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"Pflegekräfte müssen sich organisieren und zusammenschließen"

Porträt: Josef Neumann Josef Neumann (SPD), Sprecher im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und Beauftragter für InklusionJens van Zoest

Caritas in NRW: Aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts nimmt der Anteil älterer Menschen in den Industrieländern stetig zu. Eine Folge davon ist, dass immer mehr professionelle Betreuung notwendig wird. Was kann getan werden, um die Versorgungssituation sicherzustellen?

Josef Neumann: Derzeit ist die Nachfrage nach Pflegeleistungen höher als das Angebot an Pflegefachkräften. Um die Versorgungssituation sicher zu stellen, müssen deswegen mehr Menschen für den Pflegeberuf gewonnen werden. Hier geht es einerseits darum, neue Pflegeschüler für die Ausbildung zu begeistern und andererseits, examinierte und erfahrene Pflegefachkräfte im Beruf zu halten. Die Attraktivität des Pflegeberufs lässt sich über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine bessere Vergütung steigern. Das gilt auch für die medizinische Versorgung der Menschen in NRW. Die medizinische Versorgung auf dem Land muss ebenso wie in den Städten für alle Menschen gleichermaßen auf einem hohen Niveau sichergestellt werden. Dabei muss Gesundheit bezahlbar bleiben und die medizinische Versorgung für jeden erreichbar sein. Dazu gehört auch, dass die finanziellen Rahmenbedingungen von Krankenhäusern in NRW weiter verbessert und die Investitionen in die Substanz der Krankenhäuser deutlich erhöht werden. Eine neue Krankenhausfinanzierung analog zu "Gute Schule 2020" ist hier für die SPD ein gangbarer Weg. Bei dieser Finanzierung übernimmt das Land die Tilgung und die Zinsen und stellt die Mittel den Kommunen zur Verfügung. Dies sollte auch bei der Finanzierung von Krankenhäusern Anwendung finden. Um die Lasten des demographischen Wandels zu finanzieren, muss außerdem die Pflegeversicherung schrittweise von einer Teilkaskoleistung zu einer Vollleistungsversicherung umgewandelt werden.

Caritas in NRW: Schon jetzt fehlen bis zu 50.000 Pflegekräfte bundesweit. Schaut man sich die Bevölkerungsentwicklung an, ist klar, dass der Bedarf an Pflege- und Betreuungskräften noch ungefähr dreißig Jahre lang weiter steigen wird. Wer soll das leisten?

Josef Neumann: Wir erleben derzeit in NRW und in Deutschland eine große Debatte um die Zukunft der Pflege. Bedingt durch den demografischen Wandel, steigt auch in NRW die Zahl der pflegebedürftigen Menschen. Derzeit sind rund 640.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen pflegebedürftig. Der Bedarf an professioneller, hochwertiger und qualitativ guter Pflege wird daher absehbar ebenso steigen wie der Bedarf an gut qualifizierten und hoch motivierten Beschäftigten in der Pflege. Mit dem "Sofortprogramm" Pflege will der Bund die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ab dem Jahr 2019 spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege erreicht werden (z. B. 13.000 Pflegekräfte mehr in der stationären Pflege). Das allein reicht aber nicht aus. Wir müssen alle Möglichkeiten ins Auge fassen, die notwendig sind für eine Modernisierung und Aufwertung der Pflege. Daher müssen zum Beispiel auch die Potenziale der Digitalisierung im Pflegebereich und im Gesundheitswesen konsequent genutzt werden.

Caritas in NRW: Halten Sie es nicht für illusorisch in der heutigen Arbeitswelt (lange Wege, geforderte Flexibilität, unsichere Erwerbsbiografien), dass Arbeitsnehmer nach Feierabend auch noch Zeit, Kraft und Lust haben, in der Nachbarschaft (im Quartier) ehrenamtlich Pflege- und Betreuungsdienste zu leisten?

Josef Neumann: Das Ehrenamt ist ein wichtiger sozialer Pfeiler in unserer Gesellschaft und wir als SPD-Landtagsfraktion sind den vielen Menschen, die tagtäglich diese wichtige Arbeit leisten, sehr dankbar. Allerdings ist klar, dass das Ehrenamt kein Ersatz für die Daseinsvorsorgeleistung des Staates sein darf. Jeder Mensch in Deutschland und NRW muss Pflegeleistungen bekommen, sofern er sie benötigt und das unabhängig vom sozialen Auffangnetz des Pflegebedürftigen. Das Ehrenamt darf nicht institutionalisiert und zur Gewohnheit werden, der Staat hat hingegen Sorge dafür zu tragen, dass pflegebedürftigen Menschen entsprechende Pflegeleistungen zu Teil werden.

Caritas in NRW: Die allermeisten Menschen wollen möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit alt werden. Andererseits wären große stationäre Pflegeeinrichtungen möglicherweise effizienter und günstiger im Hinblick auf Kosten und Personaleinsatz. Was kann dieses Land leisten und den alten Menschen anbieten?

Josef Neumann: Das eigene Quartier, die vertraute Umgebung sind wichtig für eine gute Pflege, denn die meisten Pflegebedürftigen wollen in der eigenen Häuslichkeit wohnen bleiben. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der rasant steigenden Zahl von pflegebedürftigen Menschen müssen deswegen alle Anstrengungen unternommen werden, um gute und menschenwürdige Pflege zu sichern und den Menschen ein selbstbestimmtes Leben im Alter und im gewohnten Wohnumfeld zu ermöglichen. Deswegen benötigen wir auch innovative Wohnkonzepte und Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige. Die Landesregierung ist gefordert, die Akteure im Gesundheits- und Pflegebereich proaktiv bei der Entwicklung solcher Wohnkonzepte zu unterstützen.

Der Pflegeberuf ist vielseitig und anspruchsvoll

Caritas in NRW: Was macht den Pflegeberuf attraktiv?

Josef Neumann: Der Pflegeberuf ist ein sehr vielseitiger und anspruchsvoller Beruf. Leider erfährt er in Deutschland nicht die Anerkennung, die ihm gebührt. Vielseitig ist die Pflege, weil es keineswegs nur um die Assistenz bei der Körpflege geht, vielmehr geht es um die Kombination aus vielen Tätigkeiten. Es ist ein sehr dynamischer und sinnstiftender Beruf. Die Pflege bietet zudem viele verschiedene Fachbereiche, in denen man sich weiterentwickeln kann. Der Pflegeberuf ist anspruchsvoll, weil er mit einer hohen Verantwortung für Leib und Leben des Patienten einhergeht. Menschlichkeit und die dem Pflegepersonal entgegengebrachte Dankbarkeit der Patienten sind zwei weitere wichtige Punkte, die den Pflegeberuf ausmachen.

Caritas in NRW: Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Bundesregierung, um das Image der Pflege und die Situation beim Pflegepersonal zu verbessern?

Josef Neumann: Die Landesregierung hat bisher keine konkreten Maßnahmen ergriffen, um die Situation des Pflegepersonals signifikant zu verbessern. Die Landesregierung nutzt ihre Möglichkeiten, auf den Bund einzuwirken - zum Beispiel über den Bundesrat - viel zu wenig. Die Passivität und das Zusehen der CDU/FDP-Landesregierung hilft den Menschen in NRW nicht weiter und zerstört das Vertrauen auf eine gute pflegerische und gesundheitliche Versorgung. CDU und FDP haben eine Koalition der sozialen Kälte gebildet. Die schlechte Performance beim Thema "Pflegekammer" und bei der Herabsetzung des Lehrer-Schüler-Verhältnis von 1:25 an den Pflegeschulen sind hierfür hervorragende Belege. Mit diesem Schlüssel bleibt NRW deutlich hinter den Vorgaben des Bundesgesetzes zurück. Die Verschlechterung der Ausbildungsbedingungen läuft den Bemühungen um eine Steigerung der Attraktivität der Pflegeausbildung im Besonderen und des Pflegeberufs im Allgemeinen entgegen.

Caritas in NRW: Was kann noch weiter getan werden? Wer blockiert?

Josef Neumann: Abgesehen von den Aufgaben des Staates, die Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vergütung in der Pflege zu schaffen, sind auch die Akteure im Gesundheitswesen aufgefordert, in ihrem Einflussbereich für entsprechende Strukturen zu sorgen, um die Pflege zu stärken. Wie bereits oben dargestellt stehen CDU und FDP sich hierbei selber im Weg und blockieren sich gegenseitig. Deswegen müssen sich Pflegekräfte selbst viel stärker organisieren und zusammenschließen. Die Pflege sollte sich nicht auf das Helferdenken und menschliche Aspekte reduzieren (lassen), sondern selbstbewusst für ihre Anliegen eintreten und sich gewerkschaftlich in großer Zahl aufstellen. Je mehr Pflegekräfte sich konstruktiv in der Gewerkschaft oder im Berufsverband einbringen, desto zielführender können ihre Interessen verfolgt werden.



Weitere Beiträge zum Thema "Altenhilfe und -pflege" finden Sie hier in unserem Themendossier.

"Das trifft den Kern unserer Leistungen"

Frau mit Sehbehinderung am PCDeutscher Caritasverband, Fotograf: Darius Ramazani

Rüdiger Dreier blättert durch die langen Listen mit spärlichen Erläuterungen und versucht, zu identifizieren, welche digitalen Dienstleistungen künftig die Arbeitsfelder des Caritasverbandes für die Stadt Münster betreffen. Der Erziehungsberater und Väter-Blogger besetzt die erste Stabsstelle Digitalisierung in einem örtlichen Verband. Je tiefer er sich einarbeitet, desto mehr Fragen wirft für ihn die Umsetzung des bereits im August 2017 beschlossenen, aber noch weithin unbekannten Onlinezugangsgesetzes (OZG) auf.

Wobei eine Frage schon "vom Gesetz überholt worden ist", sagt Dreier. Eigene Plattformen, auf denen die Dienste präsentiert werden und buchbar sind, waren eine Idee. Aber die würden durch das OZG künftig auf Bundes-, Landes- und regionalen Ebenen entstehen. Jetzt müsse es darum gehen, "Plattform-ready" zu werden. Wie, das wird derzeit in der "Expertengruppe Digitale Agenda im Deutschen Caritasverband" diskutiert, in der Dreier Mitglied ist.

Für die Suche nach Lösungen dort fehlt es nur am Notwendigsten: Informationen. Es gibt die gesetzlichen Vorgaben, den Zeitpunkt der Umsetzung und erste "Digitallabore" zu einzelnen Themenbereichen mit Vertretern der Ministerien, Länder und Kommunen. Doch es mangelt an offiziellen Hinweisen zur praktischen Anwendung. Dabei "betrifft das den Kern unserer Leistungen", ist Dreier klar.

Überall wo Geld fließt, stellen sich Fragen nach dem Zugang. Wie zum Beispiel müssen Eltern die Hilfen zur Erziehung künftig online beantragen? Wird es da eine Liste mit den Trägern geben, die sie vor Ort anbieten, und kann der Hilfesuchende sich einen aussuchen? Oder wird es nur um den Antrag gehen, und die Gewährung der Hilfe passiert weiterhin analog im Jugendamt? Das rührt für Dreier an die Frage, wie die Wunsch- und Wahlfreiheit künftig sichergestellt werden kann. Es müsse deshalb versucht werden, sich in die Diskussion zur Gestaltung der Plattformen auf allen Ebenen einzubringen, um hier auf die praktischen Aspekte der sozialen Arbeit hinweisen zu können.

Dreier treibt dabei auch die Sorge um, dass es einen Rückschritt geben könnte: "Digitalisierung heißt eigentlich: weg von den Silos." Sie könne die Vernetzung der Dienste befördern. Wenn aber im Zuge des OZG die Leistungen einzeln buch- und bearbeitbar würden, könnten die vielfältigen Anstrengungen zur fachübergreifenden Zusammenarbeit konterkariert werden.

Es werde zudem Fachbereiche geben, die gut auf übergreifenden Plattformen angeboten werden könnten, und andere, bei denen es schwierig werde, weil zum Beispiel die Finanzierung unterschiedlich sei. Werde die eine Hilfe von der Kommune finanziert, sei für eine andere Hilfe das Land zuständig, nennt Dreier ein Beispiel.

Unabhängig davon, wie die Plattformen nach dem OZG zugeschnitten und organisiert würden, müsse die Caritas an ihrer "Auffindbarkeit" arbeiten und für ihre Angebote zeitgemäßer werben. Derzeit seien viele Internetseiten der Verbände nicht nutzerfreundlich gestaltet. Die Caritas sei als "Gemischtwarenladen" breit aufgestellt, und zu dem einzelnen Dienst gebe es in der Regel nur eine Seite, deren Inhalt eher auf Fachleute und Verwaltungsmitarbeiter ausgerichtet sei. Da würden weder Emotionen noch Vertrauen geweckt und nicht die Fragen gestellt, die beispielsweise bei der Wahl einer Kita für Eltern relevant seien.

Hier müsse es gelingen, neben den OZG-Plattformen nicht nur auffindbar zu sein, sondern auch das Gefühl "von Mensch zu Mensch" zu vermitteln: "Wir sind für Sie da." Dafür sei es wichtig, Gesicht zu zeigen. Was übrigens auch für die Onlineberatung gelte, ergänzt Dreier.

Die Digitalisierung verändere die Arbeit, und damit stellten sich neue Fragen. Die künftige bundesweite Plattform für die Onlineberatung sei zweifelsohne gut: "Aber wie erfahren die Ratsuchenden davon?" Dafür müsse sowohl analog als auch digital geworben werden.

Twitter-Kontakt von Rüdiger Dreier: @ruedi3er

Informationen zum Onlinezugangsgesetz (OZG): www.it-planungsrat.de



Digitalisierung konkret

Wenn Sterne zu Sprüchen explodieren

Eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren sitzen in einem Gemeinschaftsraum um zwei aneinander gestellte Tische. Mit einer Tover-Tafel wird auf die Tische die Projektion eines Laubhaufens geworfen.Ein Druck auf die Fernbedienung, und das Bild springt auf Herbstlaub um. Mit weiten Armbewegungen wischen es alle an die Seite. Wieder ein Klick, und es werden wandernde Sterne projiziert, die bei Berührung in Worte explodieren, aus denen sich nach und nach „Morgenstund hat Gold im Mund“ zusammensetzt.Harald Westbeld

Sozial braucht digital - so die Jahreskampagne 2019 der Caritas. In vielen Diensten und Einrichtungen halten digitale Werkzeuge und neue Techniken Einzug. Manches wird erst vorsichtig ausprobiert. Kriterium ist immer der Nutzen für die Anwender - wie bei den "Tover-Tafeln".

Langsam wandert der bunte Ball über den Tisch herüber zu dem alten Mann. Erst nur zögerlich tippt er auf die Tischkante, der Ball springt zurück. Ganz anders das Bild, als Mitbewohner dazukommen. Kurz angestupst, wandert das bunte Kugelbild munter zwischen ihnen hin und her. Die "Tover-Tafel" unter der Decke erkennt die Bewegungen und bringt Bewegung in die Gruppe. Der spezielle Beamer aus Holland weckt Erinnerungen und Gefühle, regt die demenzkranken Bewohner im Haus Waldfrieden der Caritas Ibbenbüren zu gemeinsamen Spielen an, und nie dauert es lange, bis ein bekanntes Volkslied dazu gesungen wird.

Die digitale Welt ist in die auf Demenzkranke spezialisierte Einrichtung vor anderthalb Jahren eingezogen. Nicht so spektakulär wie der kindlich schauende Pflegeroboter Pepper, aber wirksam, um Vergangenes hervorzuholen und miteinander Spaß zu haben. "Demenz muss nicht unglücklich sein bedeuten", sagt Betreuungsassistentin Gabi Thomann.

Die Möglichkeiten sind vielfältig, die diese Form der Digitalisierung in der Altenhilfe bietet. Noch größer sind sie beim Tablet, mit dem die alten Menschen ebenso wenig Berührungsängste haben. "Sie probieren einfach mal aus", sagt Gabi Thomanns Kollegin Christina Klostermann. Karaoke im Chor funktioniert ohne Zögern, und für die jüngeren Mitarbeiter hat es den Vorteil, dass sie den Text der althergebrachten Lieder mitlesen können, während den Bewohnern die Melodie genügt.

Ausbildung differenziert ausgestalten

Porträt: Burkard SchrödersBurkard Schröders

Das zugrunde liegende Reformgesetz blickt auf eine lange Entstehungsgeschichte zurück und war bis zum letzten Moment nicht unumstritten. Nicht alle waren oder sind von den Vorteilen dieses neuen, generalistischen Berufsbildes überzeugt. Insbesondere im Bereich der Altenpflege fürchtet mancher Arbeitgeber einen Rückgang der Bewerberzahlen, manche Fachleute bedauern auch den Verlust eines eigenen Profils der Altenpflege als eines sozialpflegerischen Berufs.

Dennoch können wir die durch das Pflegeberufereformgesetz geschaffenen neuen Voraussetzungen hinsichtlich der Ausbildung und der Berufsausübung als eine große Chance für die Pflege - und damit vor allem für die auf Pflege angewiesenen Menschen, in welcher Lebenssituation auch immer - betrachten. Denn die umfangreiche und grundlegende Reform von Ausbildung und Berufsbild verfolgt zwei miteinander verbundene Ziele: Zum einen geht es darum, den Pflegeberuf attraktiver zu machen bzw. in der Konkurrenz um die immer weniger werdenden jungen Menschen in unserer Gesellschaft interessant zu halten. Jugendstudien machen deutlich, dass junge Frauen und Männer heute, wenn irgend möglich, hochwertige Ausbildungen anstreben, die ihnen eine hohe berufliche Flexibilität verschaffen und viele Optionen auch für eine lebenslange berufliche Weiterbildung offenhalten. Die neue Ausbildung ermöglicht dies, weil sie nicht schon zu Beginn eine Festlegung für eine Sparte im Gesundheitswesen erfordert und weil sie deutlich bessere Anschlussmöglichkeiten an die - ebenfalls von den jungen Leuten hochgeschätzten - Möglichkeiten einer Hochschulbildung garantiert.

Zum anderen steigt die Attraktivität des Pflegeberufes, egal ob in der ambulanten Pflege, im Altenheim oder im Krankenhaus, aber auch dadurch, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun eindeutig der Pflege vorbehaltene Tätigkeiten zugewiesen werden, in deren Kern die "Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses" steht. Pflegende sind immer schon "Kommunikationsspezialisten". Ein wesentlicher Teil ihrer Tätigkeiten besteht darin, mit Ärzten und Kollegen aus den nicht ärztlichen Heilberufen, mit Angehörigen, nicht zuletzt mit den Patienten selbst auszuhandeln und sicherzustellen, was wie wo und in welcher Reihenfolge zu tun ist. Der Erwerb dieser Fähigkeit steht künftig auch im Mittelpunkt der Ausbildung und wird als pflegerische Schlüsselkompetenz anerkannt. Dass dann die Fachkräfte in der Altenpflege noch mehr klinische Erfahrung und die Fachkräfte in der Krankenpflege verstärktes Verständnis für die existenziellen Veränderungen im Alter erwerben können, wird für alle Patienten zum Vorteil sein.

Schließlich können den Pflegefachkräften nach dem neuen Ausbildungskonzept auch heilkundliche Tätigkeiten vermittelt und zugewiesen werden. Damit findet das deutsche Gesundheitswesen den Anschluss an die bewährten Gesundheitssysteme verschiedener Nachbarländer, in denen die Krankenversorgung zwischen Medizinern und Pflegefachleuten längst ausgewogener aufgeteilt ist. Dies dürfte vor allem für die häusliche Versorgung und die Gesundheitsversorgung in ländlichen Räumen eine wichtige Rolle spielen.

Damit die Auswirkungen der Pflegereform aber wirklich Früchte tragen, ist die Unterfütterung des neuen Pflegefachberufes durch einen guten Assistenzberuf unbedingt notwendig. So können Tätigkeiten in der Pflege differenziert werden und junge Leute mit niedrigeren Schulabschlüssen ebenfalls den Einstieg ins qualifizierte Gesundheitswesen finden. Dass die Landesregierung aktuell plant, nur eine einjährige Assistenzausbildung zu installieren, scheint uns zu kurz gegriffen. Es ist begrüßenswert, dass diese einjährige Ausbildung auch eine allgemeinbildende Qualifizierung zum Schulabschluss enthalten soll, nur scheinen dann die Kapazitäten für eine gediegene pflegerische Grundausbildung sehr gering. Hier plädiert die Caritas für eine zweijährige Assistenzausbildung, die dann auch die Grundlage für einen existenzsichernden Beruf bilden könnte.

Insgesamt: Eine solche Reform wie das neue Pflegeberufegesetz wird sicher nicht auf einen Streich und nicht ohne Anpassungsschwierigkeiten zu realisieren sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie der Pflege eine gute Perspektive gibt. Den Kranken bringt sie die Pflegenden, die diese verdienen, und der Caritas kann die Reform starke neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bescheren.



Weitere Beiträge zum Thema "Altenhilfe und -pflege" finden Sie hier in unserem Themendossier.

"In NRW sind wir auf einem guten Weg"

Porträt: Karl-Josef LaumannKarl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-WestfalenPrivat

Caritas in NRW: Aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts nimmt der Anteil älterer Menschen in den Industrieländern stetig zu. Eine Folge davon ist, dass immer mehr professionelle Betreuung notwendig wird. Was kann getan werden, um die Versorgungssituation sicherzustellen?

Karl-Josef Laumann: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass es eine schöne Entwicklung ist, älter zu werden als unsere Vorgängergenerationen. Ein Teil der älteren Menschen wird pflegebedürftig und benötigt unterschiedliche Unterstützung. Wir brauchen mehr gut ausgebildete Fachkräfte in den Gesundheitsberufen, insbesondere in der Pflege, aber beispielsweise auch in der Physiotherapie oder Logopädie.

In der Generalistik ist die ausgebildete Pflegefachfrau oder der Pflegefachmann für die Feststellung des Pflegebedarfs zuständig und auch für die Gestaltung des Pflegeprozesses und dessen Überprüfung. Das ist ein wichtiger Schritt, denn hier haben wir eine klare Aufgabenzuweisung und damit auch eine eindeutige Verantwortung. Diese klaren Zuständigkeiten brauchen wir auch in den anderen Gesundheitsberufen. Wichtig ist aber auch eine bessere Zusammenarbeit der Berufsgruppen.

In Nordrhein-Westfalen sind wir auf einem guten Weg. Die neuen Vorgaben für die Pflegeausbildung und auch die hochschulisch ausgebildeten Fachkräfte im Gesundheitswesen bringen diese Kompetenzen in die Versorgung ein.

Caritas in NRW: Schon jetzt fehlen bis zu 50.000 Pflegekräfte bundesweit. Schaut man sich die Bevölkerungsentwicklung an, ist klar, dass der Bedarf an Pflege- und Betreuungskräften noch ungefähr dreißig Jahre lang weiter steigen wird. Wer soll das leisten?

Karl-Josef Laumann: In Nordrhein-Westfalen haben wir ein sehr umfangreiches Monitoring zur Situation in den Gesundheitsberufen entwickelt. Die Landesberichterstattung Gesundheitsberufe NRW gibt alle zwei Jahre detailliert Auskunft über die Beschäftigten, die Ausbildungszahlen und über Aufgaben, die im Rahmen der Fachkräftesicherung zu lösen sind. Wir wissen daher, dass 10.000 pflegerische Vollzeitstellen nicht besetzt werden können und dass insbesondere in den Krankenhäusern viel mehr ausgebildet werden muss.

Das Interesse an diesen Berufen ist groß. In der Altenpflegeausbildung haben wir die Ausbildungszahlen seit 2010 fast verdoppelt. Wir haben also eher ein Problem mit der Zahl der Ausbildungsplätze, die wir interessierten Menschen anbieten können. Die Ausbildungsstätten der Krankenpflege haben bisher wenig getan, um ihre Ausbildungszahlen zu erhöhen. Ich habe hier gemeinsam mit den Krankenkassen und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen den Weg beschritten, überall in den Krankenhäusern und Universitätskliniken für mehr Ausbildungsplätze zu werben.

Um den Personalbestand langfristig zu sichern und um die erforderlichen Stellen zu besetzen, muss eine Einrichtung meiner Einschätzung nach in jedem Jahr zehn Prozent des Personalbestandes in die Ausbildung bringen. Damit das nicht am Mangel von Lehrenden scheitert, haben wir für die Pflegeausbildung in diesem Jahr auch Bachelorabsolventen für die Lehrtätigkeit zugelassen.

Einzig und allein die Pflegebedürftigen entscheiden, wo sie leben möchten

Caritas in NRW: Halten Sie es nicht für illusorisch in der heutigen Arbeitswelt (lange Wege, geforderte Flexibilität, unsichere Erwerbsbiografien), dass Arbeitsnehmer nach Feierabend auch noch Zeit, Kraft und Lust haben, in der Nachbarschaft (im Quartier) ehrenamtlich Pflege- und Betreuungsdienste zu leisten?

Karl-Josef Laumann: Sicherlich sind die Zeitkontingente von berufstätigen Menschen begrenzt. Dennoch finden viele in zusätzlicher ehrenamtlicher Arbeit eine Bestätigung. Ehrenamtliches Engagement kann aber beispielsweise für Menschen in Teilzeitjobs, in der Übergangsphase von Arbeit in den Ruhestand oder während des Ruhestands eine sinnstiftende Alternative sein.

Mir ist klar, dass diese ehrenamtliche Betreuungsarbeit nicht bedarfsdeckend sein kann. Daher hat das Land frühzeitig seine Regelungsbereiche auch für gewerbliche Anbieter geöffnet. So können neben bürgerschaftlich engagierten Einzelpersonen auch Angebote von gewerblichen Anbietern anerkannt werden.

Caritas in NRW: Die allermeisten Menschen wollen möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit alt werden. Andererseits wären große stationäre Pflegeeinrichtungen möglicherweise effizienter und günstiger im Hinblick auf Kosten und Personaleinsatz. Was kann dieses Land leisten und den alten Menschen anbieten?

Karl-Josef Laumann: Es ist einzig und allein die Entscheidung der Pflegebedürftigen, wo sie leben möchten - ob zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung. Der Staat hat sich aus dieser Entscheidung rauszuhalten. Aber er muss die richtigen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass dort eine gute Versorgung und Betreuung stattfinden kann, wo die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen es wollen. Bundesweit wird mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen durch Angehörige oder Nachbarn ohne oder mit nur teilweiser Beteiligung von Pflegediensten versorgt. Dieses Engagement müssen wir stärken und unterstützen.

Caritas in NRW: Was macht den Pflegeberuf attraktiv?

Karl-Josef Laumann: Wer in der Pflege arbeitet, hat einen Beruf, dessen Bedeutung in der Zukunft stark zunehmen wird und nicht nur zahlreiche, sondern auch unterschiedliche Beschäftigungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Es gibt wohl kaum einen Beruf, in dem man den Menschen so nah kommt. Das ist sicherlich eine große Herausforderung und verlangt neben fachlichem Wissen eine große Menge an Empathie und Einfühlungsvermögen. Vor allem aber müssen natürlich auch die Arbeitsbedingungen stimmen. Das heißt nicht zuletzt: Wir brauchen faire Löhne, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Entlastung von unnötiger Bürokratie.

Caritas in NRW: Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Bundesregierung, um das Image der Pflege und die Situation beim Pflegepersonal zu verbessern?

Karl-Josef Laumann: Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung Anfang des Jahres einen Mindestlohn für die Hilfs- und Assistenzkräfte der Pflege festgesetzt und einen Mindestlohn für die Pflegefachkräfte in die Diskussion gebracht hat. Obwohl für mich seit jeher klar ist: Der faire Lohn ist in unserer Sozialen Marktwirtschaft der Tariflohn, der von den Sozialpartnern gemeinsam verhandelt wird. Denn gute Arbeit muss gut bezahlt werden. Mit einer vollen Stelle muss man den Lebensunterhalt bestreiten können.

Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat der Bund zudem Maßnahmen angestoßen, die eine verbindliche Personalstärke in der Pflege festsetzen. Die Pflegepersonaluntergrenzen sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Daher ist es nur konsequent, weitere dann mit dem Personalbemessungssystem zu etablieren. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass die entsprechenden Mehrkosten im Krankenhausbereich vollständig refinanziert werden.

Ich begrüße es, dass die Bundesregierung zudem mit der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) alle Beteiligten an einen Tisch geholt hat. Jetzt sind neben dem Bund und den Ländern insbesondere die Selbstverwaltungspartner gefragt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die vereinbarten Maßnahmen auch fristgerecht umzusetzen.

Caritas in NRW: Was tut das Land NRW, was kann noch weiter getan werden?

Karl-Josef Laumann: Wir müssen Arbeitsbedingungen schaffen, die den Bedürfnissen und Ansprüchen der Pflegekräfte dauerhaft gerecht werden. Nur so können wir Menschen, die in den Beruf ein- oder wiedereinsteigen wollen, für die Pflege gewinnen und dort auch halten. Denn alle Maßnahmen nützen nur dann etwas, wenn die Pflegeberufe auch als attraktiv wahrgenommen werden.  Das hängt auf der einen Seite - wie bereits gesagt - mit einer adäquaten Vergütung der Arbeit zusammen, die die Tarifpartner aushandeln müssen. Auf der anderen Seite muss das Image der Pflegeberufe wieder dem wahren Stellenwert des Berufes entsprechen.

In den vergangen Monaten haben wir mit aller Kraft daran gearbeitet, strukturelle Rahmenbedingungen zu verändern und insbesondere die Pflegeberufeausbildungsreform in NRW solide umzusetzen. Vor allem die Errichtung einer nordrhein-westfälischen Pflegekammer wird strukturelle Änderungen voranbringen und die Pflegewelt verändern. Die Pflegekammer wird die Interessen der Pflegefachkräfte mit fachlich hoher Kompetenz in Politik und Gesellschaft vertreten und das Berufsbild durch Fort- und Weiterbildungen stärken und entwickeln.

Caritas in NRW: Wer blockiert?

In der Fachkraftsicherung sehe ich niemanden, der grundsätzlich blockiert.

Aber ich sehe Verantwortliche, die sich stark für die Ausbildung engagieren und sie zur Chefsache gemacht haben. Und ich sehe solche, die sich mit der Sicherung des Personalbestandes noch nicht so intensiv befasst haben. Dabei ist ja heute schon klar: Wenn ich als Einrichtungsleitung mehr Leistungen anbieten will, muss ich das Personal haben, und das bekomme ich auf dem Arbeitsmarkt nicht. Ich muss also in Ausbildung investieren, und ich muss meine Einrichtung attraktiv für Auszubildende machen.

Und es ist auch klar, dass sich heute nicht mehr die Auszubildenden in der Einrichtung bewerben, sondern die Einrichtung bewirbt sich als Ausbildungsbetrieb und zukünftiger Arbeitgeber bei den jungen Menschen. Die Situation hat sich umgekehrt, und das kann man gar nicht ernst genug nehmen. Das haben, so glaube ich, noch nicht alle Entscheidungsträger fest im Blick.



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Wege aus dem Pflegenotstand

Eine Pflegerin sitzt mit einem Senior an einem Tisch und schält einen Pfirsich. Der Senior schaut ihr dabei zu.Rund 600.000 Menschen sind in Deutschland in der Altenpflege tätig, davon etwas mehr Helfer als Fachkräfte. Gesucht werden vor allem Fachkräfte. In der Altenpflege sind vor allem Frauen beschäftigt, der Anteil der Teilzeitbeschäftigten liegt bei 56 Prozent.Barbara Bechtloff

Im Düsseldorfer Altenzentrum Herz Jesu schaut man noch immer etwas staunend auf diese Bilanz: Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Anzahl der Auszubildenden mehr als verdreifacht - auf jetzt 28. Grund dafür: eine damals eher spontane Idee des Düsseldorfer Caritasverbandes und die Frage: Wie wäre es, wenn Ausbildungsinter­essierte rund um die Uhr Hilfe und Informationen bekommen? "Bei Anruf Ausbildung" nennt sich die Aktion (siehe auch Bistumsteil Köln), in deren Mittelpunkt eine 24-Stunden-Hotline steht.

Jederzeit können sich Ausbildungswillige und am Pflegeberuf Interessierte Rat holen: Ist eine Ausbildung überhaupt das Richtige? Bietet sich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an? Sollte es erst mal ein Praktikum sein? "Wir gehen das Thema Personalakquise völlig neu an", sagt Rainer Schlaghecken, Referatsleiter Pflege der Caritas Düsseldorf. "Wir nehmen grundsätzlich erst einmal alle Interessierten auf und fördern sie im Laufe der Zeit entsprechend ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten."

Eine Herangehensweise, die sich bewährt: Vor Beginn der Aktion hatte das Altenzentrum Herz Jesu acht Auszubildende, heute sind es 28. Davon profitiert das gesamte Haus, das mit 180 Bewohnern die größte Altenpflegeeinrichtung der Caritas Düsseldorf ist. Allein 80 Mitarbeitende arbeiten in der Pflege, die Fachkraftquote liegt bei über 50 Prozent. Und die Aktion "Bei Anruf Ausbildung" hatte noch einen schönen Nebeneffekt: Es wurden auch solche Auszubildende gewonnen, die es gemeinhin schwerer haben auf dem Lehrstellenmarkt. Denn mehr als die Hälfte der neuen Auszubildenden haben einen Migrationshintergrund, drei kamen sogar als Geflüchtete nach Düsseldorf.

Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter eines Altenzentrums stehen zusammen und blicken auf ein Tablet. Der Mann tippt auf dem Tablet herum.Auf dem digitalen Vormarsch: Im Altenzentrum St. Maternus schauen sich Einrichtungsleiter Ulrich Schwarz und Katrin Schäfer (Sozialer Dienst) den neusten Facebook-Beitrag an.Julia Hitschfeld

So wie Abu Traore, 25 Jahre alt, aus Guinea. Er kam 2013 nach Deutschland, um, wie er sagt, seinen "größten Wunsch, zur Schule zu gehen", zu verwirklichen. Nachdem er 2018 seinen Hauptschulabschluss gemacht hatte, begann er eine Ausbildung zum Altenpfleger. Seit vier Monaten ist er nun im Altenzentrum Herz Jesu und dankbar, dass sein Weg ihn hierhingeführt hat. Was er besonders schätzt: "Den ganz alltäglichen Umgang mit den Bewohnern. Das hilft mir, meine Deutschkenntnisse zu verbessern."

Die Hotline allein wäre natürlich nicht nachhaltig, im Herz-Jesu-Haus wird auch viel dafür getan, dass die Mitarbeitenden sich wohlfühlen. "Wir bieten familienfreundliche Arbeitszeiten an und gehen individuell auf die Mit­arbeiterbedürfnisse ein", sagt Einrichtungsleiterin Wera Steffens, "sonst hätte die beste Aktion keinen Sinn.”

Gerade in der Pflege, so Steffens, würden viele Alleinerziehende arbeiten. "Wenn wir das nicht berücksichtigen in unserer Planung, verlieren wir die Menschen wieder." Grundvoraussetzung dafür sei eine offene und gute Kommunikation im Team. "Wenn Wünsche frühzeitig kommuniziert und Absprachen eingehalten werden, funktioniert das super im Arbeitsalltag."

Dass Mitarbeiterwohl und Mitarbeiterakquise Hand in Hand gehen müssen, weiß auch Ulrich Schwarz. Er leitet das Caritas-Altenzentrum St. Maternus in Köln-Rodenkirchen mit 37 Pflegekräften - darunter 30 Fachkräfte - und elf Auszubildenden. 2018 wurde die Einrichtung nach zweijähriger Umbauphase neu eröffnet, seitdem punktet sie mit moderner Ausstattung und neuer Raumaufteilung: Statt großer Wohnbereiche mit 30 Bewohnern gibt es nun kleine Hausgemeinschaften mit nicht mehr als 15 Personen. "Es gab da eine ganz klare Rückmeldung der Mitarbeitenden, dass sie kleinere und überschaubare Gruppen mit kürzeren Wegen bevorzugen", so der Einrichtungsleiter.

Mit internetfähigem TV, Tablets, sprachgesteuerten Assistenten wie Alexa und einer Station, an der Virtual-Reality-Brillen genutzt und in den Pflegealltag integriert werden können, ist die Einrichtung in Sachen Digitalisierung am Puls der Zeit - das, so Schwarz, wirke anziehend auf neue Mitarbeitende. Ganz zu schweigen von der Präsenz des Maternusheims auf Facebook. Tagtäglich wird gepostet: Back-Aktionen, Ausflüge oder Interviews mit den Mitarbeitenden. So zeigt die Einrichtung einer breiten Öffentlichkeit, was es bedeutet, in einer Pflegeeinrichtung zu leben und zu arbeiten. "Ich finde es wichtig, dass die Pflegekräfte selbst zu Wort kommen und der Heimalltag transparent dargestellt wird", meint Ulrich Schwarz.

Zwei lächelnde Seniorinnen stehen, in ihrem Rollstuhl sitzend, in der Gartenanlage eines Altenzentrum. Ein dunkelhäutiger Pflege-Azubi steht hinter ihnen und legt seine Arme über ihre Schultern.Jung hilft alt und umgekehrt: Die Bewohner im Altenzentrum Herz Jesu freuen sich, dass sie Azubi Abu Traore dabei helfen können, seine Deutschkenntnisse zu verbessern.Julia Hitschfeld

Das Maternusheim füllt die Caritas-Kampagne 2019 "Sozial braucht digital" mit Leben. Vorteil: Wer überlegt, sich in der Einrichtung zu bewerben, kann sich in den sozialen Netzwerken vorher schon eingehend informieren. Es läuft so gut, dass Schwarz und seine Leute jetzt auch Instagram für sich entdeckt haben. Den Kanal teilen sich gleich mehrere Altenzentren der Kölner Caritas. Jedes Haus hat dafür eigene Redakteure ausgebildet, die Fotos und Texte hochladen. Die Botschaft dahinter ist deutlich: Pflege ist bunt - und macht Spaß.

Im Altenzentrum Elisabeth-von-Thüringen-Haus in Köln-Worringen trugen die Mitarbeitenden ihre Zufriedenheit mit ihrem Arbeitgeber unlängst buchstäblich auf die Straße. 36 Pflegekräfte arbeiten in dem Haus (Fachkraftquote: 56 Prozent), zusätzlich zwei Auszubildende. Einige von ihnen gingen raus auf die Straße und warben mit Infozetteln und Werbepostkarten für einen Job in der Altenpflege. In kürzester Zeit waren fünf vakante Stellen in der Pflege besetzt.

"Wenn die Pflegekräfte sich gehört fühlen und ihre Probleme ernst genommen werden, tragen sie ihre Zufriedenheit auch nach außen", schlussfolgert Einrichtungsleiterin Silke Joseph und überlegt, die Aktion zu wiederholen.

Und damit das neue Personal nicht direkt wieder abspringt, möchte das Haus seinen Mitarbeitenden den Arbeitsalltag erleichtern. So finden zum Beispiel regelmäßig Wohlfühltage statt - mit Massagen für das Personal.



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Heraus aus dem düsteren Tal…

Eine Spielszene während einer Partie in der 2. Fußball-Bundesliga mit zwei Spielern des SC Paderborn 07 und drei Spielern des MSV Duisburg. Im Hintergrund ist eine Bandenwerbung der Caritas zu sehen.Stammplatzgarantie: Beim Zweitliga-Spiel des SC Paderborn gegen den MSV Duisburg stand die Caritas als „Arbeitgeber des Spieltages“ im Mittelpunkt. Mehr als 50 Caritas-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, darunter viele Pflegekräfte, kamen vor dem Stadion mit Fußballfans ins Gespräch – und erlebten eine nicht erwartete Wertschätzung.SC Paderborn 07

Welche Stellschrauben gibt es für die Caritas, um die Pflege zu einem attraktiven Arbeitsfeld zu machen? Manche Schrauben können nur von außen beeinflusst werden, von Politik und Kassen. Andere wiederum lassen sich mit Energie und Kreativität selbst bewegen, etwa die Einführung familienfreundlicher Arbeitszeiten oder verbindlicher Vertretungsregelungen, bei denen Pflegekräfte nicht ständig befürchten müssen, auch in ihrer Freizeit an den Arbeitsplatz gerufen zu werden.

Weitere Stellschrauben wie die Bezahlung sind zumindest im Caritas-Tarifbereich gut genutzt worden, sodass das Argument der schlechten Entlohnung beim katholischen Wohlfahrtsverband nicht greift - was sich allerdings nur mühsam kommunizieren lässt: Es ist halt kaum zu glauben, dass man als examinierte Caritas-Pflegekraft beim Einkommen auf gleicher Stufe mit Bankangestellten nach dreijähriger Ausbildung steht. Bleibt schließlich noch das Image von Pflege. Wer will schon in einem Bereich arbeiten, in dem Defizite und Skandale die öffentliche Wahrnehmung mitbestimmen? Doch auch dafür gibt es Stellschrauben. Beim örtlichen Caritasverband in Paderborn werden diese aktiv bearbeitet.

