"Schön, dass man mal gefragt wird!"
Wer über seine Identität nachdenkt, wird grundsätzlich. Benennt die eigenen Werte und schaut, wie sie sich im Handeln wiederfinden. Er fragt Freunde und Bekannte, welches Bild sie von ihm haben. Vielleicht gleicht er dann das Fremdbild mit der eigenen Wahrnehmung ab. Weil wir Menschen soziale Lebewesen sind und in einem Kontext von Gemeinschaft arbeiten und leben, beinhaltet das Nachdenken über sich selbst immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Feedback der anderen.
Ähnlich - nur in einem weitaus größeren Maßstab - ist es in einem Verband. Identität ist nicht monolithisch, ist nicht für immer in Stein gemeißelt. Sie konstituiert sich stets aufs Neue im Dialog untereinander, auch im Streit über das rechte Handeln, die gebotenen Schlussfolgerungen in der Auseinandersetzung mit der Welt außerhalb der eigenen Organisation. Tradition ist wichtig, bietet ein Fundament, gemeinsame Werte sind eine Basis für gelebte Überzeugungen, stiften Zusammenhalt.
2060 Menschen haben sich im Juli 2021 an der Umfrage dieser Zeitschrift zum Image der Caritas beteiligt. 1434 Teilnehmende (71 Prozent) sind weiblich, 28 Prozent sind männlich, und zehn Teilnehmende stufen sich selbst als divers ein, das sind 0,5 Prozent. Zu 98 Prozent arbeiten die Teilnehmenden nach eigenen Angaben in einer Einrichtung (oder einem Dienst), die zum Caritas-Netzwerk in NRW gehört. Eine beeindruckende Zahl, dennoch muss vorweg betont werden, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist. Allein in NRW arbeiten - laut Zentralstatistik des Deutschen Caritasverbandes - mehr als 220000 Mitarbeitende in den Diensten und Einrichtungen des Caritasverbandes.
Die Ergebnisse dieser Umfrage sind also deskriptiv. Das heißt, sie sagen etwas aus über die Teilnehmenden und ihre Einstellung. Es verbietet sich, daraus Aussagen über die Gesamtzahl der Mitarbeitenden abzuleiten, die Allgemeingültigkeit beanspruchen könnten.
Und wie beurteilen diese Mitarbeitenden das Image der Caritas in der Öffentlichkeit? Was ist überhaupt das Image? Das Wort bedeutet zunächst einmal so viel wie "Darstellung", "Abbild" und "Bild", meint im allgemeinen Sprachgebrauch aber auch so etwas wie den Ruf einer Organisation. Nun ist die Caritas kein Unternehmen, sondern ein Verband, ein Netzwerk, das strukturell aus vielen unterschiedlichen Einheiten besteht. DIE Caritas sind Diözesan- und Ortscaritasverbände, sind Caritasgruppen in Gemeinden, sind soziale Dienstleistungseinrichtungen in eigener Rechtsträgerschaft. Rein rechtlich gehören auch Fachverbände (SkF, SKM, In Via, Kreuzbund, MHD …) zum Caritasverband (sie haben Sitz und Stimme in Gremien etc.), dennoch prägen sie oft eine eigene Identität.
Wie dieser Verband sich zusammensetzt, lässt sich unterschiedlich beschreiben: da gibt es die rechtliche Ebene, die ist geprägt von Satzungen, Organen, Verträgen, Gremien, usw. Es gibt die materielle Ebene, also die Finanzierung der Arbeit (die in der Realität andere Abhängigkeiten und Beziehungen stiftet), es gibt sicherlich personale Ebene, also Menschen, die das Gesicht der Caritas prägen, es gibt eine Art ideologischen Überbau (bei der Caritas sprechen wir immer von "christlichen Werten").
"Was uns eint, ist die Caritas - die Nächstenliebe, die Sorge um den anderen Menschen, die so alt ist wie die Kirche selbst", so schreibt es Wolfgang Klein, Caritasdirektor von Leverkusen, in seiner Broschüre "Gemeinsam Caritas" und fährt fort: "Eine moderne und individuelle Welt zeigt sich nicht nur in den theoretischen gemeinsamen Werten, sondern durch gelebte Unterstützung, Wertschätzung und Solidarität, im Großen wie im Kleinen. Für uns ist entscheidend, wie diese niemand ausschließende Liebe Gottes zu allen Menschen sichtbar, spürbar und greifbar wird."
Image ist geprägt auf der Gefühlsebene
Image bezeichnet das Gesamtbild, das die überwiegende Anzahl der Menschen von einer Organisation hat. Dieser Gesamteindruck ist immer subjektiv, also nicht objektiv- sachlich messbar. Das Image wird geprägt vor allem auf der Gefühlsebene, es ist von Erfahrungen gespeist. In das Bild fließt ein, was die Menschen über die Caritas wissen (kognitive Ebene), wie die Menschen die Caritas bewerten (evaluative Ebene) und eine konative Ebene, das meint die Antwort auf die Frage "Wie möchte ich der Caritas gegenüber handeln?".
