Wie aus einem anderen Leben…
Caleb Odindo, Finanzbuchhalter beim Caritasverband für die Stadt Köln.Markus Harmann
Gerade war er mit seiner kenianischen Mutter und seinem deutschen Stiefvater aus Nairobi gekommen. In Deutschland, abseits der afrikanischen Slums, sollte er von nun an leben.
„Meine Kindheit in Kenia war oft eine Bürde, ein großes Missverständnis“, sagt der heute 39-jährige. Zerrissen zwischen den Kulturen, ausgestoßen von einem Teil seiner Familie, getrennt von der Mutter. „Und dann kam ich nach Deutschland, und an den Bäumen fehlten die Blätter. Ich dachte: Das ist ja noch schlimmer hier“, sagt Odindo schmunzelnd, während er sich in seinem Stuhl im Büro des Kölner Caritasverbands entspannt zurücklehnt. Wie aus einem anderen Leben komme ihm die Zeit in Afrika heute manchmal vor, sagt er.
Einem Leben, das eigentlich erst 1998 eine Wendung zum Besseren erfuhr. Damals begann er eine Ausbildung zum Bürokaufmann bei der Caritas. Heute arbeitet er in der Finanzbuchhaltung, engagiert sich außerdem in der Mitarbeitervertretung. Und wenn er von seiner Kindheit erzählt, dann wirkt es, als sei der Weg zur Caritas geradezu folgerichtig. Wer sonst könnte die Notlage vieler Menschen, das Anders- und Ausgegrenztsein besser nachempfinden als Caleb Odindo?
Seine Mutter war 16, als sie Caleb in Kisumu am Ufer des Viktoriasees zur Welt brachte. Der Vater ein Inder. Beide Volksgruppen -Inder und Kenianer- waren sich gegenseitig verhasst. Kurz nach der Geburt trennten sich die Wege der Eltern. „Meine Mutter zog nach Nairobi, ich blieb bei den Großeltern. Das war in den Slums von Kisumu“, erzählt Caleb. Sein Großvater trank, Caleb hatte oft Hunger, für eine gute Schule, in der die Lehrer nicht prügelten und wirklich an der Entwicklung der Kinder interessiert waren, fehlte das Geld. „Lesen und Schreiben habe ich mir mit einem Märchenbuch selbst beigebracht.“
Seine Mutter sah er nur sporadisch, mal zog er für kurze Zeit zu ihr, mal gab sie ihn wieder ab. „Ich spürte aber, dass sie für mich kämpfte, dass sie arbeitete, um mich durchzubringen“, sagt Odindo. Dafür ist er ihr, die 2000 an Krebs starb, bis heute dankbar. „Sie hat mich gelehrt, für meine Ziele einzutreten.“
1989 dann die Übersiedlung nach Deutschland, mit dem neuen Ehemann der Mutter und seiner Halbschwester. Deutsch sprach Odindo nicht, trotzdem versuchte er es in der achten Klasse einer Hauptschule. „Kunst, Sport und Englisch, darin war ich gut, alles andere verstand ich nicht.“ Er wiederholte das Schuljahr, wechselte schließlich aufs Internat, weil er sich mit seinem Stiefvater nicht verstand. Er schaffte das Fachabitur. Mit einer Ausbildung wurde es trotzdem nichts. „Das lag wohl auch an meiner Hautfarbe.“ 60 Bewerbungen habe er geschrieben, sagt Odindo. „Eingeladen wurde ich nicht ein einziges Mal.“
"Lesen und Schreiben habe ich mir selbst beigebracht"
Er jobbte in einem Getränkemarkt, als Hausmeister in einem Seniorenheim, als Hilfskoch im Restaurant. Er flog zuhause raus, lebte zeitweise in einem Zelt in Frechen und fand schließlich Anstellung im Laden eines Freundes. Dort verkaufte er Fitnessgeräte.
Nach zwei Jahren genügte ihm der Job als Verkäufer nicht mehr. 1998 bewarb er sich erneut. „Und es war die Caritas, die mich einlud und mir eine Chance gab.“ Er absolvierte eine Ausbildung zum Bürokaufmann und wurde übernommen. Seine Kollegen schätzen sein Einfühlungsvermögen, seine Hilfsbereitschaft und seine Lebensfreude. „Er spürt, wenn es anderen nicht gut geht“, sagt eine Kollegin. „Caleb Odindo versprüht Optimismus und er kann andere mitreißen.“ In Frechen lebt er nach wie vor, hier hat er einen großen Freundeskreis, - nicht zuletzt über die Karnevalstanzgruppe, in der er seit vielen Jahren aktiv ist.
Im Sommer 2012 heiratete er. Seine Frau, eine Erzieherin, arbeitet ebenfalls bei der Caritas. Die gemeinsame Tochter Lucy ist inzwischen ein Jahr alt. In Kisumu, seinem Geburtsort in Kenia, feierten sie damals ihre Hochzeit mit Verwandten und Freunden aus seiner Kindheit und Jugend ein zweites Mal. Es war eine Rückkehr zu den Wurzeln, eine Vergewisserung, dass er auch in Afrika noch immer zu Hause ist, einem Kontinent, den er liebt und der ihn geprägt hat. Und dessen Menschen er deshalb etwas zurückgeben will.
Daher sammelt Caleb Odindo Spenden. „Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe – das ist mir wichtig“, sagt er. Einem Kenianer finanzierte er zum Beispiel ein Fahrrad. Der Mann nutzt es als Taxi. Einer älteren Frau baute er ein Haus zu Ende. Mittlerweile hat er die Hilfsorganisation Project One to One e.V. aufgebaut. Zurzeit unterstützt er mit Hilfe der Spendengelder den Bau einer Vorschule in einem Dorf in Kisumu.
Caleb Odindo hat sich längst daran gewöhnt, dass im Herbst in Deutschland die Bäume ihre Blätter verlieren. Weil er weiß, dass sie im Frühjahr wieder sprießen. Es ist ein bisschen wie mit seinem Leben: Manchmal erschien es trost- und perspektivloslos, aber immer auch wieder lebenswert. Und er hat weitere Ziele – zurzeit absolviert er berufsbegleitend eine Ausbildung zum Bilanzbuchhalter.
Weitere Informationen zum Hilfsprojekt unter www.project-one-to-one.com