Prägende Erfahrungen
Aber die Idee dazu war schon ein paar Jahre älter: Bereits 1954 hatte die evangelische Kirche zu einem "Diakonischen Jahr" aufgefordert; ab 1958 rief die Katholische Frauenjugend im BDKJ zu einem Freiwilligendienst in den Flüchtlingslagern auf. Ab 1959 griffen die deutschen Bischöfe diese Idee auf und starteten einen Aufruf zum "Jahr für die Kirche". Die gesetzliche Kodifizierung im FSJ-Gesetz im Jahr 1964 erfolgte dann auf gemeinsame Initiative von evangelischer und katholischer Kirche zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Nur einige Zahlen, die die Entwicklung des Feldes seit der Verabschiedung des Gesetzes verdeutlichen: Seit 1964 haben 75000 Jugendliche ein FSJ in katholischer Trägerschaft geleistet, im laufenden Helfer(innen)-Jahr sind es allein ca. 6000 Jugendliche, die ein FSJ bei einem katholischen Träger absolvieren. Insgesamt über alle Trägerbereiche sind in diesem Jahr über 50000 FSJ-Freiwillige im Einsatz.
Anbieter und Nutzer im Dialog
Schaut man auf die inhaltliche Entwicklung, die das FSJ in den letzten 50 Jahren genommen hat, lassen sich einige wichtige Veränderungen nennen: Es wurden einige neue Einsatzfelder geschaffen, das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) ist hinzugekommen, die zeitlichen Vorgaben (Dauer, Beginn) wurden flexibler gestaltet etc. Wesentliche Elemente und Eigenschaften des FSJ sind jedoch über diesen Zeitraum unverändert geblieben:
- Das gilt zuerst einmal für die Tatsache, dass trotz allen Sprechens über einen "Freiwilligendienst" das FSJ zunächst und mit erster Priorität ein Bildungsjahr für den jungen Menschen darstellt. Pädagogische Begleitung und 25 Tage Bildungsseminar sind also nicht eine "Zugabe", sondern wesentliche Elemente, die den Bildungsprozess strukturieren und verstärken. Durch das FSJ soll der Jugendliche zuerst und vor allem die Chance erhalten, soziale Erfahrungen zu sammeln, sich dadurch als Persönlichkeit weiterzuentwickeln und berufliche Orientierungen zu gewinnen.
- Dieser Bildungsprozess setzt aber - und das ist das zweite zentrale Element - die Echtsituation der sozialen Hilfetätigkeit in einer sozialen Einrichtung oder in einem sozialen Dienst voraus. Der konkrete Dienst ist für die Jugendlichen ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses, gleichzeitig stellt der freiwillige Dienst der Jugendlichen für die Einrichtungen und Dienste eine wesentliche Bereicherung dar. Das soziale Engagement der Freiwilligen ermöglicht durch die Unterstützung der Fachkräfte an vielen Stellen Entlastungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zusätzliche Begleitung und Fürsorge für die in der Einrichtung und den Diensten lebenden Menschen. Für viele Jugendliche waren und sind diese sozialen Erfahrungen in den Einrichtungen und Diensten während des FSJ so prägend, dass sie in der Folge einen sozialen Beruf lernen und nicht selten anschließend wieder in ihrer FSJ-Einrichtung als dann ausgebildete Fachkraft arbeiten.
- Das FSJ lebt also von der Ausgewogenheit dieser beiden prägenden Elemente: der Bildungsorientierung für und im Interesse der jungen Menschen auf der einen Seite und der Orientierung an einem konkreten sozialen Dienst für die Gesellschaft auf der anderen Seite. Das wird auch an den komplexen Strukturen des FSJ in den einzelnen Bistümern deutlich. Immer aber geht es darum, die Träger der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit (BDKJ, In Via) und die Caritas, die für die meisten Einsatzstellen im FSJ steht, bei der Durchführung des FSJ zusammenzubringen. Dabei ist es im Interesse der Jugendlichen durchaus von Bedeutung, das Prinzip der Trennung zwischen FSJ-Trägerstrukturen und -Einsatzstellen aufrechtzuerhalten.
- Auch wenn heute sicherlich kein FSJ-Träger mehr explizit zu einem "Jahr für die Kirche" auffordert, so bleibt aber dennoch das FSJ in katholischer Trägerschaft ein wichtiges kirchliches Angebot für junge Menschen und ein Zeichen christlichen sozialen Engagements in unserer Gesellschaft.
Leistungsversprechen eingelöst
Die Zahl der jungen Menschen, die sich für ein FSJ entscheiden, hat in den letzten Jahren enorm zugenommen; entsprechend ist auch die Zahl der FSJ-Plätze deutlich angestiegen. Dieser Trend belegt, dass die gesellschaftliche Bedeutung und Notwendigkeit des FSJ in den letzten 50 Jahren deutlich zugenommen haben. Bei Jubiläumsreden würde man an dieser Stelle sagen: Wenn es das FSJ noch nicht gäbe, müsste es heute erfunden werden. Gerade angesichts einer früheren Einschulung und einer Verkürzung der Schulzeit wächst die Notwendigkeit für ein außerschulisches Angebot der Persönlichkeitsbildung und der Berufsorientierung. Viele junge Menschen können und wollen sich nach ihrer Schulzeit noch nicht für ihren weiteren Lebensweg festlegen und brauchen einen Raum, um für sich alternative Erfahrungen zu sammeln und diese im Rahmen der pädagogischen Begleitung auch zu reflektieren. Daneben sind angesichts einer kognitiven Ausrichtung der Lernpläne der Schule soziale Lernerfahrungen für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Weil dieses Angebot von so hoher Wichtigkeit für die jungen Menschen ist, müssen sich die Träger des FSJ mehr denn je bemühen, alle Zielgruppen anzusprechen und die nach wie vor vorhandene Überrepräsentanz insbesondere von Abiturientinnen abzubauen. Männliche Jugendliche, Hauptschüler und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind solche Zielgruppen, die besonders in den Blick zu nehmen sind. Dies erfordert aber aller Voraussicht nach auch eine weitere Intensivierung der pädagogischen Begleitung.
Daher sollten die politisch Verantwortlichen auf Bundes- und Länderebene noch einmal überprüfen, wie sie die Attraktivität dieses wichtigen Angebotes für junge Menschen weiterentwickeln und die Durchführung des FSJ wirksam unterstützen können:
- Neben dem Taschengeld könnte zum Beispiel die kostenfreie Nutzung des Personennahverkehrs eine Anerkennung der Freiwilligen darstellen.
- Gerade in Nordrhein-Westfalen könnte sich das Land noch stärker an den Kosten der Durchführung des FSJ beteiligen, zum Beispiel durch die Übernahme des Taschengeldes in nicht pflegesatzrefinanzierten Bereichen oder für bestimmte Zielgruppen.
- Für die Bundesebene wäre es sicherlich ein wichtiges Zeichen der Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung dieses freiwilligen Dienstes, wenn durch die Aufhebung der Kontingentierung wirklich jedem Interessenten ein FSJ ermöglicht würde. Daneben ist das ganz konkrete Zusammenspiel mit dem BFD als einem vergleichbaren Dienst zu verbessern.
Wenn so bei allen berechtigten Jubel- und Dankesreden über das in den letzten 50 Jahren Geleistete die zukünftige Ausgestaltung des FSJ im Blick bleibt, wird dieses Angebot an der Schnittstelle zwischen Jugendarbeit und sozialer Arbeit seine wichtige Funktion behalten.