Schneller schuldenfrei
933 Beratungsfälle zählte die Schuldnerberatung der Caritas Rheine im vergangenen Jahr. Manchen reicht ein einmaliges Gespräch. In Einzelfällen hat Schuldnerberater Stefan Beckmann Klienten schon über zehn Jahre begleitet.Foto: Achim Pohl
Plötzlich steht vor dem Kontostand ein Minus, und die Zahl dahinter wächst. Das Geld ist knapp, der Druck nimmt zu. Für Menschen, die Schulden haben, ist es nicht selten mit Scham verknüpft, darüber zu sprechen. Dabei ist gerade dann professionelle Hilfe besonders wichtig, wenn der Dschungel aus Forderungen und Gläubigern dichter wird.
Einen Lichtblick hinsichtlich kostenloser Beratung für Menschen mit Schulden bietet die Caritas mit ihren Beratungsstellen. Seit elf Jahren steht Stefan Beckmann für die Schuldnerberatung der Caritas Rheine seinen Klientinnen und Klienten zur Seite. Die Nachfrage ist groß, allein 2019 hatte das dreiköpfige Team 933 Beratungsfälle.
"Es ist ein Querschnitt durch die ganze Gesellschaft", beschreibt Beckmann die Menschen, die seine Beratung aufsuchen, "von jungen Erwachsenen bis zu Rentnern." Was sich hingegen wiederholt, das sind die Geschichten hinter den Geldproblemen. Immer wieder verändern unvorhergesehene Ereignisse das Leben. Jemand verliert seine Arbeit, oder eine Schichtzulage fällt weg. Auch das Scheitern von Beziehungen kann einschneidende finanzielle Konsequenzen haben. Der Kredit für das Haus nimmt keine Rücksicht auf das Ende einer Zweisamkeit. "Plötzlich passt der Lebensstandard nicht mehr zum Einkommen", fasst Beckmann zusammen.
Die Lösung von Geldproblemen beginnt mit einer Bestandsaufnahme. "Wirklich wichtig ist ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und Energie", weiß der Schuldnerberater. Ständige Kosten werden aufgelistet und auf absolute Notwendigkeit geprüft. Manches lässt sich einsparen, oder es können auf der Einnahmeseite ergänzende Leistungen beantragt werden. "Am schwierigsten ist es da, wo es an eigene Veränderungen geht", berichtet Beckmann. Dazu gehört es, geplant einzukaufen und einen großen Bogen um Ratenzahlungsverträge zu machen. Auch hier unterstützt die Schuldnerberatung lebensnah, und oft lässt sich die Abwärtsspirale der Schulden durch eigene Anstrengung noch durchbrechen.
Bei etwa einem Drittel der Beratungen aber, die die Caritas Rheine 2019 durchführte, war eine Privatinsolvenz der letzte Ausweg in eine schuldenfreie Zukunft. "Es ist gut, dass es das Insolvenzverfahren gibt", betont Beckmann. Diese 20 Jahre alte Regelung ermögliche, sich aus einer hoffnungslosen Überschuldung überhaupt zu befreien. "Dennoch", so Beckmann, "ist es keine leichte Zeit."
Aktuell dauert ein Insolvenzverfahren in Deutschland in der Regel sechs Jahre. Diese Zeit setzt sich zusammen aus dem Verfahren selbst und einer anschließenden Wohlverhaltensperiode. Ein Gericht prüft zunächst, ob ein Insolvenzverfahren überhaupt möglich ist - sollten die Schulden beispielsweise aus einer Straftat entstanden sein, können sie durch eine Insolvenz nicht aufgelöst werden.
