Löschen im Brennpunkt
Irgendwie scheint die Kleidung nie zu passen. Mal sind die Hosen des Geschwisterpaares zu lang, mal zu kurz, zu eng oder zu weit. Die T-Shirts oder Pullover sind oft verwaschen und fleckig, die Kleidung häufig ungewaschen. Die Erzieherinnen der Kita Don Bosco in Hamm beobachten die Geschwister mit Sorge, versuchen, mit der Mutter ins Gespräch zu kommen. Doch die ist oft in Eile, hat nur wenig Zeit, wirkt selbst auch ungepflegt. Dabei betreibt der Vater als Selbstständiger einen kleinen Handwerksbetrieb, scheint auf sein Erscheinungsbild zu achten. "Was ist da los?", fragen sich die Erzieherinnen. Reicht das Geld nicht für alle Familienmitglieder? "Uns war klar, dass die Mutter Unterstützung braucht", berichtet Kita-Leiterin Nicole Köchling. "Aber sie hatte sehr viel Stress und war sehr verschlossen." Nach und nach gelingt es den Erzieherinnen, das Vertrauen der Mutter zu gewinnen. Sie öffnet sich und spricht über ihre Sorgen. Sie erzählt, dass die Familie hoch verschuldet ist, dass das Geld hinten und vorne nicht reicht. Die Erzieherinnen können ihr helfen, zeigen ihr Wege auf, wie sie die Kinder auch mit dem wenigen Geld altersgerecht einkleiden kann, ebnen ihr auch den Weg zum Sozialkaufhaus und nehmen ihr die Scheu, dort einzukaufen. "Sie hatte Angst, abgestempelt zu werden."
80 Prozent mit Migrationshintergrund
Mit Armut sind die Erzieherinnen der Kita Don Bosco in Hamm seit deren Gründung vertraut. 1978 als Spiel- und Lernstube gegründet, wurde sie bereits 1981 als Kita in einem sozialen Brennpunkt anerkannt. Träger ist der Caritasverband Hamm, der sich mit vielen Einrichtungen und Diensten in der Brennpunktarbeit engagiert. War die Kita mehr als 40 Jahre im Ortsteil Herringen angesiedelt, zog sie erst im Oktober 2020 in den Stadtbezirk Pelkum um. "Von einem Brennpunkt in einen anderen", sagt Nicole Köchling mit einem bitteren Lachen. "Wir löschen gerade an mehreren Stellen." Mehr als 80 Prozent der 55 Kinder in dem dreigruppigen Kindergarten haben einen Migrationshintergrund. Der Anblick von Kinderarmut ist für die Erzieherinnen alltäglich. Allerdings wird sie nur selten so offensichtlich wie bei den Geschwisterkindern. "Man sieht nicht jedem Kind seine Armut an", macht die Kita-Leiterin klar. "Armut hat viele verschiedene Gesichter: Es ist nicht nur das Geld, das fehlt. Häufig sind die Familien auch arm an sozialen Kontakten. Oder sie haben den Kopf voller Sorgen und wenig Zeit für die Bedürfnisse ihrer Kinder. Häufig sind die Eltern auch arm an Bildung und können ihre Kinder nicht angemessen fördern. Armut hat viele Facetten."
Engmaschige Begleitung und Hilfe
Aktuell hat sie den Fall eines älteren Geschwisterkindes auf dem Tisch, das die Eltern aus Unwissenheit nicht in der Schule angemeldet haben. Eigentlich ist es nicht ihre Aufgabe, aber Nicole Köchling kümmert sich um den Fall. "Wir wollen kein Kind am Rand stehen lassen", sagt sie. Die Erzieherinnen bemühen sich in solchen Fällen, auf Hilfsanfragen der Familien einzugehen, ihnen zur Seite zu stehen. "Oft sind es die Familien, die kein Vertrauen zu anderen Hilfeangeboten haben und dankbar sind, dass dort, wo ihr Kind betreut wird, auch sie Hilfe bekommen können."
Auch im Fall einer überforderten Alleinerziehenden konnte die Kita helfen. Eine Elternbegleiterin, die in der zertifizierten "plusKITA" das Team unterstützt und Eltern begleitet, übernahm im Fall einer jungen Mutter die Rolle einer Lotsin. Die Mutter, die in Deutschland aufgewachsen ist, hatte keinen Kontakt mehr zu ihrer bosnischen, streng muslimischen Familie. Als ihr zweites Kind zu früh geboren wurde, hatte sie kaum Geld, Kraft und Zeit für ihren Ältesten. "Irgendwie hat sie es aber immer geschafft, die Kinder satt zu bekommen - allerdings verzichtete sie selbst auch schon mal tagelang aufs Essen", berichtet Nicole Köchling. "Bei all dem Stress, den sie mit ihrem Frühchen hat, fand sie aber noch die Zeit, morgens ihrem Sohn die Brotdose selbst zu füllen", sagt sie bewundernd. "Sie würde alles für ihre Kinder tun." Wichtig ist der jungen Mutter, dass niemand von außen erkennt, dass sie Geldnöte hat. "Alles soll so aussehen wie bei anderen, und die Kinder sollen auch nichts von den Problemen merken. Sie sollen unbeschwert aufwachsen wie jedes andere Kind", schildert Nicole Köchling die Einstellung der jungen Frau. Dennoch braucht sie eine engmaschige Begleitung. Die Elternbegleiterin geht mit ihr zu Ämtern, zum Kinderarzt oder zur Erziehungsberatungsstelle. Und weil die Mutter mit ihren Kindern auch Weihnachten feiern möchte, vermittelt sie hilfreiche Kontakte, damit der Weihnachtswunsch des Ältesten, ein Spielzeugauto, erfüllt werden kann.
Hat die Zahl der Kinder aus von Armut betroffenen Familien zugenommen? Zumindest gebe es mehr Familien, die ihre Probleme überspielten, sagt Nicole Köchling. Die Familien seien früher offener gewesen. "Wir konnten sie leichter ansprechen. Jetzt müssen wir mit viel Fingerspitzengefühl auf die Familien zugehen. Wenn wir direkt sind, machen die zu." Die Erzieherinnen versuchten deshalb, immer genau hinzuhören. Manchmal weise ein beiläufiger Satz auf größere Probleme hin. Wie im Fall der Geschwisterkinder. Zu den finanziellen Problemen kommt ein weiteres hinzu: Eines der Kinder erzählt, dass es zu Hause geschlagen wird, wenn es "böse" war. Schnell wird dank des vertrauensvollen Verhältnisses klar: Der Vater hat die Nerven verloren und zugeschlagen. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und der Familienhilfe gelingt es, die Familie wieder auf einen guten Weg zu führen. Grundsätzlich sei aber klar, sagt Kita-Leiterin Nicole Köchling nachdenklich: "Es gibt zu viele Kinder, denen es nicht gut geht."