Stadt – Land – Zukunft
Deutscher Caritasverband/Christian Schoppe
Kennen Sie das Walnussstadion? Es liegt in einem Dorf im Borgentreicher Land im Kreis Höxter. Eigentlich ist es auch kein richtiges Stadion. Unter dem Walnussbaum, der auf einem Bauernhof liegt, stand eine Bank, die für die Einwohner(innen) zum Treffpunkt geworden ist, um zu "quatern", eben ein "Pläuschken zu halten". Bei notwendig gewordenen Umbaumaßnahmen auf dem Hof wurde der Walnussbaum integriert und ein Gebäude um ihn herum gebaut. Alle haben weiter Gelegenheit, ihn aufzusuchen. Bei Fußball-WM und -EM hat sich der Platz mittlerweile zu einem Übertragungsort für die Spiele entwickelt, daher der Name "Walnussstadion".
Sitzbänken vorm Haus und auf zentralen Plätzen kommt in vielen Dörfern als Kommunikationsorte eine wichtige Rolle zu. Wo sie verloren gehen, fehlt eine niedrigschwellige Gelegenheit für Begegnungen. Im Zusammenhang mit Überlegungen zum demografischen Wandel in ländlichen Gegenden nehmen gerade mögliche Treffpunkte für die Dorfbewohner(innen) angesichts geschlossener Einkaufsläden, Gaststätten, Kitas oder auch Kirchen breiten Raum ein. Häufig sind es die Friedhöfe, die noch verlässlich die Möglichkeit bieten, auf andere Lebende zu stoßen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Glücklicherweise sichert ein reges Vereinsleben in den Dörfern vielfach die Gelegenheit, Gemeinschaft zu erleben. Gerade die Vereine nehmen eine wichtige Funktion wahr, um die Weichen für die Zukunft stellen zu können. Noch sind sie mann- und fraustark, bekommen aber durchaus schon den natürlichen Mitgliederschwund zu spüren.
Wenn es auf einem Motiv zur Jahreskampagne des Deutschen Caritasverbandes heißt: "Auf dem Land wird noch ehrlich gekickt. Auch wenn die Elf nur noch zu fünft spielt", spiegelt das durchaus realistisch die Situation mancherorts wider. Wenn es an Nachwuchs fehlt, schließt man sich mehr und mehr mit anderen Orten zusammen. "Mein Opa erzählte, dass man früher mit den Nachbarorten auf Kriegsfuß stand. Heute tun wir uns für einige Aktivitäten zusammen." Das hat sicherlich sein Gutes, wenn auch kleine Orte fürchten müssen, dass Zusammenschlüsse immer zu ihren Lasten gehen. Denn wenn das größere Dorf A noch sieben Spieler stellt, Dorf B aber nur noch vier, geht die Erwartung selbstverständlich dahin, dass sich die Spieler von B nach A bewegen.
Mobilität und soziale Vernetzung
Sich zu bewegen wird den Menschen auf dem Dorf regelmäßig abverlangt. Familiär und nachbarschaftlich organisiert man Fahrdienste, um Freizeitangebote, Schule, Arbeit, Ärzte, Geschäfte und Gottesdienste zu erreichen. Für Menschen, die mobil sind, lässt sich dies gut handeln. Schlechter sieht es für die aus, deren Mobilität aufgrund ihres Alters, ihrer Gesundheit oder auch ihres Einkommens eingeschränkt ist. Übel stellt sich die Situation für diejenigen dar, die sozial nicht so vernetzt sind, um auf Mobilitätsangebote Dritter zurückzugreifen. So stark das dörfliche Netz häufig ist, so großmaschig kann es sich aber auch zunehmend für so manchen erweisen. Wenn die Familie nicht (mehr) vor Ort lebt, die psychische oder physische Verfassung jemanden davon abhält, an Feiern und Treffen teilzunehmen, ist der Weg in die Einsamkeit nicht weit. Dann geht es nicht um ein "die wollen doch gar nicht teilnehmen!", sondern um ein "die können gar nicht teilnehmen".
Glücklicherweise gibt es in den Dörfern aufmerksame Menschen, die ein Auge darauf haben, ob sich im Haus der betagten Nachbarin noch Leben regt. Dieses "Sich-im-Blick-Haben" wird umso wichtiger, je weniger die Möglichkeit besteht, sich im öffentlichen Raum etwa beim Einkaufen oder Kirchgang zu sehen.
Deutscher Caritasverband/Christian Schoppe
Wenn sich die Caritas in ihrer Jahreskampagne mit der demografischen Entwicklung im ländlichen Raum befasst, tut sie das nicht als Zuschauerin. Sie ist selbst Akteurin in den ländlichen Räumen und bringt sich je nach Ressourcen mit ihren Ehrenamtlichen, mit den hauptamtlichen Mitarbeiter(innen) sowie mit Diensten und Einrichtungen ein:
- Wir wollen sozialräumliche Prozesse fördern, um die Bedürfnisse der Dorfbewohner(innen) zu erfassen und sie in ihren Bemühungen, ihren Ort demografie-fest zu machen, zu unterstützen.
- Wir wollen unseren Beitrag leisten, um Teilhabemöglichkeiten im Dorf zu schaffen. Dafür suchen wir auch mit dem jeweiligen Träger der kirchlichen Immobilien, die sich z. B. als Begegnungsstätte eignen könnten, das Gespräch.
- Wir wollen unsere Ehrenamtlichen ermutigen, ihre Sensibilität für die Nöte der Menschen in einem sich verändernden Dorf weiter zu schärfen.
- Wir halten es für angezeigt, Koordinierungsstellen im Dorf aufrechtzuerhalten oder zu installieren, um das Zusammenwirken von Vereinen und Engagierten auch künftig zu ermöglichen.
- Ebenso begrüßen wir die Einrichtung von Anlaufstellen für Menschen in Not. Dies ist insbesondere dort dringend, wo vormalige Anlaufstellen wie etwa ein Pfarrbüro in absehbarer Zeit entfallen.
- Wir wollen unsere Kompetenzen einbringen, um die Pflege von Menschen, die in ihrem Dorf bleiben wollen, möglichst zu gewährleisten.
- Wir wollen Beratungsformen weiterentwickeln, die den Menschen zugute kommen, die den Weg zur Beratungsstelle im nächstgrößeren Ort nicht bewältigen können.
- Wir möchten unkonventionelle Überlegungen anstoßen und zur Diskussion stellen.
- Wir fördern Initiativen für das Zusammenleben von Jung und Alt im Dorf.
- Mit unseren Einrichtungen sind wir jetzt schon häufig ein wichtiger Arbeitgeber vor Ort und eröffnen damit auch jungen Menschen eine berufliche Perspektive, in ihrer Heimat zu bleiben.
Potenzial ist da
So mancher Stratege hat die Dörfer abgeschrieben und setzt allein auf die Städte und ihr unmittelbares Umfeld. Ich sehe in den Dörfern genügend Potenzial, das sie auch künftig zu einem attraktiven Lebensraum für ihre Bewohner(innen) macht. Entscheidend ist, dass anstehende notwendige Gestaltungsprozesse nicht auf die lange Bank geschoben, sondern beherzt angegangen werden.
Auf dass im Walnussstadion noch viele schöne Tore zu bejubeln sind!