Mit Herz und Hand für Nachbarn in Not
Ein großes Herz mit einer offenen Tür. Das Logo der Aktion Neue Nachbarn (ANN) zeigt, um was es der 2014 im Erzbistum Köln gegründeten Initiative vor allem geht: Menschen zeigen Geflüchteten, dass sie hier willkommen sind!
Acht Jahre nach der Gründung ist die Aktion mit heute über 11000 Ehrenamtlichen und Engagierten nicht nur eine bekannte Marke, sondern auch ein effektives Kriseninstrument geworden. 2015 und 2016 hat es sich erstmals bewährt, als Zehntausende Menschen im Rheinland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchten. In der Pandemie und nach der Hochwasserkatastrophe 2021 wiederum hat die ANN gezeigt, wie gut und schnell sie auf aktuelle Ereignisse reagieren kann. Dabei hat sie sich von ihrem ursprünglichen Zweck nicht verabschiedet, lediglich den Handlungsspielraum erweitert: Nicht ausschließlich Geflüchtete profitieren von der ANN, sondern alle Nachbarinnen und Nachbarn, die Hilfe benötigen.
Dabei geht es, so paradox das klingt, nie um Einzelfallhilfe. "Die Frage für uns ist immer, welche Strukturen wir brauchen, um möglichst vielen Menschen effektiv zu helfen", sagt Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln. Im Tandem mit Klaus Hagedorn aus dem Erzbischöflichen Generalvikariat koordiniert sie die Arbeit der Aktion Neue Nachbarn und der Flüchtlingshilfe, entscheidet über Geld-Anträge von Pfarrgemeinden und ist Ansprechpartnerin für die 21 Integrationsbeauftragten in den Kreis- und Stadtdekanaten.
Mit der Leitung der Aktion Neue Nachbarn beauftragte der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki 2014 Diözesan-Caritasdirektor Dr. Frank Johannes Hensel. Der schuf einen Koordinierungskreis, der sich - besetzt mit Mitarbeitenden aus Caritas und Generalvikariat - um die Themenfelder Wohnen, Kita, Schule, Beratung, Arbeitsmarkt, Sprachkurse und Ehrenamtsqualifizierung kümmert.
"Für die Aktion Neue Nachbarn sind die kirchlichen Strukturen Gold wert", sagt Porsch. Denn Kirche und Caritas haben, was andere Institutionen nicht haben: ein großes Netzwerk aus Ehren- und Hauptamtlichen, professionelle Dienste und Einrichtungen wie Migrationsberatungsstellen, Bildungswerke, Kindergärten, Schulen oder Beschäftigungsbetriebe.
Das müsse man sich dann so vorstellen, erklärt Porsch: "Eine Familie aus der Ukraine kommt zum Beispiel nach Bergisch Gladbach. Dort sitzt die Integrationsbeauftragte der Aktion Neue Nachbarn mit am runden Tisch der Kommune. Wird eine Wohnung oder ein Kindergartenplatz benötigt, werden Kirche und Caritas mit eingebunden in die Suche." Zwar werde gerade die Wohnungssuche immer schwieriger, häufig habe sich aber gezeigt, dass sich innerhalb einer Kirchengemeinde eben doch noch ein Platz finde. Doch damit ist es nicht getan: Die ANN vermittelt in die Trauma-Beratung, organisiert Kuren für arabischsprachige Mütter, stellt Malaktionen für Kinder oder Willkommenscafés für Erwachsene auf die Beine. Die Cafés werden oft von professionellen Kräften aus den Migrationsdiensten der Caritas und den Erziehungsberatungsstellen begleitet.
