Fachkräfte werden rar
Das Titelbild dieser Ausgabe stammt aus dem Fotopool des Deutschen Caritasverbandes. Exklusiv zur Bebilderung von Stellenanzeigen stehen professionelle Fotos zur Verfügung. Kontakt: teresa.wieland@caritas.deCaritas
Nun ist nicht jede offene Stelle, für die sich auch nach längerem Suchen kein geeigneter Bewerber findet, ein eindeutiges Anzeichen für einen Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt. Erst wenn die Besetzung nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten zustande kommt, kann man von Engpässen schreiben. "Die eine Kennzahl zur Messung und Identifizierung von Fachkräftemangel gibt es nicht", heißt es bei der Bundesagentur. Denn da es in Deutschland keine Meldepflicht für offene Stellen gibt, können registrierte Arbeitslose und die offenen Stellen nur ein Mosaikstein in einem größeren Bild sein. Zieht man jedoch verschiedene Quellen zu Rate, lässt sich ein aussagekräftiges Bild erstellen.
Nun zeigt das Bild, das die Bundesagentur für Arbeit malt, zwar einen deutlichen Fachkräftemangel bei den Altenpflegekräften und bei Gesundheits- und Pflegeberufen, in anderen Feldern der Sozialwirtschaft ist das Bild jedoch nicht so schwarz. Fragt man jedoch die Träger und Einrichtungen selbst, ist das Ergebnis eher besorgniserregend: "Der Fachkräftemangel ist in der gesamten Sozialwirtschaft Realität."¹ Vor allem in der Jugendhilfe sinkt die Zahl der geeigneten Bewerberinnnen und Bewerber, sagen Experten. Offene Stellen bleiben länger schon mal unbesetzt.
Kindertageseinrichtungen
In einer Engpassanalyse der NRW-Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit vom August 2013 kann diese "keine flächendeckenden Engpässe bei der Besetzung offener Stellen im Bereich Kindererziehung und -pflege" erkennen. Die Zeit zwischen Ausschreibung und Besetzung von Stellen ("Vakanzzeit") sei im Vergleich zu anderen Berufen gering. Trotz einer geringen Relation von Arbeitslosen zu offenen Stellen scheine die Besetzung der Stellen "noch problemlos" zu gelingen.
Diese Vermutung wird durch die Rückmeldungen von Kitas auf den Fragebogen der Caritas in NRW nicht widerlegt. Allerdings muss man einschränken, dass die Antworten auf den (freiwilligen) Fragebogen nicht repräsentativ sind. Übermäßige Probleme bei der Besetzung von Stellen sind nicht zu erkennen. Doch ob sich diese an sich erfreulichen Zahlen angesichts des demografischen Wandels halten, darf bezweifelt werden. Viele Einrichtungen bauen vor: "Wir haben aktuell keinen Fachkräftemangel, da wir viel für Nachwuchsförderung tun", schreibt eine Kindergartenleiterin. Sie richte viele Praktikantenstellen in enger Begleitung und Kooperation mit Schulen ein, es gebe Aushänge, Öffentlichkeitsarbeit, wichtig sei Vernetzung. Mund-zu- Mund-Propaganda, persönliche Ansprache, natürlich Stellenanzeigen, auch Kooperation mit der Arbeitsagentur bis hin zu Online-Jobbörsen und ganzen Plakatkampagnen wie der des Kita-Zweckverbandes im Bistum Essen dienen der Werbung für das Berufsbild und für konkrete Einsatzstellen.
Beim Ausbau der Betreuungsquoten und sinkenden Erwerbstätigenzahlen wird der Fachkräftemangel zunehmen. Hinzu kommt: "Die trägerspezifischen Vorgaben stellen für katholische Träger einerseits eine besondere Chance, aber auch eine zusätzliche Herausforderung dar. Des Weiteren geben die gesetzlichen Vorgaben zum Personal einen engen Qualifikationsrahmen vor. Hinzu kommt ein Mangel an qualifizierten Kräften", sagt Mirja Wolfs, Leiterin für den Geschäftsbereich Personal beim Kita-Zweckverband im Bistum Essen, Träger von 271 Einrichtungen. "Eine angemessene Refinanzierung von Personal und Vertretungskräften" mahnt sie zudem an: "Die Kindpauschalen nach dem KiBiz (NRW-Kinderbildungsgesetz) müssen an die Tarifsteigerungen angepasst werden."
