe, die für ihn Beruf und Berufung zugleich ist: "Was ich bin, verdanke ich auch diesen Jugendlichen, die mich infrage stellen. Denen kann man nichts vormachen, da muss man authentisch sein."
Gelsenkirchen gilt als ärmste Stadt Deutschlands, 5000 Menschen holen sich hier wöchentlich Lebensmittel bei der Tafel, über 43 Prozent der Gelsenkirchener Kinder sind arm. An der Begegnung mit den Kids hängt Bruder Annos Herz. Früher war er Gefängnisseelsorger und Heimerzieher, und heute fährt er immer noch mit auf Ferienfreizeiten, betreibt ein Musikprojekt oder begleitet die Firmvorbereitung der Pfarrei. Im Hauptberuf allerdings zeichnet er nun verantwortlich für die Jugendarbeit des eingetragenen Vereins "Amigonianer Soziale Werke" in Gelsenkirchen, organisiert die Hilfen, beantragt öffentliche Mittel, treibt dringend benötigte Spendengelder ein und plant den Einsatz seiner Mitstreiter: sozialpädagogische Fachkräfte, studentische Lerntrainer, ehrenamtliche Hausaufgabenbetreuer. Alle zusammen kümmern sich um Betreuung von Haupt- und Gesamtschülern in den Stadtteilen Feldmark und Schalke nach dem Schulunterricht, begleiten den Übergang von der Schule in den Beruf und vernetzen die Hilfen. So arbeitet das Amigonianer-Projekt seit 30 Jahren mit der Caritas-Erziehungsberatungsstelle vor Ort zusammen. Das sei für alle Beteiligten eine Win-win-Situation, sagt Bruder Anno: "Wir können dort auf dem kurzen Dienstweg auffällige Kinder vorstellen, und die Fachleute der Caritas kommen in unseren Jugendtreff, um dort den Eltern niederschwellige Erziehungsberatung anzubieten."
Priester ist Bruder Anno auch, "aber fast als Hobby", sagt er und lacht. Denn während der Woche ist er fest eingespannt in seine Aufgaben in der Jugendhilfe, da ist an eine Verpflichtung als Aushilfspriester für Pfarreigottesdienste nicht zu denken. Die spirituelle Grundlage, die ihm Kraft und Motivation für seine Arbeit mit den Jugendlichen gibt, versucht er jedoch auch den Mitarbeitern begreiflich zu machen. Und kürzlich hat er zwei Jahre als Novizenmeister in Südspanien eingeschoben, um drei junge Männer in die Verbindung von Spiritualität und sozialer Arbeit einzuführen. Was man dafür brauche, sagt Anno, sei "Herzensbildung".
Ein Orden im Dienst der Jugend
Der Name der Amigonianer geht auf den Ordensgründer Luis Amigó zurück, der als junger, charismatischer Kapuzinerbruder 1889 den Orden gründete. Ausgehend von seinem Nachnamen, sagen die Brüder heute: Er war ein Freund der Jugend. Der Orden engagiert sich heute stark in der Erziehungshilfe.