"Wir müssen uns auf den Weg machen"
Fusionen von Kirchengemeinden und Überalterung der Freiwilligen lassen die Strukturen bröckeln. Das ist Lena Dirksmeier, Geschäftsführerin der Caritas-Konferenzen Deutschlands (CKD) im Bistum Münster, bewusst. Eine Gegenbewegung lässt sie hoffen. Nicht nur auf Diözesanebene, auch vor Ort entstehen größere und kleine Projekte, die den Menschen an für die Caritas ungewöhnlichen Orten begegnen wollen: "Wir müssen uns auf den Weg machen", ist Dirksmeier sich bewusst.
Das ist ein bewährter Ansatz. Seit Jahrzehnten gehen die in den Pfarrcaritas-Gruppen organisierten Ehrenamtlichen zweimal im Jahr von Tür zu Tür.
Sie sammeln Spenden, besuchen alte und kranke Menschen, betreiben Kleiderkammern und arbeiten in Projekten mit. Da sind sie Teil der Gemeinde. Zudem vermitteln sie zu den hauptamtlichen Mitarbeitenden der Caritas in den örtlichen Verbänden und Einrichtungen "Das funktioniert, wo Caritas-Konferenzen und die hauptamtliche Gemeindecaritas gut zusammenarbeiten", beobachtet Lena Dirksmeier.
In Hamm zum Beispiel, wo im eher sozial benachteiligten Stadtteil Bockum-Hövel nördlich der Lippe im Rahmen eines Projekts schon vor vielen Jahren neben den traditionellen Strukturen das "Offene Ohr" als Anlaufstelle eingerichtet worden ist. Die ist in das ehrenamtlich betriebene FAIR-Kaufhaus gemündet, das nicht nur ein breites Sortiment an gebrauchten Dingen anbietet, sondern zugleich Treffpunkt zum Kaffeetrinken und Klönen sowie darüber hinaus Beratungsbüro ist. Die Idee dazu sei aus dem Bedarf geboren, der sich im "Offenen Ohr" gezeigt habe, erklärt Elisabeth Wulf, Gemeindecaritas-Mitarbeiterin der Caritas Hamm.
Auf allein 50 Ehrenamtliche kann sie dort zählen, aber überhaupt sei die "CKD in Bockum-Hövel gut vernetzt", sagt Wulf. Ehrenamtliche erfahren deshalb auch von Not, für die die Betroffenen keine hauptamtliche Beratungsstelle aufsuchen würden. Wenn es sein muss, "setzen sie auch mal alle Hebel in Bewegung", damit Kinder Tornister bekommen, die sich ihre Eltern nicht leisten können.
Sie bringen die Zeit mit, die den hauptamtlichen Mitarbeitenden zu oft fehlt. Was hilfreich ist bei den Projekten, die gerade an verschiedenen Orten zwischen den Ehrenamtlichen der CKD und der Gemeindecaritas wachsen. Die Ahlener haben beispielsweise ein Lastenfahrrad mit "Kaffee & Klönen" beschriftet, mit dem sie dorthin fahren, wo die Menschen sie nicht erwarten. Man brauche Hingucker, um aufzufallen und die Menschen zu überraschen, erklärt Lena Dirksmeier: "Das ist Caritas und Kirche, und ihr kommt zu uns?" In Senden entsteht das sozialdiakonische Projekt "Treffpunkt Anhänger - mobil.direkt.nah". Ein kleiner, mit Tisch, Stühlen und Minibar bestückter Anhänger wird an ungewöhnlichen Orten stehen.
Es geht darum, Gesicht zu zeigen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, egal worüber. "Aus zufälligen Begegnungen können neue Ideen entstehen", sagt Lena Dirksmeier. Das hat David Schütz, Gemeindecaritas-Mitarbeiter in der Caritas Ostvest, eindrucksvoll erfahren. Zwei Wochen hatte er das Begegnungsmobil des Projekts "Uns schickt der Himmel" ausgeliehen, für das ein Kleinbus auffällig gestaltet worden ist. Gemeinsam mit Pastoralreferent Bernd Kleemann war Schütz zwei Wochen damit unterwegs, unterstützt von 50 Ehrenamtlichen an den angefahrenen Orten. Sein Fazit: "Einfach mal zuhören ist eine einzige Fortbildung."
Die Ehrenamtlichen sind der Mehrwert der Caritas, sie können Aufgaben übernehmen, für die es kein Geld aus öffentlichen Kassen gibt. Sie können auch neue Wege der sozialen Arbeit ausprobieren, wenn der Bedarf dafür entdeckt ist. In Hamm gehen "Caritas-Lotsen" in die Haushalte und schauen, was die Menschen dort benötigen, vielleicht einen barrierefreien Umbau oder Pflege. "Aber vor allem hören sie zu", berichtet Elisabeth Wulf.
Obwohl es in Hamm grundsätzlich noch gut um die ehrenamtliche Struktur bestellt ist, ist sich Wulf bewusst, dass neue Wege gegangen werden müssen. Dafür ist das "Caritas-Netzwerk" gegründet worden, in dem neben der CKD weitere Ehrenamtliche in den Stadtteilen und aus anderen Organisationen mitmachen. Wenn das Ehrenamt das Gesicht der Caritas bleiben solle, müssten sich die Hauptamtlichen intensiv um die Freiwilligen bemühen und neue Formen finden. Dafür gebe es in Hamm unter anderem 30 Ehrenamtskoordinatoren und -koordinatorinnen und würden die Ehrenamtlichen auf besondere Aufgaben wie die Mitarbeit in der "Franziskus-Küche" intensiv vorbereitet, so Elisabeth Wulf. Die Erfahrung zeigt, für spezielle Einsatzfelder und "neue Projekte lassen sich neue Ehrenamtliche gewinnen", sieht Lena Dirksmeier einen Wandel und keinen Niedergang des Ehrenamts in der Caritas.