Überzeugte Caritas-Seelsorgerin
Barbara Geis bietet einen geschützten Raum für existenzielle Fragen.Christian Heidrich
Wenn Barbara Geis an ihrem Schreibtisch im Haus der Caritas in Aachen sitzt, schaut sie direkt auf einen kleinen Druck ihres Lieblingsbildes: die Heimkehr des verlorenen Sohnes von Rembrandt. "Das ist für mich ein Bild von Gott: Zum Vater kommt der zerlumpte, abgewrackte Sohn. Der Vater fragt nicht nach Schuld, sondern er nimmt ihn, so wie er ist, in seinen Arm. Dieser Vater ist für mich der Inbegriff von Seelsorge", sagt die Seelsorgerin des Caritasverbandes für das Bistum Aachen.
Im Jahr 2001 begann sie im Haus der Caritas ihren Dienst. Zuvor war sie in der Gemeinde- und in der Schulseelsorge tätig. Erste Berührungspunkte mit Caritas hatte sie schon während der Studentenzeit in einer Obdachlosensiedlung in Köln-Vingst, wo sie in einem Team, getragen von Franziskanern, in der Begleitung der dort lebenden Menschen tätig war.
"In meiner Ausbildung zur Pastoralreferentin im Bistum Aachen Ende der 1970er-Jahre wurde die Caritas nicht thematisiert", sagt sie. Heute ist sie überzeugte Caritas-Seelsorgerin. Und wenn sie in wenigen Wochen in den Ruhestand geht, steht für Barbara Geis eines bereits fest: Zur Caritas wird sie den Kontakt halten. Sich ehrenamtlich zu engagieren, etwa in der Arbeit mit Obdachlosen, kann sie sich gut vorstellen.
Mitarbeiter zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Werke der Barmherzigkeit sind eine beispielhafte Aufzählung von Handlungen, in denen sich Nächstenliebe und Barmherzigkeit äußern. Dabei steht nicht die Belohnung für gute Werke im Vordergrund, sondern die Identifikation mit den Notleidenden.Vera Sous – Fotos: Repro DiCV Aachen
Wenn sie beschreiben soll, welchen Auftrag ihrer Meinung nach Seelsorge hat, verweist die 65-Jährige auf ein Wort aus dem Buch Jesaja: "Du bist kostbar und wertvoll in meinen Augen, weil ich dich liebe" (vgl. Jes 43,4b). "Diese Zusage Gottes, egal in welcher Lebenssituation, erfahrbar zu machen, ist mir in meiner Aufgabe als Seelsorgerin wichtig. Und das geschieht oft, indem Zeit und Raum zur Verfügung gestellt werden, ohne dass viel geredet werden muss", fügt sie hinzu. Egal ob bei Gottesdiensten für verstorbene Mitarbeiter in Caritas-Einrichtungen oder bei persönlichen Gesprächen, in der Caritas stelle sie immer wieder einen großen Wunsch nach Seelsorge fest, erzählt sie. Wiederholt hätten ihr die Mitarbeiter gesagt, dass sie einen geschützten Raum brauchten, in dem sie über sich, ihre Suche und ihre Belastungen sprechen könnten. "Mir ist es wichtig, dass die Menschen in der Caritas wieder neu mit sich und vielleicht auch irgendwann wieder mit Gott in Kontakt kommen können, dass sie sich einfach angenommen fühlen", sagt Barbara Geis. Das sei gerade in den Momenten wichtig, in denen sich Mitarbeiter der Caritas sehr belastet fühlten. Sie denkt an die Palliativ-Pflege. "Da werden den Mitarbeitern existenzielle Fragen gestellt wie: Was ist nach dem Tod? Wie steht es mit dem eigenen Glauben? In solchen Situationen Raum für Gespräche zu geben, das ist eine Aufgabe von Caritas-Seelsorge", meint die Seelsorgerin. Oft erlebt sie Mitarbeiter in einer Sandwich-Position, vor allem solche, die im direkten Kontakt mit den ihnen anvertrauten Menschen sind. "Da klaffen die Ansprüche, die Caritas hat, und die Wirklichkeit manchmal auseinander. Ich denke da zum Beispiel an die Pflegeberufe. Die Mitarbeiter stehen oft unter einem großen Druck. Wenn sie dann - entweder einzeln oder als Team - die Gelegenheit haben, mit jemandem, der Schweigepflicht hat, zu sprechen, empfinden sie dies als große Entlastung", sagt Barbara Geis.
Im Laufe der fast 17 Jahre, in denen sie als Caritas-Seelsorgerin tätig ist, hat sich ihr Bild von Caritas entwickelt. Caritas sei nicht bloß ein Wohlfahrtsverband. "Caritas deckt alle Lebensthemen ab: von Rat und Hilfe bis zum Hospiz. Und Caritas ist ein wichtiger Teil der Kirche von heute, weil sie das tut, was Jesus getan hat: an die Ränder gehen und für die Menschen da sein." Von der verfassten Kirche wünscht sie sich, "dass sie mehr den verkündenden Wert der Caritas sieht und wertschätzt". Und Caritas ihrerseits müsse in Kontakt bleiben mit den Kraftquellen des Glaubens, dem Schriftwort und der Eucharistie. "Das darf die Caritas nicht abkoppeln. Daher liegt mir sehr viel daran, dass es im Haus der Caritas regelmäßige Gottesdienste und in den Einrichtungen religiöse Angebote für Gruppen gibt", sagt Geis. Gerade im Kontakt mit den Menschen gibt es immer wieder Begegnungen, die die Caritas-Seelsorgerin nachhaltig beeindrucken. "Es ist eine sehr erfüllende Aufgabe, weil ich mit vielen unterschiedlichen Menschen zusammenkomme, die wie ich selbst Suchende auf dem Weg mit Gott sind, manchmal ausgesprochen, manchmal nur spürbar in einer tiefen Sehnsucht", sagt die Seelsorgerin.