Ein junger Mann steht vor einem Stehmikrofon mit einem Zettel in der Hand und trägt seinen Beitrag zum Poetry-Slam auf der 'Pflege-Gala' am 12. Mai 2019 in Paderborn vorKraftvolle, berührende Texte: Poetry-Slam und Pflege passen zusammen. Keine Dankesrede, kein Rundschreiben kann eine solche Wertschätzung für diesen Beruf rüberbringen wie die kleinen poetischen Kunstwerke, die in Paderborn von jungen Menschen verfasst wurden.Karl-Martin Flüter

Es begann 2017 mit der Idee, die kreative Poetry-Slam-Szene mit Caritas und Pflege in Kontakt zu bringen. Unter dem Motto "Wie cool ist die Caritas?" gaben fünf junge "Slammer" die Antworten bei einem Wettbewerb vor großem Publikum in der Marktkirche. Alle Künstler hatten dasselbe Thema: In den Wochen vor der Veranstaltung besuchten sie Caritaseinrichtungen und lernten dort den Alltag kennen. Diese Erfahrungen sollten sie in ihren Texten umsetzen. "Das Ergebnis waren kraftvolle, berührende Worte, die alles andere als eine depressive Stimmung verbreiteten, wie man das bei diesem Thema vielleicht erwartet", so Caritas-Vorstand Patrick Wilk.

Zusammen mit dem breit beworbenen Kultur-Event des Poetry-Slams rückte dies die Pflege in einen ganz neuen Kontext: Imagetransfer, kombiniert mit Wertschätzung für diejenigen, die die Pflege täglich leisten. "So etwas könnte ich durch Rundschreiben oder Dankesworte in der Mitarbeiterzeitung niemals erreichen", sagt Patrick Wilk. 2018, also ein Jahr später, richtete der Caritasverband als Mitveranstalter die Eröffnungsgala der deutschen U21-Poetry-Slam-Meisterschaft aus. Den Ort, den Paderborner Dom, empfanden die vielen überwiegend jungen Besucher als "coole Location" - trotz der für einen poetischen Vortragswettbewerb unbefriedigenden Akustik. Patrick Wilk: "Wir kamen als Caritas in Kontakt mit jungen Menschen, die sonst kaum etwas mit Kirche und Caritas zu tun haben."

Im April 2019 nutzte der Caritasverband Paderborn gemeinsam mit weiteren Caritasverbänden in Ostwestfalen ein Angebot des heimischen Fußballclubs SC Paderborn 07. Als "Arbeitgeber des Spieltages" konnte die Caritas mit Bandenwerbung und in den Kommunikationskanälen des Vereins für soziale und pflegerische Berufe in der Caritas werben ("Stammplatzgarantie"). Als Nebeneffekt ließ sich auf das gemeinsame Job-Portal (www.caritas-jobs-owl.de) aufmerksam machen. Über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen beteiligten Verbänden waren vor dem Stadion aktiv, um in Kontakt mit den Fans zu kommen.

Als "Türöffner" für die Gespräche wurden Gratis-Lose verteilt. Hauptgewinn: ein Trikot mit den Autogrammen der SCP-Spieler. 5000 Lose wurden verteilt, genauso viele Gespräche fanden statt. Wilk: "Überraschend war, wie positiv die Arbeit der Caritas durchweg empfunden wird." An einem ungewöhnlichen Ort, abseits der eigenen Einrichtung und Arbeit, eine so tolle Rückmeldung zu bekommen, war noch nicht alles. Hinzu kam das Gemeinschaftserlebnis: Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Einrichtungen und Verbänden "in ungewöhnlicher Mission" zu erleben - so etwas bleibt haften. "Niemand erinnert sich an die Termine der letzten Tariferhöhungen, aber jeder an den Tag, als man gemeinsam im Stadion war", weiß Vorstand Patrick Wilk.

Eine Band mit Chor bei ihrem Auftritt im Club 'Capitol' auf der 'Pflege-Gala' am 12. Mai 2019 in PaderbornParty statt Nachtschicht: Zum diesjährigen Tag der Pflege schlossen sich 13 Träger der Gesundheits- und Altenhilfe im Kreis Paderborn zusammen, um eine „Pflege-Gala“ in angesagter Location zu organisieren – 600 Pflegekräfte wollten dabei sein.Karl-Martin Flüter

"Klotzen statt kleckern", hieß es dann auch im Mai 2019. 13 Träger der Alten- und Krankenpflege legten zum Tag der Pflege zusammen und organisierten eine rauschende Party-Gala im "Capitol", einer der ersten Clubadressen der Stadt. Per ganzseitiger Anzeige in der Tageszeitung wurde das Event öffentlich kommuniziert; das Presse-Echo war entsprechend, immerhin 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollten bei dieser Gala dabei sein: "Party statt Nachtschicht" oder "Die Pflege tanzt", so lauteten die Schlagzeilen in vielen Medien.

Noch lasse sich nicht abschätzen, so Patrick Wilk, was solche Aktionen brächten. Langfristig sollen sie helfen, so die Hoffnung, Pflege aus dem düsteren Tal eines defizitorientierten Images zu führen. Das gehe, so Wilk, am ehesten über die persönliche Kommunikation: Wer in der Pflege arbeitet, ist selbst der beste Botschafter für seinen Job. Und wenn der in der Öffentlichkeit ein cooles Image hat, funktioniert das umso besser.

www.caritas-pb.de



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Hilfsbereit sein und Spaß am Miteinander haben

Porträt: Dr. Kemal ErarslanDr. Kemal Erarslan ist Leiter der Abteilung Personal und Arbeitsrecht in der Contilia Gruppe. Die Contilia Gruppe ist ein Unternehmensverbund mit Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen, ambulanten Diensten, Ärztehäusern, Präventions-, Früherkennungs- und Rehabilitationseinrichtungen mit rund 7200 Mitarbeitenden.Contilia

Caritas in NRW: Welche Voraussetzungen sollte ich mitbringen, wenn ich in einem Haus der Contilia Gruppe eine Ausbildung in der Pflege machen möchte?

Dr. Kemal Erarslan: Formal braucht es erst einmal nur einen Schulabschluss. Aber da einen jeder Pflegeberuf sehr nah mit anderen Menschen zusammenbringt, sollte eine Pflegekraft natürlich Spaß am Miteinander empfinden und Freude daran haben, anderen Menschen zu helfen.

Caritas in NRW: Sind bei der Contilia unterschiedliche Tätigkeitsfelder für examinierte Pflegefach­frauen/ -männer und akademisch qualifizierte Pflegekräfte vorgesehen?

Dr. Kemal Erarslan: Bestimmte Tätigkeiten wie Wundmanagement, Palliativversorgung oder die Steuerung besonders komplexer Pflegesituationen brauchen eine weitergehende Qualifizierung. Diese Qualifizierung kann oft durch unser unternehmenseigenes Bildungsangebot erworben werden. Ein Studium ist dabei eine von mehreren Alternativen, die zum Ziel führen können.

Caritas in NRW: Wie sieht die Karriereplanung für Pflegefachkräfte aus, welche Entwicklungschancen bietet die Contilia?

Dr. Kemal Erarslan: Ich störe mich ein wenig an dem Begriff Karriereplanung, weil er so klingt, als gäbe es nur eine Richtung. Ich finde Zukunftsplanung treffender. Wichtig ist, dass unsere Pflegekräfte allein durch die Größe des Unternehmens alle Möglichkeiten der Entwicklung besitzen. Das umfasst die Durchlässigkeit in andere Fachbereiche, an andere Standorte in andere Rollen und natürlich auch in andere Arbeitszeitmodelle.

Caritas in NRW: Was macht einen Arbeitsplatz in der Pflege bei der Contilia besonders attraktiv?

Dr. Kemal Erarslan: Dass es dem Grunde nach in einem so starken Verbund nichts gibt, was es nicht gibt. Das macht die Arbeitsplätze abwechslungsreich. Außerdem kann die Contilia zwar auf eine lange Tradition zurückblicken, dennoch ist sie ein relativ junges Unternehmen mit viel Lebensfreude. Das ergibt eine attraktive Mischung zwischen sicheren Arbeitsplätzen in Einrichtungen mit Top-Qualität und einer Unternehmenskultur, die von Neugier und einem großen Gestaltungswillen geprägt wird.

Caritas in NRW: Gibt es Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Dr. Kemal Erarslan: Selbstverständlich. Schließlich gehören zur Contilia neben unseren Krankenhäusern auch Kindertagestätten, ambulante Pflegedienste und Seniorenstifte. Es geht bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nämlich nicht immer "nur" um die Betreuung der Kinder, sondern zunehmend auch um die gute Versorgung der Eltern. Deshalb gehört neben der Unterstützung bei der Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeitmodellen und einer verlässlichen langfristigen Dienstplanung auch Eldercare zu unseren Angeboten.

Caritas in NRW: Welche Maßnahmen werden getroffen, um die Mitarbeiter im Gesundheitswesen selbst gesund zu erhalten?

Dr. Kemal Erarslan: Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe, der Friseur ungeschnittene Haare und die Pflegekräfte achten nicht auf Ihre Gesundheit - das war früher vielleicht einmal so. Heute steht die Gesundheit bzw. die Gesunderhaltung der Pflegekräfte im Mittelpunkt zahlreicher Maßnahmen. Unsere Betriebsmedizin sorgt z. B. für hochwertige Impfberatung, Grippeschutz und Arbeitsplatzuntersuchungen. Zusammen Sport machen ist nicht nur gut für das Herz-Kreislaufsystem, sondern auch für ein kollegiales Miteinander. Deswegen legen wir großen Wert auf unsere Betriebssportangebote. Und weil Gesundheit nicht immer nur etwas mit dem Körper zu tun hat, gehören für uns auch regelmäßige Mitarbeitergespräche zu den Gesunderhaltungsmaßnahmen. Aber das sind jetzt nur ein paar Beispiele.

Caritas in NRW: Was wird für Mitarbeiter 50+ getan, damit diese der Arbeitsbelastung bis zum Renteneintritts­alter gewachsen sind, anstatt frühzeitig auszuscheiden und Rentenabzüge in Kauf nehmen zu müssen?

Dr. Kemal Erarslan: Das Arbeiten in altersgemischten Teams, der Einsatz von ganz vielen Hilfsmitteln z. B. für die Lagerung, eine großzügige Ausstattung und zahlreiche Kurse, wie man angemessen mit den besonderen Anforderungen umgeht - das sind Maßnahmen, die Pflegekräften 50+ vielleicht in besonderem Maß zu Gute kommen, die aber natürlich allen helfen. Deshalb möchte ich noch auf das Mitarbeitergespräch hinweisen. Hier werden die speziellen Bedürfnisse besprochen und in individuelle Maßnahmen umgesetzt - das könnte dann zum Beispiel auch ein Teilzeitangebot sein.

Das Interview führte Cordula Spangenberg.

www.contilia.de



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Trainee-Projekt: Führung will gelernt sein

Karl Döring steht in einem Büro und bekommt von einer Mitarbeiterin ein kleines Präsent überreicht. Eine andere Mitarbeiterin steht neben ihr, eine weitere sitzt an einem Schreibtisch.Vorstand Karl Döring ist hochzufrieden: Franziska Hofmann wird weiterhin als Assistentin des Bereichsleiters der stationären Altenhilfe arbeiten, für Jeanette Niehsen ist der künftige Stellenzuschnitt noch nicht endgültig bestimmt, Katrin Schulte wechselt als Stellvertreterin der Leiterin ins Gerebernus-Haus nach Sonsbeck (v. l.).Harald Westbeld

Der erste Probelauf ist abgeschlossen und wird jetzt evaluiert. Gleich drei von den fünf Plätzen hat die ­Caritas Geldern-Kevelaer besetzt, um den anstehenden ­Generationswechsel zu stemmen. Vorstand Karl Döring ist "hochzufrieden".

Jeanette Niehsen (34) bringt einige Jahre Erfahrung als examinierte Krankenschwester ein, Katrin Schulte (36) hat 13 Jahre als Physiotherapeutin gearbeitet und Franziska Hofmann im Verband selbst eine Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen durchlaufen. Gemeinsam haben sie an der Hochschule Niederrhein Health-Care-Management studiert. Praktische Vorerfahrungen sind keine Voraussetzung, das Studium - ob abgeschlossen oder noch auf dem Weg - schon.

Aber natürlich ist das schon von Vorteil für das Trainee-Jahr, das mit vielen weiteren Erfahrungen auf die künftige Leitungsrolle vorbereiten soll. "Früher kamen die Hausleitungen in der Regel aus der Pflege und haben sich in Management fortgebildet", erklärt Gelderns Vorstand Karl ­Döring. Heute sei das Bewusstsein gewachsen, dass "man Führung lernen und damit auch Verantwortung für das Ergebnis übernehmen muss".

Verantwortung für ein eigenes Projekt

Ein breites theoretisches Wissen bekomme man im Studium schon mit, sagt Jeanette Niehsen, aber die Frage sei, wie man es in der Praxis anwenden könne. Als Trainee "dürfen wir die ersten Erfahrungen unter Kontrolle machen". Dafür gibt es praktische Anleitung in großer Bandbreite. Die ersten vier Monate waren die drei im stationären Bereich eingesetzt. Seitdem geht es im 2- bis 6-Wochen-Takt durch weitere Arbeitsfelder wie ambulante Pflege, Tagespflege oder Qualitätsmanagement.

Übergreifend für alle fünf Trainees, neben Geldern in Münster und Steinfurt, gehören zehn gemeinsame Schulungs- und Reflexionstage dazu. Jeder Trainee übernimmt zudem Verantwortung für ein eigenes Projekt. Katrin Schulte beispielsweise hat das neue Qualitätsprüfungssystem in den neun Altenheimen des Verbandes eingeführt, Franziska Hofmann hat eine zentrale Beratungs- und Vermittlungsstelle für Pflegeleistungen entwickelt, Jeanette Niehsen wird in den stationären Einrichtungen die digitale Pflegedokumentation umsetzen. Karl Döring ist froh über die zusätzlichen Ressourcen, die sie einbringen.

Das Trainee-Programm sieht Döring als "gute Investition". Er will nach der guten Erfahrung gerne weitere Trainees einstellen. "Wir machen das aber nur, wenn wir sie behalten wollen", ist für den Vorstand klar. Bedarf an Führungskräftenachwuchs gibt es in den kommenden Jahren jedenfalls reichlich. In zwei weiteren Altenheimen steht der Generationswechsel an, zwei Tagespflegen sind zu besetzen und möglicherweise noch eine neue Kurzzeitpflege.

Der erfolgreiche Start hat Interesse geweckt. Das Trainee-Programm soll - eine positiv ausfallende Evaluation und die weitere Finanzierung vorausgesetzt - in einem zweiten Durchlauf auf neun Plätze fast verdoppelt werden. Anfragen nach mehr gibt es bundesweit.



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Pflege ist komplex, und sie wird noch viel komplexer

Ein Senior blickt sitzend in einen Handspiegel, eine Pflegerin steht lächelnd danebenBarbara Bechtloff

Caritas in NRW: Ab 2020 sollen alle Auszubildenden der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege zwei Jahre lang eine gemeinsame Ausbildung, die sogenannte generalistische Ausbildung, erhalten. Was das konkret für die Auszubildenden, aber auch für die Schulen und die Einrichtungen bedeutet, erklärt die Schulleiterin Menka Berres-Förster.

Menka Berres-Förster: Ich habe parallel zu meiner Arbeit als Krankenschwester in einem Krankenhaus der ctw als Honorardozentin unterrichtet. Irgendwann hat man mich gefragt, ob ich hierhin an die Schule wechseln möchte. Ich habe dann ein Studium der Pflegepädagogik begonnen. Das war berufsbegleitend, das habe ich für mich gemacht und selber finanziert. Später habe ich noch Schulmanagement studiert, weil es Voraussetzung für meine heutige Tätigkeit war. Seit 2012 leite ich die Schule. Mir ist es aber schwergefallen, aus der Pflege ganz herauszugehen. Dadurch aber, dass wir als Schule die Schüler auch in der Praxis begleiten, sehe ich immer noch die Pflege. Ich gehe zuweilen auch in verschiedene Bereiche, um zu hospitieren. Ein, zwei Tage arbeite ich dann mit. Das machen aber auch andere Kollegen aus unserem Team. Da bekommen wir mit, was in der Pflege gemacht wird und wie sie sich verändert. Denn das, was in der Pflege zu tun ist, verändert sich rasant. Zudem bekommen wir den Alltag unserer Schüler auf Station mit.

Caritas in NRW: Was bedeutet generalistische Pflegeausbildung?

Menka Berres-Förster: Die generalistische Ausbildung befähigt zur Pflege von Menschen aller Altersstufen in allen Versorgungsbereichen. Sie verbindet Elemente der Alten-, Kinderkranken- und Krankenpflege, aber nicht nach dem Motto "Aus drei mach eins". Sie führt zu einem neuen, modernen Pflegeberuf und einem in Europa anerkannten Abschluss  Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann.

Caritas in NRW: Bisher war es so: Ein Auszubildender bewirbt sich in einem Pflegeheim, bei einem Pflegedienst oder im Krankenhaus um eine Ausbildung zum Altenpfleger bzw. zum Krankenpfleger. Die Einrichtung oder der Dienst stellt ihn an, diese sind dann die Praxisorte für den Auszubildenden, der den theoretischen Teil in einer Altenpflege- bzw. Krankenpflegeschule absolviert. Wie ist es in der Generalistik?

Menka Berres-Förster: Die praktische Ausbildung erfolgt auch nach der neuen Ordnung zum überwiegenden Teil bei dem Träger, mit dem der Auszubildende den Ausbildungsvertrag geschlossen hat. Für die Pflichteinsätze in anderen Versorgungsbereichen gibt es Kooperationspartner. Schulen und Praxisstellen vereinbaren, wer die Einsätze koordiniert. Ich denke, dass überwiegend die Schulen diese Aufgabe übernehmen werden. Die theoretische Ausbildung erfolgt in der Pflegeschule. Alle Auszubildenden starten generalistisch. Diejenigen, die stationäre oder ambulante Langzeitpflege bzw. Pädiatrie als Vertiefungsbereich im Vertrag haben, können - müssen aber nicht - nach zwei Jahren den Abschluss Altenpflege bzw. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege wählen. Diese beiden Abschlüsse sind in Europa jedoch nicht automatisch anerkannt. Wer von seiner Wahlmöglichkeit keinen Gebrauch macht, macht den generalistischen Abschluss. Er ist europäisch anerkannt, qualifiziert für alle Altersstufen und alle Settings. Damit stehen den Absolventen alle Wege offen.

Caritas in NRW: Gehen wir einmal von folgendem Fall aus: Jemand bewirbt sich für die generalistische Ausbildung in einem Krankenhaus. Im dritten Lehrjahr kommt er plötzlich auf die Idee: Nein, Krankenhaus ist doch nichts für mich, ich möchte in die Altenpflege. Das Krankenhaus hat in ihn investiert, verliert eine potentielle Arbeitskraft. Was nun?

Menka Berres-Förster: Das kann passieren. Der Auszubildende kann dann den Träger der Ausbildung wechseln und sich in einem Seniorenpflegeheim bewerben. So hat er in der Praxis die Altenpflege, die ihm gefällt. Er macht dann trotzdem den generalistischen Abschluss und ist später im Beruf für alle Bereiche qualifiziert. Ich finde es wichtig, dass solche Wechsel von der Schule gut begleitet werden, damit die Ausbildung gut gelingt.

Caritas in NRW: Verlangt die Generalistik nicht von allen Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität?

Menka Berres-Förster: Absolut. Der Betrieb, z. B. das Altenpflegeheim, sorgt für Praxisanleitung der Auszubildenden, aber auch dafür, dass die Auszubildenden alle vorgeschriebenen Einsätze absolvieren. Der eigene Azubi ist eventuell im externen Einsatz der ambulanten Pflege, dafür kommt - wenn es gut organisiert ist - ein Azubi z. B. aus dem Krankenhaus. Dieser ist ganz neu in der Einrichtung, hat noch nie in einem Heim gearbeitet, braucht hier besondere Begleitung und Anleitung. Die Schule koordiniert die Einsätze, besucht die Azubis in der Praxis, kommuniziert mit den Trägern und Kooperationspartnern. Natürlich müssen sich alle flexibel zeigen. Ich finde es wichtig, dass Schule und Betriebe die gleiche Haltung zu Ausbildung und Pflege haben und auf Augenhöhe kooperieren. Dann kann auch gute Ausbildung gelingen.

Foto: Menka Berres-FörsterMenka Berres-Förster leitet das Pflegebildungszentrum am St. Marien-Hospital, Düren. Dort werden in drei Abteilungen mit insgesamt 210 Plätzen Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegekräfte ausgebildet.© St. Marien-Hospital

Caritas in NRW: Als Sie zum ersten Mal gehört haben, dass der Pflegeberuf hin zur Generalistik reformiert werden soll, was haben Sie da gedacht?

Menka Berres-Förster: Hurra! (lacht). Aber das ist schon lange her. Zwanzig Jahre etwa. Da war ich gerade fünf Jahre im Beruf. Schon als junge Krankenschwester in der Intensivstation hatte ich Kontakt zur Altenpflege- und zur Kinderkrankenpflegeausbildung. Und schon damals hatte ich das Gefühl, dass es eine Prestige-Hierarchie in den Pflegeberufen gibt. Jeder hält sich für etwas Besseres: Kinderkrankenpflege hält sich für besser als Krankenpflege, Krankenpflege für besser als Altenpflege. Für mich war das sehr befremdlich. Ich habe mich schon immer berufspolitisch interessiert und kenne Pflege auch in anderen europäischen Ländern. Sie ist überall generalistisch ausgerichtet. Das Medizinstudium ist generalistisch ausgerichtet. Überall lernt man einen Grundberuf Pflege oder Medizin, und später geht man einen Weg, der eher in die Kinderheilkunde oder in die Geriatrie geht. Ich hatte das Gefühl, dass in Deutschland die Altenpflege einen deutlich schlechteren Ruf hatte als anderswo, aber eigentlich eine ganz tolle Arbeit verrichtet. Sie findet nicht die Anerkennung, die sie eigentlich verdient. Und wenn wir diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Altenpflege heute im Jahr 2019 nicht verstehen, wann bitte dann?

Caritas in NRW: Warum, glauben sie, hat die Altenpflege so einen schlechten Ruf?

Menka Berres-Förster: Meine persönliche Meinung ist: Es ist für uns alle in der Gesellschaft schwer, in das Alter hineinzublicken. Jeder für sich muss einmal dort hinblicken. Und jeder wird eigene Bilder im Kopf haben, wie sein eigenes Alter sein wird. Das muss man erst einmal für sich verarbeiten. Wenn wir Kinder pflegen, ist das durch unsere Instinkte abgedeckt. Das ist normal. Das wir alle so alt werden und so lange leben, auch pflegebedürftig so lange leben, das ist für unsere Kultur eher etwas Neues. Es ist schwerer, mit alten Menschen, mit Sterbenden, mit Schwerstpflegebedürftigen zu arbeiten, und es ist schwer zu ertragen, dass man auch einmal so dort liegen könnte. Deshalb schauen wir da eher weg. Und die Rahmenbedingungen in der Altenpflege sind viele Jahre nicht optimal gewesen. Man dachte, als der Altenpflegeberuf in Deutschland entstand, das sei etwas für Hausfrauen, die nach der Kinderphase in den Beruf einsteigen. Damit hat man nicht so viel Professionalität verbunden. Heute ist das Wissen aus der Altersforschung und aus der Medizin so sehr in die Altenpflege eingezogen. Die Arbeit, die dort verrichtet wird, ist sehr anspruchsvoll und verdient höchste Anerkennung, finde ich.

Caritas in NRW: Ist die Pflegeberufereform auch eine Reaktion auf den Pflegenotstand?

Menka Berres-Förster: Das glaube ich nicht. Fachleute sagen schon lange, der Weg zur Generalistik müsse beschritten werden. Es war eher die Politik, die das nicht schnell umgesetzt hat.

Caritas in NRW: Wenn ich künftig die Ausbildung nach der Generalistik beginne, sind dann die Anforderungen, die an mich gestellt werden, höher als jetzt?

Menka Berres-Förster: Wenn man sich die Anlagen zum Pflegeberufegesetz und zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung anschaut, beziehen sich die Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Pflegeausbildung entwickeln sollen, auf die Steuerung des Pflegeprozesses. Organisation und Übernahme von Verantwortung für Pflegeprozesse in allen Pflegesituationen sind da die Stichworte. Das ist noch einmal einen Ticken höher als heute.

Caritas in NRW: Ist das klug? Wir können schon heute nicht genügend Fachkräfte für die Pflege gewinnen.

Menka Berres-Förster: Das Pflegeberufegesetz ist nicht nur ein Ausbildungsgesetz. Das Gesetz soll die Bevölkerung vor unsachgemäßer Pflege schützen. Insofern ist es in unserem Interesse, dass diejenigen, die wir Fachkräfte nennen, so gut ausgebildet sind, dass wir all die anderen, die wir noch in der Pflege brauchen - Hilfskräfte, ausländische Fachkräfte, vielleicht auch Roboter -, managen und organisieren können. Man muss für diese Heterogenität Verantwortung übernehmen können. Und dafür muss man eine starke Ausbildung haben. Was Sie ansprechen, ist ja die Frage nach einem abgesenkten Niveau. Das ist etwas für die Assistentenausbildung. Also: die Assistentenausbildung öffnen und bitte für alle nach oben öffnen, dass man sich im Beruf entwickeln kann. Aber das Niveau abzusenken ist der falsche Weg. Die Pflege ist komplex, und sie wird noch viel komplexer. Wenn wir gut gepflegt werden wollen, brauchen wir Leute, die top sind. Da geht es nicht nur um Körperpflege. Es geht um den Überblick in Krisensituationen. Es geht darum, Pflege anordnen zu können, und auch darum, zu überprüfen, ob die getroffenen Pflegemaßnahmen richtig durchgeführt sind.

Menka Berres-Förster, die neben dem Eingangsschild des Pflegebildungszentrums am St. Marien-Hospital in Düren stehtChristian Heidrich

Caritas in NRW: Welche Erwartungen verbinden Sie mit der Pflegeberufereform für die Pflege?

Menka Berres-Förster: Meine große Hoffnung ist, dass die Settings, die wir schon heute in der Pflege haben - Pflege im Krankenhaus, im Heim, zu Hause - in der Ausbildung angemessen abgebildet werden und alle Schüler alle Settings kennen. Dann hört es auch auf, dass man sagt: die im Altenheim oder die im Krankenhaus. Dann wird es auch jeder Fachkraft später leichter fallen zu verstehen, wenn mein Patient vom Heim kommt oder ins Heim geht, was ihn da erwartet und was wir heute schon in der Klinik machen müssen, damit es im Heim gut funktioniert. Das Versäulte, die Settings, die nebeneinanderstehen, sind auch gesamtgesellschaftlich sehr ungünstig. Die Menschen, die in den Systemen arbeiten, müssen von der Arbeit der anderen wissen.

Caritas in NRW: Sie sagten, die Pflegeberufereform diene nicht dazu, den Pflegenotstand zu beseitigen. Aber könnte sie nicht durch die Hintertür, dass der Pflegeberuf aufgewertet wird, dazu dienen, dass mehr Menschen in die Pflege gehen?

Menka Berres-Förster: Das kann ich mir schon vorstellen. Denn die Berufsanfänger wissen: Wenn ich diesen Beruf erlernt habe, kann ich in Deutschland und in Europa in jedem Krankenhaus, jedem Pflegeheim, jedem ambulanten Pflegedienst arbeiten. Ich bin qualifiziert. Das ist eine große Freiheit. Und das macht den Beruf dann auch attraktiv für junge Leute.

Caritas in NRW: Pflegekräfte beklagen, sie hätten keine Zeit mehr für die Patienten oder Bewohner. Wird sich daran etwas verändern?

Menka Berres-Förster: Nicht durch diese Pflegeausbildungsreform alleine. Dafür braucht es mehr, eigentlich einen Masterplan. Aktuell gibt es vor der Regierung die Konzertierte Aktion Pflege. Genauso, wie wir jetzt über den Klimawandel diskutieren, müssen wir über die Pflege sprechen. Was heißt das für die Gesellschaft, wenn wir alle älter werden, pflegebedürftiger werden, jetzt mit Erkrankungen alt werden, die noch vor Jahren tödlich waren? Was wollen wir? Was kostet das? Und wie kriegen wir es hin? Das ist eigentlich recht einfach, aber von nichts kommt nichts. Eine Antwort auf diese Fragen gibt es nicht zum Nulltarif. Ich meine: Wir sollten ordentlich Geld in die Hand nehmen, damit es in der Pflege spürbar besser wird.

Caritas in NRW: Das Pflegebildungszentrum am St. Marien-Hospital in Düren hat drei Abteilungen, eine für Altenpflege, eine für Krankenpflege, eine für Kinderkrankenpflege. Ist in diesem Haus schon das vorweggenommen worden, was da kommt?

Menka Berres-Förster: Ja. Das war auch der Wunsch des Trägers. Ursprünglich waren es drei Schulen, dann wurden zwei daraus mit drei Schulleitungen. Und jeder Bereich hat ja ein enormes Wissen. Dieses nicht für alle nutzbar zu machen, ist eigentlich nicht hinnehmbar. Der Träger hat gesagt: Die Institution muss entwickelt werden. 2009 haben wir mit einem Schulentwicklungsprozess begonnen und haben die Schulen organisatorisch fusioniert. Auch haben wir mit fachbereichsübergreifender Unterrichtsentwicklung begonnen. Mittlerweile unterrichtet jeder Lehrer und jede Lehrerin in der Kinderkrankenpflege, Krankenpflege und Altenpflege. Jeder kennt die Bereiche, die Praxis, die Curricula. Man könnte es so sagen: Wer in den vergangenen zehn Jahren hier auf der Schule war, wurde schon ein wenig generalistisch ausgebildet, zumindest in der Theorie.

Caritas in NRW: Welche Rückmeldungen hören sie?

Menka Berres-Förster: Die Schüler finden das gut, weil sie in Kontakt treten mit anderen Berufen aus der Pflege. Man baut Vorurteile ab. Man tauscht sich fachlich aus. Die aus dem Altenheim sagen: Dass ihr das im Krankenhaus macht, hätten wir nicht gedacht. Die im Krankenhaus sagen: Oh, das macht ihr im Altenheim? Es gab quasi so ein heimliches generalistisches Curriculum hinter allem, was wir gemacht haben. Das Wissen von und über Pflege als eigenständige Disziplin, die überall stattfindet, sollte überallhin gelangen. Das war die Idee.

Caritas in NRW: Es gibt Befürchtungen z. B. bei Arbeitgebern in der Altenpflege, dass die Bewerberzahlen zurückgehen werden oder dass das Profil der Altenpflege als sozialpflegerischer Beruf verschwinde. Halten Sie diese Befürchtungen für gerechtfertigt?

Menka Berres-Förster: Die Befürchtungen, dass die Bewerberzahlen zurückgehen werden, teile ich. Das liegt aber nicht an der Generalistik. Das liegt daran, dass die Zahl der Schulabgänger zurückgeht. Das ist eine Auswirkung des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels in anderen Berufen. Zum Profil der Altenpflege kann ich nur sagen, dass es sich weiterentwickelt hat. Das geht heute deutlich über das Sozialpflegerische hinaus. Im Pflegeheim leben heute auch jüngere Menschen, die manchmal sogar beatmet sind, an hochkomplexen Erkrankungen leiden. Hier muss Lebensqualität und medizinische Versorgung gelingen. Das erfordert viele Kompetenzen bei den Pflegenden.

Menka Berres-Förster sitzt an ihrem Schreibtisch und blickt in die KameraChristian Heidrich

Caritas in NRW: Das heißt aber auch, sie teilen die Befürchtung für alle Pflegeberufe.

Menka Berres-Förster: Ja, die teile ich für alle drei Pflegeberufe, die es jetzt noch gibt, weil die Pflege mit anderen Berufen konkurrieren muss. In anderen Berufen gibt es auch Fachkräftemangel, und sie bieten duales Studium an, sie bieten Auslandssemester an. Da muss die Pflege jetzt schauen: Was bieten wir an? Aber zurück zur Altenhilfe: Auch nach dem neuen Pflegeberufegesetz können Altenhilfeträger Schüler bekommen. Es ist an ihnen, sie gut auszubilden. Wenn sie mit einer guten Schule kooperieren, wenn sie gute Ausbildung in Theorie und Praxis anbieten, wenn sie gute Praxisanleitung haben, dann wird das am Ende sehr gut.

Caritas in NRW: Es heißt, die Pflegeberufereform werde den Pflegefachkräften nun eindeutig der Pflege vorbehaltene Tätigkeiten zuweisen. Was hat das für Konsequenzen?

Menka Berres-Förster: "Der Pflege vorbehaltene Tätigkeiten" heißt: Kein anderer darf diese Aufgaben übernehmen außer uns, den Pflegefachkräften. Zu diesen Tätigkeiten zählen die Erhebung des Pflegebedarfs, die Pflegeplanung, die Steuerung der Pflege, Kontrolle oder Qualitätssicherung. Ich glaube, es wird eine ganze Zeit dauern, bis wir die Folgen davon spüren werden. Schauen Sie in andere Länder. Ich habe einmal im Pflegesystem in Schweden hospitiert. Dort sind Pflegekräfte diejenigen, die sich die Durchführung der Pflege anschauen und gucken, ob es richtig läuft, die sagen, welche Lagerung der Patient jetzt braucht. Die Pflege muss die Maßnahme nicht selbst machen, aber sie muss sie anordnen und kontrollieren, ob sie durchgeführt wird und wie es dem Patienten geht. Und in Deutschland ist es noch so: Die Pflege macht alles. Die Pflegekraft auf der Station oder im Wohnbereich ist natürlich auch für die eigentlichen pflegerischen Aufgaben zuständig, aber ebenso fürs Austeilen und das Anreichen des Essens. Und bei diesen Aufgaben brauchen wir Unterstützung.

Caritas in NRW: Wenn ich mir das so anhöre, frage ich mich: Führt das nicht dazu, dass es demnächst nur noch Häuptlinge, aber keine Indianer mehr gibt?

Menka Berres-Förster: Die Indianer brauchen wir und haben wir, und wir werden sie auch weiter haben müssen. Aber wir brauchen auch noch viel mehr Hilfskräfte. Die Caritas arbeitet auch an Projekten daran. Man nennt das Skill- and Grade-Mix. Wir brauchen Leute, die verschiedene Kompetenzen haben, Fähigkeiten auf verschiedenen Niveaus. Und die Pflegekraft, die Verantwortung hat für den Pflegeprozess von 40 Personen, muss das alles steuern können. Und sie muss auch sagen können: Dieses kann eine Hilfskraft machen, jenes macht einer mit einer einjährigen Ausbildung, das kann ein Praktikant machen und dieses tut jemand, der Bundesfreiwilligendienst leistet. Und wir brauchen auch ca. zehn Prozent akademisch ausgebildeter Pflegekräfte. So kann es gelingen, dass das Wissen aus der Pflegewissenschaft schneller die Basis erreicht. Mit dem Pflegeberufegesetz ist erstmalig auch die akademische Ausbildung in der Pflege geregelt.

Caritas in NRW: Ist ein eigenes Pflegeassistenzberufsbild notwendig?

Menka Berres-Förster: Ja. Es ist die Frage, ob es eine ein- oder eine zweijährige Ausbildung wird. Aber es ist unbestritten, dass wir eine Helferausbildung brauchen und dass wir viele Helfer brauchen.

Caritas in NRW: Sie haben sicher Vorstellungen davon, wie eine Assistentenausbildung aussehen müsste.

Menka Berres-Förster: Ich wäre für eine zweijährige Assistentenausbildung. Denn auch das, was Assistenten machen müssen, ist sehr anspruchsvoll. Da braucht es schon die nötige Zeit für die Ausbildung. Ich denke auch, dass die Assistentenausbildung auch für diejenigen Schulabgänger ein Weg sein könnte, die nicht die Voraussetzung für die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft haben. Die Ausbildung sollte in jedem Falle so durchlässig sein, dass auch ein Assistent seinen Weg in der Pflege gehen kann.

Menka Berres-Förster steht an einem Pult in einem Klassenzimmer und beobachtet eine Lehrerin und einige Schüler beim UnterrichtChristian Heidrich

Caritas in NRW: Welchen Spielraum lässt das neue Gesetz der Schule bei der Gestaltung des Lehrplanes? Sie brachten eben das Stichwort Duales Studium. Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen, mit einer Hochschule zu kooperieren?

Menka Berres-Förster: Das tun wir schon und das werden wir auch unbedingt in Zukunft tun.

Caritas in NRW: Sie haben derzeit 210 Plätze. Werden sie die Anzahl der Plätze ausbauen?

Menka Berres-Förster: Ja, wir werden zunächst auf die Zielgröße von 300 Schulplätzen gehen.

Caritas in NRW: Und haben Sie schon Bewerbungen für die neue Ausbildung?

Menka Berres-Förster: Ja, und ich glaube, wir haben auch schon die erste Zusage.

Caritas in NRW: Sie dürfen jetzt das umsetzen, zu dem sie damals "hurra" geschrien haben. Wie fühlen sie sich?

Menka Berres-Förster: Ich weiß, wieviel Arbeit das sein wird. Ich habe Respekt davor. Manchmal habe ich auch schlaflose Nächte, wenn ich darüber nachdenke, was mein Team leisten muss, was die Stationen und Wohnbereiche leisten müssen, was die Praxisanleiter leisten müssen. Das ist eine enorme Herausforderung, die auf die gesamte Pflege und auf alle Pflegeschulen zukommt. Trotzdem finde ich den Weg richtig und notwendig. Ich glaube: Für das gesamte Gesundheitssystem, für die zu Pflegenden und für die Pflegenden lohnt es sich. Aber es ist gewaltig. So eine große Reform gab es, glaube ich, noch nicht in der Pflegeausbildung.

Caritas in NRW: Wenn ich am 1. September 2023 ins Krankenhaus komme, wie merke ich dann, dass ich von der ersten Generation der Pflegekräfte betreut werde, die nach der neuen Ausbildungsordnung ausgebildet wurden?

Menka Berres-Förster: Ich glaube, Sie werden Fachkräften begegnen, die viel breiter und freier ausgebildet wurden. Sie haben viel mehr gesehen. Ich stelle mir das so vor: Zu einem Krankenhauspatienten, der aus dem Pflegeheim kommt, werden die Pflegefachkräfte sagen: Ach ja, da weiß ich, wie das da ist, da weiß ich, was er braucht, dann können die Fachkräfte die Angehörigen des Patienten besser beraten. Sie werden den Patienten gut versorgen können und ein anderes Verständnis von dem System haben. Die Patienten werden auf selbstbewusste, starke Fachkräfte treffen, die auch sagen können, was realistisch ist und was nicht, die sagen können, was Pflege leisten kann und was nicht.

Caritas in NRW: Sind nicht viele Patienten bzw. Bewohner von Pflegeheimen die "klassische" Pflege gewohnt? Wie wird sich das in der Praxis einspielen?

Menka Berres-Förster: Es wird dauern. Aber das hat nichts mit der neuen Pflegeausbildung zu tun, sondern vielmehr mit der Frage, wie wir mit Neuerungen in der Pflege umgehen. Schauen Sie: Schon heute haben wir Roboter in der Pflege. Die Frage ist doch: Wie sprechen wir mit den Menschen darüber? Wie spricht die Pflege darüber? Wie positionieren wir uns als Berufsangehörige? Wir sind auch das Sprachrohr in die Bevölkerung. Die Pflege wird sich verändern. Wir müssen einen Weg finden, darüber zu kommunizieren. Die Veränderungen kommen so schnell, die Systeme aber bewegen sich eher im Tempo der griechischen Landschildkröte.

Menka Berres-Förster steht mit einem aufgeschlagenen Buch in ihrem Büro und blickt in die KameraChristian Heidrich

Caritas in NRW: Was verändert sich durch das neue Gesetz für die Schulleiterin Menka Berres-Förster?

Menka Berres-Förster: (seufzt erst, dann lacht sie) Ich werde noch mehr Arbeit haben als heute. Ich werde viel mehr im Austausch sein müssen mit Arbeitgebern, mit Trägern der Ausbildung. Für jede Schulleitung wird es ein Balanceakt sein, wenn sie möchte, dass die Träger ihre Auszubildenden in ihre Schule schicken. Wie bekommen wir es hin, dass die Pflegekräfte bei ihrer Ausbildung vor Ort und in ihrer Ausbildung in der Schule gut begleitet werden, so dass sie insgesamt eine qualitativ hochwertige Ausbildung haben? Das wird eine entscheidende Frage sein. Schule muss aber auch ein bisschen in die Zukunft schauen. Einerseits müssen wir die Pflegefachkräfte für die Gegenwart ausbilden, andererseits aber auch die Anforderungen an die Pflege der Zukunft erkennen. Ich werde kooperativer sein müssen, diplomatischer, ich werde viel Zuversicht vermitteln und wecken müssen.

Caritas in NRW: Sie leiten heute die Pflegeschule, die Sie selbst während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester bei der ctw besucht haben. Was war 1994 Ihre Motivation, sich für den Pflegeberuf zu entscheiden?

Menka Berres-Förster: Ich hatte damals schon den Eindruck, dass es ein Beruf ist, in dem ich sehr viel machen kann, in dem ich mich in viele Richtungen entwickeln kann. Mich hat zudem gereizt, mit ganz vielen Berufsgruppen, unterschiedlichen Patienten, unterschiedlichen Altersstufen zu tun zu haben. Ich hatte gedacht: Wenn ich später etwas anderes studieren möchte, ist der Pflegeberuf schon der richtige. Der Beruf war damals schon eine zukunftssichere Sache, so dass ich sicher war, mich mit diesem Beruf selbst finanzieren zu können.

