"Sie tun dem Ort gut"
Mutter Ilirije (42), Vater Ramiz (48) und die Kinder Fitim (17), Zana (14) und Alma (9)Barbara Bechtloff
Ilirije Demiri erinnert sich noch genau an jenen Moment im September 2000, als einige Bürger aus Heiligenhaus zu ihr kamen. Mit ihrem Mann Ramiz und dem damals zweijährigen Sohn war sie in einen Wohncontainer auf dem Pausenhof der Heiligenhauser Grundschule gezogen. Die Familie war ein knappes Jahr zuvor vor dem Krieg im Kosovo nach Deutschland geflüchtet und nach Stationen in Frankfurt und Köln schließlich der Stadt Overath zugewiesen worden, deren Ortsteil Heiligenhaus ist. Die Habseligkeiten der Demiris passten in wenige Plastiktüten. "Wir wussten zunächst nicht, ob die Bürger es gut meinten oder nicht", sagt Ilirije Demiri. "Wir waren skeptisch."
Doch die Heiligenhauser meinten es gut mit den Zugereisten. "Sie gaben uns Kleidung und Bettwäsche und fragten, was wir noch gebrauchen konnten." Familie Demiri musste zwar in einen etwas heruntergekommenen Wohncontainer ziehen, doch zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, willkommen zu sein in Deutschland und den Gastgebern nicht nur zur Last zu fallen.
"Es war genau das, was wir den Flüchtlingen vermitteln wollten: Sie sind willkommen, und sie tun unserem Ort gut", erzählt Susanne Müller in ihrem Wohnzimmer. Sie ist Vorsitzende der Internationalen Nachbarschaft Overath-Heiligenhaus (INOH), eines Vereins mit 20Ehrenamtlichen, der es sich seit fast 25 Jahren zur Aufgabe macht, Migrantenfamilien zu unterstützen. Die Mitglieder helfen bei der Suche nach Wohnungen, organisieren Sprachkurse und Ausflüge und bringen die Zuwanderer im örtlichen Sport-, Gesangs- oder Karnevalsverein unter. Karnevalsverein? "Gemeinsam feiern, gemeinsam tanzen und lachen - das ist es doch, was gegenseitige Akzeptanz schafft."
Rückblick, Juli 1991:
An der Grundschule in der Heiligenhauser Florastraße lässt die Gemeinde Overath Wohncontainer aufstellen. Wenig später ziehen hier die ersten 35 Flüchtlinge ein. Sie kommen aus Kasachstan, aus dem Libanon und aus den nach Unabhängigkeit strebenden Teilrepubliken Jugoslawiens. 1991 ist das Jahr, als es überall in Deutschland Brandanschläge auf Asylbewerberheime und gewaltsame Übergriffe auf Flüchtlinge gibt. Damals im September werden in Hoyerswerda 32 Menschen bei ausländerfeindlichen Krawallen verletzt, im Oktober zünden in Hünxe am Niederrhein drei Skinheads ein Asylbewerberheim an, zwei libanesische Mädchen erleiden schwerste Brandverletzungen. Im November fliegen in Bad Honnef Molotowcocktails auf ein Flüchtlingsheim, die Bewohner überleben mit viel Glück.
„Sie machen unseren Ort irgendwie weltoffener und bringen ihre Fröhlichkeit ein“, sagte eine alteingesessene Dorfbewohnerin über die Migrantenfamilien.Barbara Bechtloff
"Man sucht den Kontakt zu uns"
Auch in Heiligenhaus regt sich 1991 Widerstand gegen die Zuwanderer. Eine Unterschriftenliste kursiert. Einige Bürger haben Angst vor den neuen Nachbarn, die so anders aussehen und die sie nicht verstehen.
