Vielfältige Hilfe
Die Messungen im Haushalt von Birgit P. aus Bochum beispielsweise ergaben einen jährlichen Verbrauch von über 6000 kWh. Sie hatte einen großen Kühlschrank, der mehr als 20 Jahre alt war und mehr als 1000 kWh pro Jahr "schluckte". Das Stromspar-Team stellte fest, dass der Kühlschrank dauerhaft lief, ohne die Lebensmittel ausreichend zu kühlen - also defekt war. Ein Blick in den Arbeitslosengeld-II-Bescheid von Birgit P. zeigte außerdem, dass die elektrische Warmwasserbereitung nicht bei der Berechnung des Regelsatzes berücksichtigt worden war. Es folgten Gespräche mit der Verbraucherzentrale und dem Jobcenter. Dort veranlasste die zuständige Sachbearbeiterin schließlich die rückwirkende Zahlung des Zuschusses. Mit dieser Nachzahlung (243 Euro) und dem Gutschein über 100 Euro, den die Stromsparhelfer ausgestellt hatten, konnte sich Birgit P. einen energieeffizienten Kühlschrank kaufen.
Steigende Energiepreise bedeuten vor allem für Menschen mit geringem Einkommen immer häufiger Energieschulden oder gar Stromsperren. Deshalb startete das nordrhein-westfälische Umwelt- und Verbraucherministerium im Oktober 2012 das dreijährige Projekt "NRW bekämpft Energiearmut". Es wird von der Verbraucherzentrale NRW und der Caritas in NRW mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten durchgeführt.
Um Haushalten mit geringem Einkommen zu helfen, ihre Energiekosten dauerhaft zu senken, bieten sechs regionale caritative Träger eine aufsuchende Energiesparberatung an. Die Stromsparhelferinnen und -helfer kennen die Probleme und knappen Budgets dieser Haushalte gut, denn auch sie waren oft jahrelang arbeitslos und können deshalb "auf Augenhöhe" beraten. Beim ersten Besuch nehmen die Stromspar-Teams sämtliche Energie- und Wasserverbräuche auf. Zusammen mit einer Analyse des Nutzungsverhaltens werden aus diesen Angaben in einer Projektdatenbank individuelle Auswertungen erstellt und entsprechende Einsparpotenziale berechnet. Beim zweiten Besuch erhält der Haushalt dann die jeweils sinnvollen Energie- und Wassersparartikel im Wert von durchschnittlich 70 Euro sowie eine Beratung zu weiteren Einsparmöglichkeiten durch Verhaltensveränderungen beim Heizen und Lüften, Kühlen oder Waschen.
Im Rahmen des Stromspar-Checks werden sogar ineffiziente Kühlgeräte ausgetauscht, denn gerade in Haushalten mit geringem Einkommen gehören sie häufig zu den größten "Stromfressern": Der Haushalt erhält einen 100-Euro-Gutschein, wenn mit einem Neugerät jährlich mindestens 200 kWh eingespart werden können und das Altgerät fachgerecht entsorgt wird. Bisher konnten sich 160 Haushalte mithilfe eines solchen Zuschusses ein A++-Kühlgerät anschaffen.
Armutsproblem bleibt bestehen
Bis zur Halbzeit des Projektes Ende März 2014 hat die Caritas 3053 Checks durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Haushalt mit einem Stromspar-Check seine Energiekosten im Schnitt um rund 13 Prozent senken kann. Die durchschnittliche Stromkostenentlastung eines Haushalts beträgt 118 Euro pro Jahr. Zusätzlich können beim Warmwasser und bei der Heizenergie jährlich rund 50 Euro pro Haushalt eingespart werden. Neben den Beziehern von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe profitieren hiervon auch die Kommunen und der Bund: Mit jedem Check spart die öffentliche Hand langfristig mehr als 250 Euro.
Mit der "Halbzeitbilanz" werden neben den Erfolgen aber auch die Grenzen des Projektes und damit bleibende politische Herausforderungen deutlich: So kann der Stromspar-Check der Caritas dank der Förderung des Landes NRW aktuell in fünf Kommunen die durch steigende Strompreise verschärfte Armut lindern - aber das Problem natürlich nicht wirklich flächendeckend lösen. Einkommensarme Menschen müssen prozentual einen wesentlich höheren Anteil ihres Einkommens für Energie aufwenden. Steigende Energiepreise treffen sie dadurch überproportional hart. Hinzu kommt: Das Budget im Regelsatz ist für Strom einfach falsch bemessen! Der Deutsche Caritasverband hat ermittelt, dass für einen Alleinstehenden pro Monat tatsächlich mindestens 9,26 Euro mehr erforderlich wären. Außerdem müssten die Regelsätze sowie die Beträge zur Erstausstattung der Wohnung mit Haushaltsgeräten so bedarfsgerecht berechnet werden, dass auch energieeffiziente Neugeräte angeschafft werden könnten. Viele Mietwohnungen, in denen einkommensarme Menschen leben, brauchen zudem dringend eine energetische Sanierung.
Neue berufliche Perspektiven
50 Stromsparhelfer sind im Projekt beschäftigt, die meisten in Arbeitsgelegenheiten oder im auslaufenden Programm "Bügerarbeit". Sie werden von der Caritas in Kooperation mit der Energieagentur NRW geschult und können ein anerkanntes Zertifikat als "Serviceberater für Energie- und Wasserspartechnik (HWK)" erwerben. Die aufsuchende Energieberatung eröffnet so auch ihnen neue berufliche Perspektiven, etwa als Berater im Quartier, als Mitarbeiter im Gebäudemanagement, bei Kommunen, Energieversorgern, Wohnungsbaugesellschaften oder im Bau- bzw. Elektrofachmarkt. Doch noch werden die Chancen, die die Energiewende bietet, um gute Arbeitsplätze auch für Langzeitarbeitslose zu schaffen, zu selten genutzt - so steht für manchen Stromsparhelfer am Ende einer befristeten Maßnahme leider wieder die Arbeitslosigkeit.
Ein Fazit nach anderthalb Jahren "NRW bekämpft Energiearmut": Nicht die steigenden Strompreise machen Menschen arm, sondern eine verfehlte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Hier weiter den Finger in die Wunde zu legen und auf Veränderungen hinzuarbeiten bleibt eine Herausforderung für die Caritas auch in der zweiten Hälfte des Projektes.
Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie hier