Caritas in NRW: Wie konkret waren Ihre Vorstellungen von diesem Beruf?

Menka Berres-Förster: Ich hatte keine konkreten Vorstellungen, was mich in dem Beruf erwarten würde. Ich hatte damals auch kein Praktikum gemacht. Ich hatte Bilder von Pflege im Kopf. Die sind entstanden durch Gespräche in der Familie, in der Gesellschaft. Für mich war es etwas sinnstiftendes. In meiner Familie gab es niemanden, der in der Pflege tätig war.

Caritas in NRW: Und entsprach die Praxis Ihren Vorstellungen?

Menka Berres-Förster: Ich hatte es mir im Praktischen leichter vorgestellt. Im Praktischen hatte ich erwartet, dass ich viel mehr Anleitung, Begleitung haben würde. In der theoretischen Ausbildung war es so, wie ich es erwartet hatte: sehr bunt, sehr breit gefächert. Ich hatte viel zu lernen. Das hat mich gereizt. Das fand ich auch gut. Schon damals habe ich gemerkt: Pflegeschüler sind viel unterwegs und arbeiten richtig mit. Natürlich wird man angeleitet und bekommt vieles gezeigt. Aber es passiert im echten Betrieb. Das ist einerseits gut und interessant, andererseits aber auch herausfordernd.

Caritas in NRW: Sie sagten, Sie hatten die Erwartung, sich in diesem Beruf entwickeln zu können. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Menka Berres-Förster: Ja, gänzlich. Ich würde den Beruf auch noch einmal ergreifen.

Caritas in NRW: Auch unter den heutigen Umständen?

Menka Berres-Förster: Ja. Ich denke: Wenn man auch heute als junger Mensch für sich klar hat, dass man sich entwickeln möchte - und in diesem Beruf kann man es, dann stehen einem alle Wege offen. Die Rahmenbedingungen sind so, wie sie sind. Sie sind aber von Menschen gemacht, und Menschen können sie auch verändern. Und da habe ich die jungen Leute vor Augen, die in den Beruf eintreten. Auch an ihnen ist es zu benennen, was fehlt.

Caritas in NRW: Wie war die Situation in der Pflege damals im Vergleich zu heute?

Menka Berres-Förster: Es war schon eine entspanntere Arbeit. Ich habe die ersten sieben Jahre auf der Intensivstation gearbeitet. Was diverse Studien bestätigen, war auch meine persönliche Erfahrung: Die Zahl der Patienten, die man zu versorgen hatte, ist von Jahr zu Jahr gestiegen. Die Arbeitsdichte hat zugenommen. Und an diesem Punkt denke ich auch: Da braucht Pflege Unterstützung. Auch in der Zukunft. Sie braucht sie durch Helfer, durch Maschinen, durch Digitalisierung. Da können wir auch etwas machen. Wir brauchen Pflegefachkräfte, aber auch alle anderen, die in der Pflege zuarbeiten.

Caritas in NRW: Stichworte wie Pflegenotstand, Fachkräftemangel hören wir jeden Tag. Warum lohnt es sich heute für junge Menschen, einen Beruf in der Pflege zu ergreifen?

Menka Berres-Förster: Fachkräftemangel gibt es heute in allen Berufen. Das liegt an der demografischen Struktur. Der Pflegeberuf ist einer, in dem man schon ein ganzes Berufsleben bleiben kann. Von der Arbeit am Patientenbett, über Organisationsaufgaben, Weiterbildungen, Spezialisierungen, Aufstieg in der Hierarchie, bis hin zu einer Tätigkeit in der Ausbildung kann man sich sehr gut weiterentwickeln. Ich kenne kaum einen anderen Beruf, in dem man sich in so viele verschiedene Bereiche entwickeln kann. Viele Arbeitgeber unterstützen das. Auch die Politik bemüht sich, Fort- und Weiterbildung zu unterstützen. Das ist vor allem relevant vor dem Hintergrund des neuen Pflegeberufegesetzes. Wir leben in Europa, wir können in allen europäischen Ländern arbeiten. Das ist einfach spannend und in gewisser Weise auch attraktiv.

Caritas in NRW: Welche Erfahrungen können Sie den jungen Azubis aus Ihrer praktischen Tätigkeit in der Pflege vermitteln?

Menka Berres-Förster: Ich muss schon sagen, dass sich in der praktischen Tätigkeit sehr viel verändert hat. Ob ich da Erfahrungen weitergeben kann, weiß ich nicht. Mir ist vielmehr wichtig, dass ich die Schule nicht nur leite, sondern auch selber unterrichte. Ich möchte alle Settings in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege sehen. Denn ich muss wissen, wie die Uhren ticken, welche Entwicklungen es gibt. Ich glaube, dass ich den jungen Schülerinnen und Schülern aus meiner Erfahrung als Berufsangehörige viel mehr mitgeben kann. Ich kann den Beruf und seine Rahmenbedingungen beobachten. Ich kann ihnen eine gewisse Stärkung geben, wie sie Professionalität für sich entwickeln können, wie sie Dinge, die ihnen begegnen, betrachten können, wie sie sich berufspolitisch engagieren könnten, wie sie auch ihren Anteil an der Weiterentwicklung der Pflege verwirklichen können.

Caritas in NRW: Stichwort Professionalität entwickeln: Wie geht das heute?

Menka Berres-Förster: Im privaten Umfeld hört fast jeder etwas über Pflege von jemandem, der gepflegt wird oder Pflege braucht. Professionell zu handeln heißt, Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln, sodass man mit jedem Fall, der einem begegnet, arbeiten kann. Man muss also ein gewisses Repertoire an Kompetenzen haben, wie man mit Menschen arbeitet. Einerseits ist dazu Fachwissen notwendig. Andererseits ist echtes Interesse am Anderen notwendig um mit den Widersprüchen, die jeder sieht, der in die Pflege kommt, umgehen zu können: Man möchte helfen, man möchte gut seine Arbeit verrichten, man möchte auch Zeit für die Menschen haben, hat sie aber ganz oft nicht. Das auszuhalten, ohne dass der Patient oder der Pflegbedürftige darunter leidet, Pflegequalität gesichert ist, auch das ist Professionalität.

Caritas in NRW: Sie arbeiten bei einer Pflegeschule in christlicher Trägerschaft. Woran erkennt man das?

Menka Berres-Förster: Ich glaube, es steht und fällt mit den Menschen, die an solchen Schulen arbeiten und mit den Trägern dieser Schulen. Für die Trägerschaft dieser Schule kann ich sagen, dass sie den jungen Menschen immer das gegeben hat, was sie auch brauchten. Wenn wir in christlicher Trägerschaft sind, müssen wir den Schülern schon sagen: Wir kümmern uns um euch, wenn ihr Probleme in der Familien habt, wenn ihr finanzielle Engpässe habt, wenn es schwierige Lebensphasen in der dreijährigen Ausbildung gibt. Dann ist der Träger auch mit psychosozialer Beratung, mit Familienberatung da und tut konkret etwas. Das christliche Label oder jedes andere Label bliebe auch nur ein Label, würde es nicht mit Leben gefüllt.

Caritas in NRW: Der Pflegeberuf ist ein Beruf, in dem es nicht nur um Heilung geht. Sie stoßen auch an Grenzen, an Grenzen des Lebens. Hat es auch mit Professionalität etwas zu tun, mit solchen Grenzerfahrungen umgehen zu können?

Menka Berres-Förster: Ja. Das ist auch das Besondere am Pflegeberuf und an dieser Ausbildung: In keiner anderen wird man so früh in seinem Leben und so stark mit Körperlichkeit, Leid, Tod, Endlichkeit konfrontiert. In diesen Situationen verhilft den Schülern einerseits die Praxis zur Professionalität, andererseits aber auch die Schule. Sie muss in diesen drei Jahren eine Heimat sein, in der man das erlebte reflektieren kann und auch einen Rahmen findet, Dinge auszusprechen. Die Schülerinnen und Schüler sollen hier in der Schule über ihre Gefühle sprechen. Und es ist unsere Aufgabe, sie gut zu begleiten, damit sie ihre Arbeit gut machen können und sich letztendlich als Mensch gesund und stark genug für diesen Beruf zu fühlen.

Caritas in NRW: Sie wurden auch in Ihrer Ausbildung mit Situationen konfrontiert, die sie vorher nicht kannten. Wie hat das ihr persönliches Leben verändert?

Menka Berres-Förster: Wenn ich heute darüber nachdenke, wundere ich mich, wieviel man aushalten kann, wenn man so nah am Patienten arbeitet, wie in der Pflege. Es gab einige Patienten, an die ich mich heute noch erinnere, weil ihr Schicksal so schwer war. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass in solchen Situationen eine Institution wie diese Schule und die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen zum Wohl des Patienten schon etwas ist, was trägt. Das darf man nicht unterschätzen. Etwas völlig anderes ist es, wenn sie als Angehöriger pflegen. Da sind sie ganz anders involviert.

Das Interview führte Christian Heidrich.



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Etwas Sinnvolles machen

Eine Seniorin sitzt in einem Rollstuhl und hält einen Keks in der Hand. Ein FSJler kniet neben ihr und lächelt.Barbara Allebrodt

Wenn Marian Pape über seine Station im Theresienheim geht, strahlen die Augen der Frauen und Männer, die hier leben. Sie mögen den jungen Mann mit seiner freundlichen, ausgeglichenen Art. Seit fast einem Jahr unterstützt Pape die Pflegkräfte im "Wohnbereich 3" des Hauses. Am Anfang, so erinnert er sich, war er etwas schüchtern den Bewohnenden gegenüber. Doch das hat er schnell abgelegt. Während seine Aufgaben anfangs darin bestanden, Essen und Trinken zu reichen, kam er schon bald dazu, die Mitarbeitenden in der Pflege zu begleiten - und schnell auch zu unterstützen. Berührungsängste hatte er dabei nie. "Ich hatte von Anfang an keine Scheu, die Menschen anzufassen. Und das darf auch nicht sein", sagt Pape. "Die Menschen merken das und sind dann selbst schüchtern und unsicher." Heute gehört die Essensausgabe zwar immer noch zu seinen Aufgaben, doch er hilft auch dabei, die Menschen aus ihren Betten zu heben, sie zu waschen und zu versorgen.

Sinn gesucht

Der klassische Absolvent eines Freiwilligen Sozialen Jahres, kurz FSJler genannt, ist Marian Pape nicht. Mit seinen 26 Jahren hat er nach dem Hauptschulabschluss bereits eine Ausbildung zum Maler und Lackierer absolviert und einige Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel. "Die Arbeit machte mir zwar Spaß, aber ich habe mir irgendwann die Frage gestellt: Will ich das wirklich bis zur Rente durchziehen?", so Pape. Er kam für sich selbst zu dem Schluss, dass er genau das nicht wollte - und begann, über Alternativen nachzudenken. "Dann kam für mich der Gedanke hinzu: ‚Was kann ich für die Gesellschaft tun?‘", erinnert sich Pape. "Ich wollte auf jeden Fall etwas Sinnvolles machen. Nur Wände zu streichen, das reichte mir nicht."

Seine erste Idee war noch weit weg von der Pflege. "Ich hatte mir überlegt, dass ich beim Kolping-Bildungswerk jungen Menschen den Beruf des Malers und Lackierers schmackhaft machen wollte", so Marian Pape. Für eine solche Tätigkeit, so erfuhr er, hätte er jedoch zunächst Soziale Arbeit studieren und zusätzlich zu seiner Berufsausbildung eine Tätigkeit im Sozialen Dienst nachweisen müssen. So entstand die Idee, das Freiwillige Soziale Jahr zu absolvieren.

Im Theresienheim in Neuss landete er dabei eher zufällig. Klar war für ihn nur: Es sollte eine Einrichtung der Caritas sein, und das Pflegeheim, in dem es gerade einen freien Platz gab, war für ihn gut erreichbar. Aufgaben in der Pflege zu übernehmen, scheute er nicht, hatte er doch schon als Jugendlicher seine Mutter gepflegt, die an Krebs erkrankt war.

Ein FSJler räumt in einer kleinen Küche eine Spülmaschine aus und blickt dabei in die KameraAuch Aufgaben wie das Ausräumen der Spülmaschine gehören zum Arbeitsalltag von Marian Pape.Barbara Allebrodt

Humor und Tatkraft

"Viele meiner Freunde konnten nicht verstehen, dass ich mit 26 noch einmal diesen Weg gehen wollte", erzählt Marian Pape. Ein Jahr lang mit wenig Geld auskommen und ­einer ungewissen beruflichen Zukunft gegenüberstehen, das erschien den meisten wenig verlockend. "Viele haben gesagt: ‚Das ist doch dumm‘, aber ich habe mir gesagt: ‚Ich will nicht ins kalte Wasser springen und diese Möglichkeit wahrnehmen.‘" Der 26-Jährige ließ sich nicht beirren, und im November 2018 begann sein FSJ

Nachdem er das Haus ein wenig kennengelernt hatte, wurde Station 3 sein Arbeitsplatz. 29 Menschen leben hier mit unterschiedlichen Pflegegraden und unterschied­lichen Bedürfnissen. Hier lernte Marian Pape alle Facetten kennen, die die Tätigkeit als Altenpfleger mit sich bringt. "Man merkt bei Marian, dass er schon eine Ausbildung gemacht hat, dass er reifer ist als andere FSJler", sagt Wohnbereichsleiter Michael Breuer, Papes Vorgesetzter. "Wenn man ihm eine Aufgabe überträgt, erledigt er sie sofort sehr gewissenhaft - ohne zu meckern. Er ergreift selbst die Initiative, sieht Arbeiten, die zu erledigen sind, und hat tadellose Umgangsformen", fügt er hinzu. Fast noch wichtiger aber findet Breuer: "Er ist freundlich und humorvoll im Umgang mit den Menschen. Man muss in unserem Beruf auch mal lachen können, das ist immens wichtig."

Gewinn für beide Seiten

Mit seinem "Teamer", dem Betreuer beim Seminar für Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres, das Marian Pape regelmäßig besuchen musste, besprach er, wohin sein Weg ihn weiter führen sollte. Und schon bald stand die Erkenntnis: "Ich möchte eine Ausbildung zum Altenpfleger machen!" Im Theresienheim war man gern bereit, ihm das zu ermöglichen. Die Zusage der Schule, ihn anzunehmen, machte die Vereinbarung perfekt: Im Oktober tritt Marian Pape seine Ausbildung zum Altenpfleger an.

Für ihn war die Orientierungsphase, die das Freiwillige Soziale Jahr ihm geboten hat, ein großer Gewinn. Eine Chance aber vor allem auch, weil man ihm im Theresienheim viele Möglichkeiten eröffnete. "Ich habe von Absolventen aus anderen Einrichtungen gehört, die gerade einmal den Müll rausbringen durften", erzählt Pape. Für Wohnbereichsleiter Michael Breuer sind das vertane Chancen. "Das Freiwillige Soziale Jahr kann ein gutes Instrument sein, um junge Menschen für die Pflege zu begeistern. Dazu gehört aber, dass man die jungen Menschen nicht ausnutzt, sondern ihnen ein positives Bild des Berufes vermittelt", sagt Breuer. Eine Strategie, die bei Marian Pape aufgegangen ist - und einen Gewinn für beide Seiten gebracht hat.

E-Mail: theresienheim@caritas-neuss.de

Informationen und Kontaktdaten zum FSJ finden Sie hier.



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Die Zahlen steigen weiter

Ein Schaubild, mit der Anzahl der deutschlandweiten Pflegekräfte und der Aufteilung in die Bereiche Alten- und Krankenpflege. Die Zahl zur Altenpflege wird zusätzlich nach Qualifikation unterteilt.

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"Ich arbeite gern in der Pflege, weil ..."

Porträt: Sandra KesselFoto: Georg Balsen

Sandra Kessel (24)

Altenpflegerin im Paulus-Stift des Caritasverbandes für die Region Kempen-Viersen:

"Die Altenpflege ist ein unglaublich abwechslungsreicher Beruf, der mir ständig Herausforderungen und viele Möglichkeiten zur Weiterbildung bietet. So habe ich mich nach meiner Ausbildung bereits zur Praxisanleiterin qualifiziert. Es erfüllt mich, die Bewohnerinnen und Bewohner in unserem Altenheim zu begleiten. Ich möchte nichts anderes mehr machen."



Porträt: Marco FiekersFoto: Georg Balsen

Marco Fiekers (23)

Auszubildender in der Caritas-Pflegestation Viersen:

"Meine Mutter hat mich auf die Pflege aufmerksam gemacht, und nach einem Praktikum wusste ich: Das ist mein Traumberuf. Es ist einfach großartig, zu erleben, wenn Patienten sich öffnen. Das Schönste ist, wenn ein alter Mensch lange nicht gelacht hat und sich nicht freuen konnte und man das gemeinsam ändert, sodass er wieder lächeln kann."




Porträt: Luisa de GraatFoto: Georg Balsen

Luisa de Graat (50)

Wohnbereichsleiterin im Caritaszentrum Giesenkirchen des Caritasverbandes Region Mönchengladbach:

"Es macht mir einfach Freude, Menschen zu helfen, die Bewohnerinnen und Bewohner in unserem Altenheim zu unterstützen und in einem tollen Team zu arbeiten. Die Menschen, die im Caritaszentrum Giesenkirchen leben und arbeiten, sind für mich zu meiner zweiten Familie geworden."




Porträt: Celina KoxFoto: Georg Balsen

Celina Kox (34)

Altenpflegerin im Caritas-Pflegedienst Mönchengladbach/Korschenbroich:

"Ich arbeite sehr gerne in der ambulanten Pflege und schätze es, dass hier wirklich der Mensch im Mittelpunkt steht: Ich muss nicht zehn Dinge gleichzeitig tun, sondern kann mich voll auf jeden Patienten konzentrieren. Und als Mutter einer 13 Monate alten Tochter weiß ich: Der Beruf lässt sich gut mit der Familie vereinbaren. Beispielsweise konnte ich während der Stillzeit auf Teildienste umstellen."



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Würde und Stolz erhalten

Porträt: Hedwig DeppeHedwig Deppe lebt ihren Beruf in der Altenhilfe mit Leib und Seele, Erfahrung und Sachkenntnis. Sie ist seit 27 Jahren Altenpflegerin und vor 32 Jahren aus Polen übergesiedelt. Sie ist Pflegedienstleiterin im Katholischen Altenzentrum St. Josefshaus in Witten-Herbede und durch zahlreiche Weiterbildungen hoch qualifiziert.Walter Fischer

Wenn es um Pflegepolitik geht, wird Hedwig Deppe energisch. Statt über die Köpfe der Pflege-Profis hinweg zu entscheiden, sollten die politischen Entscheider sich lieber bei Pflegekräften aus der Praxis aus erster Hand über die Arbeitsbedingungen informieren lassen, meint die Pflegedienstleiterin des Katholischen Altenzentrums St. Josefshaus in Witten-Herbede. Einerseits wünscht Deppe sich Kolleginnen und Kollegen mit dem Herzen am rechten Fleck und hohen Qualitätsansprüchen an die eigene Tätigkeit. Andererseits erwartet sie von der Politik handfeste Bemühungen darum, die Bedingungen des Pflegeberufes attraktiver zu machen, damit auch junge Eltern oder ältere Arbeitnehmer in diesem Beruf glücklich werden können: etwa durch die Möglichkeit rücksichtsvoller Personalplanung, flexible Arbeitszeiten und entzerrte ­Wochenenddienste. Vor allem aber, so Deppe, brauchten Pflegekräfte mehr Zeit für das, was ihre Arbeit empathisch und befriedigend mache: Zeit für aktivierende Pflege etwa und planbare Zeit für Gespräche mit Bewohnern und Angehörigen.

Hedwig Deppe weiß, wovon sie spricht. Vor 27 Jahren hat sie sich für ihren Beruf entschieden und ist mit wachsender Begeisterung rasch aufgestiegen zur Wohnbereichsleitung, zur Fachkraft für Gerontopsychiatrie und Palliativpflege bis hin zur Pflegedienstleitung. Das Wittener St. Josefshaus bietet 80 stationäre Plätze und hat sein Angebot kürzlich um einen ambulanten Pflegedienst ergänzt.

Dass Altenpflegeheime in den Medien oft als letzte Station dargestellt werden, an der man resigniert auf das Sterben wartet, ärgert Deppe als engagierte Fachfrau. Aus ihrer Sicht wird in den Häusern ein Stück Lebenszeit gestaltet, unabhängig davon, ob ein Mensch noch leistungsfähig ist, ob der Tod schon nah oder noch fern ist: "Jeder soll hier mit Würde und Stolz wohnen können, auch wenn er alt und gebrechlich ist und vielleicht Pflege braucht, die seine bisherigen Schamgrenzen überschreitet", ist Deppes Anspruch, "die Menschen schenken uns großes Vertrauen. Das dürfen wir nicht enttäuschen."

Besonders hat es ihr eine Aufgabe angetan, vor der viele andere zurückschrecken: die Sorge für demenzkranke Senioren, die ­besonders viel Einfühlung brauchen. "Wenn ich erspürt habe, was ein demenzkranker Mensch braucht, der sich nicht mehr äußern kann, und ich zum Dank sein Lächeln bekomme - das ist das Schöne am Pflegeberuf." Für diese unscheinbaren, aber hochwichtigen Aufgaben brauche man nicht unbedingt eine Ausbildung zur Pflegefachkraft; eine Helferqualifikation reiche, der Nutzen sei immens und die Freude an den Erfolgen des eigenen Tuns auch: "Mit freundlicher Zuwendung und Akzeptanz erreichen wir beim Demenzkranken, was Tab­letten nicht bewirken können."



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"Jetzt sind alle gefordert!"

Ein Senior sitzt in einem Essraum an einem Tisch und ist lächelnd eine Suppe. Eine junge Pflegerin steht neben im und lächelt ebenfalls."Die Pflege ist ein abwechslungsreicher Beruf mit Karrierechancen."Barbara Bechtloff

Caritas in NRW: Was kann getan werden, um die Versorgungssituation in der Pflege sicherzustellen?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Vor allem müssen wir endlich mit dem Denken in kleinen tradierten Kästchen aufhören. Eine hochwertige, flächendeckende Versorgung werden wir nur dann dauerhaft sicherstellen können, wenn wir die Prozesse, Aufgaben und Zusammenarbeit zwischen den Berufen und Bereichen neu justieren. Interprofessionelles Teamwork in der Praxis und in der Ausbildung, Digitalisierung und Vernetzung, aber natürlich auch ausreichend professionelle Pflegekräfte sind wichtige Schlüssel dazu.

Caritas in NRW: Schon jetzt fehlen bis zu 50000 Pflegekräfte bundesweit. Schaut man sich die Bevölkerungsentwicklung an, ist klar, dass der Bedarf an Pflege- und Betreuungskräften noch ungefähr 30 Jahre lang weiter steigen wird. Wer soll das leisten?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Der Fachkräftemangel ist und bleibt ein vordringliches Thema. Wir haben auch mit der Pflegeberufereform wichtige Weichen gestellt, um Pflegefachfrauen und -männern ein modernes Berufsbild mit umfangreichen Entwicklungsmöglichkeiten bieten zu können. Und in der Konzertierten Aktion Pflege haben alle Beteiligten ein riesiges Bündel an Maßnahmen verabredet, um z. B. zeitgemäße Arbeitsbedingungen und faire Löhne sicherzustellen. Ich werde sehr darauf achten, dass alle ihre Zusagen auch einhalten.

Aber bei allem berechtigten Bemühen um die professionelle Pflege sollten wir den großen Bereich der häuslichen Pflege nicht vergessen. Drei Viertel der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement müssen in der Pflege ebenfalls ­einen neuen Platz finden: als fester Bestandteil und nicht nur als Add-on.

Caritas in NRW: Halten Sie es nicht für illusorisch in der heutigen Arbeitswelt (lange Wege, geforderte Flexibilität, unsichere Erwerbsbiografien), dass Arbeitnehmer nach Feierabend auch noch Zeit, Kraft und Lust haben, in der Nachbarschaft (im Quartier) ehrenamtlich Pflege- und Betreuungsdienste zu leisten?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie wir mit Pflegebedürftigkeit umgehen wollen. Einsamkeit im Alter und bei Pflegebedürftigkeit ist jetzt schon ein ganz großes Thema. Um das zu ändern, müssen wir die Pflege in die Mitte der Gesellschaft rücken. Sie muss vor Ort sichtbar werden. Ich sehe immer wieder, dass die Menschen sich trotz aller anderen Belastungen gerne engagieren wollen, aber nicht wissen, wie. Es wird eine große Aufgabe für die kommenden Jahre werden, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Engagement, Pflege, Familie und Beruf nebeneinander möglich werden.

Porträt: Andreas WesterfellhausAndreas Westerfellhaus hat den Pflegeberuf von Grund auf erlernt. In den 1970er-Jahren absolvierte er die Ausbildung als Krankenpfleger. Später studierte er Pädagogik für Gesundheitsberufe und wurde Lehrer in der Krankenpflegeausbildung. Er war von 2009 bis 2017 Präsident des Deutschen Pflegerates und ist seit 2018 Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung im Range eines Staatssekretärs.Holger Gross

Caritas in NRW: Die allermeisten Menschen wollen möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit alt werden. Andererseits wären große stationäre Pflege­einrichtungen möglicherweise effizienter und günstiger im Hinblick auf Kosten und Personaleinsatz. Was kann dieses Land leisten und den alten Menschen anbieten?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Die Pflege in der Familie entspricht den Wünschen einer breiten Mehrheit, sowohl unter den Pflegebedürftigen als auch unter den Angehörigen. Dafür müssen wir Lösungen bereitstellen, und dafür sind die Menschen auch bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen. Allerdings bin ich auch davon überzeugt, dass das Image der stationären Pflege sehr viel schlechter ist, als es die Einrichtungen tatsächlich sind. Die neuen Qualitätsbewertungen werden da für mehr Transparenz sorgen. Und ich fordere auch immer dazu auf, die Einrichtungen stärker nach außen zu öffnen. Hinter verschlossenen Türen gewinnt man nicht das Vertrauen der Menschen.

Caritas in NRW: Was macht den Pflegeberuf attraktiv?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Der Pflegeberuf ist ein vielschichtiger, abwechslungsreicher und verantwortungsvoller Beruf mit Karrierechancen. In der Pflege am Bett begegnen einem jeden Tag neue Menschen und neue Herausforderungen. Die Pflege entwickelt sich immer weiter - man lernt immer dazu. Und mit der neuen Pflegeberufeausbildung und der Akademisierung bekommen Pflegekräfte endlich umfangreiche Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln. Das findet man so in kaum einem anderen Beruf.

Caritas in NRW: Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Bundesregierung, um das Image der Pflege und die Situation beim Pflegepersonal zu verbessern?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Die Pflege ist nach wie vor einer der am meisten geschätzten Berufe. Was sie aber braucht, sind bessere Rahmenbedingungen. Die können wir nur schaffen, wenn alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten. Deshalb war es enorm wichtig, in der Konzertierten Aktion Pflege alle an einen Tisch zu bringen und gemeinsam ein riesiges Bündel von Maßnahmen zu vereinbaren. Jetzt geht es an die Umsetzung, und ich werde sehr darauf achten, dass alle Punkte konsequent angegangen werden.

Caritas in NRW: Welche Hindernisse muss wer ausräumen?

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Einer der Gründe, warum sich in der Pflege für die Pflegekräfte so lange nichts bewegt hat, ist, dass jeder mit dem Finger auf jemand anderen gezeigt hat. Jetzt haben die Probleme ein Ausmaß erreicht, dass das Drehen an einzelnen Stellschrauben nicht mehr reicht. Alle sind in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich gefordert, die Einrichtungen vor Ort, Einrichtungsträger, Kostenträger, Länder, der gesamte Bereich der Pflegeschulen, der hochschulische Bereich und natürlich auch die Politik. Ich erwarte, dass jetzt jeder seinen Beitrag leistet - und werde nötigenfalls auch Ross und Reiter öffentlich benennen, wenn Zusagen nicht eingehalten oder wichtige Entwicklungen blockiert werden.

Porträt: Andreas Westerfellhaus, der an seinem Schreibtisch sitzt und ein Dokument, das in einer Unterschriftmappe liegt, unterschreibtFoto: Holger Gross

Caritas in NRW: Der medizinische Fortschritt, der Einsatz von zunehmend komplexen Medizinprodukten, die Verfügbarkeit von technischen Alltagshilfen (Sammelbegriff: Ambient Assisted Living) und die Umsetzung moderner Pflegekonzepte erfordern von den Pflegekräften eine immer höhere Qualifizierung. Daraus ergeben sich ein steigender Bedarf an ausgebildeten Fach­kräften und ein zunehmender finanzieller Aufwand.

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus: Die Pflege ist und war schon immer ein anspruchsvoller Beruf, in dem laufend die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft umgesetzt wurden. Lebenslanges Lernen und ständige Fort- und Weiterbildungen sind in der Pflege ebenso wie in anderen Gesundheitsberufen fester Bestandteil des Berufsalltags. Nur fehlte in der Vergangenheit aufgrund des Fachkräftemangels mancherorts die Zeit, die dafür nötig ist. Ich habe trotzdem immer gefordert, an dieser Stelle nicht zu sparen, weil das zulasten der Qualität und der Mitarbeiterzufriedenheit geht. Es war mir deshalb sehr wichtig, dass dieser Punkt auch in der neuen Pflegeberufeausbildung und in den Rahmenlehrplänen ausdrücklich verankert wird. Und ich appelliere sehr an die Einrichtungsträger, auch akademisierte Pflegekräfte einzusetzen. Denn sie können einen großen Beitrag dazu leisten, wissenschaftliche Erkenntnisse in den Versorgungsalltag vor Ort zu integrieren.

www.pflegebevollmaechtigter.de



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Benachteiligung in Chancen umwandeln

Drei Mädchen halten die Köpfe zusammen und lächeln in die Kamera. Ein Mädchen trägt ein anderes, kleineres Mädchen auf dem Arm."Der Weg führt über Anerkennung zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit."Achim Pohl

Viele dieser Kinder haben aus der Zeit vor der Einrichtung andere Formen der Benachteiligung erlebt. Die Familien, aus denen die Kinder stammen, sind durch multiple Benachteiligungen geprägt: alkohol- oder suchtkranke oder psychisch kranke Eltern, die sich jeden Tag neu erkämpfen und deren Kinder diese Kämpfe im Alltag mittragen. Alleinerziehende, die zugleich mit Arbeitslosigkeit und Armut kämpfen. Familien, die die Prioritäten des eigenen Lebens und die Bedürfnisse der Kinder nicht sortiert bekommen, die sich durch Migration und andere soziale Ausgrenzung an die Ränder der Gesellschaft gedrängt fühlen. Zurück bleiben Kinder, die sich oft abgehängt und isoliert fühlen, die im Bildungsbereich zu den Schwachen gehören. Eine Zunahme von hoch belasteten Kindern und Jugendlichen ist zu erkennen. Wir erleben Kinder, die schon mit drei Jahren in mehreren Lebensräumen - bei verschiedenen Familienangehörigen, bei Pflegefamilien, im Kinderheim, dann zurück zu einem Elternteil - gelebt haben und keine stabilen Bindungen kennen. Wir erleben Achtjährige, die so halt- und regellos sind, dass sie in kurzer Zeit eine ganze Wohngruppe sprengen und eine Spur von Zerstörung hinter sich herziehen. Wir erleben Jugendliche, für die als letzte Chance ein Individualprojekt im Ausland oder eine geschlossene Unterbringung infrage kommt. Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen? Schwierige Frage. In manchen Fällen sind extreme Lebensverhältnisse und Traumatisierungen die Ursache, in anderen Fällen ist die Jugendhilfe selbst, sind zu lang andauernde und zu viele unterschiedliche Hilfeversuche in nicht adäquaten Settings an der Entwicklung der schwierigen Verhaltensweisen beteiligt.

Kinder- und Jugendhilfe hilft

Ein Jugendlicher sitzt an einem Tisch und schreibt etwas auf ein Blatt PapierIn den drei Bethanien Kinder- und Jugenddörfern haben Kinder und Jugendliche ein familienähnliches Zuhause, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben können. Sie wohnen in Gruppen, gehen zur Schule und werden im Alltag unterstützt und gefördert.Barbara Bechtloff

Im Rahmen der ambulanten, teilstationären und stationären Jugendhilfe erhalten diese Kinder und ihre Familien notwendige Unterstützungsleistungen und umfangreiche Förderungen. Die Jugendhilfe in Deutschland ist gut aufgestellt. Viele Kinder profitieren davon, werden therapeutisch und durch umfangreiche Förderungen unterstützt, holen Entwicklungen nach und können schulische Defizite teilweise aufholen. Die Zahlen: Im Jahr 2016 erhalten über eine Million Kinder und Jugendliche Hilfen zur Erziehung. Erziehungsberatung, ambulante Hilfe wie die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH), stationäre Hilfe wie ein Heim oder Kinderdorf oder eine Pflegefamilie - mit diesen und anderen Hilfeangeboten wird der Versuch unternommen, die Benachteiligung in Chancen umzuwandeln.

Christliche Träger wie die Bethanien Kinderdörfer führen Hilfen zur Erziehung durch als Ausdruck einer werteorientierten Haltung, die dem Wohl von Kindern und Jugendlichen und von Familien Vorrang einräumt. Die christlich orientierte Kinder- und Jugendhilfe ist subsidiär unterwegs und führt einen gesellschaftlichen Auftrag auf der Basis eines christlichen Wertesystems aus.

Mehr Fälle, höhere Kosten

In den vergangenen Jahren ist die Nachfrage nach Hilfen zur Erziehung erheblich gestiegen. Heute werden die Hilfen zur Erziehung jedes Jahr von rund einer Million jungen Menschen genutzt (Anfang der 90er-Jahre waren es 218000). Dies entspricht einem Anteil von ca. sieben Prozent der Jugendlichen unter 21 Jahren. Der 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung stellt die These auf, dass die Hilfen zur Erziehung und die gesamte Kinder- und Jugendhilfe "in der Mitte der Gesellschaft" angekommen sind. Das ist aber kein Grund zu feiern. Im Gegenteil, das ist ein guter Grund, sich Sorgen zu machen: "Der Bildungsbericht 2018 verweist erneut darauf, dass gerade Kinder und Jugendliche, die in Alleinerziehendenhaushalten aufwachsen, überproportional häufig von finanziellen, sozialen und bildungsbezogenen Risikolagen betroffen sind." Das Gleiche gilt für arme Familien.

Gesellschaftlicher Auftrag und Nutzen

Hilfen zur Erziehung sind eine sozialstaatliche Antwort darauf, dass viele Familien das Leben zunehmend als unübersichtlich und ausgrenzend empfinden. Familien sind verunsichert in der Gestaltung des Alltags, in der Organisation der Familie und in der Erziehung. Kinder und Jugendliche leiden unter prekären Lebensverhältnissen, Armut, emotionalen und Bildungsbenachteiligungen und Ausgrenzung. Der seit Jahren ungebrochene Anstieg der Fallzahlen zeigt die gesellschaftlichen Brennpunkte, die dort vorhandene Not und den offenbar immer noch steigenden Bedarf unserer Arbeit.

Ein Waschbecken mit Ablage und Spiegel in eine Waschraum. Die Ablage ist mit Hygieneartikel vollgestellt, quer über dem Waschbecken liegt ein Handtuch.Alle Probleme des Alltags von Heranwachsenden müssen über Kommunikation und Beziehung gelöst werden.Barbara Bechtloff

Fachkräfte und Verantwortliche in der Jugendhilfe wissen, wie mühsam es ist und wie viel Einsatz es braucht, um einem Kind, das sich selbst nichts zutraut, Selbstvertrauen zu vermitteln. Wie weit ist der Weg für viele unserer Kinder und Jugendlichen zu dem Gefühl von Anerkennung und Erfolg, zu einem verlässlichen Gefühl von Selbstwirksamkeit, das notwendig ist, um sich als vollwertig und zugehörig wahrzunehmen. Diese Entwicklungen fördern wir, damit junge Menschen sich als Teil unserer Gesellschaft wahrnehmen, in der sie eine Stimme haben, in der sie nicht nur als Konsument willkommen sind, sondern als Mitgestalter des Zusammenlebens von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen.

Denn funktionierende vertrauensvolle Beziehungen sind die Grundlage unserer Arbeit und zugleich die Keimzelle gesellschaftlicher Integration. Das Gold unserer Arbeit sind Beziehungen zwischen Fachkräften und den betreuten Kindern und Jugendlichen. Dazu bedarf es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihrerseits Vertrauen in die Arbeitsbeziehungen zu ihren Trägern und Arbeitgebern haben. Wie könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Klienten Vertrauen in Organisationen vermitteln, wenn sie sich selbst in ihrem Arbeitsplatz als ohnmächtig und unbedeutsam erleben? Ohne Vertrauensgrundlage wird es schwierig, Menschen Vertrauen in Systeme und Organisationen zu vermitteln. Das ist ein anspruchsvolles Ziel, weil viele Kinder und Jugendliche aus ihrer biografischen Erfahrung gute Gründe haben, den Motiven und Handlungen von Erwachsenen zu misstrauen. Im Idealfall machen Kinder und Jugendliche die Erfahrung, nicht Opfer von Fremdentscheidungen zu sein, sondern sie erleben in der Jugendhilfe, dass sie selbst wirkmächtige Beteiligte an den Entscheidungen sind, wenn es um sie selbst geht.

Wenn die Prozesse der Bindung und der Beteiligung nicht gelingen, besteht das Risiko, dass sich die Benachteiligung fortsetzt. Dann sind Armut, Bildungsbenachteiligung und das Gefühl des Außenseitertums nicht nur eine Quelle für individuell problematische Entwicklungen, sondern es entstehen auch demokratieferne oder gar -feindliche Einstellungen. Weitere Folgen der prekären Lebenslagen, die nicht verbessert werden: Arbeitslosigkeit, Armut, Gesundheitsstörungen und Sucht, Straffälligkeit, gestörte soziale Bezüge.



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Zwischen Geld und Fachlichkeit

Porträt: Heinz-Josef KessmannHeinz-Josef Kessmann

Dies gilt aktuell natürlich in besonderer Weise für die Frage nach der Reform des SGB VIII. Seit der letzten Legislaturperiode wissen wir, dass eine Ankündigung im Koalitionsvertrag noch lange kein neues Gesetz macht, und auch ein breiter Dialogprozess mit Wissenschaft und Praxis - so der aktuelle Koalitionsvertrag - scheint mir keine Garantie dafür zu sein. Im Gegenteil: Angesichts des späten Starts dieses Prozesses erst im November 2018 und der angekündigten Dauer von einem Jahr befürchte ich fast, dass auch in dieser Legislaturperiode der Zeitrahmen für eine umfassende und qualitätsvolle Reform des SGB VIII nicht ausreicht. Auch so kann man sich vor den fiskalischen Mehrbelastungen, die aus einer inklusiven Gesamtausrichtung des Gesetzes resultieren werden, schützen. Möglicherweise steht die Fachlichkeit der Jugendhilfe dann irgendwann vor dem Dilemma, kleine Teilreformen abzulehnen, um die grundlegenden Forderungen und Erwartungen an eine große Reform, so wie sie auch durch die Erziehungsfachverbände aufgelistet wurden, zu schützen. Lieber gar keine Reform als eine schlechte?!

Die Frage nach den grundlegenden Perspektiven des SGB VIII hat in den letzten Jahren von einigen bedenklichen Entwicklungen abgelenkt - der Frage nach der Leistungsfähigkeit insbesondere der kleinen Jugendämter, speziell der des "Allgemeinen Sozialen Dienstes" (ASD). Unstrittig ist: Die Anforderungen an die Jugendämter im Zusammenhang mit dem Kinder- und Jugendschutz und der Gefährdungsbeurteilung sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Genauso deutlich ist zudem, dass vielen Jugendämtern das notwendige fachlich qualifizierte Personal fehlt, um der steigenden Zahl der Fälle nur annähernd gerecht zu werden. Aber auch die sachlichen Ressourcen sind in vielen Kommunen bei Weitem nicht ausreichend, um mit der Vielzahl der Fälle qualifiziert und gut umgehen zu können. Eine besondere Brisanz erfährt diese Debatte zusätzlich dadurch, dass aus einer rein rechtlichen Perspektive auch strafrechtliche Konsequenzen für die Mitarbeitenden des Jugendamtes bei einer Vernachlässigung des Kinderschutzes nicht ausgeschlossen werden können. Dabei geht es bei dieser Diskussion keinesfalls um eine Kritik an der Arbeit des ASD in den kommunalen Jugendämtern, sondern die Kritik muss sich gegen die Kommunen richten, die aus fiskalischen Gründen diesen Dienst nicht ausreichend ausstatten (siehe auch S. 14 f.).

