Diakonisch leben – liturgisch feiern
Aber wann ist die Caritas, sind ihre Mitarbeitenden oder ist eine Einrichtung christlich profiliert? Die alte Denkschablone "100 Prozent katholische Mitarbeitende ergeben 100 Prozent katholisches Profil" hat nie gegriffen. Auch Hochglanzleitbilder haben ihren Glanz als meist unerreichbare Wortdeklarationen ohne Handlungsbezug verloren. Wer möchte abschließend beschreiben, was der spezifische kirchliche und katholische Auftrag eines Familienpflegers, einer Chefärztin oder eines Altenpflegers ist. Die alte Profildiskussion hat ausgedient. Sie wird abgelöst durch die Frage nach der Gestaltung einer christlichen Unternehmenskultur.1 Dahinter steht die banale Erkenntnis, dass der Glaube nicht einfach ein für alle Mal angenommen wird, kein Wissensbestand ist, sondern persönlich und in der Gemeinschaft immer wieder neue Prozesse der Vergewisserung und Auseinandersetzung in den jeweiligen Lebensbezügen benötigt.
Mentalitätswechsel?
Zugleich verunsichert sind wir in einer pluralen Gesellschaft, wo für viele gilt: Leben ohne Gott ist möglich - sogar richtig gut! Und wer könnte einem konfessionsungebundenen, religiös "naturbelassenen" oder die Kirche bewusst ablehnenden Menschen absprechen, dennoch ein wirklich herzensguter Mensch zu sein. In einer an Leistung, Erlebnis, Autonomie und Lebensglück orientierten Gesellschaft fragen Menschen: Welche Botschaft habt ihr für unser Leben? Die Kirchen und der einzelne Christ stehen vor der Herausforderung, zu erklären, welchen Beitrag ihr Glaube für ein gelingendes Leben leistet!
Da erscheint das caritative Engagement plötzlich als die nicht zu hinterfragende authentische Antwort, was mit dem Evangelium Jesu gemeint ist. Die Kirche entdeckt ihre Caritas neu und spricht von ihr als einem Begegnungs- und Lernort des Glaubens, an dem sogar Nichtchristen durch ihre Tätigkeit Zeugnis für die Kirche in der Gesellschaft geben.2 Das verstört und passt doch zu neuen Kirchenbildern von Papst Franziskus: Bilder von einer verbeulten Kirche, von einer Kirche als Feldlazarett. Papst Franziskus spricht davon, dass Jesus an die Türe der Kirche klopft, aber von innen, weil er in die Welt hinaus möchte. Was für ein Perspektivenwechsel! Das umso mehr, wenn dieser Pontifex der Diakonie den Mentalitätswechsel nicht nur ankündigt, sondern "schlicht" vorlebt.3
Caritas - eine Frage der Mentalität
Lange wurde Caritas jenseits der Pastoral gesehen als soziales Engagement im Namen der Kirche und als Ausdruck eines lebendigen Glaubenslebens von Gemeinden, Orden und Initiativen. Heute wird deutlich: Diese Caritas ist pastoral als Ausdruck der ganz konkreten Sorge Gottes um jeden Menschen. Es ist wie in der Menschwerdung Jesu: Gott riskiert, um der Liebe willen verwechselbar zu werden! Caritas ist pastoral mit vollem Risiko! In der caritativen Arbeit findet die fortwährende Selbsterschließung Gottes in die Welt statt. Aber wir bringen eben nicht Gott erst in die Welt oder zelebrieren seine Gegenwart, sondern die Kirche darf lernen, "vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen (vgl. Ex 3,5)".4 Gott offenbart sich selbst im Nächsten, denn was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Diese Nähe Gottes möchte als spirituelle Ressource neu entdeckt werden. Nicht ich bringe Gott zum Nächsten, sondern Gott begegnet mir im anderen, in dem Fremden, der mir zum Nächsten wird. Der andere, der Nächste, ist selbst schon Sakrament Gottes, wenn ich von ihm angefragt werde (vgl. Mt 25,40).
In der Begegnung mit ihm und seinen Fragen ereignet sich die Anwesenheit Gottes: im Dialog! Es braucht eine Pastoral, die vorbehaltlos die Geistesgegenwart Gottes neu entdeckt und diese nicht auf sakrale Orte allein reduziert. Caritaspastoral fragt daher nicht nach dem katholischen Profil und stellt keine Bedingungen. Sie möchte mit allen Beteiligten Formen entwickeln, Ideen zulassen, experimentieren, um Gottes Gegenwart zu entdecken. Sie erlebt sich als förderlich für die Suchbewegung nach Gott in den Fraglichkeiten und der Fragilität des Lebens. Mitfragend nach Antworten, ist Caritaspastoral zutiefst demütig gegenüber jedem Menschen, der sich für einen Nächsten einsetzt. Mit ihnen betreten wir Begegnungsorte, an denen wir mit Gott rechnen dürfen.