Was zählt, ist das Netzwerk
2016 hat die Aktion Neue Nachbarn Job-Patenprogramme aufgelegt. Bis heute wurden mehr als 750 Geflüchteten ehrenamtlichen Mentorinnen oder Mentoren an die Seite gestellt, oft ehemalige mittelständische Unternehmer oder pensionierte Lehrerinnen, die wiederum von Beraterinnen und Beratern der Caritas begleitet werden. Die Mentorinnen und Mentoren begleiten die Neuankömmlinge dann bei allem, was zur Ausbildungs- und Arbeitsaufnahme nötig ist: bei Besuchen im Jobcenter, zum Sprachkurs, zu Bewerbungsgesprächen. Heute, sagt Porsch, sei die Arbeitsmarktintegration einer der wesentlichen Bausteine der ANN.
Als 2020 das Land in seinen ersten Corona-Lockdown ging, wurde die ANN um den Zweig der Nachbarschaftshilfe erweitert: Menschen in Flüchtlingsunterkünften saßen genauso fest wie Familien in oft viel zu kleinen Wohnungen oder Seniorinnen und Senioren, die aus Angst vor einer Ansteckung gar nicht mehr zum Einkaufen kamen. Also wurden Lastenfahrräder und Einkaufskörbe finanziert, freiwillige Einkaufshelferinnen und -helfer aus dem großen ANN-Netzwerk fuhren Lebensmittel aus. Auch Beratungsdienste der Caritas konnten Gelder beantragen, mit denen sie dann zum Beispiel Spiel- und Malsets für Kinder in Flüchtlingsunterkünften zusammenstellten.
Finanziert wurde die Aktion Neue Nachbarn anfangs aus einem erzbischöflichen Fonds, heute hat sie ein eigenes Budget aus Kirchensteuermitteln. "Finanziell ist die ANN kein riesengroßer Player, aber was zählt, sind eben das Netzwerk und die Möglichkeit, Gelder schnell auszuzahlen", so Porsch. Selten vergingen mehr als 14 Tage zwischen Antragstellung und Bescheid. Das gelinge auch, weil die ANN eine Aktion bleibe und kein Projekt mit definiertem Anfang und Ende. Porsch sagt: "So bleiben wir sehr beweglich. Und wir haben immer Leute, auf die wir zurückgreifen können."
So war es auch nach der Flut. Einen Tag nach der Katastrophe wurden im Rhein-Sieg-Kreis Schlafplätze für freiwillige Helferinnen und Helfer aus Berlin organisiert, außerdem übernahm die ANN die Leihgebühren für Gebäudetrockner. Gleichzeitig organisierten Ehrenamtliche Angebote für Kinder, deren Eltern mit der Beseitigung von Schlamm und Schutt mehr als genug zu tun hatten. "Damit waren wir wahrscheinlich schneller als jede andere Organisation, was auch daran lag, dass sich Ehrenamtliche stets auf eine hauptamtliche Begleitung in Pfarrgemeinden und Caritas verlassen konnten", sagt Porsch.
Zweimal ließ man die Arbeit der Integrationsbeauftragten evaluieren. Dass die Aktion ein effektives Kriseninstrument ist, liest sich im Beurteilungsbogen genauso wie der Hinweis darauf, dass die ANN zu einer positiven Wahrnehmung von Kirche beiträgt.
Derzeit sind die Strukturen der ANN wieder stark gefragt: Erwartet werden erneut zahlreiche Geflüchtete aus aller Welt. "Wir stehen bereit", sagt Porsch und wirkt gelassen. Im Gegensatz zu 2015 kommt jetzt etwas ganz Entscheidendes dazu: Erfahrung aus acht Jahren Arbeit für (neue) Nachbarn.
Aktion Neue Nachbarn in Zahlen
- Ehrenamtliche und Engagierte: 11000
- Schulungen und Kurse für Engagierte: 1000
- Deutschkurse seit 2014: 2748
- Teilnehmende an Deutschkursen: 29901
- Eingesetzte Mittel in Mio. Euro: 63,4
- Jobpatenschaften: 750
- Vermittelte Geflüchtete in Arbeitsverhältnisse seit 2019: 362