Ausbildung muss attraktiver werden

Die Frage nach der Leistungsfähigkeit der kommunalen Jugendämter lenkt aber das Augenmerk auch auf den Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften für die unterschiedlichen Felder der Jugendhilfe. Nicht nur im Allgemeinen ­Sozialen Dienst fehlen erfahrene Sozialarbeiterinnen und ­Sozialarbeiter, die schwierige Situationen kompetent einschätzen können, es fehlen Erzieherinnen und Erzieher in den stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe genauso wie in den Tageseinrichtungen für Kinder. Schon beginnen erste Diskussionen, das bewährte Fachkraftprinzip der Jugendhilfe infrage zu stellen und für bestimmte Aufgaben auch fachfremdes Personal zuzulassen. Genauso wird sehr großzügig über Übergangsregelungen nachgedacht, die langfristig vorhandene Ausbildungsstrukturen und Berufsabschlüsse gefährden. Wirklich helfen kann hier nur ein verstärktes Bemühen, Menschen für einen ­Beruf in der Jugendhilfe zu motivieren und diese dann gründlich und sorgfältig auszubilden. Dabei müssen die Ausbildungsgänge attraktiver gestaltet werden. So scheint mir der Ausbildungsgang zur Erzieherin / zum Erzieher über den vor­herigen Abschluss der Berufsausbildung zum staatlich geprüften Kinderpfleger/Sozialhelfer eindeutig zu lang zu sein. Auch halte ich es für notwendig, die Zugangsvoraussetzungen für den Erzieherinnen- bzw. Erzieherberuf bundeseinheitlich zu gestalten.

Eine besondere Chance zu Erhöhung der Attraktivität der Fachkräfteausbildung sehe ich in der praxisintegrierten oder dualen Ausbildung. Leider sind wir hier einmal mehr beim Ausgangsproblem: Es fehlt die Refinanzierung für eine solche Ausbildung in den Diensten und Einrichtungen der Jugendhilfe.



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Kriterien sind Qualität und Fachlichkeit

Ein Jugendlicher übergibt einer Pädagogin ein Handy. Die Pädagogin hält dabei eine kleine Kiste mit Elektroartikeln in der Hand.Die persönliche Beziehung zwischen der Pädagogin und dem Jugendlichen ist Schlüssel zur Entwicklung hin zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Gesetzlich und vertraglich geregelt sind die Voraussetzungen, unter denen die Jugendhilfe stattfindet.Barbara Bechtloff

Das Kinder- und Jugendhilferecht sieht solche Rahmenverträge vor. Sie dienten seit 2003 als verbindliche Grundlage für die Einzelvereinbarungen nach § 78c SGB VIII und stellten landesweit vergleichbare Bedingungen für die örtlichen Verhandlungen der einzelnen Anbieter mit den Kommunen als Kostenträgern sicher. Die Verträge folgten den Maximen der Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Leistungen und Kosten sollten transparent werden, zudem sollten die Landesrahmenverträge gewährleisten, dass die finanziellen Mittel effizient eingesetzt werden. Vertragspartner waren die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen, die Vereinigungen sonstiger Leistungserbringer sowie die kommunalen Spitzenverbände. Zur Beratung der örtlichen Träger bei der Gewährung von Hilfen zur Erziehung und zum Schutz von Kindern nach SGB VIII wurden die Landesjugendämter Rheinland und Westfalen-Lippe ebenfalls beteiligt.

Zum 31. Dezember 2012 kündigten die kommunalen Spitzenverbände die Rahmenverträge. Aus ihrer Sicht waren die Kosten zu stark gestiegen. Im Jahr 2013 verhandelten die Vertragspartner ergebnislos über den Abschluss eines neuen Landesrahmenvertrages I. Weitere Verhandlungen wurden ausgesetzt. Hauptknackpunkte waren damals die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände, den Auslastungsgrad der Einrichtungen von bisher 93 Prozent auf 97 Prozent zu erhöhen und Angebote im Intensivbereich stark zurückzufahren. Eine solch hohe Auslastungsquote wäre für viele kleine Einrichtungen existenzbedrohend gewesen. Aus fachlicher Sicht bestand darüber hinaus die Sorge, dass eine solche Quote ganzjährig nur durch Überbelegungen in den Einrichtungen zu gewährleisten sei. Als eine weitere Ursache für den Kostenanstieg wurde von den kommunalen Spitzenverbänden die Entwicklung gesehen, dass freie Träger immer mehr Intensivangebote etablieren. Im Verlauf der Verhandlungen wurde wiederholt und kontrovers diskutiert, ob sich diese Entwicklung am wirklichen Bedarf und an der Nachfrage der Jugendämter orientiert oder ob die Einrichtungen mit der Umwandlung von Regelplätzen in Intensivplätze nicht einfach Fakten schaffen. Hier konnte und wollte die Freie Wohlfahrtspflege bei der geforderten massiven Reduzierung der Angebote nicht mitgehen.

Die kommunalen Spitzenverbände empfahlen Ende 2013 den Jugendämtern, für Verhandlungen von Leistungen und Entgelten nicht mehr von pauschalen Fortschreibungen Gebrauch zu machen. Auch sollten sie die Angebotsentwicklung nicht mehr allein den Leistungsanbietern, also den freien Trägern, überlassen, sondern eigene Vorstellungen zu Leistungsstrukturen und pädagogischer Dichte mit Kostendämpfungseffekten in die Verhandlungen einbringen.

Neue Verhandlungen ab 2019

Ab 2015 dominierte die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge die fachliche Diskussion und rückte das Thema Kostendämpfung völlig in den Hintergrund. Ende 2016 gab es in NRW mehr als 11000 unbegleitete Minderjährige, um deren Unterbringung und Wohl sich die Jugendämter kümmern mussten. Im engen Schulterschluss mit den Einrichtungen wurden in kurzer Zeit adäquate Plätze geschaffen.

Ein Jugendlicher fährt mit einem Fahrrad zwischen den Häusern des Bethanien Kinderdorfes in Bergisch Gladbach über eine Wiese"Sauber und ordentlich, freundlich und offen gestaltet", so loben Besucherinnen und Besucher das Bethanien Kinderdorf in Bergisch Gladbach. Die Refinanzierung der Einrichtung ist Ergebnis von Verhandlungen mit dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe. Grundlage können die landesweiten Rahmenverträge sein. Immer aber müssen die Träger auch einen Eigenanteil aufbringen.Barbara Bechtloff

2017 sollte auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände die Verhandlungen wiederaufgenommen werden. Der Wechsel des Verhandlungsführers der kommunalen Spitzenverbände ins Heimatministerium verhinderte jedoch den Beginn. Nun soll der Startschuss für neue Verhandlungen im ersten Quartal 2019 fallen. Für die Freie Wohlfahrtspflege wird Helga Siemens-Weibring, Vorsitzende des Arbeitsausschusses Familie, Jugend, Frauen der LAG FW, die Verhandlungen führen, alle Verbandsgruppen haben die Möglichkeit, zwei Personen für die Verhandlungen zu benennen. Die Landesjugendämter werden ebenfalls in der Verhandlungsrunde sein.

Trotz der 2012 erfolgten Kündigung des Rahmenvertrages orientieren sich alle ehemaligen Vertragspartner und auch das Landesjugendamt bis heute weiter am alten Vertrag. Die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern wird überwiegend als partnerschaftlich und gut sowie am Wohl der Kinder und Jugendlichen orientiert empfunden. Für die Träger der Freien Wohlfahrtspflege besteht daher zurzeit keine zwingende Notwendigkeit, einen neuen Vertrag zu verhandeln, sie stehen jedoch weiterhin neuen Vertragsverhandlungen positiv gegenüber. Trotzdem werden sie nur dann einem neuen Rahmenvertrag zustimmen, wenn sich dieser an Qualitätskriterien und Fachlichkeit orientiert und nicht nur der Maxime der Kostenreduzierung folgt. Immer wieder haben die Wohlfahrtsverbände und die Fachwelt auf die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Ursachen für die Zunahme der Hilfen zur Erziehung und die damit verbundene Kostensteigerung hingewiesen. Unter den Familien, die Hilfen zur Erziehung beantragen, sind verstärkt Empfänger von Grundsicherung für Arbeitslose sowie alleinerziehende Mütter. Es findet eine immer größer werdende Prekarisierung von Lebenslagen von Familien statt. Die Kosten dürfen aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege nicht zu Lasten von Kindern und ihren Familien gesenkt werden. Das wäre das völlig falsche Signal.

Als Sprecherin des Fachausschusses Rahmenvertrag der LAG FW wird die Autorin an den Verhandlungen für einen neuen Rahmenvertrag teilnehmen.



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"Schlechtes sehen, um Schlimmeres zu verhindern"

Das "Bunte Haus" der Jugendhilfe Werne in der FrontansichtSchon das bunte Gebäude signalisiert Offenheit, Freundlichkeit, Wärme. Kinder, Jugendliche und Eltern sind willkommen.Harald Westbeld

Das Kinderheim St. Josef im westfälischen Werne? Wo ist das? Vor Jahren war es hinter einem hohen Wall versteckt und von der Stadt Werne abgeschirmt. Den Haupteingang musste man von einer Nebenstraße und durch einen Nebenweg finden. Heute das krasse Gegenteil: Der Wall ist weggebaggert, das "Bunte Haus" springt von der 100 Meter entfernten Bundesstraße ins Auge, und man betritt es jetzt auch von dieser Seite. Die Jugendhilfe Werne demonstriert schon durch ihren radikalen Um- und Ausbau der Gebäude mit den gelben, blauen und roten Fassadenelementen den inhaltlichen Wandel in der Jugendhilfe.

Geradlinig hat Uwe Schenk mit ­seinem Team die Angebote umgebaut, manchmal seine Mitarbeiter etwas überfordert mit einem radikalen Ansatz. Ein Treffen unter dem Motto "Kein Kind gehört ins Heim!" endete nach einer Stunde Schweigen mit Abbruch, gibt Schenk zu. Was nichts an seiner Meinung ändert, aber auch nichts daran, dass die Jugendhilfe Werne immer noch 217 Plätze in 30 Gruppen anbieten muss.

"Eigentlich ist das Aufwachsen in der Familie immer besser", ist Schenks Denkansatz und Motivation, eine ganze Palette von Angeboten aufzubauen, die Heimunterbringung möglichst verhindern sollen: Aber manchmal gebe es, zumindest vorübergehend, nun mal keine andere Möglichkeit. Was auch an der immer schwierigeren Anforderungssituation der Eltern und der dadurch bedingten "höheren Problemdichte" liege.

Kitas, Offener Ganztag, Familienanlaufstelle sind präventive Angebote

Deshalb begrüßt er es sehr, dass die Jugendhilfe Werne mittlerweile Träger von acht Kitas ist. Das sind für ihn vorbeugende Angebote. Von Kooperationspartnern komme manchmal der Vorwurf des "defizitären Ansatzes". Aber darum gehe es gerade: "Wir wollen Schlechtes sehen, um Schlimmeres zu verhindern", erklärt Schenk.

Porträt: Thomas Kißmann und Uwe Schenk von der Jugendhilfe WerneThomas Kißmann (l.), Gesamtleiter der Jugendhilfe Werne, und Geschäftsführer Uwe Schenk (r.) haben die Jugendhilfe Werne mit ihren rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stetig modernisiert.Harald Westbeld

Im Vordergrund müssen immer die Bedürfnisse der Kinder stehen und nicht die Interessen von Einrichtungen und Institutionen. Da ist Uwe Schenk kompromisslos und immer bereit, Bestehendes infrage zu stellen. Deswegen ist nicht nur der Kita-Bereich ausgebaut worden, sondern ist die Jugendhilfe Werne ebenso in Offenen Ganztagsschulen über Werne hinaus aktiv, vermittelt und betreut Pflegekinder und hat im "Bunten Haus" das "Familiennetz" mit aufgebaut, eine Anlaufstelle für alle auftauchenden Probleme - "damit man nicht in Hinterhöfen danach suchen muss".

Jüngste Errungenschaft seit dem Sommer ist "Amandi". Das bedeutet: "die, die man lieben soll". Das ist der Infopoint im "Bunten Haus", jederzeit zu erreichen telefonisch oder per Mail. Wobei auch zuvor keine Anfrage ins Leere lief. Die Mitarbeiter am Empfang sind so geschult, dass sie immer jemanden im Haus finden, der eine erste Auskunft geben kann.

Ausgangspunkt war das Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1991

Uwe Schenks Sorge ist, dass Angebote oft mittelstands­orientiert sind und bestimmte Bevölkerungsgruppen, vor allem die, die besonders hilfsbedürftig sind, nicht erreicht werden. Gerade sie will er mit "Amandi" ansprechen. Für all diese Facetten der Jugendhilfe bedarf es einer gewissen Größe. Mit an die 300 Vollzeitstellen, die von 500 Mitarbeitern besetzt sind, kann sich die Jugendhilfe Werne sogar eine "eigene kleine Mannschaft" leisten, die Fortbildungen organisiert und Teamberatung anbietet. Immerhin 40 Seiten umfasst das Fortbildungsprogramm für 2018.

Die weit kleineren Anfänge sind auf dem Gelände hinter dem "Bunten Haus" noch erkennbar. Ein "Kinderdorf" wurde Ende der 80er-Jahre rund um einen zentralen Platz gebaut. Hier wohnen nur noch Kinder in zwei Diagnosegruppen, in denen geschaut wird, ob sie in eine Pflegefamilie vermittelt werden können oder zum Beispiel in eine der in Wohngebiete eingestreuten Gruppen in Werne und umliegenden Orten umziehen.

Hinter dem Wall hatte das Kinderheim St. Josef damals wenig mit der Stadt Werne zu tun, das Jugendamt brachte die Kinder ohnehin an anderen Orten unter. "Kamen Herkunftseltern auf das Gelände, gab es Alarm", erinnert sich Schenk, der auf 34 Jahre Berufserfahrung bauen kann. Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz begann 1991 die Entwicklung: Sozialpädagogisches Wohnen wurde initiiert, und in den 90er-Jahren war die Jugendhilfe Werne ganz vorne dabei, Kinder in westfälische Pflegefamilien zu vermitteln.

Die Entwicklung muss weitergehen

Eine Karte mit den Standorten der Jugendhilfe Werne. Die Einrichtungstypen werden mit farbigen Punkten unterschieden und in einer Legende erklärt.Jugendhilfe Werne/Stand: Juli 2018

Der eigentliche Aufbruch ist allerdings mit dem Namen Michael Knäpper verbunden und ursprünglich nur ein "Hilfskonstrukt" gewesen. Die Stadt Werne wollte einen Streetworker einstellen und fand in der Jugendhilfe einen Partner. Mit ihm tauchte die Jugendhilfe Werne tiefer in die Familiensituationen ein. "Man muss nicht Hilfsangebote gestalten, die über die Köpfe der Leute gehen", war für Uwe Schenk die Erkenntnis.

Zufrieden ist er nach all der Entwicklung über so viele Jahre auch im Alter von 60 noch nicht. Gerne würde er mit Jugendhilfe stärker in die Schulen wirken, um die guten Ansätze aus der Kita fortführen zu können. Aber da gehe es mehr um Didaktik und nicht wirklich um Pädagogik, sagt Schenk, der ursprünglich selbst Lehramt studiert hat. Immer wieder müssen auch pragmatische Kompromisse geschlossen werden. Er will keine Kinder unter sechs Jahren in Gruppen aufnehmen, "aber das lässt sich nicht ganz durchhalten".

Schenk ist auch privat engagiert

Er selbst erdet sich in der eigenen Familie. Immer wieder hat er mit seiner Frau als "Bereitschaftspflegefamilie" Pflegekinder aufgenommen. Nach dem Auszug des Sohnes sollte es jetzt mal eine kleine Pause geben. Aber dann kam wieder ein akuter Fall…

www.jugendhilfe-werne.de



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Die Zahlen steigen

Porträt: Sebastian Heyn, der in seinem Büro auf einem Stuhl sitztSebastian Heyn leitet seit Oktober 2017 das Amt für Kinder, Jugend und Familienberatung der StädteRegion Aachen. Die StädteRegion Aachen gibt es seit 2009. Sie ist Nachfolgerin des früheren Kreises Aachen.Christian Heidrich

Caritas in NRW: Familien verändern sich. Inwieweit sind solche Veränderungen mitverantwortlich dafür, dass Hilfen zur Erziehung notwendig werden?

Sebastian Heyn: Wir merken schon, dass in einigen Familien Erziehungskompetenzen abnehmen. Rückhalte in Familien fehlen zunehmend. Wir bemerken, dass auch psychische Erkrankungen tendenziell zunehmen, was ebenfalls zur Überforderung in der Erziehung führen kann. Wenn diese Phänomene dann noch einhergehen mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch, werden die Kolleginnen und Kollegen der sozialen Dienste vor große Herausforderungen gestellt.

Caritas in NRW: Die Kosten für die Hilfen zur Erziehung machen in den kommunalen Haushalten einen großen Batzen aus. Gilt das auch für die StädteRegion?

Sebastian Heyn: Eindeutig ja. Hilfen zur Erziehung und Kindertagesbetreuung sind zwei wesentliche Felder im Haushalt des Jugendamtes.

Caritas in NRW: Die Anzahl der Hilfen zur Erziehung in den Kommunen bewegt sich auf einem hohen Niveau - auch in Ihrem Zuständigkeitsbereich?

Sebastian Heyn: Schaut man in die Bundes- und Landesstatistiken, sind weit mehr als eine Million Kinder in Deutschland in irgendeiner Form in Hilfen zur Erziehung involviert. Hilfen zur Erziehung stehen in einem engen Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Entwicklungen, die wir haben. Das bedingt sich gegenseitig. Die Zahlen sind auch bei uns auf einem hohen Niveau, wobei wir in unserem Jugendamtsbezirk Kommunen mit unterschiedlichen Bedarfslagen haben. Die Unterstützungsangebote in Baesweiler sind andere als die, die wir in der Nordeifel vorhalten müssen. Ich leite seit einem Jahr das Jugendamt. Bis 2016/2017 ist die Zahl der Hilfen zur Erziehung stetig angestiegen. Ich sehe, dass die Tendenz immer noch ansteigend ist, aber nicht mehr so stark wie in den Jahren davor.

Caritas in NRW: Haben Sie für den geringeren Anstieg eine Erklärung?

Sebastian Heyn: Wir versuchen, eine gute Präventionsarbeit zu leisten. Wir halten so viele Kita-Plätze wie möglich vor und erweitern diese stetig. Wir erfüllen den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz und können individuelle Bedarfslagen von Familien bedienen. Wir haben eine gute Vernetzung mit unseren Kooperationspartnern. Dabei spielt auch der präventive Gedanke eine Rolle. Wir können frühzeitig, wenn Bedarfe in Familien notwendig sind, unterstützen, weil wir unsere Leistung auch gemeinsam mit den freien Trägern vorhalten.

Caritas in NRW: Warum setzt das Jugendamt der StädteRegion so auf Prävention?

Sebastian Heyn: Eine Hilfe zur Erziehung ist ja immer auch ein Eingriff ins familiäre System. Wir versuchen, so viel wie notwendig und so wenig wie möglich in familiäre Systeme einzugreifen. Dafür müssen wir aber im Vorfeld von Hilfen zur Erziehung schon intensiv mit Familien zusammenarbeiten und sie entsprechend beraten. Das sind vertrauensbildende Maßnahmen. Unterstützung wird von Familien nur angenommen, wenn eine Vertrauensbasis besteht.

Caritas in NRW: Also ist vorbeugen besser als heilen?

Sebastian Heyn: Für uns ist es wichtig, dass wir in allererster Linie informieren können über die Angebote, die es gibt. Das Jugendamt und seine Netzwerkpartner müssen ihre Angebote so zugänglich machen, dass Familien darauf aufmerksam werden und diese auch im Bedarfsfall in Anspruch nehmen. In der Öffentlichkeit aber hat ein Jugendamt oftmals einen schwierigen Stand. Das erschwert in vielen Fällen den Kontaktaufbau zu solchen Familien, bei denen wir denken, sie könnten dringend eine Unterstützung benötigen. Wir müssen also Hemmschwellen abbauen. Unsere Maßnahmen und unsere Unterstützungsleistungen können auch nur so weit erfolgreich sein, wie Familien in der Lage sind, sie anzunehmen.

Caritas in NRW: Sie sagten es zu Anfang schon: Hilfen zur Erziehung sind ein großer Posten bei den jährlichen Aufwendungen des Jugendamtes. Müssen Sie bei der Aufstellung Ihres Haushaltes sehr mit dem Kämmerer oder dem Finanzdezernenten kämpfen?

Sebastian Heyn: In der StädteRegion ist allen sehr wohl bewusst, was wir als Jugendamt leisten und wie wichtig die Aufgabe ist. Es geht um unsere Familien und um unsere Kinder. Wir müssen uns aber auch bewusst darüber sein, dass wir hier öffentliche Mittel verwalten. Auf der einen Seite müssen wir mit diesen Geldern verantwortungsvoll umgehen. Auf der anderen Seite geht es um Unterstützungsleistungen für Familien und Kinder. Und da ist es wichtig, dass sie die richtigen Unterstützungsangebote bekommen. Unsere Aufgaben sind umlagefinanziert. Es besteht - und das ist für uns wichtig - eine hohe Akzeptanz für uns als Jugendamt in den Kommunen, für die wir tätig sind.

Caritas in NRW: Auch in der Politik?

Sebastian Heyn: Der zuständige Kinder- und Jugendhilfeausschuss der StädteRegion ist sehr aktiv und sehr gut informiert. Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit mit dem Ausschuss. Wenn die wissen, dass wir die richtigen Dinge tun, stehen sie auch hinter uns, unterstützen unsere Maßnahmen und geben uns auch Impulse. An dieser Stelle ist Transparenz ganz wichtig.

Caritas in NRW: Gibt es eine Maxime, nach der das Jugendamt handelt?

Sebastian Heyn: Effektivität und Effizienz, also die richtigen Dinge tun und die Dinge richtig tun, sind unsere Leitlinien. Das heißt zum Beispiel, frühzeitig mit Familien gemeinsam zu überlegen, welche Maßnahme die richtige ist. Es ist oft besser, am Anfang eine lange Anamnesephase unter Einbeziehung der Familie und ihres Umfeldes zu haben. Zu meinen, eine stationäre Maßnahme ist vielleicht etwas teurer, also installiert man lieber eine kostengünstigere ambulante Maßnahme mit dem Wissen, dass es nicht die richtige ist, kann nicht zielführend sein. Daher ist es für uns wichtig, Hilfen so passgenau wie möglich zu gestalten. Auch wenn die richtige Maßnahme kostenintensiver ist, muss sie gewährt werden. Daran führt kein Weg vorbei. Wir können nicht aus einem Kostengrund sagen, wir setzen die falsche Maßnahme ein und gefährden damit Familiensysteme.

Caritas in NRW: Dann würde ja auch die Soße teurer als der Braten.

Sebastian Heyn: Die Wahrscheinlichkeit ist zumindest hoch. Man nennt das Treppeneffekt. Man probiert immer die nächstintensivere Maßnahme. Und dann muss man natürlich auch fragen, inwieweit dann ein Familiensystem oder ein Kind oder Jugendlicher überhaupt noch in der Lage ist, sich nach der zweiten, dritten Maßnahme noch einmal auf eine neue Maßnahme einzulassen. Wir sind der Überzeugung: von vornherein schauen, was richtig ist. Bei der Abwägung zwischen ambulanten und stationären Hilfen muss man sehr sensibel vorgehen. Wenn klar ist, dass ein Kind nicht in der Familie leben kann, muss von vorn­herein überlegt werden, eine stationäre Maßnahme in Erwägung zu ziehen. Aber wir versuchen trotzdem, unter familienerhaltenden Aspekten mit ambulanten Maßnahmen zu unterstützen, wenn es dadurch möglich ist, dass Kinder in der Familie bleiben können.

Caritas in NRW: Bei allen Abwägungen, die zu treffen sind, kommt es natürlich auf Fachlichkeit an. Pädagogische Konzepte verändern sich. Wie stellen Sie sicher, dass die zuständigen Stellen fachlich auf dem aktuellen Stand bleiben?

Sebastian Heyn: Wir stehen in der gesamten Städteregion in einem kontinuierlichen Austausch mit allen Jugendämtern und haben verschiedene gemeinsame Arbeitskreise und Steuerungsgruppen. Den Mitarbeitenden steht ein umfangreiches Fortbildungsangebot zur Verfügung. Zudem stehen wir in engem Kontakt mit unserem Landesjugendamt, dem LVR. Es muss eine Verzahnung zwischen Theorie, Wissenschaft und Praxis erfolgen.

Caritas in NRW: Muss das Jugendamt nicht herhalten für eine verfehlte Politik in anderen Bereichen?

Sebastian Heyn: Das Jugendamt sitzt an einer Schnittstelle von diversen Verzahnungen zu anderen Systemen. Familien, die von materieller und sozialer Armut betroffen sind und dann auch noch ein niedriges Bildungsniveau haben, benötigen häufiger Unterstützungsangebote als andere. Wenn sie dann keinen familiären Background haben, der Unterstützung bietet, ist es einfach schwierig. Wir haben auch mit Menschen zu tun, die durch bestimmte Raster gefallen sind. Dann ist es aber wichtig, dass alle relevanten Stellen kooperieren, damit diese Menschen noch Entwicklungsperspektiven und Chancen haben.

Caritas in NRW: Wie organisiert man es, dass alle zusammenarbeiten? Das scheint mir eine große Herausforderung zu sein.

Sebastian Heyn: Es ist ganz wichtig, dass es entsprechende Netzwerke gibt. Seit dem Jahr 2012 gibt es das Bundeskinderschutzgesetz. Dadurch wurden die Netzwerkstrukturen der Frühen Hilfen gestärkt. Diese Netzwerkpartner treffen sich regelmäßig. In diesem Rahmen kann überprüft werden, welche Angebote es noch nicht gibt, welche notwendig sind, welche weitergeführt oder neu geschaffen werden sollen. Es gibt über Jahre gewachsene und gut funktionierende Strukturen unter Einbeziehung von Kinderärzten, Schulen, Kindergärten, Jobcenter, Trägern, Verbänden, Vereinen.

Das Interview führte Christian Heidrich.

sebastian.heyn@staedteregion-aachen.de



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Viele Stellen wieder abgebaut

Porträt: Friedhelm EvermannFriedhelm Evermann leitet die Jugendhilfe St. Elisabeth, eine katholische Einrichtung in Trägerschaft der St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund gGmbH. Sie bietet heute Erziehungshilfen für Familien mit Kindern, Jugendliche und junge Volljährige an.Peter Bandermann

Caritas in NRW: Im Zuge der Fluchtwelle sind 2015 und 2016 viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) nach Deutschland gekommen, die dann von den Jugendämtern auf die Heime der Jugendhilfe verteilt wurden. Wie stark war der Anstieg?

Friedhelm Evermann: Dortmund war Erstaufnahmestelle. Schon Ende 2014 haben wir relativ spontan eine weitere Wohngruppe eröffnet. Schon damals mussten wir uns in einem Hotel einmieten - nach Rücksprache mit der Stadt, weil kurzfristig kaum geeignete Immobilien zu bekommen waren. Ende 2015 standen wir, d. h. das Jugendhilfesystem in Dortmund, aufgrund der Vielzahl von UMF kurz vor dem Zusammenbruch. Wir haben von Dezember 2014 bis Oktober 2015 insgesamt 76 Plätze zusätzlich zu unseren bestehenden Plätzen aufgebaut, das war ein Zuwachs um fast ein Drittel unserer stationären Plätze. Manchmal haben sich die Träger in Dortmund zusammengeschlossen und gemeinschaftlich Angebote gestemmt, weil man kaum noch Personal akquirieren konnte. Insgesamt hat Dortmund mehrere Hundert zusätzliche Plätze geschaffen.

Caritas in NRW: Stichwort "Hotel mieten", Stichwort "Personal akquirieren". Wie stemmt man so was?

Friedhelm Evermann: Es gab einen großen Schulterschluss zwischen den Trägern und mit dem Jugendamt, bei dem man gefragt hat: Wer hat welche Kapazitäten? Wer hat Raumkapazitäten? Wer hat Personalkapazitäten? Gesteuert hat eine Task Force aus Vertretern des Jugendamtes und der Träger. Das waren die traditionellen Träger, die die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen schon länger gemacht haben, und es sind dann noch einige zusätzlich angetreten.

Caritas in NRW: Wie stellen sich die Zahlen aktuell dar - ungefähr drei Jahre danach?

Friedhelm Evermann: Wir hatten wirklich Notplätze geschaffen. 50 Plätze in sogenannten Sondereinrichtungen waren nur auf Basis einer sogenannten Betriebsgenehmigung erlaubt. Das bedeutet, dass die Aufsichtsbehörde des Landesjugendamtes der Kommune den Betrieb für die akute Versorgung gestattet hat, ohne dass es reguläre Plätze waren. Diese 50 Plätze sind faktisch wieder abgebaut.

Caritas in NRW: Mit welchen Konsequenzen?

Friedhelm Evermann: 50 Plätze weniger bedeuten einen Personalüberhang von rd. 25 Stellen. Wir mussten keine aktiven Kündigungen aussprechen, sondern befristete Verträge liefen aus, andere Mitarbeiter konnten in andere Bereiche umgesetzt werden. Definitiv sind 16 Stellen abgebaut worden.

Caritas in NRW: Trotz Fachkräftemangel?

Friedhelm Evermann: Nicht alle neuen Mitarbeiter in der pädagogischen Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge waren Fachkräfte mit einer sozialarbeiterischen oder pädagogischen Ausbildung. Normalerweise gilt ja für die Jugendhilfe das Gebot einer Fachkraftquote von hundert Prozent. Doch die Ausnahmegenehmigungen des Landesjugendamtes bezogen sich auch auf das Personal. Manche neuen Mitarbeiter hatten sogenannte Befähigungen im Bereich der Kulturvermittlung, oder es waren Lehrer mit Migrationshintergrund, die für die Aufgaben geeignet waren.

Caritas in NRW: Was Sie für Dortmund beschreiben - war die Situation mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in anderen großen Städten genauso?

Friedhelm Evermann: Das war in einigen Regionen ähnlich, vor allem in den kreisfreien Städten. In den Landkreisen gab es in der Phase weniger Flüchtlinge und natürlich auch weniger Infrastruktur der stationären Jugendhilfe. Wir haben 2014 und 2015 in Dortmund zeitweise über 1000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den Einrichtungen und den genannten Notfallplätzen versorgt, zusätzlich zu den laufenden Jugendhilfefällen. Das ist jetzt vorbei.

Die Fragen stellte Markus Lahrmann.

www.jugendhilfe-elisabeth.de



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Unbegleitete Volljährige brauchen Begleitung

Ein Auszubildener mit Fluchthintergrund hantiert in einer Autowerkstatt an einem Rad herumImmer mehr junge Flüchtlinge starten eine Ausbildung.Bethanien Kinderdorf

Die 40-Jährige hat sich wissenschaftlich mit den Problemen und Herausforderungen befasst, mit denen unbegleitete Minderjährige im Asylverfahren zu kämpfen haben. Nur mit einer gesicherten Zukunftsperspektive, guten Sprachkenntnissen, schulischen Angeboten sowie einer guten Berufsausbildung hätten die jungen Menschen eine Chance, in Deutschland Fuß zu fassen. Zu diesem Ergebnis kommt Natascha Dorsch in ihrer Bachelorarbeit, die sie zum Abschluss ihres Studiums im Sommer 2017 am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Niederrhein (HN) in Mönchengladbach geschrieben hat.

Wenn Kinder volljährig werden, sind sie zwar rechtlich selbstständig und für sich selbst verantwortlich. Das heißt aber nicht, dass mit Vollendung des 18. Lebensjahres jegliche Unterstützung des Elternhauses endet. In der Regel ist es so, dass Mama und Papa noch gerne bereitstehen, um zu helfen. So ist die Situation bei in Deutschland aufgewachsenen jungen Erwachsenen. "Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Deutschland volljährig werden, ist das völlig anders. Vor dem Gesetz stehen sie an ihrem 18. Geburtstag auf einmal allein da. Trotz Sprachbarrieren und belastender Erfahrungen müssen sie alle weiteren Schritte selbst steuern. Ein Vormund oder ein Betreuer steht ihnen nicht mehr zur Seite, selbst dann nicht, wenn sie sich in einem laufenden Asylverfahren befinden.

Heute ist Natascha Dorsch vorwiegend für das Bethanien Kinderdorf beratend tätig, wenn es um die Frage geht, wie die Verselbstständigung der jungen Migranten gelingen kann. Drängendes Thema ist die Überwindung der gesetzlichen bzw. bürokratischen Hürden für eine Ausbildung. "Für die jungen Menschen steht eine gesicherte Zukunftsperspektive an erster Stelle. Dazu gehört neben einem sicheren Aufenthaltsstatus auch eine solide Ausbildung", sagt die Sozialarbeiterin. Daher betreibt sie auch Lobbyarbeit in Gremien und arbeitet eng mit Ausbildungsbetrieben zusammen. Manche Arbeitgeber zögerten, jungen Asylbewerbern einen Ausbildungsvertrag anzubieten, berichtet Natascha Dorsch. Ihre Sorge sei, dass diese im Laufe der Ausbildung abgeschoben werden könnten. Zudem fehle ihnen die Zeit, sich mit der Bürokratie auseinanderzusetzen. Deshalb unterstützt und begleitet das Bethanien Kinderdorf die jungen Menschen bei ihrem Übergang in die Ausbildung und in die Selbstständigkeit weiterhin. "Viele von ihnen sind zwischenzeitlich erfolgreich in eine Ausbildung gestartet. Das ist dem Erfolg unserer Pädagogen zuzurechnen, die sich den besonderen Herausforderungen gestellt haben", berichtet Kinderdorfleiterin Julia Bartkowski.

Wichtig sei nun, dass die Politik die Bedingungen für einen ungehinderten Zugang zu Ausbildung und den benötigten Förderungen erleichtert. Auch unter dem Gesichtspunkt der Fachkräftegewinnung im Interesse aller.



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"Was ich bin, verdanke ich auch den Jugendlichen"

Porträt: Bruder Anno Müller, der auf einem dicht bewachsenen Gelände neben einem Zaun stehtBruder Anno zeigt den Jugendlichen mit seinem Leben, dass sie nicht alleingelassen werden, dass Gott auf ihrer Seite steht und ihren rauen Weg mitgeht, den Weg hin zu einer reifen, selbstständigen und zur Liebe fähigen Persönlichkeit.Cordula Spangenberg

In Gelsenkirchen ist Bruder Anno Müller bekannt wie ein bunter Hund. Seit 25 Jahren ist er dort - "lieber in Jeans als in Kutte" - in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig, ebenso lang, wie er dem Orden der Amigonianer angehört. Kinder und Jugendliche in Gelsenkirchen-Nord haben oft nicht viel zu lachen, gehen unter schwierigen Bedingungen ins Leben. "Ein Fass ohne Boden" sei der sozialpädagogische Bedarf in der Stadt, sagt der Ordensmann und geht mit umso mehr Idealismus an seine Aufgabe, die für ihn Beruf und Berufung zugleich ist: "Was ich bin, verdanke ich auch diesen Jugendlichen, die mich infrage stellen. Denen kann man nichts vormachen, da muss man authentisch sein."

Gelsenkirchen gilt als ärmste Stadt Deutschlands, 5000 Menschen holen sich hier wöchentlich Lebensmittel bei der Tafel, über 43 Prozent der Gelsenkirchener Kinder sind arm. An der Begegnung mit den Kids hängt Bruder Annos Herz. Früher war er Gefängnisseelsorger und Heimerzieher, und heute fährt er immer noch mit auf Ferienfreizeiten, betreibt ein Musikprojekt oder begleitet die Firmvorbereitung der Pfarrei. Im Hauptberuf allerdings zeichnet er nun verantwortlich für die Jugendarbeit des eingetragenen Vereins "Amigonianer Soziale Werke" in Gelsenkirchen, organisiert die Hilfen, beantragt öffentliche Mittel, treibt dringend benötigte Spendengelder ein und plant den Einsatz seiner Mitstreiter: sozialpädagogische Fachkräfte, studentische Lerntrainer, ehrenamtliche Hausaufgabenbetreuer. Alle zusammen kümmern sich um Betreuung von Haupt- und Gesamtschülern in den Stadtteilen Feldmark und Schalke nach dem Schulunterricht, begleiten den Übergang von der Schule in den Beruf und vernetzen die Hilfen. So arbeitet das Amigonianer-Projekt seit 30 Jahren mit der Caritas-Erziehungsberatungsstelle vor Ort zusammen. Das sei für alle Beteiligten eine Win-win-Situation, sagt Bruder Anno: "Wir können dort auf dem kurzen Dienstweg auffällige Kinder vorstellen, und die Fachleute der Caritas kommen in unseren Jugendtreff, um dort den Eltern niederschwellige Erziehungsberatung anzubieten."

Priester ist Bruder Anno auch, "aber fast als Hobby", sagt er und lacht. Denn während der Woche ist er fest eingespannt in seine Aufgaben in der Jugendhilfe, da ist an eine Verpflichtung als Aushilfspriester für Pfarreigottesdienste nicht zu denken. Die spirituelle Grundlage, die ihm Kraft und Motivation für seine Arbeit mit den Jugendlichen gibt, versucht er jedoch auch den Mitarbeitern begreiflich zu machen. Und kürzlich hat er zwei Jahre als Novizenmeister in Südspanien eingeschoben, um drei junge Männer in die Verbindung von Spiritualität und sozialer Arbeit einzuführen. Was man dafür brauche, sagt Anno, sei "Herzensbildung".



Ein Orden im Dienst der Jugend

Der Name der Amigonianer geht auf den Ordensgründer Luis Amigó zurück, der als junger, charismatischer Kapuzinerbruder 1889 den Orden gründete. Ausgehend von seinem Nachnamen, sagen die Brüder heute: Er war ein Freund der Jugend. Der Orden engagiert sich heute stark in der Erziehungshilfe.

www.amigonianer.org



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Jugendhilfe: mehr Fälle – mehr Kosten

Ein Schaubild, in dem die steigenden Kosten der Jugendhilfe in NRW in den Jahren 2011, 2014 und 207 verglichen werden. Auch werden die Anzahlen der Einrichtungen sowie der Mitarbeitenden aufgeführt.
 

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Aufwand hoch – Erfolg nicht planbar

Sibylle Klings, Norbert Kallen, Dieter Fühner und Thomas Koslowski sitzen bei der CiNW_Fachtagung 'Vergaberecht' auf dem Podium zusammen. Im Hintergrund ist ein Faltdisplay der Caritas in NRW zu sehenSibylle Klings (IN VIA Köln), Norbert Kallen (Caritas Rhein-Kreis Neuss), Dieter Fühner (Caritas Rheine), Thomas Koslowski (Caritas Hagen) berichteten von ihren Erfahrungen über vergaberechtliche Ausschreibungen.Markus Lahrmann

Ein Fachtag der Caritas in NRW ermöglichte jüngst eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema "Vergaberecht" und einen Erfahrungsaustausch auf unterschiedlichsten Ebenen. "Wir kennen Ausschreibungen aus dem Europarecht, wo sie zum Beispiel bei öffentlichen Aufträgen im Straßenbau schon sehr lange zwingend vorgeschrieben sind, um Transparenz und Wirtschaftlichkeit europaweit zu garantieren", so Heinz-Josef Kessmann, Sprecher der Diözesan-Caritasverbände, in seinem Eingangsstatement. Im deutschen Sozialrecht dagegen tangiert das Vergaberecht nicht nur die Position des Kostenträgers und die Interessen des Leistungserbringers, sondern vielfach auch das Wunsch- und Wahlrecht der Empfänger sozialer Dienstleistungen. Das macht es schwierig, und die rechtliche Situation ist alles andere als eindeutig. Nicht zuletzt auf Betreiben der Justiziare aus den nordrhein-westfälischen Diözesan-Caritasverbänden hat der Deutsche Caritasverband (DCV) Mitte 2018 eine Arbeitshilfe "Vergaberecht für die Praxis" vorgelegt, die deren Autorin Caroline von Kries, Leiterin der Arbeitsstelle Sozialrecht beim DCV, auf der Tagung vorstellte. Ausschreibungen seien nach geltendem Recht nicht immer zulässig, so zum Beispiel, wenn sie in bestimmten Bereichen das Wunsch- und Wahlrecht und das Subsidiaritätsprinzip verletzen würden, die in den Sozialgesetzbüchern einen Rang fast wie "sozialrechtliches Verfassungsrecht" (von Kries) innehätten. Auf der anderen Seite plädierte von Kries dafür, das Vergaberecht "nicht allzu sehr zu verteufeln". Man müsse die Gestaltungsräume nutzen, so von Kries.

Auswirkungen auf Mitarbeitende

Aus der Praxis berichtete Sibylle Klings, Vorstand von IN VIA in Köln, wie sie - konfrontiert mit einem Ausschreibungsverfahren in der Berufshilfe, das nicht zu gewinnen war - gezwungen war, diesen Bereich zunächst einmal zu schließen, obwohl der Verband über ausgewiesene Expertise und ein passgenaues Angebot verfügte. Mitarbeitende mussten versetzt werden, erst nach Jahren gelang es, mit neuen Mitarbeitenden unter befristeten Verträgen neu anzufangen. Doch in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels sind gerade Befristungen eine zusätzliche Schwierigkeit, um hervorragende Mitarbeiter zu gewinnen. Norbert Kallen von der Caritas im Rhein-Kreis Neuss berichtete von der hohen Frustration unter seinen Mitarbeitenden, nachdem infolge einer Ausschreibung eine soziale Dienstleistung durch das Jobcenter anderweitig vergeben wurde, in der der Verband seit 30 Jahren erfolgreich tätig war. Den Zuschlag erhielt zudem auch noch ausgerechnet ein katholischer Anbieter, der im selben Haus wie der Caritasverband sitzt, aber nicht nach AVR bezahlt.