Die Attraktivität des Berufs beginnt schon mit der Ausbildungssituation. Sie dauert bei Erziehern mehrere Jahre, erfordert in der Regel Abitur oder eine Ausbildung als Kinderpfleger/-in, und die gesamte Ausbildungszeit bleibt unvergütet. "Wer macht dann noch die Ausbildung, um anschließend damit zu leben, dass man schlechter bezahlt wird und weniger Wertschätzung erfährt? Die Aufstiegschancen sind finanziell unattraktiv", sagt Annette Hoppen, Einrichtungsleiterin der katholischen Kindertagesstätte Paulus in Bonn.
Altenpflegekräfte
Seltener Anblick: Pflegeschwester beim ArbeitsamtChristoph Meinschäfer
Zur Fachkräftesituation in der Altenpflege gibt es eine aktuelle Engpassanalyse der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit.² Hier sind "landesweit starke Anzeichen für einen Engpasss erkennbar", schreibt die Regionaldirektion. Auf je 100 gemeldete Stellen kommen demnach im untersuchten Zeitraum (November 2012 bis Oktober 2013) nur 55 Arbeitslose. Die Vakanzzeit liege bei 129 Tagen und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Allerdings schwankt die Personalsuchdauer stark und liegt zwischen 93 Tagen (Ostwestfalen-Lippe) und 164 Tagen (im Bergischen Land).
Dieser Fachkräfteengpass wird sich aller Voraussicht nach dramatisch verschärfen, denn die Altenpflege ist von der demografischen Entwicklung doppelt betroffen: Einer steigenden Nachfrage nach Betreuung steht ein schrumpfendes Erwerbskräftepotenzial gegenüber. Bis 2030 steigt die Zahl der Menschen in NRW, die 65 Jahre und älter sind, um beinahe ein Drittel, mehr als jeder Vierte wird dann das 65. Lebensjahr vollendet haben.
Hinzu kommt die Altersstruktur in der Altenpflege: 15 Prozent der Beschäftigten sind 55 Jahre und älter. Wenn diese Frauen in Rente gehen, wird die Nachfrage nach Fachpersonal weiter forciert werden.
Allerdings sind die Probleme verteilt: Während im Helferbereich 1330 Arbeitslose pro 100 offene Stellen gezählt wurden, ist das Verhältnis bei den examinierten Pflegekräften deutlich angespannt.
Diese Problemlage spiegelt sich auch in den Antworten auf den Fragebogen der Caritas in NRW, obgleich mangels repräsentativer Rückmeldung keine statistischen harten Daten geliefert werden können. "Leitungskräfte sind sowohl im pflegerischen als auch im hauswirtschaftlichen Bereich eher schwierig zu finden, geeignete Pflegefachkräfte ebenso", schreibt Christian Schrödter, Leiter des Paulus-Stifts in Viersen. Doch woran liegt das?
"Für mich ist das typisch deutsche Phänomen des Regelungswahns ein Hauptkriterium für das mangelnde Interesse an unserem Berufsbild", schreibt Hausleiter Franz-Josef Rademacher von der Seniorenwohnanlage St. Johannes in Balve. "Solange nur über Mängel und Fehler berichtet wird, wird sich auch nicht viel ändern. Junge Menschen brauchen Kreativität und Visionen für die Zukunft - und das lässt das momentane System nicht zu."
Wie ein roter Faden zieht sich dieser Wunsch nach mehr Anerkennung für die Pflege durch die Antworten auf den Fragebogen der Caritas in NRW. Von der Politik erwarte sie, "den Beruf der Pflege attraktiver zu bewerben und zu präsentieren", schreibt Elisabeth Nosbers vom Caritasverband für die Region Eifel. Die Dokumentationsanforderungen müssten drastisch reduziert werden, neue Gesetze (PNG, Altenpflegeausbildungsumlage) werden umsetzbar gestaltet und entbürokratisiert.
