Frisch kochen ist teuer
Zehn Regeln hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse formuliert: Dazu gehört, vollwertig zu essen und zu trinken, denn das hält gesund, fördert Leistung und Wohlbefinden. Verzicht fordert sie auch: nicht zu viel Fastfood und versteckte Fette, wenig Zucker und Salz. Am besten Wasser und Tee trinken anstelle von Süßgetränken oder Alkohol. Und reichlich Bewegung im Alltag.
Das klingt gut. Gesundheit, Ernährung und Fitness liegen außerdem im Trend, die Supermarkt-Regalmeter füllen sich mit Superfood, Nahrungsergänzungen, fleischlosen und veganen Angeboten. Fitness-Studios, Laufgruppen und Rennradfahrer sieht man an jeder Ecke. Wie allerdings kann man am Trend "gesunde Ernährung" teilnehmen, wenn man nur über ein Mini-Budget verfügt?
Hartz IV ist Anfang 2021 erhöht worden
Deutschlandweit leben 1,8 Millionen Kinder von Hartz IV. Anfang 2021 ist zuletzt der Hartz-IV-Satz erhöht worden: Alleinstehende Erwachsene bekommen nun 14 Euro mehr (von 432 auf 446 Euro), Paare je 6 Euro zusätzlich. Jugendliche zwischen 14 und 17 bekommen eine Aufstockung von 45 Euro auf 373 Euro, auch Kinder unter fünf Jahren bekommen mit 33 Euro (auf 283 Euro) im Vergleich mehr. Für Sechs- bis 13-Jährige erhöhte sich der Regelbedarf auf 309 Euro.
In Zeiten des Corona-Lockdowns fiel für die Kinder das kostenlose Schul- und Kita-Essen weg. Zeitgleich mussten auch die Tafeln mit ihren günstigen Lebensmittelangeboten schließen. Eine finanzielle Belastungsprobe für die Eltern. Der Regelbedarf für Ernährung von Kindern und Jugendlichen liegt pro Tag zwischen 2,90 Euro und 5,13 Euro - da belastet jede weitere Mahlzeit das Konto.
Besonders detailliert hat der Paritätische Wohlfahrtsverband die Lebensmittel-Bedarfslage von Leistungsbeziehenden unter die Lupe genommen. Unter dem Titel "Arm, abgehängt, ausgegrenzt - Eine Untersuchung zu Mangellagen eines Lebens mit Hartz IV" vom 1. September 2020 hat der Verband unter anderem die Ernährungslage von Leistungsbeziehenden untersucht. Sein Fazit: "Hartz-IV-Beziehende sind von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt." Es gebe Ernährungsarmut in Deutschland, schreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband und bezieht sich dabei auf eine Berechnung ebenjener Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die die anfangs zitierte Gemüse-Empfehlung herausgegeben hat. Kurz: Wer Hartz IV bezieht, kann sich die Ernährungsempfehlung nicht leisten.
Es gibt Ernährungsarmut in Deutschland
Die Paritäter bemessen angemessene Ernährung daran, ob ein Haushalt sich jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit mit "Fisch, Fleisch oder Geflügel" leisten kann. Und viele Leistungsbeziehende können das rein finanziell nicht - ob sie wollen, weil es ihnen schmeckt, oder ob sie nicht wollen, weil sie fleischlos leben. Unabhängig davon ist aber der Gemüsepreis in den vergangenen Jahren und erst recht unter den Erntebedingungen der Corona-Pandemie exorbitant und viel höher als andere Lebensmittel gestiegen, meldet die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Das bedeutet: Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist in noch unerreichbarere Ferne gerückt.
Eltern und zwei Kinder: Es fehlen 123 Euro für Lebensmittel
Das Ausmaß der Unterdeckung unterscheidet sich je nach Geschlecht und Haushaltsgröße - je größer der Haushalt, desto größer die Diskrepanz. Frauen fehlten bislang nach Berechnungen der Armutsexperten 14 Euro im Monat, Männern 45 Euro, bei einem Paar mit zwei Kindern beträgt die Unterdeckung bereits 123 Euro im Monat. "Bei Kindern und Jugendlichen in Ganztagseinrichtungen mit Mittagsverpflegung kann sich die Unterdeckung durch das über das Bildungs- und Teilhabepaket finanzierte und bereitgestellte Mittagessen spürbar reduzieren - sofern es entsprechende Angebote gibt", heißt es im Bericht der Parität. Und auch wenn die Erhöhung der Regelsätze zum Jahresbeginn 2021 etwas großzügiger ausgefallen ist als von der Bundesregierung ursprünglich geplant (33 statt 29 Euro mehr für Kinder bis fünf Jahre, ein Euro mehr für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren), es reicht immer noch nicht für ein gesundes Leben.
Corona: Wenn das Schulmittagessen ausfällt
Die Caritas in Oberhausen hatte dieses Problem schnell erkannt und mit ihrem Caritas-Bistro "Jederman" und Spendengebern dafür gesorgt, dass Familien mit Kindern zweimal pro Woche ein warmes Essen nach Hause geliefert bekamen. "Eine Riesenerleichterung für die Eltern, viele waren sehr dankbar", sagt Irmgard Handt, Abteilungsleitung Soziales und Bildung im Caritasverband Oberhausen. "Es musste sich bei uns niemand als Bedürftiger ausweisen, um in den Genuss der Essenslieferung zu kommen." Wer wollte, wurde beliefert. "Denn auch die Eltern, die ihre Berufstätigkeit mit der Anwesenheit der Kinder daheim koordinieren mussten, waren froh über die Entlastung", verweist Handt auf die schwierige Lage im Corona-Lockdown.
Die Tafeln federn den Mangel ab
Für viele Arme ist der Gang zur Tafel unumgänglich. In Deutschland gibt es derzeit rund 950 Tafeln mit mehr als 2000 Ausgabestellen, die jährlich Lebensmittel an 1,6 Millionen Menschen weiterreichen. Die Hälfte der Tafel-Kunden bezieht Hartz-IV-Leistungen, die übrigen Kunden sind Senioren und Asylbewerber. Rund ein Drittel der Nutznießer sind minderjährig. Kritiker der Tafeln wie der Soziologe Stefan Selke bemängeln, dass Armut hier nicht bekämpft, sondern verfestigt wird. Darüber ließe sich diskutieren. Wenn aber die Regelbedarfe des SGB II weiterhin auf dem heutigen Niveau bleiben, wird es ohne die Tafeln nicht gehen.