Carolin Sen steht bei der CiNW-Fachtagung 'Vergaberecht' an einem Pult und hält eine RedeRechtsanwältin Carolin Sen informierte detailliert, welche Möglichkeiten es für Rechtssschutz in Vergabeverfahren gibt, wie hoch der Aufwand ist und in welchem Rahmen sich die Kosten üblicherweise bewegen.Markus Lahrmann

Pyrrhus-Sieg vor Gericht

Dieter Fühner, Vorstand des Caritasverbandes Rheine, berichtete von einem Verfahren vor Gericht, bei dem seinerzeit der Caritasverband mit Unterstützung der gesamten Spitzenverbände gegen die Ausschreibung der Sozialpädagogischen Familienhilfe durch den Kreis Steinfurt geklagt und vor Gericht gewonnen hatte. Auf der kommunalen Seite sei anschließend eine enorme Aggression bemerkbar gewesen bis hin zum Ausspruch: "Sie haben eine Schlacht gewonnen, den Krieg werden Sie verlieren." In diesem Jahr musste der Caritasverband Rheine wegen des Vergaberechts seine seit 37 Jahren existierenden Ausbildungswerkstätten schließen. Trotz harter Restrukturierung war eine andauernde Quersubventionierung im sechsstelligen Bereich notwendig, was auf Dauer nicht mehr tragbar war. "Wir lagen bei den Personalkosten, die einen Teil des wirtschaftlichen Angebotes ausmachten, nach den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Caritas um 15 bis 20 Prozent über den Haustarifen anderer Bildungsträger", so Fühner. Das Bedauern der örtlichen Agentur für Arbeit war groß, das Vergabeverfahren hatte die Regionaldirektion durchgeführt.

Sinkende Löhne - weniger Qualität

Thomas Koslowski vom Caritasverband Hagen berichtete, wie der Verband sich schon 2005 gezwungen sah, bei Ausschreibungen Angebote abzugeben. Viele Träger hätten ausgegliederte GmbHs gegründet, um die Tarifstrukturen zu unterlaufen. So erreichte der Kostenträger damals sein Ziel, die Preise für soziale Dienstleistungen zu reduzieren, auf Kosten der Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Koslowski berichtete auch, dass selbst innerhalb von Kommunen die Einschätzungen zu Vergabeverfahren unterschiedlich seien. Vereinfacht gesagt: Die Abteilungen, die sich inhaltlich auskennen, sind skeptisch, während Juristen und Haushälter eher zu Ausschreibungen neigen.

Direktor Heinz-Josef Kessmann steht bei der CiNW-Fachtagung 'Vergaberecht' an einem Pult und hält eine Rede. Im Vordergrund ist das Publikum und im Hintergrund das Podium zu sehen.Heinz-Josef Kessmann, Sprecher der Diözesan-Caritasdirektoren, führte in das Thema des Fachtags ein. Ausgeschrieben werden beispielsweise Leistungen der Schulbegleitung, das Offene Ganztagsangebot, die Schulsozialarbeit oder die Schuldnerberatung. Häufig „gewinnt“ das billigste Angebot, das Nachsehen haben Wohlfahrtsverbände, die nach Tarif zahlen.Markus Lahrmann

Es gibt auch die Problematik, dass Ausschreibungen, die man lange Jahre erfolgreich bedient hat, inzwischen nicht mehr auf sich verändernde Zielgruppen passen. Sibylle Klings berichtete von solch einem Fall, bei dem ihr Verband in der Evaluation von Bildungsmaßnahmen für Menschen mit Vermittlungshemmnissen letztendlich schlecht bewertet wurde, weil er anders gearbeitet hatte als vorausgesetzt. Gleichzeitig aber stand am Schluss die offene Frage des Auftraggebers: "Wir verstehen nicht, warum Sie alle Teilnehmer der Maßnahme vermitteln konnten."

Am Schluss des Fachtags stand der Wunsch nach mehr Austausch zwischen den Caritas-Trägern, nach bundesweiten Musterkonzepten für konkrete Dienstleistungen, nach mehr sozialpolitischer Unterstützung, nach einer umfassenden Wirksamkeitsanalyse unter Einbeziehung inhalt­licher und sozialpolitischer Gesichtspunkte, nach einem Portal für mehr Überblick und nach dem Aufbau eines Erfahrungsnetzwerkes, nach mehr Rechtssicherheit. Oder gibt es vielleicht eine Agentur, die für die Träger die Aufgabe übernimmt, Vergabeverfahren rechtssicher zu bedienen bzw. fehlerhafte Verfahren zu bekämpfen?

Sozial braucht digital!?

AltenpflegerDeutscher Caritasverband, Fotograf: Darius Ramazani

Digitalisierung ist als Thema - manche sagen "endlich!" - auch in der Caritas angekommen. Wer jahre­lang glaubte, es handle sich um ein Nischenthema für die Spezialisten der Kommunikationsabteilungen und der Öffentlichkeitsarbeit, muss lernen, dass Digitalisierung Auswirkungen auf ausnahmslos jeden Bereich auch der sozialen Arbeit haben wird. In der April-Ausgabe 2018 von "caritas in NRW" wurden vor allem technische Hilfsmittel und Hardware-Devices vorgestellt, die in der sozialen Arbeit zur Anwendung kommen.

Digitalisierung umfasst aber auch:

  • softwaregestützte Analysemethoden
  • künstliche Intelligenz
  • vernetztes Arbeiten
  • neue und neuartige Gestaltung und Strukturierung von Marktprozessen und Kundenbeziehungen

Digitalisierung ermöglicht es beispielsweise, Prozesse einfacher zu machen, sie werden effizienter und besser, auch korrekter. Wir können Antworten auf Fragen bekommen, die wir vorher nicht stellen konnten, weil wir jetzt Daten haben. Wir können dezentraler arbeiten. Neue Geschäftsmodelle werden entstehen und den Sozialmarkt und seine Beziehungen zwischen Klienten und Leistungserbringern durcheinanderwirbeln.

Der "Rohstoff" für optimierte Arbeitsprozesse in einer digitalisierten Welt sind Daten. Verknüpft man genügend "gute" (d. h. geprüfte und standardisierte) Daten mit entsprechenden Operatoren, erhält man im besten Fall Werkzeuge zur Analyse und Prognose, die andere Entscheidungen ermöglichen als bisher. Diese "Werkzeuge" werden kommen, und sie werden den Alltag auch in der sozialen Arbeit massiv umkrempeln, wenn sie das viel gerühmte "Bauchgefühl", in dem sich Erfahrungswissen und Einfühlungsvermögen vermengen, ergänzen oder auch ersetzen. Mit allen Problemen, die daraus ebenfalls entstehen können und die zu diskutieren sind.

Technik verbessert die Steuerung

Einige Beispiele: Der Arbeitsmarktservice (AMS) in Österreich, vergleichbar der deutschen Bundesagentur für Arbeit, hat angekündigt, einen Algorithmus einzusetzen, um die Chancen von Arbeitslosen auf einen neuen Job zu bewerten. Solche Prognosen für die Wirksamkeit von Maßnahmen sollen die größtmögliche Effizienz der vorhandenen Fördermittel garantieren. Ein Knackpunkt bei einem solchen "Scoring-System": Frauen erhalten bei Bewertungen einen Abzug, nur weil sie Frau sind. Wenn sie dazu noch eine Betreuungsaufgabe haben (Kinder, pflegebedürftige Angehörige …), ist der Abzug dreimal so hoch. Nicht-EU-Bürger werden niedriger bewertet, Langzeitarbeitslose ebenso. Die Verantwortlichen sagen, sie nutzten die künstliche Intelligenz, um die Realität abzubilden. Die Probleme liegen auf der Hand: Existierende vorurteilsbehaftete Strukturen werden normativ verfestigt und prägen die Zukunft.

In den USA soll ein Algorithmus das Rückfallrisiko von verurteilten Straftätern berechnen. Die Prognosen der Software beeinflussen die Festsetzung der Kautions- und Strafhöhe oder die Entscheidung, ob eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Auch hier prägen im konkreten Fall Vorurteile die Ergebnisse: Bei Schwarzen warnt die Software zu oft und bei Weißen zu wenig vor einem Rückfall. Bei Weißen werden spätere Vergehen sogar doppelt so oft nicht vorhergesagt.

Beide Beispiele machen deutlich, dass softwaregestützte Analysemethoden neue Entscheidungen erfordern: Was zählt mehr: das Interesse der Allgemeinheit an ressourcenoptimiertem Einsatz von Finanzmitteln oder das Interesse des Einzelnen an einer vorurteilslosen Behandlung? Die Diskussion über diese und ähnliche Fragen erfordert zweierlei: eine umfassende Kenntnis der neuen technischen Möglichkeiten (und deswegen der Imperativ "Sozial braucht digital!") und ethische Kriterien, die die Auswirkungen abzuschätzen und zu bewerten helfen.

Technik ersetzt den Menschen

"Weil mehr Zeit bleibt, wenn man die Arbeit mit einer App teilt" - so eine der Botschaften aus der aktuellen Kampagne der deutschen Caritas. Dazu das Bild eines Pflegenden mit einem technischen Gerät in der Hand am Bett einer Patientin. Die Visualisierung des Themas "Sozial braucht digital" wirkt fröhlich. Die technischen Möglichkeiten sind immens: Neuartige Sensorik verhindert in stationären Altenheimen das unbemerkte Weglaufen von verwirrten Bewohnerinnen und Bewohnern. Andere Sensoren erkennen Stürze, können sie unterscheiden von Bücken oder Hin­knien. Technisches "Spielzeug", kleine Roboter mit menschenähnlichen Zügen, simuliert Beziehungen. Digital programmierte Technik überwacht Körperzustände, Roboter regen an zur Flüssigkeitsaufnahme. Wenn das alles zum Einsatz kommt (und funktioniert), dann, so die Hoffnung, bleibt mehr Zeit für den Menschen, für das wirklich Menschliche. Doch all diese neuen Errungenschaften müssen finanziert werden, Pflegekräfte müssen ihre Bedienung erlernen, ethische Fragen sind zu diskutieren und zu bewerten (s. o.).

Chatbots, die längst das Einkaufen in Online-Shops erleichtern, werden über kurz oder lang auch in die Online-Beratung einziehen - und zumindest einen Teil der Kommunikation übernehmen (können). Noch fünf Jahre - so schätzen Forscher -, dann beherrscht KI emotionale Kommunikation. Doch was bedeutet das für die Beziehung zwischen Klient und Sozialarbeiterin? Was ist, wenn sich Klienten beim Bot besser aufgenommen und beraten fühlen als beim Menschen? Was ist, wenn ihnen der Unterschied gar nicht mehr bewusst wird - oder falls doch: egal ist? Was sich möglicherweise als Rezept gegen den Fachkräftemangel durchsetzen wird, wird auch die Kostenträger begeistern.

Die Gewinner der Plattform-Ökonomie

Immer mehr Menschen fühlen sich wohl mit Alexa, Siri oder Cortana, erteilen ihnen Befehle, hören auf ihre (Kauf-) Empfehlung, holen ihren Rat ein. Wenn der Kunde sagt: "Alexa, ich brauche einen Pflegedienst in Bochum" - wen nennt Alexa dann? Die AWO? Ein polnisches Start-up? Die Diakonie? Einen anderen Privaten? Oder empfiehlt Alexa als kostengünstige Alternative ein Gesamtpaket, das zufällig vom Pflege-Amazon angeboten wird? Das zudem noch rabattiert wird, weil es modular aufgebaut ist und damit auch einen Platz in der Reha-Klinik für den Neffen aus Kiel umfasst?

Was bedeutet es für Träger caritativer Arbeit, wenn potenzielle Kunden oder Klienten den Zugang zu sozialen Diensten auf einmal über eine Plattform suchen? Muss die Caritas demnächst ihre Sozialdienste und -angebote auf Plattformen einstellen, weil sie dort von einer relevanten und steigenden Anzahl von Nutzern gesucht werden? Muss die Sozialstation der Caritas dann an das Pflege-Amazon "Einstellgebühren" zahlen und Provisionen leisten, wenn sie kostendeckend Umsatz machen will? Die Diskussion innerhalb der Caritas steht erst am Anfang.



NRW-Digitalstrategie

Der ressortübergreifend entstandene Entwurf einer Digitalstrategie der NRW-Landesregierung berücksichtigt auch Themen wie Soziales und Bildung. Die Caritas in NRW hat sich u. a. mit einer Stellungnahme in dem Prozess zu Wort gemeldet.

Anfang Januar will die Landesregierung die eingegangenen Stellungnahmen, die 1400 Priorisierungen und die Online-Kommentare sowie die Eingaben auf der Digitalkonferenz Ende Oktober ausgewertet haben und ihre Digitalstrategie für Nordrhein-Westfalen beschließen.

www.digitalstrategie.nrw

Erste landesweite Caritas-Wallfahrt

Die Messe während der Wallfahrt der Caritas in NRW in der Marienbasilika in Kevelaer. Das Foto wurde vom Altar aus aufgenommen und zeigt die gefüllten Bänke, die Orgel und den Haupteingang der Kirche.Tobias Kleinebrahm

Mit Bussen, per Fahrrad und sogar zu Fuß waren die Caritas-Mitarbeiter in die Marienstadt am Niederrhein gekommen. Zu Beginn der Wallfahrtsmesse in der Basilika begrüßte Wallfahrtsdirektor ­Gregor Kauling die Teilnehmer und wünschte ­ihnen, dass sie an diesem Tag Kraft für ihre ­herausfordernde Aufgabe schöpfen können: "Hinter jedem von Ihnen stehen so viele Menschen, die von dem Lungenflügel Caritas Atem schöpfen. Heute sind Sie dran, Atem zu holen."

Da tue es gut, in einer großen Gemeinschaft unterwegs zu sein und zu erfahren, "dass viele mit ihnen unterwegs sind", sagte Domkapitular Josef Leenders in seiner Predigt. Häufig wisse man nicht, was einen erwarte, wenn man ein Krankenzimmer oder das Zimmer in einem Altenheim betrete. "Aber Sie gehen auf die Menschen zu mit der Botschaft: Jetzt bin ich für dich da".

Europa bedeutet Liebe, Frieden und Entwicklung

 "Europa bedeutet für mich Liebe, Frieden und Entwicklung."

Jorge Nuño Mayer 

Porträt: Jorge Nuño MayerJorge Nuño Mayer (52 Jahre), Generalsekretär der Caritas EuropaPrivat

Liebe: Mein Vater, ein spanischer Gastarbeiter, lernte im Erftkreis meine deutsche Mutter kennen. Jahre später heiratete ich eine wunderbare Polin. Wie viele Erasmus-Paare und allgemein grenzüberschreitende europäische Familien gibt es mittlerweile? Auch die Caritas (lateinisch: Liebe) bringt überall in Europa Liebe an Menschen in Not.

Frieden: über 70 Jahre Frieden im Europa der EU. Viele mögen Frieden so natürlich gegeben sehen wie dass auf die Nacht der Tag folgt, aber - die Geschichtsbücher erzählen es uns - es ist nicht so. Frieden muss tagtäglich errungen werden. So häkelt auch die Caritas Frieden durch Zusammenarbeit in ganz Europa.

Entwicklung: Europa "ist" nicht, Europa ist ein permanentes "Werden": EU-Erweiterungen; unendliche Debatten, Entscheidungen und Umsetzungen; permanente Krisen, die immer einen Schritt weiter führen; von der von Eseln angetriebenen Wasserpumpe meiner spanischen Kindheit zu modernsten Infrastrukturen in ganz Europa; Umweltschutz; interne Solidarität mit Arbeitslosen, mit benachteiligten Regionen; Entwicklungshilfe - die EU ist der weltweit größte Spender für Entwicklung und Katastrophenhilfe; Fehler begehen und aus Fehlern lernen; und, und, und … immer ein Werden. So wie die Caritas in Europa.

Deswegen gehe ich zur Wahl!

Das Logo der Aktion 'care4eu' zur Europawahl 2019Im Europaparlament werden wichtige Rahmenbedingungen für unser Leben getroffen. Wählen ist Teilnahme und Teilhabe. Ich gehe zur Wahl, damit Europa weiter wird, damit die Menschen und Gesellschaften sich weiterentwickeln, damit der Frieden besteht und kein Krieg mehr kommt, damit die Liebe siegt.

Europawahl: in Deutschland am 26. Mai 2019
#care4EU

Perspektivwechsel ohne Schock

Porträt: Celina HerrCelina Herr, 23 Jahre, studiert Soziale Arbeit im 5. Semester an der Katholischen Hochschule Münster. Ihr Praxissemester beim Betreuungsverein des Caritasverbandes Münster begann am 1. August 2018 und endet am 31. Januar 2019.Lisa Uekötter

Statt Seminaren in Sozialrecht und Psychologie stehen für die Studentin der Sozialen Arbeit jetzt "Hausbesuche" und "Anträge stellen" auf dem Stundenplan.

"Meine Kollegen helfen zum Beispiel bei Schriftwechseln oder organisieren den Umzug in ein betreutes Wohnen", beschreibt Celina Herr einige Aufgaben der Vereinsbetreuer bei der Caritas . Wenn Menschen aufgrund einer psychischen Krankheit, geistiger, seelischer oder körperlicher ­Behinderung in einem oder mehreren Bereichen ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können, kann das Betreuungsgericht auf Antrag einen rechtlichen Betreuer bestellen. Dieser übernimmt nur die rechtliche Vertretung für bestimmte Bereiche. "Das Ziel ist immer, die Eigenständigkeit des Betreuten zu erhalten", sagt Herr.

Dass der angehenden Sozialarbeiterin ihr vorübergehender Arbeitsplatz sehr gut gefällt, wird schnell deutlich: "Dieser Mix aus Klientenkontakt und Büroarbeit macht mir besonders viel Spaß." Celina Herr stellt Anträge und setzt Schreiben an verschiedene Institutionen auf, begleitet aber auch ihre sechs Kollegen zu regelmäßigen Hausbesuchen bei Betreuten. Erstgespräche für neu aufgenommene Betreuungen findet sie besonders spannend: "Von Anfang an in die Betreuung mit eingebunden zu sein, ist schön."

Der übliche Praxisschock ist bei der Studentin ausgeblieben, denn Erfahrungen in der sozialen Arbeit hatte sie schon reichlich gesammelt. In einem Freiwilligen Sozialen Jahr arbeitete sie in den Außenwohngruppen für Menschen mit geistiger Behinderung des Caritasverbandes Emsdetten-Greven. "Für mein anschließendes Fachabitur habe ich ein Jahrespraktikum im Haus vom Guten Hirten gemacht, einer Einrichtung für Menschen mit psychischer Erkrankung und geistiger Behinderung", berichtet Celina Herr. "Im Praxissemester wollte ich noch mal eine neue Perspektive bekommen", erzählt die 23-Jährige von ihrer Suche nach einem passenden Platz. Fündig geworden ist sie über die Praktikumsbörse ihrer Hochschule.

"Ehrenamt vor Hauptamt" ist ein wichtiger Grundsatz in der rechtlichen Betreuung, den die Kollegen Celina Herr früh mitgegeben haben. Denn eine zentrale Aufgabe des Vereins sind die Beratung und Fortbildung sowie Gewinnung von ehrenamtlichen Betreuern. "Mich haben sie auf jeden Fall schon begeistert", sagt die Praxis­semestlerin. Bald möchte sie als Ehrenamt­liche Menschen im alltäglichen Leben da unterstützen, wo es notwendig ist: "Das ist ein super Ehrenamt!"

www.caritas-ms.de



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Ab und an muss es einen Schubs geben

Ein Mann im Blaumann der ein Tuch und den Deckel einer Thermoskanne in den Händen hält. Im Hintergrund ist eine Wand mit grauen Fliesen, ein Spiegel und ein Seifenspender zu sehen."Leistungen werden künftig personenzentriert bereitgestellt."Armin Fischer

Bettina Esser lebt gerne in ihrer Außenwohngruppe der Wohnanlage St. Bernardin, einer Einrichtung für Menschen mit einer geistigen und/oder komplexen Behinderung in Kamp-Lintfort. Sie brauche Menschen um sich, sagt sie, allein zu wohnen, könne sie sich nicht vorstellen. Abends sitzt sie gerne mit ihren Mitbewohnern zusammen im Wohnzimmer. Daran wird sich für sie am 1. Januar 2020 nichts ändern, wenn sie aus ihrem Zimmer über Flur und Treppe dorthin geht.

Für Wolfram Teschner schon. Für den Geschäftsführer der Caritas Wohn- und Werkstätten Niederrhein (CWWN) läuft sie dann von ihrer "Wohnfläche" über eine "Mischfläche", um es sich in der "Fachleistungsfläche" gemütlich zu machen. Die Betriebs- und Investitionskosten jeder Fläche müssen dann auf den einzelnen Bewohner umgerechnet werden und centgenau den jeweils zuständigen Kostenträgern monatlich in Rechnung gestellt werden. Was noch einfach erscheint. Aber was ist der Garten? Wohn- oder Fachleistungsfläche? Weil sich Bettina Esser hier möglicherweise nicht nur erholt, sondern sie auch betreut, beraten, angeleitet wird und damit eine Fachleistung erbracht wird?

Zu Beginn des nächsten Jahres sollen die Regelungen des "Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen", kurz Bundesteilhabegesetz (BTHG), den Praxistest bestehen. Aber noch gibt es mehr Fragen als Antworten, wird zäh mit Arbeitsgruppen und Unter-Arbeitsgruppen sowie Konsensrunden um die Formulierungen des notwendigen Landesrahmenvertrags zwischen Freier Wohlfahrtspflege, Landschaftsverbänden, Kommunalvertretern, privaten Anbietern und Selbsthilfeverbänden gerungen.

Porträt: Wolfram Teschner, der mit seinen Armen gestikuliertGeschäftsführer Wolfram Teschner muss mit allen Bewohnern der CWWN komplett neue Verträge über Wohnen und Betreuungsleistungen schließen.Armin Fischer

Dass die erforderlichen Kompromisse gefunden, die sich daraus ergebenden Formulare entworfen und alle Teilhabegespräche rechtzeitig geführt werden können, erscheint sowohl Teschner wie auch Volker Supe mehr als fraglich. Supe arbeitet als Referatsleiter Behindertenhilfe im Diözesan-Caritasverband Münster am Landesrahmenvertrag mit. Den wollen die beiden Landschaftsverbände mit den Spitzenverbänden der Einrichtungen abschließen, um einheitliche Regelungen für ganz Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

Immer stärker werden derweil die Befürchtungen, dass eine an sich gute Idee (= mehr Teilhabe) durch überbordende Bürokratie ins Gegenteil verkehrt werden könnte. Mehr Personenzentrierung will das Gesetz, damit soll der UN-Behindertenrechtskonvention stärker gefolgt werden. Das unterschreibt Wolfram Teschner gerne und hat auch kein Problem, zuzugeben, "dass es dafür ab und an einen Schubs geben muss". Aber dafür brauche es nicht mehr Verwaltung.

Angehörige müssen sich aktiv kümmern

Eine Grundidee des BTHG ist, die Leistungen zu trennen. Künftig müssen die Menschen mit Behinderung oder ihre Betreuer Grundleistung für Wohnen und Leben wie andere Sozialhilfeempfänger bei den Kommunen beantragen und die von der Wohneinrichtung gestellte Rechnung davon bezahlen. Die Landschaftsverbände übernehmen weiter die Betreuungsleistung.

Wolfram Teschner, der für die wirtschaftliche Stabilität der Einrichtung verantwortlich ist, ist skeptisch, ob das funktionieren wird: "Bei Ausfällen ist unser großes Problem die Liquidität." Eigentlich sei die Rechtslage klar, so Volker Supe: Wird die Rechnung zwei Monate nicht beglichen, kann gekündigt werden. "Das können wir als Caritas nicht", sagt Supe. Theoretisch stände sonst nämlich der behinderte Mensch auf der Straße, weil der Kostenträger nicht gezahlt hätte. Aber andererseits dürfe nicht die Hilfe für alle gefährdet werden, wenn einige nicht zahlten.

Die CWWN haben deshalb mit der Information der Angehörigen längst begonnen. Das Interesse ist groß, das Unverständnis allerdings ebenso, wie die ersten Rückmeldungen zeigen. Er kenne sich etwas mit juristischen Texten aus, sagt Wolfram Teschner, aber er verstehe das auch nicht alles. Bettina Esser, stellvertretende Vorsitzende des Werkstattrats, formuliert es für sich deutlicher: "Das hat einer geschrieben, ohne sich schlaugemacht zu haben." Diesen Eindruck des mangelnden Einblicks in die Praxis teilt Heinz Gatzlaff (74). Der Vorsitzende des Angehörigenbeirats der CWWN hat Sorge, dass viele Eltern, die häufig auch die rechtliche Betreuung übernommen haben, mit den bürokratischen Erfordernissen überfordert sein werden. "Die meisten haben noch nicht realisiert, was auf sie zukommt", hat er als Erkenntnis aus vielen Gesprächen gewonnen.

Bettina Esser (Bewohnerin der CWWN) blickt auf Wolfram Teschner (Geschäftsführer der CWWN), der am Bildrand zu sehen ist)Erst auf Basis der neu geschlossenen Verträge über Wohnen und Betreuungsleistungen kann dann Bewohnerin Bettina Esser ihre Leistungen beim zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger beantragen.Armin Fischer

Bei allen Ungewissheiten sind zwei Dinge jedenfalls geklärt: Allein der Landschaftsverband Westfalen-Lippe schafft rund 100 neue Stellen, um den künftigen Hilfebedarf mit jedem einzelnen Bewohner und Beschäftigten zu klären. Das BTHG legt aber fest, dass die Umsetzung insgesamt kostenneutral erfolgen muss. Kosten für 100 neue Stellen beim Landschaftsverband müssen dann woanders eingespart werden. Sparen lässt sich als Erstes im Freizeitbereich der Einrichtungen. Im Detail ist der Kostendruck dort schon jetzt spürbar. Heinz Gatzlaffs Sohn ist gerne mal mit einem Begleiter ins Kino gegangen. Aber das gebe es nicht mehr, weil Überstunden gestrichen worden seien.

Höherer Verwaltungsaufwand wäre aus Sicht von ­Teschner durchaus zu rechtfertigen, wenn er dem Ziel der besseren Personenzentrierung dienen würde. Aber da sind die CWWN wie viele andere Behinderteneinrichtungen auch so schon weit gekommen. Bettina Esser hat die Wohnform längst gefunden, in der sie bleiben möchte. Mit ihrer Arbeit auf einem Außenarbeitsplatz in Straelen ist sie bestens zufrieden.

Gabriel Ditz (21) lebt seit fünf Jahren in einer Wohngruppe, aber er möchte allein wohnen. Sein Wunsch wird sich in diesem Jahr erfüllen. Er wird sich eine Wohnung in Duisburg suchen und zweifelt nicht, dass er mit wenigen Stunden Betreuung gut allein klarkommen wird. In der Werkstatt in Moers fräst und dreht er Teile für Solarpaneele, immer wieder andere. Das erfordert präzise Arbeit und Konzentration. In seiner Freizeit lebt er seine Hobbys: shoppen gehen, Basketball spielen, Musik hören. Er sagt: "Ich bin sehr, sehr zufrieden", und freut sich, dass "wir in einem sehr sozialen Land leben".

Porträt: Heinz Gatzlaff, der mit seinem linken Arm gestikuliertMacht sich Sorgen: Angehörigenbeirat Heinz GatzlaffArmin Fischer

Dabei bietet das Gesetz neben der Grundidee durchaus Fortschritte. Es hat zum Beispiel den Posten der Frauenbeauftragten eingeführt. Carina Brunokowski (31) ist dies seit anderthalb Jahren in den CWWN. Sie freut sich über die Fortbildungen, die sie dafür machen kann, den Flyer, den sie zusammen mit Öffentlichkeitsarbeiterin Andrea Emde erstellt hat, und die vielen neuen Kontakte und Erfahrungen, die das Amt mit sich bringt. Sie plant, mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Moers Kontakt aufzunehmen, die ihr Unterstützung zugesagt hat.

Grundmisstrauen gegenüber den Einrichtungen

Die guten Ansätze des Gesetzes leiden unter einer falschen Grundannahme. Bedarfsermittlung und stärkere Steuerung der Leistungen durch die Kostenträger basieren auf einem Grundmisstrauen. Unterstellt wurde, dass die Einrichtungen und Dienste ihren Bedarf und damit ihre Einnahmen selbst schaffen. Eine solche Vermutung allerdings hat sich beim Ausbau des ambulant betreuten Wohnens schon einmal als Trugschluss erwiesen. Die individuelle Bedarfsermittlung durch die Landschaftsverbände hat zu mehr Leistungen geführt. Gleiches erwartet Volker Supe auch diesmal: "Wenn man genauer hinschaut, ergibt sich eher mehr Bedarf." Abzuwarten ist, wie die Leistungsträger ihre neuen Steuerungsmöglichkeiten mit Blick auf ihre Finanzlage nutzen werden. Im Ergebnis darf es - siehe oben - nicht mehr kosten, aber die zusätzlichen Planstellen müssen finanziert werden. Inklusion benötigt aber in der Regel Assistenz, und deshalb ist Wolfram Teschner skeptisch, ob das BTHG tatsächlich die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention wird umsetzen können und zu mehr Teilhabe führen kann.

www.cwwn.de



Gleichstellung als Mammutaufgabe

Nach dem Bundesteilhabegesetz müssen nun auch Menschen, die in einer Einrichtung leben, bei ihrer Kommune unter anderem Hilfe zum Lebensunterhalt beantragen. Betroffene werden durch das Gesetz gleichgestellt. Es umzusetzen ist jedoch eine Mammutaufgabe. Auch das Heute-Journal berichtet in seiner Ausgabe vom 30. Dezember 2019 über die Umsetzung des Bundesteihabegesetzes in den Caritas-Wohn- und Werkstätten Niederrhein.

www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-30-12-2019-100.html



Bundesteilhabegesetz

Die Zeit ist knapp

Porträt: Wolfgang MeyerWolfgang Meyer ist Vorstandssprecher des Sozialwerks St. GeorgBarbara Bechtloff

"Wir als Anbieter wie auch die Menschen mit Assistenzbedarf selbst brauchen so früh wie möglich Klarheit über die weiteren Rahmenbedingungen der Ausgestaltung des
BTHG. Solange ein Landesrahmenvertrag fehlt, können wir viele Fragen von Klientinnen und Klienten, Angehörigen und Mitarbeitenden nicht beantworten, und die Zeit ist
knapp. Denn wegen der Trennung der Leistungen ab 2020 müssen viele Menschen, die bislang in stationären Einrichtungen wohnen, noch in diesem Jahr einen Antrag auf Sozialhilfe stellen und von den Kommunen einen rechtssicheren Bescheid erhalten. Das macht Tausende zusätzliche Anträge in NRW

Da ist es von großer Bedeutung, dass das Land einen guten, möglichst unbürokratischen Rahmen setzt. Wir fordern, dass das BTHG in der Ausgestaltung kein Bürokratiemonster wird und für alle umsetzbar bleibt. Die Kostenträger müssen sich mit uns Anbietern gemeinsam darum kümmern, dass die Veränderungen keine neuen Barrieren für die Menschen mit Assistenzbedarf darstellen. Denn schließlich wollen wir die Umsetzung persönlicher Ziele von Menschen mit Behinderung mit diesen zusammen stärken - und nicht schwächen!"

Das Sozialwerk St. Georg mit Sitz in Gelsenkirchen ist ein soziales Dienstleistungsunternehmen, das in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens ein vielfältiges Leistungsspektrum für Menschen mit Assistenzbedarf bereithält. Rund 2700 Mitarbeitende unterstützen rund 4500 Menschen mit Behinderung.

www.sozialwerk-st-georg.de

Reparieren und Klönen

Kunden und Kundinnen des Repair-Cafés in Werl-Westönnen sitzen zusammen an einem Tisch zu Kaffee und KuchenWährend in den Nebenräumen geschraubt, geleimt und getüftelt wird, treffen sich die Kunden“ in geselliger Runde zum Klönen. Natürlich sorgen die Caritas-Frauen dafür, dass die fleißigen Handwerker ebenfalls zwischendurch mit Kaffee und Kuchen versorgt werden.Jürgen Sauer

Reinhard Müller strahlt übers ganze Gesicht: Endlich funktioniert er wieder, sein kleiner roter Flitzer. "1953 hat mir meine Schwester dieses Modellauto zu Weihnachten geschenkt", berichtet der Rentner aus Werl-Westönnen. Im Lauf der Jahre hat dann die Aufziehmechanik ihren Geist aufgegeben. Der stolze US-Straßenkreuzer, laut Bodenblech gefertigt in der "amerikanischen Besatzungszone", war zum Stillstand verdonnert - bis zum Januar 2019. Da öffnete in Westönnen das Reparatur-Café, ein Gemeinschaftsprojekt der Caritas-Konferenz des Dorfes und des Caritasverbandes für den Kreis Soest. Exakt 22 reparaturbedürftige Gegenstände - vom Esszimmerstuhl über Haushaltsgeräte bis eben zum Modellauto - wurden direkt am ersten Tag zur Reparatur abgegeben. "80 Prozent der Dinge konnten repariert werden", so die stolze Bilanz von Dieter Holtheuer, der sich um die Warenannahme und -ausgabe kümmert.

Wichtig ist die sorgfältige Nummerierung der Gegenstände, denn in der alten Hofstelle Kenter geht es an den Öffnungstagen zu wie im Taubenschlag. Im Minutentakt kommen Gäste, bringen defekte CD-Spieler, Lampen, Uhren, Drucker, Fahrräder oder Möbel. Rita und Friedel Grümme haben heute einen besonderen weihnachtlichen Schwibbogen dabei, eine Laubsägearbeit, die Kirche und Pfarrhaus des Dorfes darstellt. Leider tut’s die Beleuchtung nicht mehr. Kein Problem für Werner Wanders, den gelernten Kfz-Schlosser und nun Mitglied im Reparatur-Café-Team. So wie Burkhard Kanthak, ehemaliger Kälteanlagenbauer, der "mal eben" einem Luftentfeuchter wieder Leben einhaucht, weil sich eine Kabelverbindung gelöst hat.

Vier Senioren bei der Reparatur von Geräten im Repair-Café in Werl-WestönnenOb defekte Fahrräder, Stühle, Drucker, Lampen oder Luftentfeuchter: Es gibt kaum ein Teil, vor dem das Team des Reparatur-Cafés zurückschreckt.Jürgen Sauer

Kniffliger wird es schon bei defekten CD-Spielern und vor allem bei Nähmaschinen. "Inzwischen kooperieren wir schon mit anderen Reparatur-Cafés", sagt Maria Kemper, Leiterin der Caritas-Konferenzen und eine der Initiatorinnen des Projekts. "So hat zum Beispiel das Reparatur-Café im benachbarten Niederense eine Person, die sich mit Nähmaschinen auskennt. Wir wiederum haben Experten für Computer und Handys." Im Gegensatz zu vielen anderen Caritas-Projekten dominieren beim Reparatur-Café die Männer: Elf Herren gehören zum Werkstatt-Team, drei Damen kümmern sich um die Bewirtung der Gäste mit Kaffee und Waffeln. Alles läuft auf Spendenbasis.

Etwa die Hälfte der engagierten Handwerker, Bastler und Tüftler ist bereits im Rentenalter, die andere Hälfte ist noch berufstätig und stößt erst am späten Nachmittag zum Team hinzu. Für Maria Kemper ist es wichtig, dass nicht nur gelernte Handwerker wie Schreiner, Schlosser oder Elektriker mitmachen, sondern möglichst alle Männer integriert werden, die sich engagieren wollen. So gibt es etwa auch einen ehemaligen Postbeamten, der sich mit Fahrrädern auskennt und über das Engagement im Reparatur-Café eine neue Einbindung in die Dorfgemeinschaft gefunden hat.

Porträt: Reinhard Müller, der ein altes, rotes Spielzeugauto in den Händen hältReinhard Müller: stolzer Besitzer eines – jetzt wieder funktionsfähigen – 70 Jahre alten SpielzeugautosJürgen Sauer

Die inzwischen rechtlich geschützte Idee eines Repair-Cafés stammt von der Niederländerin Martine Postma. "Uns beeindruckte der ­Gedanke der Nachhaltigkeit: Gegenstände eben nicht sofort wegzuwerfen, sondern wieder zu reparieren", so Maria Kemper. Als Caritas-Frau weiß sie, dass es beim Reparieren von Dingen nicht nur um ideelle Werte wie Spielzeugautos oder Weihnachtsdeko geht. "Vielen Haushalten fällt es schwer, kaputte Haushaltsgeräte durch neue zu ersetzen." Das Reparatur-Café trägt also auch zur finanziellen Entlastung von Familien bei. In Konkurrenz zu gewerblichen Betrieben möchte man nicht treten. Es geht um Kleinstreparaturen, wobei vieles auch nicht mehr zu reparieren ist und entsorgt werden muss. Froh sind die Ehrenamtlichen, dass der Caritasverband für den Kreis Soest die Trägerschaft übernommen hat und damit auch die versicherungsrechtliche Frage gelöst ist. Die CaritasStiftung für das Erzbistum Paderborn hat die Grundausstattung bezuschusst.

Ideal für das Projekt erweist sich die zentral gelegene ehemalige Hofstelle. Besitzer Ulrich Kenter ist froh, dass der Hof seiner Vorfahren sinnvoll genutzt wird und jeden ersten Mittwoch im Monat zu einem quirligen Ort der Begegnung geworden ist. Gesellig geht’s dann zu in den urigen Stuben des alten Bauernhauses. Maria Kemper: "Jeder kann vorbeischauen und in gemütlicher Runde bei Kaffee, Tee, Kuchen oder einer Flasche Bier gegen eine Spende klönen."



Standorte von Repair-Cafés

  • Ahlen
  • Bocholt
  • Bochum
  • Dortmund
  • Erkelenz
  • Euskirchen
  • Geldern (in der Gründungsphase)
  • Horstmar
  • Ibbenbüren
  • Kamp-Lintfort
  • Köln
  • Moers
  • Rheinberg
  • Rheine
  • Recklinghausen
  • Waltrop
  • Wesel
Konsequenzen für Kinderschutz und Kinderrechte

Eine Schweigeaktion in Hameln, bei der drei Frauen und ein Mann ein Banner zum Missbrauchsskandal von Luegde an einem Bauzaun befestigten und viele Kinderschuhe auf den Boden stelltenNiedersachsen, Hameln: Menschen halten bei einer Schweigeaktion für die „Kinder von Lügde“ Transparente mit der Aufschrift „Schweigen für die Kinder von Luegde“ und „Worte fehlen“. Mit der Schweigeaktion soll auf das Schicksal der missbrauchten „Kinder von Lügde“ aufmerksam gemacht werden.Christophe Gateau, picture alliance/dpa

Die Fakten: Mehr als 40 Kinder zwischen vier und 13 Jahren wurden auf dem Campingplatz in Elbrinxen von mutmaßlich acht Verdächtigen über zehn Jahre hinweg sexuell missbraucht. Die Ermittler gehen von mindestens 1000 Taten aus, darunter Fälle schwersten sexuellen Missbrauchs. Das monströse Verbrechen hat sich zum handfesten Behördenskandal entwickelt. Im Fokus: das Jugendamt im niedersächsischen Hameln und die Kreispolizeibehörde Lippe. Das Jugendamt hatte dem Hauptbeschuldigten Andreas V., einem 56-jährigen arbeitslosen Dauercamper, der bei der Polizei Lippe seit 2002 im Verdacht des Kindesmissbrauchs steht, ein späteres Opfer als Pflegekind anvertraut - auf Wunsch der in Hameln lebenden Mutter. Billigend in Kauf genommen wurden dessen Wohnumstände. Die verwahrloste Campingplatz-Unterkunft wurde vom Jugendamt zwar als nicht optimal, aber als angemessen bewertet. Kontrollbesuche fanden durch einen vom Jugendamt beauftragten Träger der sozialpädagogischen Familienhilfe statt. 2016 erhält die Polizei zwei konkrete Hinweise auf Kindesmissbrauch durch Andreas V. Die Polizei reagiert, indem sie das Jugendamt Hameln um Prüfung bittet. Dort kommen diese Informationen angeblich nicht an.

Am 20. Oktober 2018 erstattet eine Mutter Anzeige wegen Vergewaltigung ihrer neunjährigen Tochter durch Andreas V. Erst über drei Wochen später wird dessen inzwischen sechsjährige Pflegetochter aus ihrem Martyrium durch Inobhutnahme befreit. Andreas V. wird am 6. Dezember in Untersuchungshaft genommen. Erste größere Datenmengen, insgesamt 15 Terabyte, werden als Beweismittel sichergestellt. In den folgenden Wochen kommt es zu folgenschweren Pannen bei der Ermittlung. Datenträger verschwinden aus Räumlichkeiten der Polizei in Detmold; trotz mehrfacher Durchsuchung des Tatortes tauchen dort anschließend immer neue Beweismittel auf. Wegen unprofessioneller Arbeit muss der Chef der Kreispolizeibehörde Detmold gehen, die nächsthöhere Instanz in Bielefeld übernimmt. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gerät unter politischen Druck. Gegen acht Verdächtige wird ermittelt, drei sitzen in Haft. Verantworten müssen sich auch Behördenmitarbeiter: zwei Polizisten und acht Mitarbeiter von Jugendämtern, außerdem vier Mitarbeiter von Jugendhilfe-Trägern.

