Spezialisiertes Angebot bei sexualisierter Gewalt
Therapiesitzung in einer Familienberatungsstelle der Caritas. Mit dem Einsatz "imaginativer Techniken" können Klienten erlebte oder vorgestellte Situationen mithilfe von Spielfiguren visualisieren.Foto: KNA | Elisabeth Schomaker
Prävention und Beratung im Kontext sexualisierter Gewalt sind schon lange Teil des Beratungsangebotes der Caritasverbände in Nordrhein-Westfalen. Seit 2021 wurden durch Förderung des Landes zusätzliche spezialisierte Beratungsangebote geschaffen, die sich dem so wichtigen Thema sexualisierter Gewalt mit einem besonderen Fokus widmen. Im Erzbistum Paderborn bewarben sich laut Stefan Wittrahm, Referatsleiter Erziehungs- und Familienhilfen des Caritasverbandes, nahezu alle Erziehungsberatungen örtlicher Caritasverbände um die neu geschaffenen Stellen: "Die Fachkraftstellen im Rahmen der spezialisierten Beratung sind eine hervorragende und notwendige Unterstützung. Die Kompetenzen und umfangreichen Erfahrungen der Beratungsstellen der Caritas in diesem Bereich können so noch viel effektiver genutzt werden." Für neue Fachkräfte in diesem herausfordernden Tätigkeitsfeld bietet das Land NRW seit Anfang 2023 eine grundlegende Qualifizierung an.
Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Sandra Pflug bietet bereits seit vielen Jahren Beratung auch im Bereich sexualisierter Gewalt im Beratungszentrum Brakel des Caritasverbandes für den Kreis Höxter an. "Die Personalkapazitäten in dem Bereich waren jedoch begrenzt", so Sandra Pflug. Seit Ende 2021 konnte das Team der Erziehungsberatungsstelle um zwei spezialisierte Fachkräfte im Bereich sexualisierter Gewalt mit jeweils 50 Prozent Stellenumfang erweitert werden. "Wir wollten schon lange eine Fachstelle etablieren, nun ist es uns gelungen. Es ist die erste spezialisierte Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt im Kreis Höxter", freut sich Sandra Pflug. Die Wege, über die die Betroffenen an die Beratungsstelle herantreten, sind dabei sehr unterschiedlich. Auch das Jugendamt, Kitas oder andere Institutionen können sich bei einem Verdacht zur Abklärung an den Caritasverband wenden. "Wenn sich Betroffene melden, müssen wir in relativ kurzer Zeit reagieren. Das können wir nun deutlich besser."
Die Begleitung der betroffenen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann eine lange Zeit in Anspruch nehmen, vor allem wenn es zu Gerichtsverfahren kommt. Sandra Pflug ist dann oft eine der ersten Ansprechpartnerinnen: "Unsere Beratung zielt immer darauf ab, die Betroffenen ernst zu nehmen, ihnen Glauben zu schenken und sie zu stabilisieren", erklärt die Therapeutin. Dazu muss erst einmal ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Oft gehe es darum, Kinder und Jugendliche darin zu unterstützen, ihren Alltag zu bewältigen, damit sie beispielsweise wieder zur Schule gehen können. "Wir geben Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, einfach hier zu sein und sprechen zu können. Kommt es zu einer Gerichtsverhandlung, bereiten wir sie auch darauf vor. Wie kann man sich bis dahin schützen? Wie schafft man es, trotzdem zu schlafen, ohne ständig an das Erlebte oder auch an die Verhandlung zu denken?"
