"Ich mache mich zum Freund"
Ich suche Pastor Schwarzmann, es ist dringend." Denis hat sich an diesem nasskalten Donnerstagnachmittag bei den Wartenden vor dem Pfarrhaus der St.-Josephs-Kirche eingereiht, jetzt sieht man ihm die Enttäuschung an. Nein, Pastor Schwarzmann ist nicht hier; er ist wie so oft in der Nordstadt unterwegs. Die Ausgabe von Dosensuppen und anderen Lebensmitteln besorgt heute ein freundlicher Nachbar, Helmut Rittberg. Denis lebt seit drei Jahren in der städtischen Übernachtungsstelle; die Hauptschule hat er nach der achten Klasse abgebrochen. Jetzt schlägt er sich durch auf den Straßen der Stadt, jeden Tag aufs Neue. So wie schätzungsweise 500 andere Personen in Dortmund.
Seit drei Jahren ist Pastor Daniel Schwarzmann Wohnungslosenseelsorger in der Ruhrgebietsstadt. Schwarzmann wartet nicht, bis die Menschen zu ihm kommen. Er kommt zu ihnen. Genauer gesagt, er geht ihnen nach, spricht sie an. "Ich mache mich zum Freund", erklärt Schwarzmann, auch wenn er genau weiß, was dies unter Umständen auslösen kann: den Verlust von Privatsphäre, weil ihn die Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen wollen. "Ich bin halt Seelsorger." Aufpassen müsse er, dass er den Blick in manche Abgründe menschlicher Existenz nicht mit in den Schlaf nehme. Die begleitende Supervision gehöre für ihn zum Pflichtprogramm, vor allem aber das Gebet. "Manchmal kann ich menschliches Leid nur noch Gott übergeben."
Die Kirche ist voll beim Gottesdienst für Wohnungslose
Das Signal, dass jemand Zeit für sie hat, spricht sich in der Szene herum. "Die Menschen spüren, dass da jemand ist, der sich für ihr Schicksal interessiert", erzählt Daniel Schwarzmann. Und diese Schicksale sind nicht identisch mit den gängigen Klischees über Wohnungslose. Natürlich gebe es verkorkste Biografien, Lebenslügen und auch Schuld. Aber auch Lebensweisheiten oder besondere Fähigkeiten. "In vielen Wohnungslosen schlummern Talente." Das Gefühl, gebraucht zu werden, weckt auch bei Menschen am Rande der Gesellschaft positive Lebensenergie. So braucht Daniel Schwarzmann nicht lange zu bitten, wenn es beispielsweise darum geht, bei der Gräberpflege auf dem Ostfriedhof mit anzupacken. Dort gibt es ein eigenes Gräberfeld für verstorbene Wohnungslose.
Schwarzmanns "Stützpunkt" ist die Kirche St. Michael in der Westerbleichstraße, zehn Fußminuten nördlich des Hauptbahnhofs. St. Michael ist eine von mehreren Gemeindekirchen des Nordstadt-Pastoralverbundes Heilige Drei Könige. Weil in St. Michael die Wohnungslosenseelsorge Tradition hat, versteht sich das Gotteshaus ausdrücklich als "Gastkirche" für Menschen am Rande. Wenn dort einmal im Monat ein besonderer Gottesdienst für Wohnungslose angeboten wird, wird es schon mal eng. Die Kirche ist dann rappelvoll.
Jede Gemeinde in Dortmund lädt abwechselnd ein
Zur Seelsorge kommen die praktischen Hilfen. Zu ihnen gehört die Ausgabe von Dosensuppen genauso wie professionelle Beratung. Die gibt es zum Beispiel im Info-Service St. Joseph des Sozialdienstes katholischer Frauen Hörde. Dieses Beratungsangebot greift vor allem im gefährlichen Vorfeld von Wohnungslosigkeit, wenn es gilt, Räumungsklagen aufgrund von Miet- oder Stromschulden abzuwenden. Die ökumenische Initiative "Gast-Haus statt Bank" oder die Suppenküche Kana bilden weitere Bausteine der Hilfe.
Wichtig ist Daniel Schwarzmann, dass die Arbeit mit Wohnungslosen keine Spezialaufgabe einzelner "Profis" ist und auch nicht räumlich auf die Nordstadt konzentriert ist. So findet jeden Sonntag ein Frühstück für Menschen am Rande in jeweils einer anderen Dortmunder Innenstadt-Gemeinde statt. Ein bewährte ökumenische Aktion, in der sich Dutzende von Ehrenamtlichen engagieren. Dabei hat jede Gemeinde ihre eigene "Spezialität" - von besonderen Leckerbissen wie selbstgemachten Frikadellen bis hin zu einer kulturellen "Nachspeise" in Form eines Konzertes. "Manche Wohnungslose freuen sich schon Wochen im Voraus auf einen besonderen Termin", weiß Thomas Kaczinski, der diese Treffen gemeinsam mit Daniel Schwarzmann koordiniert. Diese Sonntagvormittage sind für beide etwas ganz Besonderes, vermitteln sie doch eine Ahnung von dem, was Papst Franziskus meint, wenn er sich eine Kirche wünscht, die "an die Ränder der Gesellschaft" geht.