Die Konsequenzen: Überfordert, überlastet, unprofessionell - vernichtend fielen in Kommentarspalten von Zeitungen und Social Media die Urteile über Personen aus, die sich eigentlich von Berufs wegen um das Wohl von Kindern kümmern sollen. In der Schusslinie sind in erster Linie die Mitarbeiter des verantwortlichen Jugendamtes; die Kritik mancher Kommentare richtet sich aber auch allgemein gegen Professionelle in der Jugendhilfe, immerhin hatte das Jugendamt Hameln einen externen Familienhilfe-Träger mit der Begleitung und Betreuung des Haupt­opfers beauftragt. Obwohl hier individuelles Versagen eine Rolle spielt, stellt sich in der Gesellschaft durchaus die "Systemfrage": Ein differenziertes (und kostenintensives) System der Kinder- und Jugendhilfe ist offensichtlich nicht in der Lage, Kinder zu schützen. "Volkes Stimme" hat Minister Reul so zusammengefasst: "Meine Oma hätte gemerkt, dass da was nicht stimmt."

Systemisches Versagen beim Jugendamt

Obwohl das konkrete Versagen und auch die Schuld Einzelner noch nicht abschließend geklärt sind, gibt es schon jetzt Hinweise auf systemische Mängel, vor allem aufseiten der Jugendämter. So würden bis heute keine zuverlässigen fachlichen Kontrollinstanzen für kommunal agierende ­Jugendämter existieren, betont Prof. Dirk Nüsken von der Evangelischen Fachhochschule Bochum in einem Interview mit dem Sender n-tv. Die Landesjugendämter berieten lediglich, hätten jedoch keine Aufsichtsfunktion. "Gerade eher kleinere Jugendämter, wie es Lippe und Hameln-
Pyrmont sind, haben oftmals nicht die Infrastruktur für ein entsprechendes Fachcontrolling und eine interne Revision von Fallverläufen."

Wie wichtig externe fachliche Kontrollen und akribisch überprüfbare Vorgehensweisen sind, wird gerade beim Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs deutlich. Während gewalttätige Eltern oder Pflegepersonen in der Regel deutlichere Spuren hinterließen, seien die Anzeichen bei sexuellem Missbrauch schwieriger zu erkennen. Komme dann noch ein professionell agierendes Netzwerk pädosexueller Gewalttäter hinzu, seien auf sich allein gestellte und möglicherweise ungeschulte Mitarbeiter hoffnungslos überfordert. Nüsken: "Wir haben zum Teil sehr gut aufgestellte Jugendämter und weiterhin andere, die nahezu ständig unter Personalmangel und schlechten Fachstandards leiden." Dies befördere dann ein Organisationsversagen, das nicht nur der einzelnen Fachkraft anzulasten sei.

Der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Roerig, lenkt den Blick auf die gesellschaftliche Dimension, konkret: auf den offensichtlich bedeutenden Markt für Konsumenten von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs. "Wir müssen in Deutschland daran arbeiten, diesen Markt trockenzulegen", sagte Roerig dem "Westfalen-Blatt". Die wichtigste Plattform dieses Marktes, das Internet, sei in Deutschland ein Paradies für Pädosexuelle. Auf die neuen Dimensionen, die digitale Medien mit sich brächten, sei der Kinderschutz noch gar nicht eingestellt. Roerig spricht sich für deutliche rechtliche Konsequenzen aus, so etwa für die Wiedereinführung einer EU-rechtskonformen Vorratsdatenspeicherung. IP-Adressen seien oft die einzigen Spuren zu den Tätern.

Auch das sogenannte Cybergrooming, die Anbahnung sexueller Kontakte im Internet, ist in Deutschland bislang straffrei. Nach Roerig soll Cybergrooming strafbar werden, um verdeckte Ermittlungen zu ermöglichen. Kompromisslos ist Roerig bei der Forderung nach einer Meldepflicht für Internetdienstleister, wenn dort kinderpornografisches Material auftaucht. "Das muss künftig dem Bundeskriminalamt oder den Landeskriminalämtern gemeldet werden." In den USA sei dies Praxis. "2017 bekamen wir von dort 35000 Meldungen zu Missbrauchsabbildungen mit Bezug zu Deutschland. Wir haben in Deutschland eine viel geringere Zahl registriert." Die Rechtslage müsse in Deutschland weiterentwickelt werden, Datenschutz dürfe nicht vor Kinderschutz gehen.

NRW bräuchte ein Landespräventionskonzept

Welche strukturellen Hebel gibt es auf lokaler und regionaler Ebene, um Kinderschutz und Kinderrechte zu stärken? Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe im Erzbistum Paderborn (DiAG) sieht vor allem die Jugendhilfeausschüsse in den Kommunen in der Pflicht. "Diese müssen sich an die Spitze der Bewegung setzen und das Thema konsequent bearbeiten", erklärt der DiAG-Vorsitzende Friedhelm Evermann. Auch fehle in NRW ein Landespräventionskonzept, in dem Standards für Kinderschutz definiert würden und eine Kooperation aller unterschiedlichen Handlungsfelder wie Jugendhilfe, Gesundheits- oder Bildungswesen geregelt sei.

Ein derartiges Landespräventionskonzept könnte auch verbindliche Fortbildungen festschreiben: "Lehr- und Fachkräfte in Jugendhilfe, Schule und weiteren Institutionen müssen flächendeckend geschult werden." Zu diesen Institutionen sollten auch die Familiengerichte gehören. Evermann: "Die Entscheidungen von Familiengerichten sind im Rahmen des Kinderschutzes manchmal kaum nachvollziehbar. Bei aller Unabhängigkeit von Gerichten sollte über eine fachgerechte Beratungs- und Fortbildungskultur der Gerichte nachgedacht und nicht nur auf die Heranziehung von Gutachtern im Einzelfall verwiesen werden."

Kontakt zu Friedhelm Evermann: information@jugendhilfe-elisabeth.de
Kontakt zum Autor: j.sauer@caritas-paderborn.de



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#carital – erfolgreicher Schlüssel zur Digitalisierung

Erzieherin mit KindDeutscher Caritasverband, Fotograf: Darius Ramazani

Viele Träger können die digitalen Herausforderungen allein nicht bewältigen, sie benötigen Hinweis und Beratung bei technischen Entwicklungen (z. B. IT-Infrastruktur) und Unterstützung bei der Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Finanzielle Investitionen sind also gleich in zweifacher Weise zu leisten, der Bedarf an Konzepten ist immens.

Erschwerend kommt hinzu, dass Prognosen für die Zukunft beispielsweise hinsichtlich anzuschaffender Software, Cloudlösungen oder Messengerdienste schwierig sind. Die Digitalisierung schreitet zwar weiter voran, doch in welche Richtung die Entwicklung genau geht, ist unklar. Als sicher kann gelten, dass die zunehmende Digitalisierung die Führungskräfte der Caritas vor große Herausforderungen stellen wird, gerade auch hinsichtlich der "richtigen digitalen Strategie" in einem schwieriger werdenden Umfeld. Von attraktiven Arbeitgebern erwarten die jungen Fachkräfte neben "Soft Skills" gute technische Rahmenbedingungen für ihren Arbeitsbereich.

Der Caritasverband für das Bistum Essen reagiert mit seinem Kompetenzzentrum Fort- und Weiterbildung/Digital auf die Herausforderungen der Digitalisierung und gibt den Trägern Unterstützung beim digitalen Kompetenzaufbau. In den drei Formaten Caritas exklusiv (für Entscheider in Caritas und Kirche), Caritas innovativ (neue Lernformate) und Caritas konkret (digitale Kompetenzen am Arbeitsplatz) entwickelt das Kompetenzzentrum eigene Fortbildungsangebote.

Weil sich die Lernformen hin zu Onlineseminaren entwickeln, wurde eine eigene Lern- und Datenplattform (https://kompetenzzentrum.caritas-essen.de) aufgebaut.

Design Thinking und Lego Serious Play

Die Fortbildungsräume des DiCV Essen sind mit aktueller Technik (moderne Großbildschirme mit Touchfunktion und WLAN) ausgestattet, Vernetzungen mit dem Impact Hub Ruhr, einem "Innovationslabor, Business-Inkubator und Event-Space" (Selbstbeschreibung), ermöglichen enge Kooperationen mit neuen Lernformaten wie Design Thinking und Lego Serious Play (LSP). Das ist ein moderierter Prozess, der die Vorzüge des Spiels und des Modellierens mit Legosteinen mit den Belangen der Geschäftswelt verbindet. LSP kann in Unternehmen, Teams und auch mit Einzelpersonen eingesetzt werden und soll neue Ideen fördern, die Kommunikation verbessern und Problemlösungen beschleunigen. Der Gamification-Ansatz (Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext) wurde bereits erfolgreich umgesetzt, ebenso wie das CariCamp (eine Variante des Barcamp-Formats).

Mit dem "Denkraum Digitalisierung und Soziales", in dem sich Vertreter aus Politik und Hochschule treffen, werden Fragen zu den Entwicklungen der digitalen Transformation analysiert und bewertet. Zudem soll der Transfer zwischen Wissenschaft/Forschung und der Caritas gefördert werden und inhaltliche Positionen (z. B. ethische Positionen) erarbeitet und veröffentlicht werden.

Potenziale digitaler Medien ausnutzen

Medien werden seit vielen Jahren als technische Hilfsmittel in der Fort- und Weiterbildung eingesetzt. Waren es zunächst Tafel, Tageslichtprojektor oder Filmvorführgerät, werden heute Tablets, Touchbildschirme und Online-Lernumgebungen immer wichtiger. Nach wie vor sind PowerPoint-Präsentationen bei vielen Referenten sehr beliebt. Das verwundert nicht, zumal diese ohne viel Aufwand verändert und angepasst werden können. Allerdings führt die eingesetzte Technik nicht automatisch zu mehr Lernerfolg. So werden in vielen Fortbildungen - auch bei der Caritas - klassische Lernsettings mit wenigen Methodenwechseln und relativ viel Frontalunterricht eingesetzt. Die sich bietenden Möglichkeiten digitaler Medien werden (noch) nicht ausgeschöpft.

Das hängt auch damit zusammen, dass die didaktischen Settings nicht angepasst wurden und damit die Potenziale digitaler Medien nicht genutzt werden können. PowerPoint-Präsentationen mit 30 und mehr Folien und PDF-Dokumente auf der Online-Lernumgebung bringen noch keinen Mehrwert beim Lernen.

Dass wir Menschen immer auch ohne Lehrende lernen können, gilt ganz besonders im Zusammenhang mit digitalen Technologien, die zahlreiche Lernchancen und -anlässe bieten, ohne dass Lehrende diese explizit zu Bildungszwecken arrangiert haben müssen. Ein beliebtes Beispiel sind die vielen Youtube-Unterweisungen, die heute tausendfach abgerufen werden.

Lernen stellt in der Regel einen Prozess dar, der (hoffentlich) dazu führt, dass eine Person durch den Lernprozess das eigene Verhalten, Handeln, Denken, Fühlen und die Meinung reflektiert und bei Bedarf ändert. Die verschiedenen Lerntheorien setzen hier an und versuchen, zu erklären, nach welchen Prinzipien Lernen "funktioniert".

Zu wissen, welche Faktoren den Lernprozess beeinflussen, hilft den Lehrenden, den Lernprozess effektiv zu gestalten. Damit das gelingt, braucht es Kenntnisse darüber, wer die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Fortbildung sind, welche Motivation und Vorkenntnisse sie mitbringen und welche Interessen sie haben. Je passgenauer der Lerninhalt auf die Lernenden zugeschnitten ist, umso höher der spätere Lernerfolg.

Welche Lernziele sollen erreicht werden? Welche individuellen und sozialen Voraussetzungen bringen die Teilnehmer mit? An diesen Fragen entscheidet sich, welche digitale Technik zum Einsatz kommt. Gerade in der Bildungsarbeit mit Erwachsenen geht es weniger um "Belehrung" als vielmehr um "Ermöglichung", hier soll die Lernplattform des DiCV Essen einen Mehrwert bieten, indem das gemeinsame Lernen gefördert wird.

Die Eigenaktivität der Lernenden stärken, sodass diese selbstgesteuert lernen und das Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachten, dazu eignet sich die Online-Lernplattform. Die Kombination von Fortbildungen vor Ort und der Lernbegleitung über die Lernplattform schöpft die Potenziale des digitalen Lernens aus. Dabei werden ebenso neue Lernformate in der Präsenzveranstaltung eingesetzt, ob die Virtual-Reality-Brille, Design Thinking oder das Barcamp-Format.

Hohe Ansprüche an die Lehrenden

Bei beruflichen Fortbildungen stellt die Relevanz des Inhaltes für den eigenen Arbeitsbereich ein wichtiges Kriterium für die Teilnahme dar. Das Gelernte sollte auf das spätere Handeln in der Praxis bezogen sein. Damit das Gelernte gut verinnerlicht und in konkrete Handlungen umgesetzt werden kann, sollte es mit eigenen vorhandenen Kenntnissen verknüpft werden, einen Neuigkeitswert in sich tragen, als sinnvoll und bedeutsam erlebt werden, sich als passend erweisen, in die eigene Lebenswelt eingebunden sein und am besten noch mit positiven Emotionen verknüpft werden können.

Das stellt hohe Ansprüche an den Lehrenden, das didaktische Setting und die Rahmenbedingungen. Deshalb sind Blended-Learning-Ansätze zielführend, in denen klassischer Unterricht mit computergestütztem Lernen (über die Lernplattform) kombiniert wird. In der Praxis haben sich zudem reine Onlineseminare bewährt, die im DiCV Essen gerade entwickelt werden.

Technik allein bringt's nicht

Ein Schaubild zum Thema 'Sozialer Wandel in der Gesellschaft' mit d. Stichwörtern Gemeinwohl, Soz. Zusammenhalt, Tech. Innovationen, Partizipation, Neue Netzwerke, Veränderung d. Komm. u. neue IdeenCaritas in NRW

Gesellschaftliche Brüche und das Gefühl wachsender Unsicherheit lassen bei vielen Menschen die Hoffnung auf sozialen Wandel entstehen. Ermöglicht werden soll er durch "soziale Innovationen", die ähnlich bahnbrechend und erfolgreich sein sollen wie die als Garagenfirmen gestarteten Internetriesen. Was denen mit der Digitalisierung gelungen ist - mit völlig neuen Geschäftsmodellen Märkte aufzurollen, umzukrempeln und ökonomisch erfolgreich zu sein -, soll auch auf sozialem Feld möglich sein, nämlich auf einen Schlag diverse Probleme zu lösen. "Gesellschaftlicher Fortschritt braucht soziale Innovation", so ist ein Positionspapier überschrieben. Gemeinsam in die Debatte gebracht wurde es von Wohlfahrtsverbänden (auch der Caritas), dem Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland und dem Bundesverband Deutsche Startups. Fortschritt bedeutet hier, Lösungen zu finden für Aufgaben, die als gesellschaftlich drängend identifiziert werden: demografischer Wandel, Gestaltung der Digitalisierung und Förderung des sozialen Zusammenhaltes. Wie der Fortschritt aussehen könnte, wird in diesem (politisch-strategischen) Positionspapier nicht näher thematisiert, es zielt darauf ab, politische Rahmenbedingungen einzufordern. Ein bisschen Silicon-Valley-Spirit auch für deutsche Sozialarbeiter, wenn denn erst die Re-Finanzierung stimmt.

Was macht Innovationen zu sozialen Innovationen? Wie entwickeln sie sich, setzen sie sich durch und führen zu sozialem Wandel? Das "bleibt in Politik und Wissenschaft umstritten", schreiben Jürgen Howaldt und Michael Schwarz im Handbuch Innovationsmanagement. Soziologen verstehen unter sozialen Innovationen ganz neutral Veränderungen von Verhalten und Handlungen eines relevanten Teils der Gesellschaft. Der Begriff "sozial" wird hier rein beschreibend verwendet, das Neue sind soziale Praktiken, die nachgeahmt werden und innerhalb der Gesellschaft Verbreitung finden. Nach diesem Theoriemodell ist auch die Verbreitung von "Pokémon Go" eine der sozialen Innovationen, die gesellschaftliche Gruppen erfasst haben. Ein ganzer Forschungszweig befasst sich damit, zu verstehen, wie dieser Prozess der "Diffusion von Innovation" in die Gesellschaft hinein vonstattengeht.

Porträt: Christoph Becker"Der Caritasverband Olpe hat als Ergebnis der Umsetzung von 'Dienstgemeinschaft' den sogenannten Mitarbeitenden-Notfonds gegründet, aus dem hauptberuflich UND ehrenamtlich Tätige der Caritas in Notsituationen unbürokratisch unterstützt werden können. Der Fonds wurde vom Caritasverband finanziell mit einem Grundstock ausgestattet, die hauptberuflich Mitarbeitenden bringen monatlich die Restcent der Gehaltszahlung ein. Der Fonds ist ein Solidaritätszeichen, immerhin 97 Prozent aller Mitarbeitenden machen mit. Über die Vergabe entscheidet ein kleines Gremium, das paritätisch besetzt ist, d. h., die Mitarbeitendenvertretungen sind aktiv beteiligt. Zahlreiche Anträge und positive Rückmeldungen belegen den Bedarf." (Christoph Becker, Vorstand Caritasverband für den Kreis Olpe e. V. | Kontakt: cbecker@caritas-olpe.de)Foto: privat

Innovationen für das Gemeinwohl

Anders ist es, wenn der Begriff "sozial" wertorientiert gebraucht wird, etwa im Sinne von "sozial wünschenswert" oder "gut für die Gesellschaft und ihre Mitglieder". Die Bismarck’sche Einführung der Sozialversicherung, Aufbau und Verbreitung des Fairen Handels, Mikrokredite und vieles mehr sind Beispiele für solche sozialen Innovationen, die sich am Gemeinwohl orientieren. Im Unterschied zu technischen Innovationen gehe es im Sozial­bereich meist weniger darum, neue Produkte, Prozesse oder Marketingstrategien zu entwickeln, sondern insbesondere darum, neue Rollen, Beziehungen, Normen und Werte zu entdecken, analysierte vor 20 Jahren die österreichische Sozialforscherin Maria Laura Bono. Heute sieht man klarer, dass soziale Innovationen oft einhergehen mit technischen Innovationen. Die Veränderung der Kommunikation durch die Erfindung des Smart­phones zieht massive Verhaltensänderungen in weiten Teilen der Gesellschaft nach sich (und ja, schafft auch neue Probleme). Gleichzeitig ermöglichen technische Innovationen auch ein neues Denken: Die Ausrichtung unseres Gesundheitssystems auf Prävention, der Trend zu Abfallvermeidung statt immer neuer Wegwerfprodukte, eine Bildung, die junge Menschen zu aktiven Gestaltern der Gesellschaft macht und damit das Risiko der Arbeitslosigkeit durch Digitalisierung senkt - das alles sind mögliche Anpassungsprozesse einer Gesellschaft auf der Grundlage und in der Folge von technischen Innovationen.

Innovationsmanagement der Caritas Wien

Träger sozialer Innovationen sind immer häufiger Social Entrepreneurs und Social Start-ups. Die Bertelsmann Stiftung hat untersucht, welche Rolle Unternehmen bei der Entwicklung einer sozialen Innovation, von der Idee zur Verbreitung, spielen. Auch die Wohlfahrtsverbände haben das Konzept von Social Entrepreneurship entdeckt und versuchen, es strategisch zu nutzen.

Seit mehr als zehn Jahren gibt es bei der Caritas in der Erzdiözese Wien eine eigene Stabsstelle Innovation: Inspiriert vom Social-Business-Ansatz des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus, war immer wieder darüber diskutiert worden, ob Social Business auch im mitteleuropäischen Raum umgesetzt werden könne. "In dieser Diskussion haben wir gemeint, dieser Versuch bedeutet ein gewisses Risiko. Immer wenn man ein Unternehmen gründet, muss man Kapital zur Verfügung stellen. Uns war klar, dass wir als eine große soziale Organisation die Möglichkeit dazu haben. Noch länger darauf zu warten, dass Privatpersonen sich auf dieses Abenteuer stürzen und finanzielle Risiken eingehen, nur um das auszuprobieren, kann es wohl nicht sein. Der Anspruch an uns ist, wenn wir schon innovativ sein wollen, ein solches Konzept selber anzugehen", berichtet Florian Pomper, der seit 2009 diese Stelle leitet.

Gerade etablierte Strukturen wie Wohlfahrtsverbände könnten für Innovationen sogar eher förderlich sein, da sie einen besseren Zugang zu Zielgruppen hätten und auf interne Finanzierungsmöglichkeiten zurückgreifen könnten, so Pomper. Wohlfahrtsverbände und Sozialunternehmer ergänzen sich hervorragend in ihren Stärken: Sozialunternehmer können vom umfassenden Skalierungswissen und von den professionellen Vor-Ort-Organisationen der Wohlfahrtsverbände profitieren. Die Verbände wiederum können ihre Angebotspalette - trotz oder gerade wegen immer knapperer staatlicher Mittel - um innovative Angebote der Sozialunternehmer bereichern und Anregungen für das interne Innovationsmanagement erhalten.

Porträt: Hartmut Claes"Was mich beeindruckt hat ... das Teilhabechancengesetz hat mich deshalb beeindruckt, weil wir lange darauf gewartet haben. Es war immer eine Caritas-Forderung, dass Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanziert wird. Sicher gab es früher auch schon ABM und andere Förderinstrumente. Aber ein Förderprogramm, das fünf Jahre Sicherheit und eine auskömmliche Finanzierung bietet und Langzeitarbeitslosen einen Mindestlohn garantiert, gilt für mich als guter Wurf. Erst recht für die Teilnehmer: Sie bekommen einen Job, der sie stolz macht. Stolz, weil der Lohn am Monatsende nicht vom Jobcenter, sondern vom Arbeitgeber kommt. Stolz, weil man seinen Kindern den eigenen Arbeitsplatz zeigen kann. Stolz, weil man Teil einer Dienstgemeinschaft ist. Stolz, weil man am Abend weiß, dass man tagsüber etwas Sinnvolles gemacht hat. Das Teilhabechancengesetz baut Selbstwertgefühle langzeitarbeitsloser Menschen spürbar auf und unbillige Vorurteile wohltuend ab."
(Hartmut Claes, Vorstand Caritasverband Witten | Kontakt: hartmut-claes@caritas-witten.de)
Foto: privat

Nicht jede gute Idee ist eine soziale Innovation

In Wien bemessen die Innovationsexperten "Erfolg und die Sinnhaftigkeit von Innovationen (…) am zusätzlich gestifteten Nutzen für Menschen in Notsituationen und an den Rändern der Gesellschaft. Bloße Neuheit, reiner Wandel sind kein positiver Wert an sich. Auch unterscheidet man zwischen Verbesserung und Innovation. Letzteres sind für die Caritas Wien "Lösungen, bei denen ganze Angebote und Prozesse oder zumindest relevante Teile davon grundlegend neu umgesetzt werden. Die reine Weiterentwicklung und Verbesserung bestehender Lösungen fallen nicht unter den Innovationsbegriff", so Reinhard Mill­ner und Florian Pomper in einem Aufsatz über "Innovationsmanagement und Innovationsprozesse".

"Um das Potenzial von sozialen Innovationen für die Gesellschaft zu heben, müssen sie institutionalisiert werden", sagt Odin Mühlenbein von der NGO Ashoka, die Sozialunternehmen fördert. "Sie müssen in Gesetze einfließen, in die Leistungskataloge von Krankenkassen und in die Kurse für Lehramtsstudenten an Universitäten. Dafür braucht es mehr Experimentierfreude."

Es braucht auch Ressourcen, könnte man hinzufügen. Häufig ist die starre (oft versäulte) Förderkultur nur bis zu einem gewissen Grad hilfreich. Politik, Verwaltung, Stiftungswesen, Krankenkassen und Hochschulen sind an etablierten Sozialstrukturen ausgerichtet, lassen aber wenig Innovation zu. Denn die passiert oft quer, strukturübergreifend und nicht systemkonform. "Aktuell fördern Stiftungen und öffentliche Geldgeber vor allem die direkte Arbeit mit Menschen, die von einem Problem betroffen sind", schreibt Mühlenbein. Wer etwas verändern wolle, brauche aber häufig auch Geld, um Netzwerke aufzubauen, das eigene Wissen mit anderen zu teilen oder um politische Entscheidungen mitzugestalten.

Klappt das, dann tritt vielleicht auch irgendwann der erhoffte Nutzen für die Gesellschaft ein. So wie es Uwe Schneidewind, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie schon 2012 prognostizierte: "Technik allein bringt’s nicht. Ohne soziale Innovationen wird der Klimawandel nicht zu beherrschen sein."

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Twitter: CiNW_Lahrmann

"Wir wollen das Richtige tun"

Porträt: Martine PostmaDie Journalistin und Bloggerin Martine Postma hatte einst die Idee. Seit daraus eine Bewegung wurde, kommt sie kaum noch zum Schreiben. Um alle Cafés zu koordinieren, gründete sie eine Stiftung, die lokale Gruppen in ganz Europa unterstützt, die ein RepairCafé gründen wollen.Martin Waalboer | © Stichting Repair Café International

Caritas in NRW Wie sind Sie auf die konkrete Idee gekommen, 2009 das erste Repair-Café zu organisieren?

Martine Postma: Ich habe als Journalistin über Nachhaltigkeit und insbesondere über Abfallvermeidung geschrieben. Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt: Es beunruhigt mich, dass wir in unserem täglichen Leben so viel Abfall produzieren. Das wäre gar nicht nötig, wenn wir wieder anfangen würden, mehr Dinge zu reparieren. Reparaturen waren früher normal, aber jetzt wissen die meisten Menschen nicht mehr, wie das geht. Junge Menschen lernen es nicht in der Schule, und sie lernen es nicht mehr bei ihren Eltern. Viel Wissen und viele Fähigkeiten, etwas zu reparieren, sind verloren gegangen.

Das ist ein Problem für unsere Zukunft. Deshalb wollte ich konkrete Maßnahmen ergreifen. Ich wusste, dass es in jeder Gemeinde immer noch einige Leute gibt, die wissen, wie man etwas repariert. Ich dachte mir: Wenn wir diese Menschen zusammenbringen mit anderen, die nicht wissen, was sie mit kaputten Gegenständen anfangen können, dann können wir mehr Produkte retten, Abfall verhindern, Fähigkeiten und Techniken zu reparieren bewahren - und noch etwas für die Gesellschaft tun. Denn zusammen zu tüfteln und etwas zu reparieren, macht Spaß. Es verbindet Menschen und lässt einen den anderen in einem neuen Licht sehen.

Caritas in NRW: Von der Idee zur Umsetzung - wie aufwendig war das?

Martine Postma: Das war schon Arbeit! Zunächst habe ich mit vielen Leuten darüber gesprochen und mich dann entschieden, es einmal in der Praxis zu testen. Die Stadtverwaltung von Amsterdam war bereit, die Veranstaltung zu unterstützen. Ich habe ehrenamtliche Reparierer gesucht, Werkzeug gesammelt, einen praktischen Raum gemietet, eine Pressemitteilung geschrieben und sie an die Medien geschickt. Unmittelbar danach riefen Journalisten an, die Nachricht verbreitete sich sehr schnell. Das erste Repair-Café (18. Oktober 2009) war sehr gut besucht, auch von Leuten außerhalb von Amsterdam, und war überall in den Medien. Dann kamen Anfragen: Leute wollten so etwas in ihrer eigenen Gemeinde haben - könnte ich ihnen nicht einen Rat geben? Ich begriff, dass diese Idee Potenzial hatte, und beschloss, ein Handbuch zu schreiben, wie man sein eigenes Repair-Café startet. Dieses Handbuch wuchs nach und nach und entwickelte sich zu einem umfangreichen Starter-Kit, das viele Informationen und Materialien enthält. Es kann über die Website bestellt werden und liegt in sieben Sprachen vor. Die viele Arbeit hat sich gelohnt. Derzeit gibt es über 1800 Repair-Cafés in 35 Ländern weltweit.

Caritas in NRW: Hatten Sie Helferinnen und Helfer?

Martine Postma: Mit einigen Leuten konnte ich über meine Pläne sprechen, nachhaltige Denker, die mir geholfen haben, die Idee zu entwickeln. Aber am Anfang habe ich im Grunde allein gearbeitet und die meisten Dinge selbst erledigen müssen. Das änderte sich, nachdem ich die Repair Café Foundation gegründet hatte. Jetzt gibt es diese Stiftung fast zehn Jahre, sie hat mehrere Mitarbeiter und einen dreiköpfigen Vorstand.

Caritas in NRW: Die Idee "Repair-Café" verbreitet sich weiter - in den Niederlanden und auch in Deutschland. Was glauben Sie, warum das so ist? Was musste dafür passieren?

Logo der Repair-Cafés mit dem Slogan 'Wegwerfen? Denkste!'

Martine Postma: Im Grunde seines Herzens weiß jeder Mensch, dass es nicht gut ist, kaputte Gegenstände wegzuwerfen, ohne auch nur zu versuchen, sie zu reparieren. Das ist zwar in unserer Gesellschaft "normal" geworden, aber eigentlich ist es nicht normal. Und das weiß jeder, wenn er in sich hineinhört. Wenn sich also eine Alternative bietet, nutzen viele Menschen diese Alternative gerne. Auch die Reparatur ist eine spaßige Aktivität. Man fühlt sich gut, stark und unabhängig. Jeder, der es versucht, wird es erleben. Sehr positiv. Es befähigt einen, es ermächtigt einen. Viele Menschen, die das erlebt haben, sprechen darüber mit ihren Freunden, ihrer Familie und den Nachbarn. Und das begeistert andere. Weil ich glaube, dass wir alle - tief im Inneren - das Richtige tun wollen. Wir wollen nicht unbedingt verschwenderisch sein. Wir wollen die Erde für unsere Kinder erhalten und die Natur respektieren. Und uns gegenseitig helfen. Wenn sich also herausstellt, dass wir durch den Besuch eines Repair-Cafés oder gar die Gründung eines Repair-Cafés dazu beitragen können, dann machen viele Menschen das gerne. Und das macht mir Hoffnung für die Zukunft.

Caritas in NRW: Wie geht es weiter?

Martine Postma: Ich hoffe, dass es auf der ganzen Welt noch viel mehr Repair-Cafés geben wird, aber es muss noch viel mehr erreicht werden: Reparieren sollte wieder in die Bildung einbezogen werden. Kinder sollten lernen, mehr mit ihren Händen zu arbeiten und Reparaturprobleme zu lösen. Damit sie, wenn etwas kaputtgeht, nicht denken: "Oh, ich brauche was Neues", sondern: "Oh, ich sollte mir das ansehen, das sollte ich beheben."

Außerdem sollten die Hersteller anfangen, Produkte herzustellen, die sich besser reparieren lassen. Die zerlegt werden können, ohne zu zerbrechen. Und sie sollten Anleitungen zur Verfügung stellen, ein Reparaturhandbuch. Damit ein normaler Verbraucher eine Reparatur ordnungsgemäß durchführen kann. All dies trägt dazu bei, die Lebensdauer der Produkte zu verlängern und die Kunden zu stärken. Das ist gut für die Menschen und für den Planeten - und genau das brauchen wir.

Die Fragen stellte Markus Lahrmann. Die Übersetzung aus dem Englischen erfolgte ebenfalls durch ihn.

www.repaircafe.org/de 

"Wir hängen das Problem erst einmal an die Decke"

Eine Pflegerin und ein Pfleger sitzen an zwei Krankenbetten und kümmern sich um dort drin liegenden Bewohner. Der Pfleger lächelt in die Kamera.Wie gut die Pflege der alten Menschen im Heim tatsächlich ist, soll das neue Begutachtungssystem weniger anhand der Dokumentation prüfen als vielmehr am tatsächlichen Befinden der Bewohner.Harald Westbeld

Am Anfang des Projekts "Ergebnisqualität Münster - EQMS" war der Leidensdruck in den Altenheimen in NRW groß. Das Verhältnis zwischen dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und der Alten­hilfe in Nordrhein-Westfalen war im Vergleich zu anderen Bundesländern "unentspannt". Entsprechend gab es schlechtere Pflegenoten und nicht nachvollziehbare Bewertungen, die wenig mit der Lebensqualität der Bewohner im Altenheim, aber sehr viel mit der Güte der Dokumentation zu tun hatten.

Diese Problembotschaft kam bei Anne Eckert, Referats­leiterin Altenhilfe und Sozialstationen im Diözesan-Caritasverband Münster, vor gut neun Jahren an. EQMS ist ein Beispiel, wie Ideen zu sozialen Innovationen entstehen, sich entwickeln, verbreiten und zu weiteren Fortschritten im Arbeitsfeld führen. Dieses Ziel ist jetzt erreicht: Ein neues System der Qualitätsbewertung in den Altenheimen wird bundesweit auf der Grundlage der Erfahrungen aus EQMS in diesem Jahr eingeführt.

Rückblick: "Wir hängen das Problem erst einmal an die Decke", beschreibt Anne Eckert das gedankliche Vorgehen am Anfang. Da kann man es gut von allen Seiten und auch von unten betrachten. Auf einer Zeitschiene werden die vermuteten Zwischenschritte bis zur Lösungsidee auf verschiebbaren Notepads geplant. "Häufig sind nicht alle spontan begeistert", konstatiert Eckert. Verbündete müssen deshalb gefunden werden, am "besten mit Entscheidungsbefugnis und Problembewusstsein". Gelingt es, "Betroffene zu Beteiligten zu machen, kann man auf weitere Ideen und Unterstützer hoffen", sagt Eckert.

Porträt: Anne EckertAnne Eckert, Leiterin des Referats "Altenhilfe" beim Caritasverband für die Diözese MünsterHarald Westbeld

Bei EQMS war einer der Partner Dr. Klaus Wingenfeld von der Uni Bielefeld, der seine Idee zur Messung der Ergebnisqualität in der Praxis testen wollte. Zu finden waren dann natürlich auch Mitarbeitende für das Projekt. Weil sich kaum jemand aus einer festen Stelle für eine begrenzte Projektzeit bewirbt, arbeitet Anne Eckert gerne und erfolgreich mit jungen Müttern zusammen, die zurück in den Job wollen. Das funktioniere allerdings nur, wenn man familienfreundliche Rahmenbedingungen schaffe.

Flexibel sein und Rückschläge aushalten

Wer sich in noch unbekanntem Gelände bewegt, muss flexibel sein und Rückschläge aushalten. Entgegen der Annahme waren nicht alle Bewohner der Altenheime mit einer Betrachtung ihrer Pflegesituation für das EQMS-Projekt einverstanden. Damit waren die Daten des ersten halben Jahres nur eingeschränkt brauchbar, und es musste gleich eine Verlängerung für das Projekt um ein halbes Jahr beantragt werden. Auch dabei blieb es nicht, denn das Interesse in den Pflegeeinrichtungen wuchs stark, weil klar wurde, dass die neue Art der Qualitätsmessung grundsätzlich funktioniert und eine Chance hat, die Pflegenoten abzulösen.

Projektfinanzierung ist oft bunt. Da gibt es Fördertöpfe der Aktion Mensch oder Innovationsmittel des Bistums. Im Bistum Münster lobt die Caritas GemeinschaftsStiftung jedes Jahr Preise für neue Ideen aus. Manchmal müssen die beteiligten Partner einen Eigenanteil aufbringen, und manchmal hilft das Glück. Bei einem neuen Projekt "Altenhilfe und Digitalisierung" bot das Land NRW über die Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Münster eine Förderung an.

Bedarfe ermitteln und neue Angebote machen

Stillstand hat die soziale Arbeit nie gekannt. Im Laufe der Caritas-Geschichte sind immer wieder Missstände und ist der Bedarf an Hilfe offensichtlich geworden, und wenn die Zeit dafür reif war, ist ein neues Angebot entstanden. Viele neue Ideen in der Jugend- und Familienhilfe hat Bernhard Hülsken eingebracht. Für ihn ist klar: "Als Erstes braucht man Neugierde." Das ist für ihn "die Lust, auf Menschen und Situationen zu schauen und Rückmeldungen zu bekommen". Die Frage dabei ist, "wo es hakt im Feld".

Porträt: Bernhard Hülsken der auf eine Karte der Caritas im Bistum Münster deutet. Im Hintergrund ist noch ein blaues Plakat zu sehen.Bernhard Hülsken, Ideenfinder und Projektleiter beim Caritasverband für die Diözese MünsterHarald Westbeld

Daraus kann sich eine ganze Projektkette entwickeln, die die in einem Projekt erkannten Probleme in einem nächsten aufgreift. Im Projekt "Abenteuerland" war aufgefallen, wie Kinder aus benachteiligten Familien bei Sprache und Bildung wiederum benachteiligt sind. Das griff das Projekt "Lampenfieber" auf, um mit theaterpädagogischen Mitteln Sprache kreativ zu vermitteln. Um einen nachhaltigen Effekt über die drei Jahre hinaus zu erzielen, wurden Lehramtsstudenten der Uni Essen-Duisburg einbezogen. In der Erarbeitung der Theaterstücke mit den Grundschulkindern wurde deutlich, dass die Jungen eher auffällig waren. Die Konsequenz war "Trommelwirbel", um jungenspezifische Angebote in der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) einzuführen und die Mitarbeitenden darin zu schulen.

Die Entwicklung geht jetzt weiter mit "Gedankensprung". Weil die OGS weiterhin nur über geringe Ressourcen - personell wie räumlich - verfügt, was auch die Begleitung der Hausarbeiten beeinträchtigt, soll Bewegung als wichtiges Element zur Förderung der Konzentration eingeführt werden. Dafür hat sich Hülsken das Institut für Sportwissenschaft an der Uni Münster als Partner gesucht.

Es reiche aber nicht, einfach immer wieder anzuknüpfen, für neue Ansätze "muss man auch in ein anderes Denken kommen", sagt Hülsken. Dabei dürfe man nicht in "Projektitis" verfallen, aber mit Projekten könne es gelingen, die "Versäulung" der sozialen Arbeit zu überwinden. Ohne über Grenzen zu gehen, werde eine Weiterentwicklung schwierig. Da brauche es in den Verbänden auch ein paar "Ruhestörer".



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Mit Geduld, Geld und Glück

Eine Seniorin, die einen kleinen Hund im Arm hältCaritas Aachen

Gemeinsam mit seiner Kollegin Monika Van Vlodrop, Koordinatorin in der Geschäftsstelle des Verbandes, hatte Wittrahm im Jahr 2012 die Idee zum Projekt "PAKT". Das Kürzel steht für Präventives Alltags-Kompetenz-Training, ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Seniorinnen und Senioren. 2017, fünf Jahre später, konnte es dann endlich losgehen.

Die Idee zu dem Projekt speiste sich aus zwei Quellen. Zum einen war da die wissenschaftliche Erkenntnis, dass ein wichtiger Baustein fehlt, wenn es darum geht, dass alte Menschen länger in ihrer eigenen Häuslichkeit bleiben können. Zum anderen waren Wittrahm und Van Vlodrop davon überzeugt, dass es mit dem HaushaltsOrganisationsTraining (HOT) ein gutes Instrument gebe, das sich für die Zielgruppe der alten Menschen in ihrer Häuslichkeit übersetzen lasse. HOT richtet sich an Familien, denen die angemessene Versorgung ihrer Kinder nicht mehr aus eigener Kraft gelingt.

Die beiden setzten sich daran, die Idee möglichst kompakt und allgemeinverständlich zu beschreiben. Schließlich machten sich die Ideengeber auf die Suche nach einem Sponsor. Denn ohne Geld lässt sich eine solche Idee nicht umsetzen. Und als Einzelkämpfer, so Wittrahm weiter, habe man ohnehin keine Chance: "Sie müssen ein Netzwerk haben, innerhalb dessen sich eine solche Idee umsetzen lässt." Über seine Dozententätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW knüpfte Wittrahm Kontakte zum Deutschen Institut für Pflegeforschung (DIP). Zugleich machte sich der Caritasverband für das Bistum Aachen auf die Suche nach einer kommunikationsstarken und in Projekten erfahrenen Projektreferentin. "Die Kommunikationsstärke ist deshalb sehr entscheidend, weil Innovationen sowohl nach innen als auch nach außen kommuniziert werden müssen, wenn sie einen Erfolg haben sollen", sagt Wittrahm.

Porträt: Dr. Andreas Wittrahm, der ein Mikrofon hältDr. Andreas Wittrahm, Leiter des Bereichs "Facharbeit und Sozialpolitik" beim Caritasverband für das Bistum AachenAndreas Schmitter

Aber es gibt auch Hindernisse für soziale Innovationen, haben Andreas Wittrahm und Monika Van Vlodrop feststellen müssen. ",PAKT‘ passt nicht in die bestehenden Strukturen der Sozialgesetzgebung", sagt Wittrahm. Es wende sich an Menschen, die im Alter länger zu Hause leben wollten. Dann komme eine Finanzierung über das Präventionsgesetz (SGB V) infrage, allerdings nur für einen Personenkreis, der keinen Pflegegrad habe. Würde es über die Pflegeversicherung abgerechnet, könne es nur denjenigen zugutekommen, die einen Pflegegrad hätten. "Für uns lagen die Vorteile eines solchen Programms auf der Hand. Für den Sozialstaat liegen sie darin, dass er Kosten spart, weil ,PAKT‘ die Pflegebedürftigkeit hinausschiebt. Hauptsächlich profitieren aber die Betroffenen, weil ihre Lebensqualität gesteigert wird", erläutert Wittrahm, der einräumt, dass zur Umsetzung eines solchen Projekts manchmal auch Glück gehört. Das kam bei "PAKT" in Form der Initiative "Pflege Inklusiv" der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW ins Spiel. Sie förderte Modell- und Forschungsprojekte zur Weiterentwicklung der Pflege. Über diese Initiative erhielten der Caritasverband für das Bistum Aachen, das DIP sowie der örtliche Partner fauna in Aachen und die regionalen Caritasverbände in Heinsberg und Mönchengladbach Gelder, mit denen sie "PAKT" erproben konnten.