Wer sich für ein Insolvenzverfahren entscheidet, auf den kommen zunächst 1.500 bis 2.000 Euro zusätzliche Schulden zu. Denn die Kosten für das Gerichtsverfahren muss der Schuldner selbst tragen. Möglich ist es aber, den Betrag über die Gerichtskasse "vorstrecken" zu lassen oder in kleinere Beträge zu teilen und in Raten zu zahlen. Das Gericht beauftragt außerdem einen Verwalter damit, möglicherweise noch vorhandenes Vermögen zu verwerten und für etwa ein Jahr alle Geschäfte und Verträge des Insolventen zu übernehmen. An die Zeit, in der der Verwalter die Geschäfte übernimmt, schließt sich die Wohlverhaltensperiode an. Auch in dieser Phase ist es die Pflicht eines Schuldners, jede Arbeit anzunehmen, die ihm zuzumuten ist. Einkommen, das über der Pfändungsgrenze liegt, muss abgegeben werden. Nach sechs Jahren ist eine reguläre Privatinsolvenz abgeschlossen und der ehemalige Schuldner von seinen Restschulden befreit.
Stefan Beckmann behält den Durchblick im Dschungel von Gläubigern und Forderungen. Seit über zwei Jahrzehnten berät er Schuldner und weiß um die Hürden und Belastungen einer Privatinsolvenz.Foto: Juliane Büker
Schon jetzt ist es in Deutschland möglich, die Zeit der Privatinsolvenz zu verkürzen. Nach fünf Jahren schuldenfrei ist, wer die Gerichtskosten bis dahin selbst bestreiten kann. Wer es zusätzlich schafft, mindestens 35 Prozent seiner bekannten Schulden während der ersten drei Jahre der Insolvenz abzuzahlen, kann bereits dann die Restschuldbefreiung erhalten. Beide Verkürzungen treten nicht automatisch ein, sondern müssen vom Schuldner beantragt werden.
Stefan Beckmann sieht an dieser Stelle aber einen wesentlichen Knackpunkt. "Aktuell ist die Möglichkeit, in drei Jahren schuldenfrei zu sein, realitätsfern", bewertet er. "Sie existiert nur für Gutverdiener oder für Personen mit Unterstützung von Dritten." In seiner Zeit als Schuldnerberater habe nicht ein einziger Klient die Insolvenz in drei Jahren abschließen können. Er hat die Erfahrung gemacht, dass selbst das Tragen der Gerichtskosten für die meisten Schuldner nicht möglich ist. Die theoretischen Möglichkeiten, die es zur Verkürzung schon gebe, seien in der Praxis zahnlose Tiger.
Die Berufserfahrung des Schuldnerberaters hat ihm gezeigt, wie wichtig machbare Bedingungen sind, damit eine theoretische Möglichkeit auch zu einer echten Chance für Betroffene wird. Unter diesem Gesichtspunkt verfolgt Beckmann die geplante Verkürzung der Insolvenzzeit, die von der EU beschlossen wurde.
"Wenn die Restschuldbefreiung zukünftig nach drei statt sechs Jahren erfolgen soll, muss es eine reine Verkürzung zu gleichen Bedingungen sein, die Hürden dürfen nicht steigen", fordert der Schuldnerberater. Möglich bleiben müsse weiterhin, dass Gerichtskosten gestundet werden könnten. Außerdem sei es wichtig, dass Ausschlussgründe für ein Insolvenzverfahren nicht erweitert würden, beispielsweise durch Schulden bei sämtlichen staatlichen Einrichtungen. Die Liste von Forderungen, die von einer Restschuldbefreiung ausgenommen seien, dürfe nicht länger werden.
Sollten diese Bedingungen umgesetzt werden, schätzt Beckmann ein verkürztes Insolvenzverfahren sehr positiv ein. Die Schulden bestimmen eine bedeutende Zeit des Lebens, die sehr belastet ist, weiß er: "Die Verkürzung der Insolvenzzeit würde dies auf ein angemessenes Maß reduzieren." Einen Verlust für die Wirtschaft sieht er durch eine Verkürzung nicht. In den meisten Fällen gebe es ohnehin kein pfändbares Einkommen, sodass ein langes Insolvenzverfahren ausschließlich Kosten produziere. Die kürzere Laufzeit ermögliche den Menschen, schneller wieder einen Zugang zum Wirtschaftskreislauf zu bekommen, so Beckmann. "Vor allem bedeutet es viel mehr Lebensqualität."
Juliane Büker