Überhaupt die Dokumentation: Pflegekräfte seien überfordert "durch übertriebene Dokumentation mit Anforderungen, die schon fast an Schwachsinn grenzen, nur um der rechtlichen Absicherung und einer fragwürdigen Qualitätssicherung und -prüfung durch den MDK Genüge zu tun (40 Seiten Dokumentation pro Patient sind keine Seltenheit)", schreibt Elke Müller, Pflegedienstleitung in der Caritas-Pflegestation der kath. Kirchengemeinde St. Joh. Baptist und St. Heinrich, Leichlingen. Art und Inhalt der Dokumentation und Pflegeplanung seien aktuell der größte Stressfaktor für die Mitarbeiter in der ambulanten Pflege (Stichwort MDK-Prüfung).
Die Politik muss die Rahmenbedingungen (Dokumentation, Zeitdruck, Refinanzierung, Verbesserung der Ausbildungssituation) für die Pflege verbessern - eine immer wieder erhobene Forderung. Mehr Ehrlichkeit zum Thema "Quartiersentwicklung" fordert Manuela Jansen vom CV Mönchengladbach: "Ehrenamtliche und Angehörige lösen nicht das Problem." Was sie wie viele Pflegekräfte auch maßlos ärgert, ist die oft als negativ und rufschädigend empfundene und zur Skandalisierung neigende Medienberichterstattung. Es gehe darum, "eine öffentliche Lobby zur Bezahlung und Anerkennung zu schaffen, somit die Wertigkeit in der Gesellschaft zu erhöhen" und nicht das Image mit Berichten über die Folterkommission zu schädigen.
Imageverbesserung und bessere Kommunikation fordert Georg Bronheim (Caritaspflegedienst Mönchengladbach/Korschenbroich) von der Caritas selbst: "Die Vorteile der Caritas als Arbeitgeber müssen deutlicher dargestellt werden" und auch im Vergleich zu schlechteren Arbeitsbedingungen bei anderen Arbeitgebern benannt werden, schreibt er.
Krankenhäuser
Wie in der Altenhilfe gibt es auch bei den Krankenhäusern immer häufiger Probleme, freie Stellen mit Fachpflegekräften zu besetzen. "Erfahrene Fachkrankenschwestern für Intensiv-, Anästhesie- und OP-Pflege sind auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar", schreibt der Personalleiter eines großen Krankenhaus-Verbundes. Und junge Assistenzärzte rekrutieren sich fast nur noch aus dem Ausland.
Fazit
- In der Alten- und Krankenpflege, bei speziellen Gesundheitsberufen (Ärzte) und bei Führungskräften in der Jugendhilfe ist der Fachkräfteengpass inzwischen unstreitig und könnte sich schon bald zu einem ernsthaften unternehmerischen Problem auswachsen, wenn nicht energisch gegengesteuert wird.
- Handlungsfelder sind dabei nicht nur der politische Einfluss auf bessere Rahmenbedingungen, sondern auch eine allgemeine Imagekorrektur der Pflege und bessere Werbung für die Caritas als attraktiven Arbeitgeber. Ein starker Verband kann durch gemeinsame und strategische Kampagnen in diesem Bereich erhebliche Synergien erzielen.
- Offensichtlich von Vorteil ist es, wenn Einrichtungen gezielt in Ausbildung und Nachwuchsarbeit investieren, beispielweise durch enge Kooperation mit Altenpflegefachseminaren oder gar Unterhaltung eigener Schulen.
- In anderen sozialen Arbeitsfeldern wie Beratungsdiensten, Behindertenarbeit, Jugendhilfe und Kindertageseinrichtungen sinkt die Zahl der Bewerber und manchmal auch deren Qualität. Bislang sind Quantität und Qualität der Dienste nicht gefährdet. Mit Blick auf die Zukunft arbeiten einige Einrichtungen daran, sich selbst attraktiver darzustellen und strategischer aufzustellen. Sie investieren beispielsweise gezielt in Kommunikation mit potenziellen Nachwuchskräften (Praktika, Öffentlichkeitsarbeit, Kooperation mit Schulen etc.).
1 "Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft. Eine empirische Studie", hrsg. v. akquinet business
consulting GmbH, Universität St. Gallen und beuth Hochschule für Technik Berlin
2 Der Arbeitsmarkt in NRW. Fachkräfte-Engpassanalyse, Januar 2014 - Ausgabe 2