Nun stehen die Projektpartner vor der Situation, dass das entwickelte Programm zwar funktioniert, aber es nicht weitergeführt werden kann. "Es ist niemand für die Refinanzierung eines solchen Programms zuständig, weil es nicht in die bestehenden Strukturen und Logiken passt", sagt Wittrahm.

www.pakt-caritas.de



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Neue Alltagshilfen erfinden

Eine Betreuerin und eine demente Seniorin sitzen an einem Holztisch. Vor der Seniorin liegt der Prototyp eine Tagesplaners, auf der sie ihre Planung mit einem Stift und Magneten vornimmt.Die alte Dame erprobt den Prototyp ihres neuen Tagesplaners zunächst aus Pappe, bevor er in Produktion geht.Folkwang Universität der Künste

Damals war die alte Dame eine begeisterte Keglerin. Das Alter und die Demenz verhindern inzwischen weitere Abende auf der Kegelbahn. Aber ihr Körpergedächtnis ist immer noch aktiv, und ein bisschen Sport würde ihr weiterhin guttun. Für Menschen wie sie gibt es das Projekt "Demenz-Dinge": Eine Sozialarbeiterin und eine Designerin tüfteln zusammen mit der 80-Jährigen einen Geschicklichkeitsparcours fürs Wohnzimmer aus, der ihre früheren Fähigkeiten aktiviert, sie in Bewegung hält und ihr außerdem die Möglichkeit gibt, sich eine Weile allein zu beschäftigen, was ihre Angehörigen entlastet. Für eine andere Seniorin, die ebenfalls an Altersvergesslichkeit leidet, hat das Team von "Demenz-Dinge" nach ihren Wünschen einen Tagesplaner mit magnetischen Symbolen gebaut, der ohne große Umstände an Termine oder die Tabletteneinnahme erinnert. Und ein alter Herr, der beim morgendlichen Ankleiden Probleme mit der Beweglichkeit hat, trägt zur Erleichterung seiner helfenden Ehefrau nun Oberhemden mit Reißverschluss im Rücken.

Das Projektteam "Demenz-Dinge" soll die Lebensqualität Demenzkranker und ihrer Angehörigen steigern und dafür gemeinsam mit Betroffenen vor Ort sogenannte "Lifehacks" - individuelle Hilfsmittel für den Alltag - erfinden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird mit wissenschaftlicher Begleitung aus den Ergebnissen eine allgemeingültige "Methode des Erfindens" mit Schulungskonzept für die Pflegepraxis von Angehörigen, Pflegekräften und Ehrenamtlichen und für die Ausbildung in Altenpflegeschulen abgeleitet.

Innovativ ist der Thinktank - die Denkfabrik - der Experten aus Design, Pflege, sozialer Betreuung und, nicht zu vergessen, der Demenzkranken selbst: "Je mehr man den Betroffenen in die Entwicklung eines Prototyps einbezieht, desto höher ist seine Akzeptanz", beobachtet Diana Cürlis, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Folkwang Universität der Künste, die gemeinsam mit der Katholischen Pflegehilfe das Projekt im Lauf von drei Jahren umsetzt. Ohne ihre erfahrene Kollegin vom Sozialen Dienst, sagt die Produktdesignerin, wisse sie zudem manchmal nicht, mit den Schrulligkeiten der alten Menschen umzugehen.

Projekt-Kollegin Kerstin Rademacher beobachtet bei ihrer Tätigkeit im Sozialen Dienst der Pflegeeinrichtung Marienheim in Essen-Überruhr, dass pflegende Angehörige oft schlecht vernetzt sind und deshalb keine Aktivierungsmöglichkeiten kennen, die in einem Pflegeheim selbstverständlich sind. "Oft sind die Angehörigen so auf die Versorgung konzentriert, dass ihnen die Fantasie abhandenkommt, noch vorhandene Ressourcen des Demenzkranken wahrzunehmen", sagt Rademacher. Manchmal ist die Lösung auch ganz einfach: etwa die Idee, wieder mehr zusammen zu singen, zu musizieren oder gemeinsam auf Youtube klassische Musik zu hören.

Die "Demenz-Dinge" werden durch die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW über drei Jahre lang finanziert. Die Theresia-Albers-Stiftung als Projektträgerin unterstützt das Ganze zusätzlich noch durch einen Eigenanteil.

"Wir hoffen", sagt Designerin Cürlis, "dass wir gesellschaftlich ein kleines Rädchen bewegen und nachhaltige Lösungen für ein Leben mit Demenz finden."

www.demenz-dinge.de



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So viele Chancen und Möglichkeiten

Porträt: Jenny VersteegenJenny Versteegen, Innovationsmanagerin beim Caritasverband DuisburgPrivat

Caritas in NRW Warum leistet sich die Caritas Duisburg eine Innovationsmanagerin? Was bringen Sie mit, was dem Verband (offenbar) bisher gefehlt hat?

Jenny Versteegen: Ich glaube, dass der Verband gerade in einem positiven Umbruchprozess ist. Viele gute Gedanken in den letzten Jahren haben zu offenen Türen geführt. Jetzt haben wir die Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen und im besten Fall gemeinsam Veränderungen auf den Weg zu bringen. Meine Rolle bringt die Chance mit sich, dass ich mich ganz frei in der Organisation bewegen kann. Hier habe ich die Möglichkeit, Personen mit ähnlichen Anliegen zu vernetzen, niederschwellige Formate zur Begegnung zu schaffen und herauszufinden, was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen könnte, Innovation im Alltag zu erträumen, zu gestalten und zuzulassen. Ich denke immer wieder: Jeder Verband sollte jemanden im Bereich Innovationsmanagement engagieren. Es birgt so viele Chancen und Möglichkeiten!

Caritas in NRW: Welche Projekte haben Sie bereits angefangen, oder welche Ideen haben Sie?

Jenny Versteegen: Aktuell arbeite ich mit verschiedenen Arbeitskreisen und Führungskräften an für sie relevanten Themen. Das ist unter anderem eine Wunschwerkstatt, in der es um Teamstärkung und innovative Arbeitsgestaltung geht. Dann gibt es einen Kreis für ein ganzheitliches Azubi-Management, das dem Fachkräftemangel durch einen wertschätzenden und befähigenden Umgang mit der jungen Generation begegnen möchte. Hier bewegen wir Themen wie Recruiting der Zukunft, kreative Gestaltung von Stellenangeboten und ein Barcamp für Auszubildende, bei dem sie sich untereinander vernetzen können. Mit einem Fachteam der Beratung läuft ein kreativer Prozess für ein neues Angebot. Neben diesen Gruppen bewegen wir Themen wie Digitalisierung, Wissensmanagement und Kommunikation. Aber auch Werte der Organisation und Spiritualität sind Anliegen, die sich noch in dem ein oder anderen innovativen Projekt äußern könnten.

Ich selbst habe einen Innovationsnewsletter, das MontagsMomentum, gestartet, der allen Mitarbeitern über den E-Mail-Verteiler zugestellt wird. Dort teile ich innovative Artikel, Zitate und Ideen, aber vor allem auch regelmäßige Updates, was gerade im Verband zum Thema Innovation passiert. Demnächst findet zum ersten Mal das Innovationsfrühstück statt. In gemütlicher Atmosphäre werden wir einen Online-Impulsvortrag ansehen und uns danach darüber austauschen. Hier treffen sich Mitarbeiter und Führungskräfte verbandsübergreifend in schönem Setting zum Austausch.

Porträt: Jenny Versteegen, die eine Flipchart mit einer Prozessübersicht hochhältFoto: Christoph Grätz

Im Herbst möchte ich gerne das "Refugium" anbieten. Einen "sicheren Ort" für Führungskräfte zum Atemholen, zur Reflexion in der Stille und zum Aufbruch (vielleicht ja auch in ein neues Herzensprojekt).

Caritas in NRW: Welche (soziale) Innovation der letzten Jahre hat Sie am meisten beeindruckt?

Jenny Versteegen: Mich persönlich begeistern Start-ups. Ich verfolge einige Projekte über die sozialen Medien und bin im Kontakt mit "Inkubatoren" für Entrepreneure beziehungsweise deren Ideen. Daher kann ich mich gar nicht auf ein Projekt festlegen. Da ich vor einigen Jahren selbst eine kleine soziale Innovation mit Freunden gegründet habe, würde ich vielleicht unser Projekt auswählen, weil ich hier ganz hautnah erlebe, wie Heranwachsenden effektiv geholfen wird.

Caritas in NRW: Was reizt Sie an der Aufgabe Innovationsmanagerin?

Jenny Versteegen: Sehr viel! Mein großes Anliegen ist es, Menschen neu ins Träumen zu bringen und neue Leidenschaft zu wecken. Das passiert dann, wenn sie sich am richtigen Ort wissen, ihre Gaben und Persönlichkeit einbringen und ihren Arbeitsalltag aktiv mitgestalten können. Ich glaube, dass eine Menge möglich ist und dass sich in den nächsten Jahren viel Positives bei der Caritas verändern wird.

Die Fragen stellte Christoph Grätz.

E-Mail: jvs@caritas-duisburg.de
Web: www.caritas-duisburg.de

Per Chat zur schnellen Hilfe

Foto eins Monitors, auf dem der Chatbot 'Carina' auf der Website der Caritas Geldern-Kevelaer mit zwei automatisierten Eingangs-Nachrichten zu sehen istWenn gerade kein menschlicher Helfer im Chat verfügbar ist, hilft „CARINA“, der Caritas-Chatbot, den Ratsuchenden weiter.Tobias Kleinebrahm

CariTalk hat Tobias Kleinebrahm, Öffentlichkeitsarbeiter des Verbandes, seine Idee genannt, für die der Verband im Digitalisierungswettbewerb des Diözesan-Caritasverbandes Münster ein Preisgeld von 5000 Euro bekommen hat. Menschen sollen Rat und Hilfe bei der Caritas finden, egal ob durch einen persönlichen Besuch im Beratungszentrum, telefonisch, per Mail oder jetzt eben auf den Wegen, die heute zunehmend normal werden: über die Internetseite oder den Facebook-Messenger.

Seit Januar ploppt der Chat auf der Startseite auf, wenn die Geschäftsstelle geöffnet ist, prominent vor allem auf dem Smartphone. Wer eine Frage hat, kann sie nach Bestätigung des Datenschutzhinweises gleich eintippen. Ganz schnell gibt es eine Antwort: "Wir haben die durchschnittliche Reaktionszeit von zwei Minuten auf 40 Sekunden gesenkt", sagt Kleinebrahm. Gleichzeitig hat sich die Intensität der Kontakte erhöht - die durchschnittliche Chatdauer liegt mittlerweile bei über zwei Minuten. Geschwindigkeit und natürlich den Inhalt der Antwort bewerten 90 Prozent der Nutzer mit den maximal möglichen fünf Sternen. Den Service rund um die Uhr anzubieten wäre schön, ist aber nicht möglich. Außerhalb der Arbeitszeiten wird die Frage als Mail gespeichert.

Schnelligkeit und Qualität waren und sind die eigentliche Herausforderung bei diesem Digitalisierungsschritt. Die technische Einbindung sei dagegen recht einfach gewesen. Kleinebrahm hat ein kleines Team gefunden - "wenige Köpfe mit einer hohen Bandbreite an Wissen", die bereit sind, die zusätzlichen Fragen zu bearbeiten. Das sind Kollegen, die am Empfang der Beratungszentren sitzen und auch analog erste Ansprechpartner sind. Dazu kommen Mitarbeitende aus dem Bereich Pflege, "aber keine Pflegerinnen, sondern Verwaltungskräfte, die mit der Abrechnung zu tun haben" und sich damit in den Wirrungen der Kranken- und Pflegeversicherung auskennen.

Obwohl der Start kaum beworben wurde, laufen durchschnittlich in der Woche 30 Anfragen über "carina" auf. Häufig würden Praktikums- oder Altenheimplätze gesucht, aber auch Ansprechpartner zu bestimmten Themen oder Hilfe in einer konkreten Notsituation. Demnächst soll zusätzlich WhatsApp eingebunden werden, dann will Kleinebrahm noch mal werben. Die Zugangswege zur Caritas dem geänderten Kommunikationsverhalten anzupassen sei wichtig.

Als praktischen Nebeneffekt erfährt Kleinebrahm, wo er die Internetseiten des Verbandes noch optimieren kann, um Informationen besser auffindbar zu machen. Gut sei auch, dass die Kolleginnen und Kollegen im Chatteam über die eigenen Bereiche hinaus kundiger würden durch die manchmal noch notwendigen Recherchen.

Einfach sind da eher die Nachfragen zu Stellenanzeigen. Da hat sich die Caritas Geldern-Kevelaer auch den immer gewohnter werdenden Gepflogenheiten angepasst. Termine für Bewerbungsgespräche können über den Messenger vereinbart werden. Bewerbungsunterlagen müssen nicht vorher zugeschickt, sondern können einfach mitgebracht werden.

www.caritas-digital.de/caritalk

E-Mail: kleinebrahm@caritas-geldern.de
Web: www.caritas-geldern.de

Ambient Assisted Living für Menschen mit Demenz

Ein Glastisch, auf dem Sensoren und ein Tablett für ein Ambient Assisted Living-System liegen, das vom Sozialwerk St. Georg entwickelt wurdeBewegungsmelder, Herdautomatik und Telefonsensoren stecken in den weißen Kästchen. Die Technik in den Räumen ermöglicht, dass sich Menschen selbstbestimmt und freier bewegen können – und im Notfall ein intelligentes Rufsystem das Pflegepersonal alarmiert.Gabriele Beautemps

Ein Ansatz, der deswegen wichtig ist, weil die Zielgruppe, Menschen mit kognitiven Defiziten, Technik nur sehr begrenzt selbst steuern und bedienen kann. Auch hier stellt sich die Frage nach Datenschutz und Privatsphäre. Die Verantwortlichen sind sich sicher: "Technik hilft uns, demente Menschen weniger reglementieren zu müssen."

Logo des Sozialwerks St. Georg e. V.

Überzeugend an diesem Ansatz ist, dass hier die technischen Hilfen an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner ausgerichtet und gemeinsam mit ihnen entwickelt wurden. Nicht das technisch Machbare steht im Mittelpunkt, sondern das, was wirklich nützt. So konnten auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nützliche Tools für den Betreuungs- und Pflegeeinsatz entwickelt werden, die trotzdem Datenschutz und Persönlichkeitsrechte der Menschen berücksichtigen. Interessant war der Gedanke, den Einsatz digitaler Hilfsmittel schon in der Patientenverfügung abzufragen. Wie sollen demente Menschen verstehen, inwieweit der Einsatz von Schlafsensoren, Sturzmatten, Herd­abschaltungen und Türsensoren in die Privatsphäre "eingreift"?

www.sozialwerk-st-georg.de



Weitere Beiträge zum Thema "Altenhilfe und -pflege" finden Sie hier in unserem Themendossier.

Neue Lösungen

Projekt CariFair

Eine Betreuerin sitzt lachend neben einer Seniorin und hält ihr die rechte HandRäumliche Nähe einer Betreuungskraft ist Voraussetzung, dass möglichst viele Menschen in ihrem gewohnten Zuhause alt werden können.Marlene Pfau

Was? Im Projekt "CariFair" ermöglicht die Caritas seit 2009 Betreuungskräften aus Polen einen fairen Einsatz in deutschen Haushalten mit Pflegebedürftigen. Die Frauen werden nach Tarif bezahlt, geregelte Arbeitszeiten und Urlaubszeiten werden garantiert. Ihr Einsatz ist eingebunden in die begleitende Pflege durch eine Caritas-Sozialstation.

Innovativ? Die Caritas nutzt ihre internationale Vernetzung, um Frauen aus Polen vor Ausbeutung in Deutschland zu schützen. Die Ausnutzung der Einkommensunterschiede zwischen West und Ost wird bekämpft. Die deutschen Haushalte profitieren durch sprachlich und fachlich vorbereitete Personen.

Gesellschaftlicher Nutzen? Die pflegerische Versorgung ist durch die Sozialstation abgedeckt. Weil mit einem solchen Projekt auch Betreuung und Haushalt sichergestellt werden - und zwar zu fairen Bedingungen -, kann der alte Mensch länger in der häuslichen Umgebung wohnen bleiben.

Hürden? "CariFair" ist keine "Billiglösung", weil die polnischen Betreuungskräfte nach Tarif bezahlt werden. Rund 2000 Euro kostet der Einsatz monatlich. Das kann sich beileibe nicht jeder leisten.

Kontaktdaten

Claudia Menebröcker
Caritasverband für das Erzbistum Paderborn

Telefon: 05251/209-257
E-Mail: c.menebroeker@caritas-paderborn.de



Ehrenamtliche Bestattungs- und Trauerhilfe

Julia Hesse, Friederike Wolf und Heike Terhorst stehen zusammen auf einem FriedhofJulia Hesse, Friederike Wolf und Heike Terhorst (v. l.) wollen nicht, dass Verstorbene ohne Angehörige und Kirchenzugehörigkeit einfach vergraben werden.Christian Lukas

Was? Caritas-Ehrenamtliche begleiten behördlich angeordnete Bestattungen von Personen, die vereinsamt und ohne (bestattungspflichtige) Angehörige verstorben sind. Ohne diesen Dienst würden die Verstorbenen anonym "vergraben".

Innovativ? Die Caritas leistet einen Dienst für Menschen, die eigentlich nichts mehr davon haben. Sie drückt damit in einer zunehmend säkularen Umwelt einen Grundzug des christlichen Menschenbildes aus, wonach jeder Mensch auch über den Tod hinaus eine in Gott begründete Würde besitzt. Aber auch für nicht christliche Menschen ist dieser Dienst ein starkes Signal. Die Achtung der Menschenwürde muss in unserer Gesellschaft auch für Verstorbene gelten.

Gesellschaftlicher Nutzen? Die Zahl der Single-Haushalte steigt kontinuierlich. 41 Prozent der Bevölkerung lebt in Einpersonenhaushalten (in Großstädten wie Hamburg 54 Prozent); damit ist dies die häufigste Wohnform. Nicht nur die Alterseinsamkeit wird drastisch zunehmen, auch die Zahl der Menschen, die ohne Angehörige sterben.

Hürden? Der Dienst ist - da nicht refinanzierbar - nur ehrenamtlich zu leisten; die Zahl der Engagierten in diesem Feld ist relativ klein.

Kontaktdaten

Caritasverband Witten

Telefon: 02302/91090-0
E-Mail: buero@caritas-witten.de



i-Punkt Arbeit: niederschwellig, kostenfrei und individuell

Was? i-Punkte Arbeit beraten und coachen niederschwellig arbeitslose Menschen in ihrem jeweiligen Quartier. Das Angebot ist für den Ratsuchenden und seine Familie völlig kostenfrei. Der Caritasverband Düsseldorf stellt die Jobcoaches beim i-Punkt Arbeit im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk/Flingern-Süd. Kooperationen mit Institutionen und direkten Arbeitgebern im Stadtviertel helfen dabei, Menschen in Arbeit zu integrieren.

Innovativ? Die enge Verzahnung und Vernetzung innerhalb des jeweiligen Quartiers - es werden Arbeitgeber direkt in der unmittelbaren Umgebung angesprochen. Auch die Beratungsstelle selbst wird innerhalb des Quartiers sichtbar, beispielsweise durch die regelmäßige Teilnahme an Stadtteilfesten oder Aktionen.

Gesellschaftlicher Nutzen? Die i-Punkt-Arbeit-Standorte fungieren als wohnortnahe Anlaufstelle für Arbeitsuchende und Arbeitgeber. Durch den ganzheitlichen Ansatz der Beratung, der die spezifischen Lebensumstände des Klienten mit in den Blick nimmt, werden individuelle Hürden, die der Arbeitsaufnahme im Weg stehen, ausgeräumt. Die bisherigen Ergebnisse sind positiv, das Jobcenter erprobt das Verfahren weiter.

Hürden? Der ganzheitliche Ansatz erfordert nicht nur zeitliche Ressourcen, sondern auch jede Menge Koordinationsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit. Diese Arbeit ist jeweils räumlich begrenzt und nur sehr individuell in einer guten Qualität durchführbar.

Kontaktdaten

Caritasverband Düsseldorf

Telefon: 0211/22966709
E-Mail: i-punkt.arbeit@caritas-duesseldorf.de
Web: www.caritas-duesseldorf.de



Demokratie braucht Innovation

Logo der Kampagne 'Füreinander demokratisch' mit der URL der Website der Caritas Düsseldorf

Was? Das Thema Demokratie ist relevant für die Integration von geflüchteten Menschen. Eine neue Kampagne "Füreinander demokratisch" macht darauf aufmerksam. Demokratie fängt dabei bei internen Strukturen an. Der Fachdienst für Integration und Migration (FIM) des Caritasverbandes Düsseldorf will Innovationen und Kreativität im Arbeitsalltag demokratischfördern und in Prozessen und Abläufen verankern. Regelmäßige Innovationszirkel und ein "Open Friday" sind geplant, bei dem FIM-Mitarbeitende aktiv ihre Ideen einfließen lassen, Projekte anstoßen und mitgestalten und über die Inhalte ihrer Arbeit demokratisch mitbestimmen.

Innovativ? Demokratie kann nur durch gelebte Demokratie in ihrer Dimension erfahren und begriffen werden. Mithilfe von demokratischen Entscheidungsprozessen wird die Demokratiekampagne "Füreinander demokratisch" konzipiert und umgesetzt.

Gesellschaftlicher Nutzen? Demokratie ist selbstverständlich - und auch wieder nicht. Menschen für dieses hohe Gut zu sensibilisieren, ist zugleich Anspruch und Ziel unserer Arbeit. Menschen, die dann wiederum als Multiplikatoren in ihr Umfeld und ihre Gemeinschaft einwirken, Menschen, die sich für Demokratie einsetzen und aktiv dazu beitragen, sind wichtig für den Zusammenhalt und den friedlichen Umgang miteinander.

Hürden? Demokratie ist herausfordernd. Demokratie ist anspruchsvoll. Demokratie ist anstrengend. Aber Demokratie lohnt sich für alle. Nur wer selbst die Wirkmechanismen demokratischer Prozesse und Strukturen erfährt, wendet sie an und lernt, gewissenhaft damit umzugehen.

Kontaktdaten

Julia Scheps
Caritasverband Düsseldorf

Telefon: 0211/1602-1770
E-Mail: julia.scheps@caritas-duesseldorf.de



Sozialraumkonferenz

Ein flaches Gebäude mit drei daneben stehenden PKWs, das vor einem Hochhaus am Kölnberg in Köln-Meschenich steht. Vor dem Gebäude laufen einige Menschen.Markus Lahrmann

Lebensqualität verbessern und soziales Miteinander fördern - das ist bereits seit 2006 das Ziel in elf Sozialraumgebieten der Stadt Köln. In der berühmt-berüchtigten Hochhausiedlung in Köln-Meschenich stellt der Kölner Caritasverband die Sozialraumkoordinatorin. Ihre Aufgabe ist es, Zusammenarbeit und Vernetzung herzustellen zwischen städtischen Dienststellen, Institutionen freier Träger, Akteuren vor Ort und Bürgerinnen und Bürgern. Das Innovative: In einer Sozialraumkonferenz kommen alle wichtigen Akteure zusammen - städtische Vertreter, soziale Akteure und Bewohner, die auch selbst ihre Aktivitäten für ein besseres Zusammenleben vorstellen. Gemeinsam werden neue Ideen und Handlungsansätze entwickelt, es entstehen sinnvolle präventive Angebote und frühzeitige Hilfen vor Ort.

verena.aurbek@caritas-koeln.de

Beratung anfangs per Münztelefon

Porträt: Barbara JakobsmeyerBarbara Jakobsmeyer war mit 24 Jahren Absolventin der Sozialpädagogik und arbeitet seit 1978 beim Diözesan-Caritasverband Paderborn. Sie ist seit über 40 Jahren Referentin für Kindertageseinrichtungen.Markus Jonas

Ein klobiges Münztelefon, eine Untertasse mit Zehn- und Fünfzigpfennigmünzen und eine Schlange von Kollegen davor - so begann vor über 40 Jahren die Berufstätigkeit von Barbara Jakobsmeyer beim Diözesan-Caritasverband Paderborn. Seitdem hat sie als Referentin für ­Tageseinrichtungen für Kinder gearbeitet. "Wir mussten warten, bis wir endlich jeder ein Telefon hatten", erinnert sie sich und lacht.

In den Kindergärten ging es damals traditionell zu: Geöffnet war von 8 bis 12 sowie von 14 bis 16 Uhr. "Eine Übermittagsbetreuung war die Ausnahme. Die meisten Mütter waren nicht berufstätig." Als auf Landesebene die ersten Regelungen für die Übermittagsbetreuung erlassen wurden, "da wurde im kirchlichen Bereich schon diskutiert, was unser Auftrag, was der Auftrag von Familie ist", erzählt Barbara Jakobsmeyer. Die Diskussion berührte sie auch ganz persönlich. Denn als ihre zwei Kinder in den 80er-Jahren geboren wurden, entschieden sie und ihr Mann sich dafür, jeweils nur noch halbtags zu arbeiten. "Sonst hätten wir keine Möglichkeit gehabt, unsere Kinder zu betreuen." Weil ihre Vorgesetzten anfangs noch der Meinung waren, halbtags könne man keine Fachberatung anbieten, war sie fortan in der Fortbildung von Kindergartenleitungen tätig. "Teilzeit war gar nicht üblich, ganz im Gegensatz zu heute."

Rückblickend fällt ihr auf, dass die Veränderungsgeschwindigkeit zuletzt zugenommen hat. "Vor allem die letzten zehn Jahre hat sich sehr viel bewegt, mehr als die 30 Jahre davor." Dass die Kinder immer jünger würden, die in den Kitas aufgenommen würden, habe massive Veränderungen nötig gemacht. "Die Kitas mussten sich sowohl von den Räumlichkeiten als auch von den pädagogischen Konzepten auf diese Situation einstellen." Viele Kitas hätten sich zu Familienzentren weiterentwickelt und seien nun Anlaufstelle im Sozialraum für Familienprobleme aller Art. Viele Kinder, die etwa schon mit einem Jahr in die Kita kämen, würden darin auch groß. "Manche lernen darin laufen, Dinge, die sonst in der Familie geschahen. Aber ich sehe, dass die Familien dieses Angebot brauchen." Die Erzieherinnen und Erzieher müssten sich den Erfordernissen der Kinder anpassen, ihnen etwa beim gemeinsamen Frühstück eine Essenskultur vermitteln und auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen. "Das ist allerdings total schwer, weil die Gruppen oft zu groß sind." Umso wichtiger seien eine neutrale Begleitung und Fachberatung für die Erzieherinnen und Erzieher - ohne den Druck des Arbeitgebers. "Das kann sehr fruchtbar sein." Dass sie dabei nicht weiter mitwirken kann, findet sie "ein bisschen schade". Aber sie freut sich auf andere Dinge nach der Pensionierung: "auf Reisen und Zeit zu haben".



Weitere Beiträge zum Thema "Kinder und Jugendliche" finden Sie hier in unserem Themendossier.

Mehr selbst bestimmen

Ein lächelnder Mann steht in den Räumen einer Caritas-Behinderten-Werkstatt und zeigt mit seiner erhobenen rechten Hand das Peace-ZeichenArmin Fischer

Seit Januar 2017 gilt ein neues Gesetz.
Es heißt: Bundes-Teilhabe-Gesetz.
Darin steht:
Menschen mit Behinderung sollen
in ihrem Leben mehr bestimmen können.
Dafür bekommen sie bessere Hilfe.

Das Bundes-Teilhabe-Gesetz
gilt seit Januar 2017.

Teilhabe heißt:
Alle Menschen können
überall mitmachen.

Ein ganz wichtiges Motto
vom Bundes-Teilhabe-Gesetz ist:
Nichts über uns - ohne uns.
Das bedeutet:
Menschen mit Behinderung entscheiden mit,
wenn es um sie geht.
Deshalb haben Menschen mit Behinderung
an dem Gesetz mitgearbeitet.

Das Bundes-Teilhabe-Gesetz
hat 2 wichtige Ziele:

  • mehr Selbst-Bestimmung,
  • mehr Teilhabe.

Wir erklären die 2 Ziele kurz.

Mehr Selbst-Bestimmung

Oft bestimmen andere Leute
über das Leben
von Menschen mit Behinderung.
Das will die Bundes-Regierung
mit dem neuen Gesetz ändern.

Menschen mit Behinderung
sollen mitentscheiden,
wenn es um ihr Leben geht.

Sie sollen mehr selbst bestimmen.
Zum Beispiel:

  • Was will ich?
  • Was ist mir wichtig?
  • Wie möchte ich wohnen?
  • Was möchte ich arbeiten?

Mehr Teilhabe

Menschen mit Behinderung sollen
überall dabei sein können.
Sie sollen teilhaben
am Leben in der Gesellschaft.
Die Gesellschaft sind alle Menschen.
Zum Beispiel alle Menschen in Deutschland.

Viele Regelungen

Die 2 Ziele stehen am Anfang
vom Bundes-Teilhabe-Gesetz.
Dann folgen viele Regelungen.
In den Regelungen steht:
So werden die 2 Ziele erreicht.

Eine wichtige Regelung
ist die Eingliederungs-Hilfe.
Eine andere Regelung
ist zum Arbeits-Leben.

Wir erklären kurz,
um was es dabei geht.

Eingliederungs-Hilfe verbessern

Damit Menschen mit Behinderung
überall mitmachen können,
brauchen sie Hilfe.
Zum Beispiel beim Wohnen,
beim Arbeiten und in der Freizeit.

Aber nicht alle brauchen die gleiche Hilfe.
Ein Rollstuhl-Fahrer braucht
eine andere Hilfe
als ein blinder Mensch.

Die Bundes-Regierung sagt:
Jeder soll genau die Hilfe bekommen,
die er braucht.

Das Fach-Wort für diese Hilfe ist:
Eingliederungs-Hilfe.

Mit der richtigen Hilfe
können Menschen mit Behinderung
mehr selbst bestimmen.

Mehr Teilhabe am Arbeits-Leben

Viele Menschen mit Behinderung arbeiten
in einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Woanders bekommen sie keine Arbeit.

Die Bundes-Regierung will das ändern.
Menschen mit Behinderung sollen sich
auch andere Arbeits-Plätze
aussuchen
können.
Zum Beispiel:

  • in einer Firma
  • im Kranken-Haus
  • im Kinder-Garten
  • im Super-Markt

Man sagt auch:
Das sind Arbeits-Plätze
auf dem ersten Arbeits-Markt.
Die Bundes-Regierung will
mehr solche Arbeits-Plätze
für Menschen mit Behinderung.

Weitere Verbesserungen

Im Bundes-Teilhabe-Gesetz
stehen auch Regelungen
zum Wohnen und zum Geld.
Und zu vielen anderen Lebens-Bereichen.

Erklärungen zu allen Regelungen
stehen auf der Internet-Seite
zum Bundes-Teilhabe-Gesetz.
Die Erklärungen sind
in Leichter Sprache.

Das Gesetz gilt ab Januar 2017.

(Quelle: www.bundesregierung.de)

Viele Karussells stehen auf dem Kirmesplatz

Eine größere Gruppe von Frauen und Männern in Schutzkleidung arbeiten in der CBW in Eschweiler an einem FließbandSorgfalt und Genauigkeit sind hier gefordert: Beschäftigte der CBW konfektionieren in einem Reinraum Medizinprodukte.CBW

BTHG - vier Buchstaben, die viele Veränderungen gebracht haben für Behindertenwerkstätten wie die Caritas Betriebs- und Werkstätten GmbH (CBW) in Eschweiler bei Aachen. Herausforderungen habe das Bundesteilhabegesetz den Werkstätten beschert. Von Problemen mag CBW-Geschäftsführer Michael Doersch nicht sprechen. Dafür ist der Maschinenbauingenieur viel zu lösungsorientiert unterwegs. Eine der Herausforderungen, die der 56-Jährige sieht, ist die Regelung im BTHG, wonach Menschen mit Behinderungen nicht mehr nur in Werkstätten beschäftigt sein können, sondern auch bei sogenannten "anderen Leistungsanbietern". Anders als die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen müssen andere Leistungsanbieter keine Mindestplatzzahl vorhalten, keine besonderen Anforderungen an Räume und deren Ausstattung erfüllen und kein förmliches Anerkennungsverfahren durchlaufen. Eine bindende Verpflichtung zur Aufnahme von Menschen mit Behinderungen haben andere Leistungsanbieter im Gegensatz zu den Werkstätten auch nicht.

Michael Doersch spricht gerne in Bildern. Die Situation für die Werkstätten, die jetzt durch die anderen Leistungsanbieter entstanden ist, beschreibt er für die CBW so: "Das ist wie auf einem Kirmesplatz. Da gab es früher nur ein Karussell. Und da stand CBW drauf. Jetzt unter den Regelungen des Bundesteilhabegesetzes gibt es andere Karussells auf diesem Platz, eben den anderen Leistungsanbieter. Und der sagt: Ich mache ein Angebot für Menschen mit Behinderung, mit dem ich auf dem Arbeitsmarkt anders agieren kann. Man könnte auch sagen: Das ist Marktwirtschaft." Vor der fürchtet sich Doersch auch nicht. Er ist überzeugt, dass die CBW gut aufgestellt ist. Aber trotzdem befürchtet er Nachteile für einzelne Beschäftigte mit Behinderungen in den Werkstätten.

"Der andere Leistungsanbieter wird die möglichst starken Leute aus den Werkstätten nehmen", sagt Doersch. Scheitere der andere Leistungsanbieter damit, habe dieser kaum ein Risiko. Anders sehe es aber für die Beschäftigten aus. Da pflichtet ihm Fredi Gärtner bei, Leiter des Sozialen Dienstes und der Beruflichen Bildung der CBW. "Wir haben heute schon einige Beschäftigte, die draußen sogenannte ausgelagerte Berufsbildungsplätze haben, zum Beispiel bei einem Bäcker. Von einigen dieser Beschäftigten wissen wir, dass sie den Kontakt zu den anderen in der Werkstatt vermissen." Und noch eine andere Schwierigkeit sieht Gärtner: Das Bundesteilhabegesetz setze sehr auf die freie Entscheidung der Menschen, um deren Teilhabe zu sichern. Sie könnten sich frei entscheiden, ob sie bei einem anderen Leistungsanbieter unterkämen oder in einer Werkstatt. "Für Teilhabe müssen die Menschen mit Behinderung aber die Hand heben", sagt Gärtner. Einige könnten das aufgrund ihrer Behinderung aber nicht. Da seien Eltern oder Betreuer gefordert, die sich kümmerten. Einige Eltern seien aber nicht in der Lage, die Beschäftigten entsprechend zu unterstützen. "Wir haben die Sorge, dass das zur Exklusion der Schwächsten führt", sagt Gärtner.

Ein Beschäftigter der CBW sitzt an seinem Arbeitsplatz und prüft elektronische Bautteile. Um ihn herum sind viele Sortierkästchen zu sehen.Dienstleister für die Wirtschaft: Beschäftigte der Behindertenwerkstatt prüfen elektronische Bauteile.CBW

Die CBW will genau das Gegenteil. Christof Stormanns, der Werke der CBW an den Standorten Eschweiler und Würselen leitet, ist davon überzeugt, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung einen wichtigen Beitrag zur Inklusion leisten. Als er das sagt, hat er einen Beschäftigten in der Montage und Verpackung vor Augen, den die CBW qualifiziert. Wegen einer fortschreitenden Erkrankung ist er in seiner Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Er ist geistig sehr fit, sitzt im Rollstuhl. "Aufgrund seiner Behinderung konnte dieser Beschäftigte nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden und hatte keine Chance auf Arbeit. Er saß lange ohne eine Aufgabe einfach nur zu Hause. Bei einem Kennenlerngespräch sagte er mir kürzlich, wie froh er sei, endlich wieder eine Aufgabe zu haben. Dieses Beispiel zeigt mir wieder einmal: Die Werkstätten sind Teil der Lösung und nicht das Problem."

Das meint auch Fredi Gärtner. Werkstätten seien nach dem BTHG nun eines von weiteren Angeboten für Menschen mit Behinderung. Das hat Konsequenzen für die CBW. "Wir müssen nun bei unseren künftigen Beschäftigten Klinken putzen, so wie wir es auch für die Kunden tun, für die wir in unseren Werkstätten Aufträge abwickeln. Wir müssen jetzt auch den kritischen Vater und die kritische Mutter überzeugen. Das wird uns gelingen, wenn wir den bunten Strauß an Möglichkeiten vorstellen, den wir Beschäftigten bieten können", sagt Gärtner. Michael Doersch kommt noch einmal zurück auf das Bild vom Kirmesplatz, auf dem nun viele Karussells stehen. Das Rezept, wie er die CBW auf Kurs halten will, hat er: "Wir müssen das schönste Karussell auf dem Kirmesplatz sein, auf das jeder drauf möchte", sagt der CBW-Geschäftsführer.

Caritas Betriebs- und Werkstätten GmbH
Aachener Straße 87
52249 Eschweiler



Informationen

In der Caritas Betriebs- und Werkstätten GmbH (CBW) arbeiten in acht Werken mit mehr als 20 Arbeitsbereichen an sechs Standorten in der Städteregion Aachen mehr als 1000 Beschäftigte mit geistiger und psychischer Behinderung. Die CBW - Gesellschafter sind der Caritasverband für das Bistum Aachen und der Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land - betreibt unter anderem eine Schreinerei, eine Wäscherei, eine Druckerei und eine Dreherei. In einem Werk gibt es einen Reinraum, in dem Beschäftigte Medizinprodukte konfektionieren. Die Beschäftigten erledigen Aufgaben für die Autozulieferindustrie oder bieten Dienstleistungen in der Garten- und Landschaftsgestaltung an.

Die Frühförderung ist bereits gut aufgestellt

Ein Raum im Diagnose- und Therapiezentrum des Franz Sales Hauses, der u. a. mit einer Hängematte, einer Liege, einigen Hockern und einem Bildschirmarbeitsplatz ausgestattet ist.„SchIFF“: Das Diagnose- und Therapiezentrum des Franz Sales Hauses versteht sich als ein sicherer Hafen für Kinder ab dem Säuglingsalter. Die Mannschaft besteht aus Experten unterschiedlicher Fachbereiche und bietet Beratung, Diagnose und Therapie an.Franz Sales Haus

Wenn Eltern mit der Tatsache konfrontiert werden, dass ihr Kind gesundheitlich beeinträchtigt ist, beginnt für sie eine schwere Zeit: Ist es meine Schuld? Habe ich während der Schwangerschaft etwas falsch gemacht? Das sind erfahrungsgemäß die ersten Fragen, die sich aufgewühlte Mütter stellen. Für sie ist das energische "Nein!", das Maria Andrino dieser Befürchtung entgegenstellt, eine große Erleichterung. Die promovierte Kinderärztin und Genetikerin in der Interdisziplinären Frühförderstelle (IFF) im Franz Sales Haus in Essen kennt die Nöte der Familien, die sich mit komplexen Diagnosen auseinandersetzen müssen. Mehr noch: damit leben müssen! Und vor allem: diese managen müssen. Wobei es ihr wichtig ist, die verschiedenen Beeinträchtigungen - von Entwicklungsverzögerungen bis hin zu Behinderungen - zu differenzieren und zu erklären. "Sie selbst tragen eine Brille", sagt sie zu mir, "somit sind Sie ohne Brille daran gehindert, klar zu sehen. BE-HINDERUNG bedeutet, daran gehindert zu sein, etwas Bestimmtes zu tun. Durch Assistenz, Hilfsmittel etc. gilt es diese Teilhabe zu ermöglichen."

Am Beispiel der geistigen Behinderung stellt Andrino dar, dass es keine Erkrankung, sondern eine andere Denk- und Betrachtungsweise ist: "Menschen mit geistiger Behinderung haben uns ach so kopfgesteuerten Menschen viel voraus. Hier können wir viel lernen und den Perspektivwechsel einüben." Einmal eingenommen, ist dieser Perspektivwechsel wohltuend für betroffene Familien, für die nach der Diagnose eine große Odyssee im Labyrinth der Hilfsangebote und ihrer jeweiligen komplizierten Verwaltungsauflagen beginnt.

"Früher war es so, dass das Gesundheitssystem kastenförmig aufgebaut war. Die Eltern mussten von A nach B rennen, um sich Hilfe von unterschiedlichen Disziplinen zu holen. Der große Nachteil: Die jeweiligen Einrichtungen waren nicht miteinander verknüpft - dabei kommt es gerade hier auf funktionierende Netzwerke an", erklärt Andrino.

Denn eigentlich sind Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten erfreulich vielfältig und können hervorragend aufeinander abgestimmt werden, wenn die verschiedenen Experten miteinander kommunizieren. Den Themen Kommunikation und Kooperation widmet sich die vielseitig ausgebildete Fachfrau mit ganzem Herzen, sie sieht in der Interdisziplinären Frühförderung (IFF) vor allem eine Riesenchance.

