Caritas hält das Tor der Barmherzigkeit offen
Caritas - Erbin des Heiligen Jahres, Anwältin des Anliegens "Barmherzigkeit"
Die Liebe Christi ist absichtslose Liebe, in der Tiefe qualitativ neu gegenüber allem, was Menschen vordergründig für Liebe halten. Die Caritas Christi ist gebunden an den persönlichen, überzeugenden Glauben des Einzelnen." - So formuliert der Bischof von Passau das unverwechselbare Proprium der christlichen Caritas. Diese starken Worte entsprechen unserer Magna Charta "Deus caritas est" (2006) und dem großen Anliegen, das Papst Franziskus seit seiner Wahl vor fünf Jahren verfolgt und das er mit dem "Jahr der Barmherzigkeit" 2015/2016 besonders herausstellte. Zum ersten Mal wurde ein Heiliges Jahr dezentral an ungezählten Orten der Weltkirche begangen.
Wir in Aachen hatten da ein Problem: Unser Dom ist klein und besitzt nur ein einziges Portal; es gab keine Auswahl, welche Tür denn nun die "Pforte der Barmherzigkeit" sein sollte. Im Blick auf die für Aachen charakteristischen biblischen Tuchreliquien hat die Künstlerin Vera Sous Stoffbanner zu den "Werken der Barmherzigkeit" geschaffen, die den Weg durch das Hauptportal so umrahmten, dass es im Heiligen Jahr als "Pforte der Barmherzigkeit" erkennbar und erlebbar war. Zu Weihnachten 2017 wurden diese 14 Banner in der Geschäftsstelle des Diözesan-Caritasverbandes aufgehängt; denn die Caritas ist Treuhänderin des Anliegens der Barmherzigkeit.
Zur Maltechnik: Die Banner sind aus Baumwolle, darauf Linoldrucke mit Akrylfarben. Die Farben sind eingesprayt, damit sie lichtecht bleiben, dabei nicht grell und aggressiv, sondern verhalten und blass. Das Färben erfolgte in der Reihenfolge Blau, Grün, Violett, Rot, Gelb, Gold. Der Bogen spannt sich also von den Farben der Schöpfung (Blau, Grün) hin zu den Farben von Licht und Sonne (Gelb, Gold). Es ist ein Weg von der irdischen Welt in die Welt Gottes.
Die Figurengruppen wurden von Fotos auf das Textil übertragen und wegen des schmalen Formats der Banner in die Länge gezogen. Die Motive zu den sieben Werken der leiblichen Barmherzigkeit entsprechen der Darstellung beim anonymen "Meister von Alkmaar", der um 1504 für die Stadtkirche St. Laurentius von Alkmaar die Werke der Barmherzigkeit malte. (Die Tafeln hängen heute im Rijksmuseum in Amsterdam.) Auch die flämische Architektur orientiert sich an diesem Vorbild. Die Werke der geistigen Barmherzigkeit zeigen auf Folien projizierte Landschaften in Patchwork.
Jedes Banner hat ein eigenes Ornament und eine eigene Signatur. Alle Buchstaben sind von Hand gestickt. Sie haben einen doppelten kulturellen Bezug: Die karolingische Minuskelschrift erinnert an die Blüte der Buchkultur unter Karl dem Großen, aus der unsere Schreibschrift hervorgegangen ist. Die Arabesken schlagen einen Bogen zur islamischen Kultur. Junge muslimische Flüchtlinge haben an einer Aachener Hauptschule bei der Herstellung der Banner mitgewirkt.
Die Heiligen Pforten an den Bischofs- und Wallfahrtskirchen wurden im November 2016 wieder geschlossen. Die Caritas hält das Tor der Barmherzigkeit offen. Wenn wir - damals am Dom und jetzt in der DiCV-Geschäftsstelle - zwischen den Bannern hindurchgehen, sind wir eingeladen, die Tür unseres Herzens zu öffnen. Das Bild einer einladenden und gastfreundlichen Kirche entsteht vor unseren Augen.
Das Wort "Barmherzigkeit" ist noch einer Schlussbetrachtung wert. Bernardin Schellenberger erklärt die rätselhafte Vokabel so: Gott ist nach Auskunft der Bibel zugleich gerecht (iustus) und barmherzig (misericors). Damit er aber wirklich beides sein kann, braucht es das Geheimnis der Menschwerdung: Gott, der Gerechte, wollte lernen, auch barmherzig zu sein. Gott im Himmel hätte nie "misericors" sein können. Denn ein "miserum cor", ein elendes, existenziell armes Herz, kann nur ein Mensch haben. Die Barmherzigkeit überbrückt den Abgrund zwischen Arm und Reich und auch den Abgrund zwischen Schöpfer und Geschöpf. In Jesus ist Gott barmherzig geworden, von der Geburt in der Krippe bis zum Tod am Kreuz. So konnte Gott ein "armes Herz" (miserum cor) haben, "misericors" werden. Aber warum wird dem "arm-herzig" im althochdeutschen "b-armherzig" noch ein "b(i)" vorangestellt? Da treffen zwei arm-herzige Wesen aufeinander; und so entsteht Bi-armherzigkeit, Barmherzigkeit. Die Seligpreisung Jesu beschreibt diese zweiseitige Entsprechung: "Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden" (Matthäus 5,7). Gleich und gleich gesellt sich gern. Das ist der Weg der Erlösung, den Gott für uns eingeschlagen hat. Das ist der Dienst der Barmherzigkeit, den die Caritas im Namen Gottes tun darf.