Krisenreaktion braucht Strukturförderung
Es ist notwendig, dass wir uns alle miteinander auf künftige Krisen besser einstellen. Das geht nur, wenn alle ihre Erkenntnisse aus Krisen beisteuern. Denn gute Ideen, die sich bewährt haben, brauchen wir nicht noch einmal zu erfinden. Das ist die Stärke von Verband.
Einige Punkte halte ich für wichtig.
Ein Minimum an Krisenreaktion ist erforderlich. Das lehrt mich die Ankunft vieler Flüchtlinge aus der Ukraine nach dem durch Russland angezettelten Krieg. Anders als 2015/2016 gab es zumindest ein Minimum an Strukturen, um die Ankunft von Flüchtlingen - unabhängig von ihrem Status - zu bewältigen, weil wir gelernt hatten, diese Strukturen nicht ganz herunterzufahren. Ein entscheidender Vorsprung, um Menschen in Not situationsgerecht zu helfen.
Krisenreaktion braucht eine Strukturförderung. Die Freie Wohlfahrtspflege ist insgesamt vor Ort gut vernetzt. Schnell Hilfe zu organisieren gehört zur DNA der Verbände. Sie haben in Krisen Personal eingesetzt, ohne dass es öffentlich gefördert wurde. Auch übernehmen sie Tätigkeiten, die eigentlich bei Kommunen liegen. Wir müssen mit Politik und Verwaltung auf allen Ebenen über eine Strukturförderung durch die öffentliche Hand sprechen.
Es ist erforderlich, Prioritäten zu setzen. Es war bewundernswert, wie viele Menschen sich bei der Flutkatastrophe engagiert haben. Es gab viele Sachspenden aus der Überlegung heraus: Wir müssen den Menschen helfen, so schnell wie möglich ihren verlorenen Hausstand, Dinge des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Sachspenden vor Ort zu sortieren hat Kräfte gebunden, die vielleicht eher beim Ausräumen von Kellern notwendig gewesen wären.
Wir müssen kooperieren. Der Bürgermeister von Schleiden, einer Stadt in der Eifel, die nach der Flut nicht mehr wiederzuerkennen war, hat das Fluthilfezentrum Schleidener Tal einrichten lassen. Er versammelte Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und die zuständige Kreisverwaltung unter einem Dach als Anlaufstelle der kurzen Wege. Was die eine Organisation nicht kann, kann die andere. Nicht überall mag eine solche Kooperation möglich sein. Aber Verbände können überlegen, wie sie bereits vorhandene Kompetenzen in den eigenen Reihen stärken, bündeln und vernetzen. Krisenreaktion muss heute beginnen.
Wir sollten staatliche Hilfe, vor allem aber die Zugänge zu diesen überdenken. Wenn Politik gerne von unbürokratischen und einfachen Zugängen zu Hilfen spricht, empfehle ich nur einen Blick auf die Zugänge zu staatlichen Hilfen in der Flut. Unbürokratisch und einfach war da gar nichts. Mitarbeitende der Caritas oder anderer Verbände haben die Betroffenen an die Hand genommen und mit ihnen Anträge auf Fluthilfe ausgefüllt. Gerade Menschen ohne akademische Bildung oder mit sprachlichen Barrieren sind am Bildschirm oder auch im Gespräch mit kommunalen Gesprächspartnern überfordert.
Wir müssen Anwalt der Menschen sein. Wir sollten die Beratungsarbeit vor Ort von der Bewilligung von Spendengeldern trennen. Sozialarbeiter können sich unbefangen um Anliegen der Menschen kümmern, wenn sie wissen: Ich bin nicht die Instanz, die über die Auszahlung von Spendenmitteln entscheidet. Und: Eine zentrale Stelle im Verband, die Spenden bewilligt, erhält Einblicke in unterschiedliche Situationen und erkennt Muster von Problemen. Solche Beobachtungen lassen sich bündeln und aktiv in den sozialpolitischen Dialog einspeisen.
Schließlich brauchen wir die unterschiedlichen Kompetenzen von Haupt- und Ehrenamt. Ehrenamt bringt eine für die Freie Wohlfahrtspflege unverzichtbare Kompetenz mit: Der Kontakt auf Augenhöhe und auf Ebene des eigenen Umfeldes ist Türöffner zu vielen Hilfen, die von Stellen der Freien Wohlfahrtspflege vermittelt werden können. Gerade in Krisen brauchen wir das Ehrenamt als Kundschafter in Notlagen.