Aufwand hoch – Erfolg nicht planbar
Ein Fachtag der Caritas in NRW ermöglichte jüngst eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema "Vergaberecht" und einen Erfahrungsaustausch auf unterschiedlichsten Ebenen. "Wir kennen Ausschreibungen aus dem Europarecht, wo sie zum Beispiel bei öffentlichen Aufträgen im Straßenbau schon sehr lange zwingend vorgeschrieben sind, um Transparenz und Wirtschaftlichkeit europaweit zu garantieren", so Heinz-Josef Kessmann, Sprecher der Diözesan-Caritasverbände, in seinem Eingangsstatement. Im deutschen Sozialrecht dagegen tangiert das Vergaberecht nicht nur die Position des Kostenträgers und die Interessen des Leistungserbringers, sondern vielfach auch das Wunsch- und Wahlrecht der Empfänger sozialer Dienstleistungen. Das macht es schwierig, und die rechtliche Situation ist alles andere als eindeutig. Nicht zuletzt auf Betreiben der Justiziare aus den nordrhein-westfälischen Diözesan-Caritasverbänden hat der Deutsche Caritasverband (DCV) Mitte 2018 eine Arbeitshilfe "Vergaberecht für die Praxis" vorgelegt, die deren Autorin Caroline von Kries, Leiterin der Arbeitsstelle Sozialrecht beim DCV, auf der Tagung vorstellte. Ausschreibungen seien nach geltendem Recht nicht immer zulässig, so zum Beispiel, wenn sie in bestimmten Bereichen das Wunsch- und Wahlrecht und das Subsidiaritätsprinzip verletzen würden, die in den Sozialgesetzbüchern einen Rang fast wie "sozialrechtliches Verfassungsrecht" (von Kries) innehätten. Auf der anderen Seite plädierte von Kries dafür, das Vergaberecht "nicht allzu sehr zu verteufeln". Man müsse die Gestaltungsräume nutzen, so von Kries.
Auswirkungen auf Mitarbeitende
Aus der Praxis berichtete Sibylle Klings, Vorstand von IN VIA in Köln, wie sie - konfrontiert mit einem Ausschreibungsverfahren in der Berufshilfe, das nicht zu gewinnen war - gezwungen war, diesen Bereich zunächst einmal zu schließen, obwohl der Verband über ausgewiesene Expertise und ein passgenaues Angebot verfügte. Mitarbeitende mussten versetzt werden, erst nach Jahren gelang es, mit neuen Mitarbeitenden unter befristeten Verträgen neu anzufangen. Doch in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels sind gerade Befristungen eine zusätzliche Schwierigkeit, um hervorragende Mitarbeiter zu gewinnen. Norbert Kallen von der Caritas im Rhein-Kreis Neuss berichtete von der hohen Frustration unter seinen Mitarbeitenden, nachdem infolge einer Ausschreibung eine soziale Dienstleistung durch das Jobcenter anderweitig vergeben wurde, in der der Verband seit 30 Jahren erfolgreich tätig war. Den Zuschlag erhielt zudem auch noch ausgerechnet ein katholischer Anbieter, der im selben Haus wie der Caritasverband sitzt, aber nicht nach AVR bezahlt.
Pyrrhus-Sieg vor Gericht
Dieter Fühner, Vorstand des Caritasverbandes Rheine, berichtete von einem Verfahren vor Gericht, bei dem seinerzeit der Caritasverband mit Unterstützung der gesamten Spitzenverbände gegen die Ausschreibung der Sozialpädagogischen Familienhilfe durch den Kreis Steinfurt geklagt und vor Gericht gewonnen hatte. Auf der kommunalen Seite sei anschließend eine enorme Aggression bemerkbar gewesen bis hin zum Ausspruch: "Sie haben eine Schlacht gewonnen, den Krieg werden Sie verlieren." In diesem Jahr musste der Caritasverband Rheine wegen des Vergaberechts seine seit 37 Jahren existierenden Ausbildungswerkstätten schließen. Trotz harter Restrukturierung war eine andauernde Quersubventionierung im sechsstelligen Bereich notwendig, was auf Dauer nicht mehr tragbar war. "Wir lagen bei den Personalkosten, die einen Teil des wirtschaftlichen Angebotes ausmachten, nach den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Caritas um 15 bis 20 Prozent über den Haustarifen anderer Bildungsträger", so Fühner. Das Bedauern der örtlichen Agentur für Arbeit war groß, das Vergabeverfahren hatte die Regionaldirektion durchgeführt.
Sinkende Löhne - weniger Qualität
Thomas Koslowski vom Caritasverband Hagen berichtete, wie der Verband sich schon 2005 gezwungen sah, bei Ausschreibungen Angebote abzugeben. Viele Träger hätten ausgegliederte GmbHs gegründet, um die Tarifstrukturen zu unterlaufen. So erreichte der Kostenträger damals sein Ziel, die Preise für soziale Dienstleistungen zu reduzieren, auf Kosten der Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Koslowski berichtete auch, dass selbst innerhalb von Kommunen die Einschätzungen zu Vergabeverfahren unterschiedlich seien. Vereinfacht gesagt: Die Abteilungen, die sich inhaltlich auskennen, sind skeptisch, während Juristen und Haushälter eher zu Ausschreibungen neigen.
Es gibt auch die Problematik, dass Ausschreibungen, die man lange Jahre erfolgreich bedient hat, inzwischen nicht mehr auf sich verändernde Zielgruppen passen. Sibylle Klings berichtete von solch einem Fall, bei dem ihr Verband in der Evaluation von Bildungsmaßnahmen für Menschen mit Vermittlungshemmnissen letztendlich schlecht bewertet wurde, weil er anders gearbeitet hatte als vorausgesetzt. Gleichzeitig aber stand am Schluss die offene Frage des Auftraggebers: "Wir verstehen nicht, warum Sie alle Teilnehmer der Maßnahme vermitteln konnten."
Am Schluss des Fachtags stand der Wunsch nach mehr Austausch zwischen den Caritas-Trägern, nach bundesweiten Musterkonzepten für konkrete Dienstleistungen, nach mehr sozialpolitischer Unterstützung, nach einer umfassenden Wirksamkeitsanalyse unter Einbeziehung inhaltlicher und sozialpolitischer Gesichtspunkte, nach einem Portal für mehr Überblick und nach dem Aufbau eines Erfahrungsnetzwerkes, nach mehr Rechtssicherheit. Oder gibt es vielleicht eine Agentur, die für die Träger die Aufgabe übernimmt, Vergabeverfahren rechtssicher zu bedienen bzw. fehlerhafte Verfahren zu bekämpfen?