Unterkünfte gesucht!
„Aktion Neue Nachbarn“ und am Dom ein deutliches Statement gegen Pegida-Demonstrationen und Fremdenfeindlichkeit. Kirche in Köln spricht und handelt Klartext.Markus Harmann
Als im Dezember 2014 die ersten von mehr als 200 Flüchtlingen in einem ehemaligen Baumarkt untergebracht wurden, sprach man bei der Stadt Köln von einem Fortschritt. "Es ist nicht gut, aber besser als eine Turnhalle", sagte Stefan Ferber, Leiter des Kölner Wohnungsamtes. Viele der Flüchtlinge hatten zuvor in der Mehrzweckhalle einer städtischen Schule gelebt.
Weil die Stadt Köln händeringend auf der Suche nach Unterkünften für die inzwischen mehr als 5500 Asylbewerber ist, wurde eben auch die Filiale der insolventen Praktiker-Kette gepachtet und zu einer Unterkunft umfunktioniert. Zuvor waren bereits 16 Hotels und Hunderte Wohnungen angemietet worden, daneben betreibt die Metropole am Rhein fast 30 Heime und Notunterkünfte. Nun also ein alter Baumarkt. Mit Kabinen ohne Decken, um den Brandschutz zu gewährleisten. Mit Trennwänden ohne Türen, um die Unterkunft, wenn sie nicht mehr gebraucht wird, schneller wieder rückbauen zu können.
Das alles sei nicht schön, aber die Zuwanderung der vielen Menschen vor allem aus Syrien, Eritrea, dem Irak und aus Balkanländern lasse der Stadt keine andere Wahl, erklärte Kölns Sozialdezernentin Henriette Reker.
"Turnhallen, Baumärkte und ähnlich notdürftige Unterbringungen lehnen wir gemeinsam mit dem Runden Tisch für Flüchtlingsfragen ab", kritisiert Peter Krücker, Caritasdirektor der Stadt Köln. Prekäre Unterbringung entstehe dort, wo Planungen nicht rechtzeitig erfolgten und Umsetzungen viel zu lange dauerten. Die Verwaltungen, so Krücker, seien oft überlastet und mit viel zu wenig Personal ausgestattet. "Die Politik muss endlich handeln und die Verwaltung in die Lage versetzen, die Menschen vernünftig unterzubringen. Wir brauchen bebaubare Grundstücke und Geld zum Bauen."
Wie sollen, fragt Krücker, Menschen in Turnhallen und Baumärkten zur Ruhe kommen, die einen langen Weg über Monate und Jahre auf sich genommen haben? Deren Leben bedroht war durch die Situation im Herkunftsland und die Gefahren der Flucht.
Der Umbau eines Baumarktes in eine Notunterkunft für Flüchtlinge zeigt, in welcher Situation sich viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen befinden, die die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge dauerhaft unterbringen müssen. Sie müssen sich nicht nur um die Flüchtlinge kümmern, die ihnen über das zentrale System des Landes zugewiesen werden, sondern auch um jene, die unangekündigt in der Stadt auftauchen. Und für alle gibt es selten ausreichend Unterkünfte.
Aber auch das Land, das die Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge organisiert, steht - spätestens seit den beschämenden Vorfällen in Burbach - unter erhöhtem Druck und genauer Beobachtung. Das Innenministerium versucht, eine Erhöhung der Gesamtkapazitäten aller derzeit 23 Landeseinrichtungen von derzeit 5500 auf 10000 zu stemmen. Das Land sucht gezielt Liegenschaften mit Kapazitäten für 500 bis 800 Menschen, würde aber sofort zugreifen, wenn ihm eine Kommune eine Liegenschaft für 1000 anbieten würde.
Beschlagnahme per Ordnungsverfügung
In Olpe wurde schnurstracks eine leer stehende ehemalige Familienferienstätte des Kolpingwerkes per Ordnungsverfügung beschlagnahmt, um dort schon wenige Tage später Flüchtlinge aus dem Kosovo unterzubringen.
Die Stadt Köln rechnet jeden Monat mit 300 neuen Flüchtlingen, so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr - nicht eingerechnet diejenigen, die aufgrund der desaströsen Lebensverhältnisse aus dem Kosovo noch dazukommen.
Anders als in den 90er-Jahren, als Menschen vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland flohen und nach Ende der Kämpfe meist wieder zurückkehrten, geht man bei der Caritas heute von anderen Voraussetzungen aus: Viele der Zugewanderten werden bleiben, dauerhaft. An ein Ende des Kriegs in Syrien und dem Irak oder an bessere Perspektiven in Eritrea, einem der ärmsten Länder der Erde, ist nicht zu denken.
Aus Flüchtlingen werden also Nachbarn - und die sind willkommen. Auch das bewegt die nordrhein-westfälischen Bischöfe, Soforthilfe-Fonds aufzulegen und gemeinsam mit der Caritas Personal zur Unterstützung der zahlreichen ehrenamtlich Engagierten abzustellen. "Flüchtlingshilfe", so der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, "gehört von Anfang an zum Wesenskern des Christentums." Der Erzbischof persönlich rief Ende 2014 die "Aktion Neue Nachbarn" ins Leben.
Am wichtigsten für die Flüchtlinge sei derzeit, so Heike Lammertz-Böhm, die Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbandes im Erzbistum Köln, "akzeptables Wohnen. Die humanitären Standards der Unterkünfte müssen den Bedürfnissen von traumatisierten Flüchtlingen, Familien und allein fliehenden Kindern entsprechen."
Auch deshalb verband Kardinal Woelki die "Aktion Neue Nachbarn" von Anfang an mit dem Aufruf, freien Wohnraum zu melden. "Solange bei uns Luxusautos in edlen Glaspalästen ausgestellt werden, haben wir längst nicht all unsere Möglichkeiten ausgeschöpft. Solange in hohen, wohltemperierten Empfangshallen der Bank- und Versicherungskathedralen noch schicke Designersofas auf Kundschaft warten, sollte sich doch für Flüchtlingsfamilien eine menschenwürdige Schlafgelegenheit finden lassen."
Die Unterbringung in einem Baumarkt bezeichnete er als "schlimm", die könne nur "für eine sehr eng begrenzte Zeit sein".
14462 Flüchtlinge im Jahr 2014
Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben im vergangenen Jahr 14462 Flüchtlinge aufgenommen. Wie NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU mitteilte, waren Ende 2014 in den 396 Städten und Gemeinden an Rhein und Ruhr insgesamt 42842 Flüchtlinge untergebracht. Wegen der Bürgerkriege in Syrien und im Irak wird in diesem Jahr mit einem weiteren Anstieg der Asylbewerber-Zahl gerechnet.
Die meisten Flüchtlinge leben nach den Angaben derzeit in Köln. Dort waren zum Jahresende 1923 Asylbewerber registriert. Daneben nahmen die Städte Düsseldorf, Duisburg und Essen landesweit die meisten Flüchtlinge auf.
KNA