Zu viel Struktur, zu wenig Werbung in eigener Sache
Caritas in NRW Sie haben 2018 in Ihrer Masterarbeit das Image der Caritas im Erzbistum Köln untersucht. Wie kamen Sie auf dieses Thema?
Friederike Sahling: Während meiner Arbeit für die Caritas im Erzbistum Köln hat mich immer wieder die Ambivalenz, mit der Menschen der Caritas begegnen, beschäftigt. Gerade im Rahmen des Projekts youngcaritas und im Kontakt mit jüngeren Menschen entbrannten teils heftige Diskussionen über die Caritas als Organisation. Gleichzeitig fehlte diesen Erfahrungen eine verlässliche Grundlage. Da lag es nahe, diesen ersten Schritt mithilfe einer qualitativen Arbeit zu gehen, um die Basis für weitere Analysen in Bezug auf das Image zu schaffen.
Caritas in NRW: Wie kann man denn mehr über das eigene Image herausfinden?
Friederike Sahling: Eine Imageanalyse ist ein Abgleich vom Selbstbild einer Organisation (Corporate Identity) mit ihrem Fremdbild (Corporate Image). Ziel sollte hier immer Deckungsgleichheit sein. Ist das eigene Bild, das ich von mir als Organisation habe, konsistent mit dem Bild, das Externe von mir haben, kann ich davon ausgehen, dass ich das Image habe, das ich mir wünsche. Weichen Fremd- und Selbstbild voneinander ab, liegt etwas im Argen. Dabei besitzt jede Organisation - gewollt oder ungewollt - ein Image, und man muss sich zuallererst darüber im Klaren sein, welches Image man als Organisation haben möchte.
Caritas in NRW: Wie sind Sie vorgegangen?
Friederike Sahling: Der erste Schritt war eine Stakeholderanalyse für die Caritas im Erzbistum Köln, also eine Identifizierung der Anspruchsgruppen, mit denen es der Diözesanverband und die Ortscaritasverbände intern und extern zu tun haben. Nur wenn eine Organisation ihre Anspruchsgruppen kennt, kann sie unterschiedlichen Ansprüchen begegnen und diese bedienen. In einem nächsten Schritt habe ich die externen Anspruchsgruppen, die besonders relevant für das Image der Caritas im Erzbistum Köln sind, identifiziert. Das Selbstbild habe ich anhand einer Analyse der Leitbilder der Caritasverbände im Erzbistum Köln abgeleitet. Bei den offenen Leitfadeninterviews habe ich Personen der wichtigsten externen Anspruchsgruppen befragt. Nach der Auswertung folgte der Abgleich der Interviewergebnisse mit denen der Leitbildanalyse.
Caritas in NRW: Was das Image angeht, konstatieren Sie für die Caritas im Erzbistum Köln deutlichen Handlungsbedarf - warum?
Friederike Sahling: Die Caritas hat einen enormen gesellschaftlichen Wert als größter Wohlfahrtsverband und größte soziale Arbeitgeberin in Deutschland. Allein im Erzbistum Köln arbeiten rund 61000 Menschen in mehr als 1850 Einrichtungen und Diensten. Sie ist das Auffangnetz für Menschen mit Hilfebedarf und liefert den sozialen Kitt für die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Als ich mit meiner Arbeit anfing, war Kritik an der katholischen Kirche nichts Neues. Da steht auf der einen Seite die Arbeit der Einrichtungen und Dienste, die wichtig ist und von unzähligen Menschen geschätzt wird. Auf der anderen Seite steht die katholische Kirche als Institution mit all der Kritik, die ihr - zum Teil sicher berechtigt - seit Jahren entgegenschlägt. Und natürlich trifft diese Kritik auch die Caritas als Teil der Institution Kirche.
Caritas in NRW: Die Caritas ist also vor allem Leidtragende des schlechten Image des Institution Kirche.