"Wir hatten damals die Sorge, dass so etwas wie in Hoyerswerda auch bei uns passieren könnte", sagt Susanne Müller. "Uns war schnell klar: Wir konnten diese Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen." Es waren dann vor allem Eltern und Lehrer der Heiligenhauser Grundschule, die deshalb 1991 die Initiative INOH gründeten. Treibende Kräfte damals: der mittlerweile verstorbene Schulpflegschaftsvorsitzende Georg Fischer und seine Frau Marita. Sie schauten Tag für Tag nach den Flüchtlingen in den Containern und erfuhren, woran es ihnen vor allem fehlte: an einem Gefühl der Sicherheit. "Als Erstes organisierten wir eine Telefonkette. Hätte wirklich mal ein Container gebrannt, dann wären wir alle sofort zur Stelle gewesen", sagt Susanne Müller.
Familie Demiri lebte sechs Monate in einem der Container auf dem Schulhof, dann vermittelte ihr die INOH eine Wohnung im Ort. Doch bis die Demiris, die inzwischen drei Kinder haben, erfuhren, dass sie dauerhaft in Deutschland bleiben durften, vergingen mehr als elf Jahre. "Seit 2011 haben wir ein unbefristetes Aufenthaltsrecht", sagt die Mutter in ausgezeichnetem Deutsch. Im Kosovo hatte sie Biologie studiert, wollte Lehrerin werden. Doch dann kam der Krieg, in dem ihr Vater ums Leben kam. "Wir wollten einfach nur unser kleines Kind retten", begründet sie die Flucht 1999.
Dass die Demiris - wie so viele andere Flüchtlingsfamilien auch - Heiligenhaus bis heute treu blieben, das, sagt sie, liege auch an den Bürgern. "Wir fühlen uns nicht wie Fremde. Man sucht den Kontakt zu uns."
Tatsächlich seien die dörflichen Strukturen eigentlich wie geschaffen für die Aufnahme von Flüchtlingen. "Wir sind gut vernetzt, jeder kennt jeden. Wird ein Handwerker gebraucht, wissen wir, wo wir ihn finden. Brauchen wir einen Lehrer für einen Sprachkurs, dann kann ihn auch jemand aus unserem Verein organisieren", sagt die INOH-Engagierte Marita Fischer. Den Zuwanderern kämen zudem die kurzen Wege entgegen. Fast alles sei zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar.
"Ohne die Flüchtlinge hätten wir auf dem Pfarrfest noch immer nur Pommes und Bratwurst"
Umgekehrt ist eine Unterschriftenliste gegen Zuwanderer wie 1991 heute in Heiligenhaus nicht mehr denkbar. "Wir wissen, was wir an den Flüchtlingen haben", meint Susanne Müller. "Sie machen unseren Ort irgendwie weltoffener und bringen sich mit ihrer Fröhlichkeit ein. Ohne die Flüchtlinge gäbe es beim Pfarrfest noch immer nur Pommes und Bratwurst." Tatsächlich duftet es auf den Dorffesten auch immer etwas südländisch. Ilirije Demiri backt Burek, Blätterteigtaschen, gefüllt mit Hackfleisch. Auch Familien aus Togo oder dem Kongo bereichern Dorffeste mit ihren Speisen.
Der mittlerweile 17-jährige Sohn der Demiris, Fitim, ist heute Fußballtrainer der E-Jugend des Heiligenhauser SV, Vater Ramiz arbeitet als Messebauer, und Mutter Ilirije sagt, sie würde jetzt, wo ihre beiden Töchter schon 14 und neun Jahre alt sind, auch gern wieder arbeiten, "am liebsten in der Kinderbetreuung". Doch in dem kleinen Ort Arbeit zu finden, das ist schwierig.
Die jüngste Tochter Alma geht in die Heiligenhauser Grundschule. Jeden Tag nach der letzten Stunde wechselt sie in die Übermittagsbetreuung. Dafür ließ die Stadt vor einigen Jahren ein Gebäude auf den Pausenhof bauen. Es steht exakt an der Stelle, an der einst die Wohncontainer für die Flüchtlinge waren und wo ihre Eltern vor 15 Jahren gelebt haben, als sie in Deutschland ankamen.