Ein kleines Kind (von dem nur das nackte linke Bein zu sehen ist) steht auf einer Kaltschaum-Liege. Ein Mann hält eine blaue Rolle fest die an dem Bein anliegt.Wenn Kinderärzte eine Entwicklungsverzögerung feststellen, können sie die Familien ans „SchIFF“ überweisen. Dort gibt es ärztliche Förderdiagnostik, Beratung und Therapiemöglichkeiten.Claudia Weiss

Auf dem Weg zu Andrinos Büro war ich am Warteraum vorbeigegangen und hatte viele Mütter mit kleinen Kindern gesehen. Es herrschte eine gelöste Atmosphäre, in der Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zum Schul­eintritt friedlich spielen, Mütter sich entspannt unterhalten und so ganz nebenbei ihr persönliches Hilfsnetzwerk erweitern. Erst im Rückblick fällt mir auf, dass ich hier kein einziges Kind mit einer Beeinträchtigung wahrgenommen habe. "So soll es sein", lächelt Maria Andrino. Für sie ist das Netzwerken ein ganz zentrales Thema, das sie konsequent und deutschlandweit betreibt.

In beiden Interdisziplinären Frühförderstellen SchIFF 1 und 2 werden insgesamt rund 300 Familien betreut, die bis zu dreimal in der Woche Angebote wahrnehmen können - in Einzelmaßnahmen oder Gruppentherapien, wobei Heilpädagogik, Physiotherapie, Logotherapie, Ergotherapie, Reittherapie bei der gemeinsamen Stundengestaltung ineinandergreifen. Darüber hinaus erhalten die Familien weitere Unterstützung, zum Beispiel bei der gemeinsamen Zielsetzung mit Kindergärten oder anderen beteiligten Institutionen.

Und eine Botschaft liegt der Fachfrau am Herzen: "Nicht der beeinträchtigte Mensch hat Barrieren, sondern die Gesellschaft, die zum Beispiel statt Treppen einfach nur Rampen einplanen muss. Um genau diesen Perspektivwechsel geht es!"

Claudia Weiss

www.franz-sales-haus.de

Franz Sales Haus
Interdisziplinäre Frühförderstelle
Steeler Straße 261
45138 Essen



Bundesteilhabegesetz

Änderungen in der Frühförderung und ihre Auswirkungen

Porträt: Dr. med Maria AndrinoDr. med Maria Andrino ist Kinderärztin und Genetikerin. Im Franz Sales Haus (Essen) hat sie seit 2012 den Bereich Gesundheit aufgebaut. Der umfasst zwei Interdisziplinäre Frühförderstellen, die Ambulanz Leuchtturm, den Therapeutischen Reitbetrieb, Mobile Therapien und neuerdings ein Medizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene mit Behinderung.Privat

"Die Kosten der Komplexleistung Frühförderung teilen sich bis dato das Sozialamt einer Stadt und die jeweilige Krankenkasse des Kindes. Nun wechselt der Kostenträger von der Stadt zum Land: Für das Franz Sales Haus bedeutet das, dass nun anstelle des Sozialamtes der Stadt Essen der Landschaftsverband Rheinland (LVR) zuständig ist. Diesen Wechsel schätze ich als unkompliziert ein, solange der LVR seine Rolle als Kostenträger in der gleichen Schnelligkeit und kooperativen Dynamik wie das Sozialamt erfüllt. Die jeweilige Krankenkasse bleibt als zweiter Kostenträger erhalten.

Eine weitere Änderung beinhaltet, dass zukünftig neben den Interdisziplinären Frühförderstellen auch andere Einrichtungen zugelassen werden sollen. Hierbei geht es um nach Landesrecht zugelassene Einrichtungen mit einem vergleichbaren interdisziplinären Förder-, Behandlungs- und Beratungsspektrum: Das sehe ich kritisch!

Hier bleibt abzuwarten, inwiefern hier die gleichen Qualitätsstandards erfüllt werden.

Mein Fazit: Die Änderungen in der Komplexleistung Frühförderung im Kontext des BTHG (§ 46 SGB IX RefE) sehe ich positiv, solange die beteiligten Akteure das Gesetz
zugunsten der betroffenen Kinder und ihrer Familien lesen: Es geht um ihre Förderrechte und die daraus resultierenden individuellen Teilhaberechte in der Gesellschaft - und da, wo ein Kind sein ihm zustehendes Recht nicht erhält, gilt es sich einzumischen!"

"Es stellt alles auf den Kopf"

Eine lächelnde Frau mit Down-Syndrom lächelt in die Kamera und zeigt mit ihren beiden erhobenen Händen das Peace-ZeichenKern des BTHG und Ziel aller Anstrengungen bei der Umsetzung ist und bleibt das Wohl der Menschen mit Behinderung, die auf Hilfen angewiesen sind und deswegen in Einrichtungen der Caritas arbeiten, wohnen und leben. Sie sollen besser und mehr teilhaben am Leben der Gemeinschaft.Armin Fischer

Revolution ist zwar ein gewaltiges Wort", sagt Karl-Heinz Vogt, Vorstandsvorsitzender des Caritas Wohn- und Werkstätten im Erzbistum Paderborn e. V. (CWW). "Aber wir spüren das. Es stellt alles auf den Kopf." Denn künftig - vorgesehen ist der 1. Januar 2020 - werden nicht mehr die Einrichtungen der Behindertenhilfe als Leistungserbringer finanziert. "Es verlagert sich alles auf den Kunden. Der muss einkaufen." Lange habe man überlegt, ob man den Begriff "Kunde" für die Menschen mit Behinderung verwenden könne. Das Bundesteilhabegesetz weise ihm nun diese zentrale Rolle zu. "Der Kunde ist König. Alles dreht sich um ihn", beschreibt Vogt die Herausforderung, die auch Angehörigen und rechtlichen Betreuern von Menschen mit Behinderung Kopfzerbrechen bereitet. Denn sie müssen die Ansprüche durchsetzen.

Die konsequente Zentrierung des Bundesteilhabegesetzes auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung wird in der Behindertenhilfe zwar allgemein begrüßt. Auch von Karl-Heinz Vogt. Aber: "Ich wäre begeistert, wenn nicht auf den letzten zwei Seiten des Gesetzes der Mehrkostenvorbehalt zu finden wäre." Also die Einschränkung, dass die Veränderungen nicht mehr kosten dürfen. Schwer vorstellbar, wie das gehen soll. Matthias Schmidt, bisher Leiter der größten CWW-Einrichtung in Warburg und neuer Leiter des Fachbereiches Immobilien, hat da einen Verdacht: "Wenn man es zynisch sieht, haben die Planer vielleicht einkalkuliert, dass viele Menschen mit Behinderung ihren Anspruch nicht durchsetzen werden. Denn es ist ein sehr anspruchsvolles Verfahren."

Komplexer Organisationsentwicklungsprozess

Für den Geschäftsbereich Caritas Wohnen gem. GmbH, den Karl-Heinz Vogt verantwortet und in dem rund 1200 der insgesamt 2400 Mitarbeiter des CWW beschäftigt sind, hatte das neue Gesetz weitreichende Konsequenzen. Unter fachlicher juristischer Begleitung und externer Moderation wurde das Unternehmen in einem eineinhalbjährigen Prozess bis Mitte 2018 von Grund auf neu überdacht. Vogt: "Das war der größte Organisationsentwicklungsprozess, den ich je erlebt habe." Das bestätigt auch Bettina Weinberg, bisher Leiterin der Geschäftsstelle der Caritas Wohnen gem. GmbH, seit Jahresbeginn Leiterin des neuen Fachbereiches "Assistenz für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung", dem der größte Teil der Mitarbeiter zugeordnet wird. "Das Unternehmen wird von rechts auf links gezogen", beschreibt sie den radikalen Umbauprozess, der längst nicht abgeschlossen sei.

Früher Fürsorge, heute "Kundenmanagement" mit Bedarfsanalyse und Leistungsangebot

Denn mit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes sei schnell klar geworden: "Wir brauchen neue Geschäftsmodelle." Deshalb wurden im Entwicklungsprozess Fachbereiche erarbeitet, die dem neuen Gesetz entsprechende Leistungsangebote machen können. Das Zentrum der neuen Organisationsstruktur ist das "Kundenmanagement". Es soll Menschen mit Behinderung unterstützen und helfen, den Bedarf an Unterstützungsleistung zu ermitteln, der beim Kostenträger beantragt werden muss. Damit die Bedarfsanalyse bei jedem einzelnen der 700 Bewohner "Hand und Fuß" hat, sind 700 Mitarbeiter beauftragt worden, je einen Bewohner über drei Monate zu beobachten und seinen Bedarf an Unterstützungsleistung zu ermitteln. "Wir behaupten den Bedarf nicht einfach, wir dokumentieren ihn", erklärt Karl-Heinz Vogt. "Das Ergebnis stellen wir den rechtlichen Vertretern dann zur Verfügung." Damit können die nötigen Anträge beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe gestellt werden.

Das Organigramm der Caritas Wohnen gem. GmbH hat sich total umgekrempelt. Die bisherige, überwiegend an den stationären Einrichtungen orientierte Gliederung listet nun teils neue Fachbereiche auf. Der größte: die Assistenz für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung, mit der die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sichergestellt werden soll. Davon getrennt: die Pflege für Menschen mit Beeinträchtigung. Im zweiten Quartal dieses Jahres soll sie aus der Assistenz ausgegliedert werden. "Die Zukunft dieses Bereichs sehen wir wie bei einem ambulanten Pflegedienst", erklärt Bettina Weinberg. Nur wo viele pflegebedürftige Menschen mit Beeinträchtigung leben, sollen auch Pflegekräfte vor Ort sein. Eine spezielle Pflegeeinrichtung soll es jedoch nicht geben. Im Bereich Gesundheit werden die medizinischen und psychologischen Stationen sowie das Autismus-Zentrum zusammengefasst, die in der größten Einrichtung, dem Heilpädagogischen Therapie- und Förderzentrum (HPZ) St. Laurentius, in Warburg angesiedelt sind. Die Vermietung und Verwaltung des Wohnraums wurden im Fachbereich Immobilien angesiedelt, die Verpflegung, Wäsche und Hausreinigung sollen im Bereich mit dem Arbeitstitel "Catering. Care. Clean" zusammengefasst werden. Ein eigener Bereich ist "Seelsorge und Lebensberatung", in dem pastorale Angebote, Online-Beratung und die "Schatzkiste", eine Partnervermittlung für Menschen mit Behinderung, zu finden sind. Von den Gesetzesänderungen nicht betroffen ist der Bereich Kinder und Jugendliche.

Ein Gruppenfoto mit Karl-Heinz Vogt, Bettina Weinberg und Tanja Heitling von dem Caritas Wohn- und Werkstätten im Erzbistum Paderborn e. V. (CWW)Gestalten die Caritas Wohnen gem. GmbH mit Blick auf das Bundesteilhabegesetz komplett um (v. l.): Karl-Heinz Vogt, Bettina Weinberg und Tanja Heitling (Strategische Organisations- und Personalentwicklung)Markus Jonas

Die neue Struktur ermöglicht Karrieren: 70 neue Leitungskräfte wurden gebraucht

Für die Mitarbeiter ist der Organisationsentwicklungsprozess eine "sehr unruhige Zeit", sagt Matthias Schmidt. Denn alle müssen ihren Platz in dem neuen Gefüge finden, orientiert an der eigenen Fachlichkeit. Die 1200 Mitarbeiter konnten ihre Wünsche angeben, in welchem Bereich sie tätig sein wollen, und auch Interesse an einer Führungsposition bekunden. "Diese Wünsche konnten wir zu fast 100 Prozent umsetzen", sagt Bettina Weinberg. "Das Schöne an dem Prozess ist, dass die Mitarbeiter über sich und über ihre Entwicklung nachdenken können. Und sie können bei der Gelegenheit auch benennen, was nicht gut läuft, und mitwirken, dass es besser läuft." So mancher Mitarbeiter aus der zweiten Reihe habe die Gelegenheit genutzt, mehr Verantwortung zu übernehmen. So weise die neue Struktur nun 70 neue Leitungskräfte aus. Dadurch dass der Bezug auf die Einrichtungen in der Struktur aufgegeben wird, wurden aber auch neue, ortsungebundene Arbeitsverträge nötig. "Bis auf 1,5 Prozent der Mitarbeiter haben den alle unterschrieben", sagt Karl-Heinz Vogt. "Das ist ein enormer Vertrauensbeweis." Arbeitsrechtliche Konsequenzen oder Prozesse habe es nicht gegeben, obwohl manche Führungsposition weggefallen sei und dadurch auch Einschnitte bei der Vergütung nötig gewesen seien. "Das ist wirklich beachtlich", sagt Weinberg. Und dennoch: "Es hat geknirscht", gibt Matthias Schmidt zu. "Auf jeden Fall. Das ist nicht reibungslos verlaufen." Als Leiter der weitaus größten Einrichtung mit 450 Bewohnern in Warburg habe er bei einer Mitarbeiterversammlung Befürchtungen wegen der neuen Verträge zerstreuen müssen: "Glauben Sie doch nicht, dass Sie beliebig versetzt werden." Nach den vielen Veränderungsprozessen brauche es nun "Antworten auf Fragen des Alltags", sagt Schmidt. "Bis zum Sommer muss es sich noch zurechtruckeln."

Viele Fragen sind noch offen. So soll der Landesrahmenplan, der das Bundesteilhabegesetz in NRW umsetzt, erst im Mai verabschiedet werden. Dass das Gesetz wie geplant am 1. Januar nächsten Jahres umgesetzt werden kann, bezweifelt Karl-Heinz Vogt zwar. "Wir werden aber bereit sein." Die Caritas Wohnen gem. GmbH will das laufende Jahr auch nutzen, um Leistungsbeschreibungen zu erstellen und mit Preisen zu versehen. Dazu hat das Unternehmen eine Software erworben, die speziell angepasst wird und künftig auch die erstmals durch das Gesetz geforderten Wirkungsnachweise der Teilhabemaßnahmen erfassen kann. Die Dokumentation nehme dank der neuen Software und dank der Tablets in allen Wohnbereichen pro Bewohner nur noch fünf bis zehn Minuten täglich in Anspruch, sagt Vogt. Insgesamt hat die Caritas Wohnen gem. GmbH für die Software und den Organisationsentwicklungsprozess 500000 Euro investiert - ein Betrag, der in Erwartung des Bundesteilhabegesetzes zuvor an Rücklagen gebildet wurde.

Bewohner rausführen aus der erlernten Bedürfnislosigkeit

Für die Menschen mit Behinderung in den Wohneinrichtungen des CWW sollen die Veränderungen "sehr kundenfreundlich" ablaufen, wünscht sich Karl-Heinz Vogt. "Die Bewohner werden sehr behutsam an die neuen Möglichkeiten herangeführt." Und Bettina Weinberg hofft, dass diese die Bewohner "aus ihrer erlernten Bedürfnislosigkeit befreien".

www.cww-paderborn.de



Caritas Wohn- und Werkstätten im Erzbistum Paderborn e. V.
(CWW Paderborn)

Der Verein "Caritas Wohn- und Werkstätten im Erzbistum Paderborn e. V." (CWW Paderborn) mit Sitz in Paderborn bietet in 40 Einrichtungen und Diensten der Alten- und Behindertenhilfe etwa 4000 Menschen Begleitung und Betreuung und beschäftigt mehr als 2400 Mitarbeiter. Betreuungseinrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe befinden sich schwerpunktmäßig in den Kreisen Paderborn und Höxter. Die Betreuungseinrichtungen der Altenhilfe erstrecken sich über das gesamte Erzbistum Paderborn. Der Verein gliedert sich in drei gemeinnützige GmbHs (Wohnen, Werkstätten, Altenhilfe).

Ein Roboter ist ein Roboter – und kein Mensch

Eine Ärztin und ein Arzt in weißen Kitteln stehen hinter einem weißen Roboter, in dessen Kopf-Display ein Arztkoffer abgebildet wird. Die Ärztin deutet mit ihrem rechten Zeigefinger auf den FotografenM. Drr & M. Frommherz/stock.adobe.com

Kümmert sich bald auch der Onlineversandhändler um das passende Pflegeangebot für die Oma? Entfällt die nervige Suche nach dem Kita-Platz für die Jüngsten dank lokaler Betreuungsplattformen? Kann der demenzkranke Nachbar aufgrund intelligenter Haustechnik weiterhin allein in der eigenen Wohnung leben, ohne sich und andere zu gefährden - und sogar die geliebten Waldspaziergänge genießen, weil er jederzeit per GPS-Sensor auffindbar ist? Kein Zweifel: In Zeiten der Digitalisierung öffnen sich ungeahnte Horizonte. Gleichzeitig zeigt die Digitalisierung gerade für kirchliche Akteure in der Sozialwirtschaft neue Herausforderungen auf. Beim 12. Caritas-Diskurs Ethik des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn gab es in der Katholischen Akademie Schwerte wichtige Erkenntnisse.

Wenn manche Kinder heute "Alexa" für ein Familienmitglied halten und bei Tisch für sie einen zusätzlichen Teller hinstellen, mag man darüber lächeln. Für Dr. Hartmut Kopf, Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, zeigt dieses Beispiel, wie sehr uns die Digitalisierung noch verändern wird. Und dabei geht es längst nicht mehr um technische Tools, die das Leben erleichtern. Für Kopf ist Digitalisierung die neue "soziale Frage" des 21. Jahrhunderts. "Digitale Teilhabe ist heute eine elementare Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe."

Wie die großen kirchlichen Sozial­reformer des 19. Jahrhunderts, die sich mit den Folgen der ersten industriellen ­Revolution konfrontiert gesehen hätten, stünden auch heute Caritas und Diakonie vor ähnlichen Herausforderungen. Von ihnen erhofft sich Kopf, dass sie den gesellschaftlichen Diskurs über die gewünschten und unerwünschten Auswirkungen der Digitalisierung mit anführen. Angesichts der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung sei dieser Diskurs dringend nötig. "Im Gegensatz zu den McDonald’s dieser Welt, die sich Positionen in diesem Diskurs erst noch erarbeiten müssen, sind Caritas und Diakonie hier sprachfähig." Gleichzeitig müsse die Digitalisierung "radikal" genutzt werden, um Menschen in ihrem Bemühen um gesellschaftliche Teilhabe zu unterstützen. Dass die Sozialwirtschaft in Sachen Digitalisierung zehn Jahre hinter der Entwicklung zurückstehe, sei nicht dramatisch. "Kleine und mittelständische Unternehmen sind auch nicht weiter."

Nur Menschen können denken, fühlen, wollen

Wie könnte ein gesellschaftlicher Diskurs in Sachen Digitalisierung befeuert werden? Dr. Arne Manzeschke, Professor für Anthropologie und Ethik für Gesundheitsberufe an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, hatte in Schwerte mehrere Hinweise parat. Ganz simpel zum Beispiel die Frage, warum man Robotern, die nichts anderes täten, als Pflegebedürftige ins Bett oder ins Bad zu heben, ein humanoides Aussehen verleihen müsse. Gewichtiger schon die Forderung nach sprachlicher Präzision: Denken, Fühlen, Wollen sind Begriffe, die, so Manzeschke, nur Menschen vorbehalten sein sollten. Die sprachliche Übertragung auf Maschinen sei unzulässig. Selbst der Begriff "künstliche Intelligenz" sei irreführend. "Wir müssen neue Begriffe finden für das, was Maschinen tun."

Wichtig ist für Manzeschke auch die Unterscheidung zwischen Hilfe und Assistenz. Gerade im kirchlichen Kontext gebe die biblische Erzählung vom barmherzigen Samariter einen deutlichen Hinweis. Der Samariter war im Innersten berührt von der Notlage des Gewaltopfers, im griechischen Urtext heißt es: "in seinen Eingeweiden angerührt". Hilfe sei also eine Tätigkeit, die nur von Mensch zu Mensch leistbar sei. "Die Assistenz ist nicht schlecht, hat aber einen anderen Status." So sei der Einsatz von Robotern etwa in der Betreuung von Demenzkranken grundsätzlich nicht unethisch. "Wenn es aber primär darum geht, diese Menschen ruhigzustellen, geht so etwas nicht." Die Einrichtung müsse die Regeln und Ziele für den Einsatz von Robotern offen kommunizieren.

Was macht das Menschsein aus?

Digitalisierung wirft die Frage auf, was Menschsein ausmacht, was alles dazugehört. Warum noch vor die Tür gehen, wenn die Welt zu mir kommt? Warum Freunde ­treffen, wenn ich sie ständig virtuell im Smartphone dabeihabe? Das Verlockende an der Digitalisierung ist für Manzeschke, dass Krisen und "Widerständigkeiten" in den digitalen Welten ausgeschaltet werden. Es werde suggeriert, dass "unser Leben bis zum Ende sorgenfrei durchgeht". Dass dies bei endlichen Wesen nicht funktioniere, liege auf der Hand. Gesund für die menschliche Entwicklung sei es auch nicht. "Wir brauchen als Menschen diese Widerständigkeiten, um daran zu reifen." Die Frage laute, wie Technik eingesetzt werden könne, dass sie den Menschen in seiner Leiblichkeit unterstütze, ohne ihn von sich und seiner Endlichkeit zu entfernen.

Eine mögliche Antwort hat das Sozialwerk St. Georg in seinen Demenz-Wohngemeinschaften gefunden. Heike Perszewski und Aline Wybranietz stellten Möglichkeiten vor, wie am Niederrhein gemeinsam mit Demenzkranken technische Hilfsmittel erprobt werden, die ihnen Sicherheit, Schutz und auch Lebensfreude ermöglichen. Vom einfachen Schlüssel-Auffinder über die Erinnerungsuhr, die das "Essen auf Rädern" ankündigt, bis hin zu Sensoren, die beispielsweise das Öffnen der Kühlschranktür überwachen oder Bewegungsprofile in der Wohnung erstellen, um damit Tag- und Nachtrhythmen zu erfassen. "Es gibt unendlich viel, aber was sinnvoll und gut ist, entscheiden die Bewohner selbst", so Aline Wybranietz.

Altenpfleger Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die Altenpflege? Die Mitarbeitenden hoffen auf körperliche Entlastung durch intelligente Robotik. Christian Stockhausen, Altenpfleger in Solingen, ist ein Gesicht der diesjährigen Caritas-Kampagne.Deutscher Caritasverband, Fotograf: Darius Ramazani

Social Media im Krankenhaus

Dr. Christian Stoffers, Kommunikations- und Marketingleiter der Marien-Gesellschaft Siegen, berichtete, welche Erkenntnisse der Einsatz von digitalen Instrumenten für das Marketing eines Krankenhauses haben kann. So habe das Marienkrankenhaus als eine der ersten Kliniken in Deutschland die Interaktion mit den Patienten über Social Media gefördert. Steffen Pau, Datenschutzbeauftragter der NRW-Diözesen und Leiter des Katholischen Datenschutzzentrums Dortmund, plädierte abschließend dafür, "um das Schutzgut des Datenschutzes zu kämpfen". Das Ziel des Datenschutzes sei immerhin die Sicherstellung von Persönlichkeitsrechten.



Sozial braucht digital - die Caritas-Kampagne 2019

Die Caritas-Kampagne 2019 ruft dazu auf, den digitalen Wandel mitzugestalten, und fordert die Politik auf, den Fokus bei der Digitalisierung nicht nur auf Prozesse in Wirtschaft und Industrie zu richten: Sozial braucht digital!

Aber auch der Verband muss sich ändern. Die "Sozialpolitischen Positionen" des Deutschen Caritasverbandes (Dez. 2018) bündeln den Status quo der innerverband­lichen Orientierung und rücken die ethische Orientierung und die Aufgaben, die für den Zusammenhalt in der "hybriden" Gesellschaft notwendig sind, in den Fokus.

www.sozialbrauchtdigital.de
#sozialbrauchtdigital

Hilfs- und Beratungsangebote der Behindertenhilfe

Ein Schaubild, in dem die Anzahlen der Einrichtungen in der Behindertenhilfe sowie der Betreuten und der gebotenen Arbeitsplätze aufgeführt werden.

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"Wahlrecht ist ein Menschenrecht"

Die Caritas-Werkstatträte in NRW bei ihrem Jahrestreffen am 6. März 2019 in Dülmen in einem großen Tagungsraum. Einige der Teilnehmer halten Schilder, Banner und Fahnen hoch.Einsatz für ein Wahlrecht auch für Menschen mit Behinderung: Werkstatträte der Caritas-Werkstätten protestieren gegen pauschale Wahlrechts-Einschränkungen.Harald Westbeld

Ein neues Wahlgesetz sei notwendig, um pauschale Wahlrechtsausschlüsse zu beenden. "Wahlrecht ist ein Menschenrecht, und das gilt auch für Menschen mit Behinderungen", hieß es einhellig auf der Tagung.

Derzeit dürfen Menschen mit Behinderungen, die eine rechtliche Betreuung in allen Lebensbereichen benötigen, und Patienten in psychiatrischen Kliniken, die im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen haben, nicht wählen. Dies betrifft 80000 Menschen in der Bundesrepublik, denen das Wahlrecht auf diese Weise verweigert wird. Das widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention, die von der Bundesrepublik vor zehn Jahren ratifiziert wurde. "Wir freuen uns über die sehr klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und fordern die Regierungsfraktionen auf, das Wahlrecht unverzüglich zu ändern", so die Caritas-Werkstatträte. Bei der Europawahl dürfe es keine pauschalen Ausschlüsse vom Wahlrecht geben.

Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD schon vereinbart, das Wahlrecht zu reformieren: "Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle. Wir werden den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beenden" (S. 95 Koalitionsvertrag). Doch bisher ist weiter nichts passiert. "Das ist angesichts der nahenden Europawahlen ein Skandal", empören sich die Werkstatträte. "Wahltermine werden doch von langer Hand geplant, deshalb ist es unverständlich, dass die längst überfällige Reform des Wahlrechts bislang nicht umgesetzt wird", hieß es bei dem Treffen. Die Beteiligung an demokratischen Prozessen sollte selbstverständlich auch Menschen mit Behinderungen zustehen.

Die Weichen richtig stellen!

Porträt: Josef LüttigJosef Lüttig

Kernstück und zugleich völliges Neuland im BTHG ist die gesetzlich gewollte Trennung der existenzsichernden Leistungen von den Fachleistungen der Eingliederungshilfe. Auf Dauer soll dies dazu führen, dass Menschen mit Behinderung unabhängig von ihrer Wohnform bedarfsdeckende Fachleistungen erhalten. Als Caritas haben wir das BTHG begrüßt, weil es die Rechtsstellung des Menschen mit Behinderung grundsätzlich stärkt.

Mitte 2018 beschloss der NRW-Landtag das Ausführungsgesetz zum BTHG. Kostenträger und Verbände der Leistungserbringer verhandeln seitdem unter Beteiligung der Vertreter der Behindertenselbsthilfe einen Landesrahmenvertrag. Es zeichnet sich ab, dass die Trennung der Leistungen zum 1. Januar 2020 umgesetzt werden wird. Es wird aber noch einige Jahre dauern, bis das gesamte Behindertenrecht umgestellt werden kann.

Auch die Finanzierung der Leistungen in Werkstätten wird wie bisher weitergeführt werden, wobei Landschaftsverbände und Freie Wohlfahrtspflege anstreben, ein personenorientierteres System zu entwickeln. Gleiches gilt für die heilpädagogischen Kindertageseinrichtungen. Daran zeigt sich, dass ein Gesetz trotz guten Willens der beteiligten Akteure allein nicht in der Lage ist, bestehende Praxis kurzfristig zu verändern.

Manche Menschen mit Behinderung und manche Träger in und außerhalb der Caritas fragen daher: Lohnt sich der Riesenaufwand? Brauchen wir nicht für die Umsetzung mehr Zeit? Kriegen wir die mit der Umstellung verbundenen wirtschaftlichen Risiken und die Risiken für die betroffenen Menschen in den Griff?

Ich meine: Ja, der Aufwand lohnt sich, denn:

  • Der neue Landesrahmenvertrag kann mittelfristig dazu beitragen, dass die Leistungsträger, insbesondere die Landschaftsverbände, die Verantwortung für bedarfsdeckende Leistungen nach BTHG-Vorgabe übernehmen (müssen). Bisher fühlten sich die Einrichtungen und Dienste in der Pflicht, fehlende Ressourcen zu kompensieren.
  • Zukünftig werden Menschen mit Behinderung ihre Wohnform freier als bisher aussuchen können.
  • Behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder werden qualitativ bessere Leistungen im Rahmen von Frühförderung erhalten, sowohl in interdisziplinären Frühförderstellen als auch in Kindertageseinrichtungen.
  • Es wird nach und nach möglich sein, alternative Angebote zu Werkstätten zu schaffen für Menschen, die dort nicht beschäftigt werden möchten.

Diese Umstellungsprozesse benötigen Zeit. Diese Zeit sollten wir uns nehmen und sie gleichzeitig nutzen, um Dienstleistungs- und Finanzierungsprozesse anzupassen. Und wir müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifizieren und damit der Gefahr vorbeugen, dass Dienstleistungen technokratisch erbracht werden anstatt auf der Beziehungsebene. Wir brauchen Zeit, um die Strukturen so anzupassen, dass Menschen mit Behinderung wirklich selbstbestimmt entscheiden können. Hierzu zählt auch, dass wir Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Behinderung zu befähigen, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Die Caritas wird daher weiterhin Vertretungsstrukturen von Menschen mit Behinderung sowie deren Angehörige in den Einrichtungen und Diensten unterstützen. Wir werden Beratungsangebote wie z. B. Peerberatung entwickeln, die die Eigenständigkeit der Menschen mit Behinderung stärken. Wir werden Menschen mit Behinderung anbieten, sie durch qualifizierte Fachkräfte beim Gesamt- und Teilhabeplanverfahren zu unterstützen. Und wir werden Rahmenbedingungen schaffen, damit Menschen mit Behinderung ihre bedarfsdeckende Leistung auch juristisch durchsetzen können.

Zum 1. Januar 2020 wird die Leistungserbringung für Menschen mit Behinderung nicht auf den Kopf gestellt werden. Wäre dies notwendig, hätten wir in den vergangenen Jahrzehnten etwas grundlegend falsch gemacht. Es bietet sich aber die Chance, jetzt im Rahmen der landesrahmenvertraglichen Regelungen die Weichen für mehr Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe richtig zu stellen. Nutzen wir diese Chancen!

"Ein umfassender Findungsprozess steht an …"

Ein Publikum, dass in einem Schulungsraum in Stuhlreihen vor einem Tisch befindet, an dem ein Mann einen Vortrag hältIm Sozialsystem kommt ihnen eine Schlüsselrolle zu: Rechtliche Betreuer kümmern sich um Menschen, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können. Die Betreuungsvereine bündeln die ehrenamtliche und hauptamtliche Betreuung.Archiv

Caritas in NRW: Was kommt durch das BTHG auf die Betreuungsvereine zu, die ja ohnehin mit knappen Ressourcen zu kämpfen haben?

Markus Kühn: Wir rechnen damit, dass sich der Arbeitsaufwand erhöhen wird, allein schon weil mit der Beantragung von Leistungen eine Aufteilung von Wohnkosten und Eingliederungshilfen erfolgt. Zudem müssen Anträge möglichst frühzeitig bei verschiedenen Kostenträgern gestellt werden, damit unsere Klienten nicht ihre Anrechte verlieren.

Bedenkt man nun, dass die Vergütung für Führung von Betreuungen seit 2005 nicht erhöht wurde, angestellte Betreuer in der Regel jetzt schon 160 bis 190 Betreuungsstunden bei einer Vollzeitstelle erbringen, kann man sich leicht denken, was da auf uns und andere Betreuungsver­eine zukommt. Die konkreten Abläufe sind letztlich noch völlig unklar und bedürfen eines umfassenden Prozesses der Klärung und Findung.

Caritas in NRW: Was bieten die ergänzenden, unabhängigen Teilhabeberatungen externer Anbieter?

Porträt: Markus KühnFür die Umsetzung der konkreten Abläufe des Bundesteilhabegesetzes in den rechtlichen Betreuungsvereinen sieht Markus Kühn, Leiter des Sachgebiets Soziale Beratung und Betreuung beim SKM Köln, noch großen Schulungs- und Klärungsbedarf.Michael Franzen

Markus Kühn: Betreuer haben die Möglichkeit, sich dort für ihre Klienten beraten zu lassen. Das hat sicherlich viele Vorteile, besonders im Bereich der Peer-Beratung, also wenn selbst Betroffene die Ratgeber sind. Einen weiteren Vorteil sehe ich darin, dass die Zahl der Beratungsstellen auch auf dem Land erhöht wurde. Ich glaube schon, dass das BTHG, mit dem ja die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden soll, eine Menge bringen kann und Menschen mit Behinderung hilft, ein selbstbestimmteres Leben zu führen.

Caritas in NRW: In welchem Bereich ist mit besonders einschneidenden Änderungen oder gar Problemen zu rechnen?

Markus Kühn: Wir gehen davon aus, dass besonders der Bereich der ehrenamtlichen Betreuung betroffen ist. Zum einen, weil hier sicherlich der größte Beratungsbedarf mit Blick auf die neue Gesetzeslage besteht, zum anderen aber auch, weil die Betreuungsperson völlig neue Aufgaben übernehmen muss. Etwa bei der Budgetverwaltung. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass nicht jeder, der seinen Schwerpunkt eher in der medizinischen oder sozialen Betreuung sieht, unbedingt begeistert ist, sich dann vermehrt mit der Verwaltung von Geldern zu beschäftigen. Auf jeden Fall dürfte es häufig nicht ganz ohne sein, den "Funken der Mitmenschlichkeit", der zur Übernahme der Betreuung geführt hat, auch auf die Vermögenssorge weiterzutragen.

Die Fragen stellte Dagmar Gabrio.

www.skm-koeln.de

Anwältin und Netzwerkerin

Porträt: Claudia Middendorf auf der rechten Seite des Bildes, auf der linken Seite ist das Wappen des Landes Nordrhein-Westfalen in schwarz-weiß zu sehen.Claudia Middendorf ist gelernte Erzieherin und arbeitete als Diplom-Sozialpädagogin beim Caritasverband Hagen. Sie war für die CDU mehrere Jahre Landtagsabgeordnete. Seit Oktober 2017 ist sie Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen.lbb.nrw

In meiner Funktion als Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten ist es meine Aufgabe, Anwältin und Netzwerkerin für die Menschen zu sein, die mit einer dauerhaften oder vorübergehenden Einschränkung oder einer Krankheit leben. Ebenso sehe ich mich als offenes Ohr und Stimme für die Angehörigen, die ihr eigenes Leben nicht selten in den Hintergrund stellen und sich aufopfernd um ihre Liebsten kümmern.

Der Aufgabenbereich der Landesbehinderten- und Patientenbeauftragten ist vielfältig. Neben der beratenden Funktion bei Gesetzesvorhaben der Landesregierung zählen dazu beispielsweise der Austausch und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren der Behindertenpolitik, die Entwicklung von Vorschlägen zur Umsetzung einer inklusiven Gesellschaft sowie die Information der Öffentlichkeit über behindertenpolitische Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen. Rechtliche Grundlage meiner Arbeit als Landesbehindertenbeauftragte ist das Behindertengleichstellungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen. Aus diesem Gesetz ergibt sich unter anderem die Aufgabe der "Durchsetzung der Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung", wodurch mir die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes ein großes Anliegen ist. Mir kommt dabei insbesondere die Funktion der Ansprechpartnerin und Vermittlerin für die Menschen mit Behinderungen sowie die Verbände zu.

Durch das Ausführungsgesetz des BTHG wurde diese Rolle mit der Einrichtung der Koordinierungsstelle noch weiter konkretisiert, indem beschlossen wurde, dass die Landesbehindertenbeauftragte die Koordinierung der Beteiligung mit einer Koordinierungsstelle unterstützt.

Zentral wird für mich die Pflege der Kontakte zu den Kooperationspartnern der Verbände und Organisationen sein, um diesen die Beteiligung an der Umsetzung des BTHG zu ermöglichen. Konkret haben wir, um einen engeren und schnelleren Austausch zu ermöglichen, eine gemeinsame Online-Plattform eingerichtet, auf der alle Kooperationspartner unmittelbar über neue Entwicklungen und Ergebnisse der eingerichteten Arbeitsgruppen informiert werden. Neben den Arbeitsgruppen, die sich gezielt mit speziellen Themen befassen, gibt es ein Plenum, an dem ein Vertreter aus jeder Arbeitsgruppe der Rahmenvertragsverhandlungen teilnimmt.

www.lbb.nrw.de

"Da legen wir noch einen drauf"

Porträt: Uwe Elsner, der einen selbst produzierten Dreimonatskalender hoch hält Zusammentragen, leimen und bündeln – das sind die wichtigsten Handgriffe von Uwe Elsner (44) an seinem Arbeitsplatz in der Behindertenwerkstatt. Mit 19 Jahren begann seine Berufskarriere. Seine Arbeit in den CWWN begann er im Jahr 1993, dort arbeitet er seit mittlerweile 25 Jahren in der Zweigstelle Moers.Harald Westbeld

Uwe Elsner bleibt ganz entspannt. Dabei gäbe es viele Gründe, langsam aufgeregt zu werden. Gerade hat sich sein Traum erfüllt. Bislang hat der Rheinländer, der äußerlich so ruhig erscheint, Jahr für Jahr begeistert Karneval nur mitgefeiert, jetzt führt er in den Caritas Wohn- und Werkstätten Niederrhein zusammen mit seiner Verlobten Jasmin Tannous (27) als Prinzenpaar das närrische Treiben der 1200 Bewohner und Beschäftigten in vollem Ornat an. Aber: "Da legen wir noch einen drauf", sagt der 44-Jährige: "An Aschermittwoch ist noch nicht alles vorbei!" Am Freitag danach geben sich die beiden, die in den Kalender-Gruppen I und II der Werkstatt arbeiten, auf dem Standesamt Moers das Ja-Wort, und dann wird groß gefeiert.

Aber deswegen nervös werden? Es ist alles bestens vorbereitet, der Saal gemietet, die Einladungen sind verschickt, Anzug und Hochzeitskleid liegen bereit. Auch die Namensfrage ist einvernehmlich geklärt. Uwe Elsner nimmt den Namen seiner Verlobten an, der er ganz klassisch einen Heiratsantrag mit Kniefall und Blumenstrauß gemacht hat.

Uwe Elsner schätzt den geregelten Ablauf am Tag und im Leben. Auch mal was Neues, aber das in Maßen. Seit 25 Jahren arbeitet er in den CWWN, seit über 20 Jahren trägt er Kalenderblätter zusammen, leimt sie und bündelt die fertigen Exemplare, um sie verpackt auf den Weg zu bringen. Das ist echte Teamarbeit. Acht Beschäftigte arbeiten in seiner Kalender-Gruppe Hand in Hand. Schon im Juni beginnt für Elsner und seine Kollegen das nächste Jahr. Die vorgedrucken Kalenderblätter werden von der Druckerei Brendow, nur wenige Hundert Meter die Straße runter, angeliefert. Und in der Hochsaison arbeitet Elsner mit dem Team auch gleich dort.

Uwe Elsner schätzt seine Arbeit und ist stolz auf das Ergebnis. "Gefühlt Millionen" Kalender werden in der Werkstatt produziert, viele Tausend sind es auf jeden Fall, die in alle Welt gehen und auch nicht mehr Tischkalender heißen, sondern "table calendar". Ganz ohne Englisch gehe es auch hier nicht mehr, sagt Elsner.

Da schätzt er abends seine Ruhe auf dem Sofa in der gemütlichen Wohnung im heimischen Homberg. In dem linksrheinischen Stadtteil Duisburgs ist Uwe Elsner geboren, zur Schule gegangen, und hier wohnt er seit acht Jahren mit seiner Verlobten ambulant betreut selbstständig. Jasmin Tannous hat er kennengelernt, als sie in der Küche der Werkstatt arbeitete. Mittlerweile ist sie in die Kalender-Gruppe II gewechselt, nicht im gleichen Team, aber nahebei.

Ab und zu muss dann aber doch noch etwas Neues kommen. Vor zwei Jahren hat Uwe Elsner als Werkstattrat erfolgreich kandidiert. Seine Kollegen zu vertreten, macht Spaß und eröffnet neue Perspektiven.

www.cwwn.de

Europa ist ein erfolgreiches Friedensprojekt

Porträt: Gabriela SonnleitnerGabriela Sonnleitner (52) ist Geschäftsführerin und Leiterin des Magdas Hotels (www.magdas.at), eines von der Caritas betriebenen Hotels mit 88 Zimmern am Wiener Prater, das von Profis der Hotellerie gemeinsam mit Menschen mit Fluchthintergrund geführt wird.Peter Barci.Wien.Austr

Europa ist mir wichtig, weil Europa ein erfolgreiches Friedensprojekt ist. Ein Projekt, das Zusammenleben fördert und Gemeinsames über Trennendes stellt. Reisen, arbeiten, handeln, lernen, studieren, lieben … mit Grenzen, die nicht ausschließen, sondern verbinden…

Deswegen gehe ich zur Wahl!

Denn mit der Wahl kann ich bewirken, dass dieses Friedensprojekt weiterlebt und auch unsere Kinder und Kindeskinder in eine gute Zukunft blicken können.

Europawahl: in Deutschland am 26. Mai 2019
#care4EU

Das Logo der Aktion 'care4eu' zur Europawahl 2019

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