Friederike Sahling: Ja. Die Arbeit der Caritas steht für Nächstenliebe, Solidarität, Toleranz, Inklusion und mehr. Alles Dinge, die die katholische Kirche in den Augen vieler vermissen lässt. Die Caritas als Teil der katholischen Kirche ist mit ihrer Arbeit also für gesellschaftliche Gruppen da, die die katholische Kirche ganz offenkundig und in den Augen vieler ausschließt. Das ist paradox und passt nicht zusammen.
Aber natürlich hängt das Image der Caritas nicht nur an der Institution Kirche. Es gibt viele ungenutzte Potenziale. Ich erinnere mich an ein Interview in Mettmann. Eine befragte Person sagte im Interview zu mir: "Tue Gutes und sprich darüber" und stellte mir im Gegenzug die Frage, wieso Unternehmen das täten, aber die Caritas nicht. Ja, wieso eigentlich nicht? Wichtig ist, dass die Öffentlichkeit mehr mitgenommen wird. Für viele ist Caritas Altenheim, Kirche und Kollekte. Dabei sind das Leistungs- und Aufgabenspektrum der Caritas und ihre sozialpolitische Relevanz gewaltig. Gleichzeitig sind diese Alleinstellungsmerkmale der breiten Öffentlichkeit nicht präsent. Die Caritas muss mehr auf ihre Arbeit aufmerksam machen, mehr Raum in der Öffentlichkeit für sich beanspruchen.
|
|
|
#BISTDUCARITAS ist eine aktuelle Kampagne des Caritasverbandes Trier zur Verbesserung des Arbeitgeber-Image: https://www.caritas-region-trier.de/caritasverband-trier/jobs-und-karriere/kampagne-2021/kampagne-2021 |
Caritas in NRW: Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass die Caritas so wenig für sich selbst trommelt?
Friederike Sahling: Es liegt möglicherweise daran, dass die Caritas als Organisation nicht richtig verstanden wird. Nehmen wir die Strukturen mit Bundes- und Diözesanebene, mit Ortscaritas- und Fachverbänden, mit Caritas-Organisationen auf Ebene der Pfarrgemeinden. Schwer zu verstehen, selbst für Mitarbeitende. Strukturen sind auf der einen Seite wichtig, Externe interessieren sich aber wenig dafür, was ein Fach-, Orts- oder Diözesan-Caritasverband ist. Menschen, die Hilfe brauchen oder sich engagieren wollen, differenzieren nicht. Ich erinnere mich gut, dass regelmäßig Menschen mit konkreten Anliegen auf den Diözesan-Verband zukamen. In dem Moment zählte, dass man ihre Anfragen bearbeitete, niemanden abwies und wusste, wo die richtigen Anlaufstellen sind. Außerdem hemmen Strukturen häufig Innovation, weil sie die Arbeit ungemein verlangsamen. Als ehemalige Mitarbeiterin weiß ich, wie viel Wissen, Fachlichkeit und Erfahrung die Caritas vereint und in nicht sichtbaren Diskursen einbringt. Aber weiß das auch das breite Publikum?
Caritas in NRW: Gibt es - was das Image angeht - einen Unterschied zwischen der Diözesan-Caritas und den Ortscaritasverbänden?
Friederike Sahling: Für die meisten Menschen ist Caritas einfach Caritas - es erfolgt keine Unterscheidung zwischen einem Diözesan- und Ortsverband. Folglich ist auch das Image nicht differenziert. Strukturen spielen für Profis eine Rolle, sind für externe Stakeholder aber wenig relevant. Hier kann man ansetzen und den Strukturen weniger Beachtung bei der Außendarstellung schenken, weil sie am Ende aufhalten. Das Image der Caritas im Erzbistum Köln gründet sich auf den Erfahrungen, die Menschen - egal wo - mit der Caritas gemacht haben. Das Ziel ist also Einheitlichkeit statt Hierarchie.
Caritas in NRW: Gab es eine Erkenntnis, die Sie im Laufe Ihrer Analyse besonders überrascht hat?
