Manchmal wundere ich mich, dass sie noch antreten ...
Mit "manchmal" die Tage, an denen am Vorabend in den Medien wieder auf die Pflege im Allgemeinen oder auf die Mitarbeiter im Besonderen eingedroschen wird. Beispiele? Die nationale Antifolterkommission will unbedingt auch Pflegeheime kontrollieren und verlangt dafür mehr Stellen und mehr Geld. Nichts gegen notwendige Transparenz im Pflegealltag, aber der Begriff "Folter" suggeriert Schreckliches. Um nicht falsch verstanden zu werden: Gewalt hat in der Pflege nichts zu suchen und darf niemals toleriert werden. Altenheime aber generell unter Folterverdacht zu stellen ist eine Diffamierung aller Einrichtungen und Dienste.
Hart am Rande einer Diffamierung schrammte auch das WDR-Magazin Westpol am 10. Februar vorbei. "Denn eines ist klar", beschloss der Moderator einen Beitrag, "in kirchlichen Einrichtungen arbeiten derzeit nicht unbedingt die besten Mitarbeiter - sondern die, die der Kirche passen …" Wie wirken solche Sätze auf Menschen, die sich am nächsten Morgen wieder Schwerstpflegebedürftigen in einem Altenheim zuwenden? Auf Menschen, die sich als Mitarbeiterinnen eines ambulanten Caritas-Pflegedienstes in den Berufsverkehr stürzen oder auf stockdunklen Feldwegen unterwegs sind, damit Patienten zu Hause lebenswichtiges Insulin erhalten oder auch nur den morgendlichen Toilettengang erledigen können? Die "Angepassten" und "Mittelmäßigen" riskieren für ihren Job manchmal sogar ihr Leben. Ich fahre häufig an einer Stelle vorbei, an der eine Mitarbeiterin einer Caritas-Sozialstation auf eisglatter Straße tödlich verunglückte.
Überhaupt der Pflegeberuf. Pflegen - kann das nicht jeder? Neulich habe ich einen alten Werbefilm aus den 50er-Jahren gesehen: Statt Fabrikarbeit sollten sich damals junge Mädchen für die Pflege entscheiden. Die Begründung: "Du bist zu etwas Höherem berufen." Und heute? Wenn eine Drogeriemarkt-Kette pleitegeht oder es zu viele Stahlwerke gibt, kommt aus der Politik der Tipp für die von Arbeitslosigkeit Bedrohten: Geht doch in die Pflege!
Das Image der Pflege in dieser Gesellschaft ist eng mit der Frage gekoppelt, was dieser Gesellschaft eine menschenwürdige Pflege, insbesondere im ambulanten Bereich, wert ist. Wenn man letztlich jeden auf die Pflegetour schicken kann, dann ist es natürlich logisch, was die Kassen für diese Leistungen zu zahlen bereit sind. Jede Autowerkstatt würde mit diesen Sätzen in Windeseile pleitegehen. Träger, die wie die Caritas ihre Pflegekräfte nach Tariflohn bezahlen wollen, müssen betriebswirtschaftliche Klimmzüge hinlegen, um rote Zahlen zu vermeiden. Viele Dienste stehen so am wirtschaftlichen Limit.
In manchen Dörfern Ostwestfalens oder des Sauerlandes ist die Caritas der letzte verbliebene Pflegedienst. Wie lange das noch wirtschaftlich gut geht? Ich weiß es nicht. Aber immerhin ist jeder Pflegehandgriff auf Verlangen der Kassen gut dokumentiert. Darin sind wir wirklich spitze in Deutschland.
Und die Politik? Alle Versuche, das Pflegethema zu einem "Megathema" in unserer alternden Gesellschaft zu machen, sind bislang fehlgeschlagen. So kratzte jede Pflegereform bislang nur an der Oberfläche: hier ein paar Euro mehr für Demenzkranke, da eine Auszeit für Berufstätige, die ihre alten Eltern pflegen wollen (was sich bekanntlich als Flop erwies). Bei der ambulanten Pflege ist der Politik bislang nichts eingefallen. Dabei soll "ambulant vor stationär" gelten. Wie das gehen soll, wenn man den Diensten nicht mal steigende Spritkosten bezahlt, bleibt ein Rätsel.
Wann versteht Politik endlich, dass es beim Thema Pflege in wenigen Jahren richtig eng wird. Denn die Frage ist nicht mehr allein, wie eine menschenwürdige Pflege aussehen soll und was sie kosten darf. Die Frage ist längst: Wer soll uns einmal pflegen? Ich treffe immer mehr Trägervertreter, die darauf keine eindeutige Antwort mehr haben.