Caritas - jetzt auch noch pastoral?
Und wie oft bedient sich Gott gerade der vermeintlich "Ungläubigen", der Samariter des Alltags. Er lässt die nur Traditions- und Ritenfrommen an sich vorübergehen, weil er, am Rand liegend, sich als Nächster offenbart (Lk 10,25-37).5
Dem Nächsten etwas zutrauen, weil Gott oft ganz anders handelt, als wir vermuten. Der jüdisch-christliche Glaube verlangt gerade diese immer neue und oft situative Wahrnehmung Gottes in der Welt. Das kann in der jeweiligen Lebensgeschichte mit Gott sehr unterschiedlich sein. Sicher aber ist das caritative Handeln ein privilegierter kirchlicher Zugangsweg, um Christus in der Welt zu begegnen und zu erfahren. Hier beginnt der caritaspastorale Mentalitätswechsel.
In caritativer Arbeit findet eine Ergänzung der biblischen, liturgischen, sakramentalen und verschiedensten Formen kirchlich gestalteter Begegnungsformen mit der Gegenwart Gottes statt. Ohne diese diakonische Dimension wird die kirchliche Pastoral sogar verdächtig, eben nur fromm zu sein: "Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ‚fromm‘ sein möchte, nur meine ,religiösen Pflichten‘ tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch ‚korrekt‘, aber ohne Liebe."6 Sehr prägnant habe ich es einmal so gelesen: Nur wer diakonisch lebt, kann liturgisch feiern!
1 Der Paradigmenwechsel ist in der Verlautbarung der deutschen Bischöfe nachzulesen:
Das katholische Profil caritativer Dienste und Einrichtungen in der pluralen Gesellschaft,
hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2014.
2 Vgl. Das katholische Profil caritativer Dienste und Einrichtungen in der pluralen Gesellschaft,
hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2014, S. 20.
3 Vgl. Evangelii gaudium: Papst Franziskus. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium.
Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz, Bonn 2013, S. 40.
5 Vgl. auch Enzyklika Deus caritas est von Papst Benedikt XVI., 25. Dezember 2005,
hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 6., korr. Aufl. Bonn 2008, S. 47.
Caritaspastoral
In manchen Regionen Deutschlands wie auch in der Welt waren und sind caritative Einrichtungen der einzige Ort, an dem die Kraft des Evangeliums in einer Region spürbar anwesend ist. Daher gilt es, Lernpartnerschaften einzugehen und die evangeliumsgemäße Zivilisation der Liebe weiterzuentwickeln und pastorale Aufbrüche zu ermöglichen. Caritative Organisationen wünschen die Weiterentwicklung und Stärkung der trägerspezifischen christlichen Identität unter den sich stetig verändernden kirchlichen und gesellschaftlichen Bedingungen. Konkret geschieht dies durch…
- die Förderung einer christlichen Professionalität unter den Voraussetzungen der funktionalen Arbeitswelt;
- die Weiterentwicklung der Eigenverantwortung und der Eigeninitiative aller (freiwillig engagierten wie beruflichen) Mitarbeitenden zur Gestaltung des christlichen Glaubens im Alltag der Dienste und Einrichtungen;
- die Stärkung der trägerspezifischen diakonischen Kultur in der Organisation durch Beratungs-, Entwicklungs- und Reflexionsprozesse;
- die Befähigungsinitiativen und Begleitung von Führungskräften zur Entwicklung einer dynamischen Steuerungskompetenz zur Förderung der christlichen Unternehmenskultur;
- die Entwicklung und Förderung von pastoralen Angeboten und personell-seelsorglichen Modellen für die Klienten, Angehörigen und Mitarbeitenden;
- die Wahrnehmung der Veränderungsprozesse in der gemeindlichen, kategorialen Seelsorge und der pastoralen Entwicklungen im Sozialraum;
- das Angebot von fach-, bedarfs- und adressatenbezogenen pastoralen, ethischen, spirituellen, theologischen, religionspädagogischen und interreligiösen Fort- und Weiterbildungen;
- die konzeptionelle Verankerung der Seelsorge und ihre kontinuierliche Qualitätsentwicklung sowie Sicherstellung der strukturellen Rahmenbedingungen auf Träger- und Einrichtungsebene;
- einen fachlichen Dialog und die Vernetzung mit den verschiedenen caritativen und pastoralen Akteuren zur Steigerung der Kompetenz im beruflichen Handeln;
- eine gegenseitige Lernbereitschaft und partizipative Prozesse, um die Gegenwart Gottes am Begegnungsort des caritativen Handelns zu entdecken und sich von ihr leiten zu lassen.
Die Caritas steht für immer neue Versuche, Pilotprojekte und Modelle, um eine authentische, zeitgemäße, eben dialogische Verkündigung des Evangeliums mitten im Leben zu ermöglichen.
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