Sexuelle Gewalt findet in den meisten Fällen im direkten, vertrauten Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen statt. Die Täter können Familienmitglieder, Nachbarn oder andere Vertrauenspersonen sein. Gerade bei betroffenen Kindern bewirke das oft einen nicht zu lösenden Loyalitätskonflikt. "Zuallererst müssen diese Kinder wieder das Gefühl haben, sicher zu sein. Oft sind sie einfach nur froh, wenn sie nicht weiter in die Thematik einsteigen müssen. In vielen Fällen müssen wir mit den Kindern und Jugendlichen auch erst daran arbeiten, ihr Selbstwertgefühl aufzubauen, bevor wir andere Themen angehen können." Viele Betroffene melden sich erst im Jugend- oder Erwachsenenalter, wenn das Erlebte aufgrund von aktuellen Ereignissen wieder hochkommt. Für Sandra Pflug ist die Komplexität ihrer Arbeit ein Grund, warum die neu geschaffenen Stellen eng an bereits vorhandene Strukturen angegliedert sein sollten. Neue Kolleginnen und Kollegen sollten die Chance haben, sich Stück für Stück in das oftmals herausfordernde Themenfeld einzuarbeiten, und auf die Erfahrung anderer zurückgreifen können, so die Therapeutin.
Daniela Resem (l.) und Sandra Pflug mit der "starken Kinderkiste": Spielerisch sollen Kinder dazu ermutigt werden, eigene Grenzen benennen zu können.Foto: Caritas Höxter
Im Caritasverband für den Kreis Höxter teilt sich Sandra Pflug die Aufgabe der spezialisierten Beratung mit einer neuen Kollegin: Während sie selbst den Bereich Beratung und Intervention abdeckt, übernimmt Daniela Resem den Bereich Prävention. Die Diplom-Sozialarbeiterin und -Pädagogin hat jahrelange Erfahrung in der Bildungsarbeit, ist seit Anfang 2022 im Beratungszentrum in Brakel tätig und seitdem auch viel unterwegs: Sie gibt Präventionsschulungen für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte sowie Fachkräfte an Schulen und Kitas, erarbeitet und begleitet Workshops für Kinder. Aktuell im Fokus ihrer Arbeit sind fünfte und sechste Klassen sowie Kitas. Darüber hinaus treibt Daniela Resem die Vernetzung der Beratungsstelle im Kreis Höxter voran und absolviert selbst immer wieder Weiterbildungen im Bereich sexualisierte Gewalt sowie zusätzlich eine Ausbildung zur systemischen Beraterin und Familientherapeutin. Sie ist bei alldem sehr dankbar, eine erfahrene Kollegin an der Seite zu haben. "Ich schätze es sehr, dass wir uns die Zeit nehmen, uns auszutauschen. Vor allem da unsere Arbeitsbereiche sich oft überlappen. Ich kann viel von Sandra Pflug lernen, gerade im therapeutischen Bereich."
Zukünftig möchte auch Daniela Resem mehr in die Beratung einsteigen, Intervention und Prävention sollen dann noch stärker ineinandergreifen. "Davon wird die Prävention sicher profitieren", bestärkt sie Thomas Rudolphi, hauptamtlicher Vorstand des Caritasverbandes für den Kreis Höxter. Unterstützung erhalten die neuen Fachkräfte in den spezialisierten Beratungsstellen auch vom Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. "Wir bieten allen Beraterinnen und Beratern eine Plattform für einen regelmäßigen Austausch und zur gegenseitigen Vernetzung. Es ist uns wichtig, auf mögliche Bedarfe zu reagieren und da zu sein, wenn Informationen gebraucht werden", so Stefan Wittrahm.
Information, Prävention, Beratung
Ende 2020 hat das Landeskabinett in NRW ein umfangreiches Handlungs- und Maßnahmenkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschlossen. 80 Prozent der Finanzierung neuer, spezialisierter Fachkräfte in den Beratungsstellen übernimmt das Land NRW. Die restlichen 20 Prozent kommen im Falle der Erziehungsberatungsstelle des Caritasverbandes für den Kreis Höxter vom Kreis und aus Mitteln der Caritas. Schwerpunkte der Angebote sind Information, Prävention und Beratung. Betroffene Kinder, Jugendliche und Familien können das Angebot meist über die Erziehungsberatungsstellen erreichen.