Bei der Bewertung des Images in dieser Umfrage hat die Caritas 3,51 von fünf möglichen Sternen erreicht, das ist ein ordentliches Ergebnis. Das Umfrage-Tool hatte fünf mögliche Sterne vorgehalten - wir kennen diese Bewertungs-Systematik zum Beispiel von Amazon (mit der Spezialität, das dort bei Produktbewertungen auch immer sachfremde Bewertungen wie z.B. Lieferschwierigkeiten in das Ranking einfließen), aber auch von Facebook oder Google. Immerhin mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (54 Prozent) beurteilt das Image der Caritas mit vier oder fünf Sternen.
Erfahrungen unterscheiden sich
Ist die Caritas sehr modern und innovativ als Arbeitgeberin? Viele unterschiedliche Erfahrungen fließen in die Antworten ein, denn allein in NRW gibt es unter dem Logo der Caritas fast 8000 Dienste und Einrichtungen, viele in eigenständiger Trägerschaft. Wo Mitarbeitende also ihren eigenen Arbeitgeber als rückständig und unmodern empfinden, führt das möglicherwiese zu einer Generalisierung, die Einfluss hat auf das Image der Caritas insgesamt. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Umfrage sieht hier noch deutlich Luft nach oben - was die Modernität angeht.
Antworten auf weitere Fragen sind grafisch abgebildet, manches für den einen oder die andere wenig überraschend, manches vielleicht so nicht erwartbar.
Die Ergebnisse dieser Umfrage beschreiben also einen Ausschnitt der Wirklichkeit, keine empirische Wahrheit. Dieser Ausschnitt ist schon so heterogen, dass er eine Ahnung davon vermittelt, wie heterogen die Wirklichkeit des gesamten Verbandes ist. Wer sich die Mühe macht, die gesammelten Rückmeldungen auf die Frage "Was wollen Sie uns noch mitteilen?" (Frage 19) zu lesen, findet oft gegensätzliche Meinungen und Aussagen, die sehr konkret und aktuell auf den eigenen Arbeitgeber vor Ort gemünzt scheinen, und demgegenüber eher allgemeine Einschätzungen.
Ein Schatz, ein Elefant im Raum und ein Auftrag
Diese notwendigen Einschränkungen vorweggeschickt, lassen sich - abgeleitet aus den vielen Rückmeldungen - drei Thesen zur Diskussion stellen:
- Auffallend ist die Vielzahl von wertschätzenden und lobenden Rückmeldungen in der Umfrage: Viele Mitarbeitende in der Caritas identifizieren sich in einem hohen Maße mit ihrer Arbeit, ihrem Arbeitgeber und dessen Zielen und Werten. Hohes Engagement und Identifizierung sind ein Schatz. Diesen Schatz gilt es wahrzunehmen und wertzuschätzen.
- Die Identifikation mit der Caritas und ihrem Handeln führt bei vielen Mitarbeitenden auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der erlebten und vielleicht auch nur medial vermittelten Erscheinungsweise der katholischen (Amts-)Kirche. Deren Missbrauchsskandal, aber auch die innerkirchlich heftig umstrittenen Themen wie Stellung der Frau und Sexualmoral wirken auch bei der Caritas wie der berühmte Elefant im Raum, den alle wahrnehmen. Ob und wie die Caritas sich in diesen Debatten engagiert und positioniert, wird von vielen Mitarbeitenden aufmerksam beobachtet und als entscheidend bewertet.
- Das Wort "Streik" taucht bei den Rückmeldungen nicht ein einziges Mal auf. Stattdessen gibt es viel Kritik am kirchlichen Arbeitsrecht, bezogen auf (vermeintliche) Vorschriften, Vorgaben, Ausschlusskriterien, die die individuelle Lebensweise von Caritas-Mitarbeitenden betreffen. Dass diese rein rechtlich sowie weitestgehend in der Praxis inzwischen überholt sind, dies aber nicht bekannt ist, kann als Auftrag an die interne Kommunikation und Information mit dem Ziel einer besseren Aufklärung verstanden werden.
Die Caritas muss sich weiterentwickeln
2022 erinnert der Deutsche Caritasverband an seine Gründung vor 125 Jahren. Doch die Caritas, die Lorenz Werthmann vor 1917 gründete, war nicht die Caritas, die wir heute kennen. Neue soziale Herausforderungen erforderten ein stetes Weiterentwickeln des Verbandes. Die Diskussionen über Identität und damit auch über das Image der Caritas werden also weitergeführt werden. Das ist auch gut so. Wenn die Ergebnisse dieser Umfrage und die Rückmeldungen von Mitarbeitenden als ein Diskussionsbeitrag unter vielen dabei einfließen, ist das Ziel dieser Zeitschrift erreicht. Wie schrieb ein Teilnehmender oder eine Teilnehmende: "Schön, dass man mal gefragt wird."
Transparent und vollständig!
Das komplette Ergebnis der Umfrage sowie alle detaillierten Rückmeldungen zu einzelnen Fragen finden Sie unter den folgenden Links:
- Frage 15: Für welches große Thema soll sich die Caritas künftig verstärkt einsetzen?
- Frage 18: Ihre Ideen zur Imageverbesserung?
- Frage 19: Was wollen Sie uns noch mitteilen?