33 Beitragsjahre sind zu viel
Sabine DepewFoto: Nicole Cronauge
Zehn Euro sind schnell ausgegeben: Brot, Margarine, Marmelade und Käse, eine Flasche Mineralwasser, ein Netz Kartoffeln und Zwiebeln, vielleicht noch Seife oder Shampoo - wenn noch etwas Frisches auf den Tisch soll und ein Paket Kaffee fällig wird, dann gehören eine Büchse Cola und ein paar Kekse schon zum Luxus, und übrig bleibt gar nichts.
Weniger als zehn Euro täglich: Das ist für immer mehr Rentner und Rentnerinnen Alltag, sie gelten als armutsgefährdet. Inzwischen betrifft das drei Millionen alte Menschen in Deutschland, und die Zahl steigt.
Viele dieser Menschen habe ein Leben lang gearbeitet und eine Rente erwirtschaftet, mit der man nach Abzug der Fixkosten kaum über die Runden kommen kann. Mit rezeptfreien Medikamenten wie etwa Schmerzmitteln wird deshalb geknausert. Reparaturen werden möglichst herausgezögert. Kleidung sitzt nicht drin, Kino, Theater, Geschenke für die Enkel schon gar nicht.
Die Prognosen besagen, dass Altersarmut in den nächsten 15 Jahren weiterhin und eklatant zunehmen wird. Das ist dem Umstand geschuldet, dass immer mehr Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten, Teilzeit beschäftigt sind oder unterbrochene Erwerbsbiografien haben. Die Familie ist bei vielen schon lange kein Garant mehr für eine wirtschaftliche Versorgung. Erschwerend kommt hinzu, dass fast zwei Drittel der armen Seniorinnen und Senioren, die Anspruch auf Grundsicherung im Alter hätten, aus Scham auf einen Antrag verzichten und stattdessen eher an Heizung und Essen sparen.
Auch Verschuldung spielt zunehmend eine Rolle. Wenn auch die Verschuldungsquote der Rentner über 70 Jahre (drei Prozent) deutlich unter den Vergleichswerten anderer Altersgruppen (10 Prozent) liegt, so zieht der Faktor für Rentner dennoch an: Von 2013 bis 2019 um 243 Prozent, davon allein im Berichtsjahr 2018/19 um 45 Prozent, meldet der "Schuldner-Atlas" der Creditreform Wirtschaftsforschung.
Wie andere Wohlfahrtsverbände auch bietet die Caritas Akut-Hilfe in ihren Suppenküchen und Kleiderkammern, Sozialkaufhäusern und Beratungsdiensten. Eigentlich geht es uns Sozialverbänden aber nicht darum, die Lücken in unserem Gesellschaftssystem mit dem zu füllen, was früher "Armenspeisung" hieß. Sondern wir streiten für gerechte, einklagbare Leistungen, damit Bürger im Ruhestand ein menschenwürdiges Auskommen haben.
Die geplante Grundrente ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wer mindestens 35 Beitragsjahre in der Rentenversicherung nachweisen kann, jedoch eine Rente unterhalb der Grundsicherung bekommt, soll ab Januar 2021 dank einer Aufwertung von Beitragszeiten eine Grundrente erhalten. Ab 33 Erwerbsjahren mit Beiträgen auch aus Kindererziehungs- und Pflegezeiten sollen gestaffelte Zuschläge gezahlt werden.
Wir als Caritas finden gut, dass die Grundrente nicht eigens beantragt werden muss, sondern von der Rentenversicherung automatisch berechnet wird. So wird denen, die sich dafür schämen, die Bedarfsprüfung erspart. Hochproblematisch sehen wir aber die Bemessungszeit von 35 bzw. 33 Beitragsjahren für strukturschwache Regionen wie das Ruhrgebiet. Eine schwache Wirtschaft und schlechte Rahmenbedingungen sorgen in der Ruhrregion für höhere Arbeitslosigkeit als anderswo. Duisburg und Essen bilden hier die Schlusslichter. Man kann es den Menschen nicht anlasten, wenn sie in Städten leben, die seit 25 Jahren in der Haushaltssicherung sind und deshalb in Fragen der Bildung und Erwerbsförderung ihrer Bürger keine großen Sprünge machen können. Altersarmut ist nicht nur ein Problem des Einzelnen, sie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Die Caritas im Ruhrbistum fragt sich, warum das Thema "Altersarmut" in der Ruhrkonferenz der NRW-Landesregierung keine Rolle spielt. Wenn nicht dort, so muss Altersarmut auf einen Runden Tisch auf Landesebene. Dort geht es zunächst dringend darum, über einen Sonderfonds Ruhrgebiets-bürgern den Zugang zur geplanten Grundrente zu ermöglichen. Langfristig ist es natürlich wünschenswert, dass die Menschen über einen adäquaten Mindestlohn und ein sicheres Rentenniveau ihren Lebensabend aus eigenen Kräften absichern können.
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