Friederike Sahling: Interessant war, dass teils schon kleine Begegnungen - positiv wie negativ - mit der Caritas als Organisation in den Köpfen verhaftet bleiben und großen Anteil an der Imagebildung haben. Gerade der Erstkontakt ist hier entscheidend. Ein Beispiel waren die Spendensammlungen der Caritas, die eine interviewte Person bereits aus ihrer Kindheit kannte. Jetzt im Erwachsenenalter empfand sie die Sammlungen als unglaublich antiquiert, unangenehm und aufdringlich. Ein Thema, das unser Gespräch dominierte. Es sind die kleinen Dinge, die einen großen Anteil am Gesamtbild ausmachen können. Es gilt also, nicht nur die dicken Bretter zu bohren, sondern schon an kleinen Stellschrauben zu drehen.
Caritas in NRW: Decken sich die Erkenntnisse Ihrer Arbeit mit dem, was Sie selbst erlebt haben, als Sie für die Caritas gearbeitet haben?
Friederike Sahling: Meine Eindrücke und Erfahrungen, die ich im Laufe meiner Arbeit gesammelt habe, haben mich ja dazu bewegt, diese Imageanalyse zu machen. Wirklich überrascht haben mich die Ergebnisse der Masterarbeit daher nicht. Da ist eine Organisation mit einem durchwachsenen Image, die gleichzeitig von den Menschen für das, was sie tut, geschätzt wird. Das passt nicht richtig zusammen und sollte sich ändern.
Caritas in NRW: Welche Handlungsempfehlungen geben Sie insgesamt?
Friederike Sahling: Mehr öffentliche Präsenz: Die Caritas verfügt hier über einen großen Erfahrungs- und Wissensschatz, den sie im Hinblick auf sozialpolitische Herausforderungen einbringen kann und muss. Durch Positionierung und Präsenz im öffentlichen Diskurs schreiben Personen außerhalb der Organisation der Caritas mehr Kompetenzen zu und erkennen deutlicher deren gesellschaftliche Relevanz.
Vielfalt an Aufgaben- und Leistungsspektrum der Caritasverbände sichtbar machen: Das Leistungsspektrum ist Externen häufig nicht bekannt, wodurch die Organisation auf einzelne Teilbereiche - etwa die Altenhilfe - reduziert wird. Das Image dient immer auch als Orientierungshilfe, um zwischen ähnlichen Angeboten zu differenzieren. Kenne ich das Portfolio einer Organisation nicht, nehme ich es auch nicht in Anspruch. Dabei ist die Vielfalt an sozialen Dienstleistungen ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal der Caritas.
Ausbau von Öffentlichkeitsarbeit und Corporate Design: Neben mehr öffentlicher Positionierung kommt der Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle zu. Gerade Personen, die nicht im direkten regelmäßigen Kontakt mit der Organisation stehen und denen so Erfahrungswerte mit der Caritas fehlen, sollte ein differenziertes und konsistentes Bild vermittelt werden. Insgesamt wurde das Erscheinungsbild der Caritas als unmodern, tradiert, konservativ und unscheinbar beschrieben. Für eine adäquate Ansprache braucht es Kommunikationsmaßnahmen und -instrumente, explizit auf einzelne Zielgruppen zugeschnitten. Hierbei gilt es zu bedenken, dass, egal wie klein oder groß die Verbände sind, diese zum Gesamteindruck der Organisation beitragen und es einen gleichwertigen Standard über alle Organisationseinheiten hinweg braucht. Das Ziel sollte Homogenität bei Kommunikationsstrategie und Erscheinungsbild sein.
Veränderungsprozesse innerhalb der Organisation: Wir wissen, dass Externe häufig wenig über die Strukturen der Organisation wissen bzw. diese irrelevant sind. Das bedeutet im Gegenzug, dass bei der Arbeit und Außendarstellung weniger auf Strukturen gepocht werden sollte und man dadurch mehr den Anforderungen der sich wandelnden Organisationsumwelt gerecht wird.
Das Interview führte Markus Harmann.