Start in ein neues Leben
Von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen
In Syrien hatte der gelernte Elektroingenieur Mazhar Helioun eine eigene Firma, heute repariert er Fahrräder in einer Kölner Gemeinde. Dieser Neuanfang war für den 72-jährigen Familienvater nicht leicht, aber er ist kein Typ, der einfach aufgibt. Die Geschichte seiner Flucht begann 2012, denn da wurde sein Heimat-Stadtteil in Homs mit einer überwiegend christlichen Bevölkerung von IS-Kämpfern angegriffen und sein gesamter Besitz - Häuser und Geschäft - vollständig zerstört. "Alles, was ich mir über Jahre hinweg aufgebaut hatte, wurde zerstört", berichtet Helioun traurig. Die Familie sah sich gezwungen, im Ausland Zuflucht zu suchen. Im Jahr 2013 kamen die Heliouns schließlich mittels eines Visums für humanitäre Hilfe über den Libanon nach Deutschland. Die Familie erlebte auf ihrer Flucht Verbitterung und Angst; angekommen in dem neuen Land, wuchs gleichzeitig die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ohne Krieg.
Nach ihrer Ankunft lebte Familie Helioun in einem Flüchtlingslager bei Hannover. Schon wenige Monate später zog sie nach Köln um und ließen sich in Kalk-Kapelle, einem Stadtteil mit vielen Migrantinnen und Migranten aus Syrien, dem Iran und der Türkei, nieder. Dank der Unterstützung der Caritas fand die Familie hier eine passende Wohnung. Eigentlich ein Glücksfall, aber trotz allem musste sich der Familienvater an die neue Situation gewöhnen. "Ich habe mehr als vierzig Jahre für nationale und internationale Projekte gearbeitet und hatte ein wohlsituiertes Leben mit Häusern, einer Ingenieursfirma und Geschäften. Ich hatte ein gutes Leben. Als der Krieg ausbrach, habe ich alles verloren", sagt Helioun, um verständlich zu machen, wie schwierig es für die Familie war, hier mit nur ein paar Hundert Euro vom Sozialamt zu überleben.
Neu in der Stadt
"In Köln gefällt es uns, hier leben Menschen aus aller Welt, und es wird viel geboten", sagt Helioun. Aber was Köln besonders liebenswert mache, sei nicht nur die freundliche Atmosphäre oder die Wochenmärkte, auf denen er regelmäßig Lebensmittel für die Familie einkaufe, sondern die Hilfe, die er von verschiedenen Menschen und Organisationen erhalten habe. "Jemand von der Caritas half mir immer wieder, die Briefe, die ich vom Jobcenter erhielt, zu verstehen, andere halfen mir mit Wohnungstipps oder mit dem Deutschlernen", fügt er hinzu.
Mazhar Helioun nahm sich vor, nach vorn zu blicken. Seine größte Angst war, zu Hause zu sitzen und nicht mehr produktiv sein zu können. Darum beschloss er schnell, Deutsch zu lernen. Anders als andere Geflüchtete, die monate- oder auch jahrelang auf einen Platz in einem Deutschkurs warten müssen, hatte Mazhar Helioun Glück. Kurz nach seiner Ankunft konnte er bereits einen Deutschkurs an der Volkshochschule in Köln beginnen. Nachdem er das B1-Level erreicht hatte, entschloss er sich, tätig zu werden. Die Freiwilligentätigkeit war Heliouns erster Schritt, um die neue Gesellschaft kennenzulernen und seine Sprachkenntnisse durch direkten Kontakt mit Kölner Bürgerinnen und Bürgern zu verbessern. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bot ihm einen eineinhalbjährigen Bundesfreiwilligendienst in einer Kirchengemeinde in Vingst, einem Stadtviertel im Osten Kölns, an. So begann Mazhar Helioun seinen ersten Job seit der Flucht in einer Garage der Kirchengemeinde St. Theodor.
Es ist inspirierend, ihm hier in seiner neuen, kleinen Welt zu begegnen. Die Arbeit passt zu ihm, er strahlt, ist voller Energie. "Ich mag diese neue Tätigkeit, denn ich erlebe so viele schöne Momente, treffe Menschen jeden Alters, und das gibt mir viel Hoffnung", erzählt Helioun, während er die Räume zeigt. Hier repariert er Fahrräder, managt deren Ausleihe an andere geflüchtete Menschen und hilft den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Organisation der Verteilung und der Sammlung von Lebensmitteln und Kleidung.
Anfangs erhielt er dafür einen kleinen Verdienst, aber nachdem sein Vertrag ausgelaufen war, ging er ehrenamtlich weiter jeden Morgen früh in die Garage und setzte seine Arbeit mit der gleichen Motivation fort. Der Neu-Kölner aus Homs sagt: "Ich kann doch nicht zu Hause bleiben und nichts tun! Es ist mir wichtig, mit den einheimischen Kölnern in Kontakt zu bleiben, Deutsch zu lernen und mich nützlich zu machen, ich möchte dem Land, das uns mit offenen Armen empfangen hat, ein wenig zurückgeben."
Entschlossen für das neue Leben
Momentan warten Helioun und seine Familie auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung, denn sie möchten ein permanentes Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen. Nachdem sie alles verloren hätten, komme eine Rückkehr nach Syrien für sie nicht infrage, erklärt Helioun. Er äußert seine Besorgnis darüber, dass die AfD Sitze im Deutschen Bundestag gewonnen hat. Mazhar Helioun verfolgt die Nachrichten sehr genau, besonders auf der Deutschen Welle, aber auch in anderen Medien, die Informationen über Deutschland in arabischer Sprache verbreiten. "In meinem Alter und nachdem ich die deutsche Sprache gelernt und mich in die Kultur integriert habe, ist eine Rückkehr nach Syrien keine Option mehr für mich. Ich wünsche mir, dass wir in dieser Gesellschaft akzeptiert werden und das Aufenthaltsrecht bekommen", so die Hoffnung des Familienvaters.
Der Glaube an eine bessere Zukunft in Deutschland bestärkt Mazhar Helioun darin, jeden Morgen um 7.00 Uhr den Bus zu nehmen und in die Kirchengemeinde St. Theodor zu fahren, um sein Leben noch einmal von vorn zu beginnen. Hier will er beweisen, dass sein Alter ihn nicht daran hindert, zu arbeiten oder eine neue Sprache zu erlernen. So kann er anderen Menschen, denen die Motivation fehlt, ihr Leben neu zu beginnen, ein Vorbild sein.
Asma Al-Abidi
Übersetzung von Uta Hoffmann
http://wirmachendas.jetzt/topic/wir-sind-viele/wir-sind-viele-projekt
Menschen, die sich im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes (BFD) oder eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) engagieren möchten, können sich bei den jeweiligen zentralen Stellen der fünf Bistümer in Nordrhein-Westfalen (Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn) jederzeit informieren und bewerben.
Einsatzmöglichkeiten für Freiwillige gibt es unter anderem in der Kinder- und Jugendbetreuung, in der Flüchtlingshilfe, in der Alten- und Krankenpflege oder in der Verwaltung von sozialen Einrichtungen. Die katholischen Träger sind neben der Vermittlung der Bewerber an soziale Einrichtungen auch für die Bildungsarbeit der Freiwilligen zuständig.
So wurde der Bundesfreiwilligendienst von Mazhar Helioun durch den Träger "Freiwillige soziale Dienste im Erzbistum Köln e. V." mit Unterstützung des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ermöglicht.
Mehr Informationen zu den Freiwilligendiensten der Bistümer in NRW erhalten Sie hier.