Arbeiten Katholiken besser als Atheisten?
Maria, die Mutter Jesu, war schon als Embryo frei von der "Erbsünde", hatte also zu ihrem Glück nichts zu schaffen mit den Sorgen und Dilemmata dieser Welt. Dieses Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens müssen Katholiken laut Kirchengesetzbuch verpflichtend glauben. Zwar wird der Glaube daran im katholischen Bewerbungsgespräch nicht abgefragt. Wohl aber können für Katholiken Fragen nach einem katechismuskonformen Liebes- und Lebensstatus und der formalen Kirchenmitgliedschaft Einfluss auf den Arbeitsvertrag haben.
Ende Juli diesen Jahres hat sich Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., im theologischen Fachblatt "Herder Korrespondenz" mit einer Grundsatzfrage zur katholischen Sozialarbeit zu Wort gemeldet: "In den kirchlichen Einrichtungen - Krankenhäusern, Schulen, Caritas - wirken viele Personen an entscheidenden Stellen mit, die den inneren Auftrag der Kirche nicht mittragen und damit das Zeugnis dieser Einrichtung vielfach verdunkeln", meinte Ratzinger.
Was hält uns zusammen?
Ist die Caritas also eine Missionsabteilung der Kirche, in der die Fachkräfte soziale Leistung als Ausdruck persönlich gelebter Religion erbringen? Wenn sich nicht genug Katholiken finden, nimmt die Caritas dann "die anderen" notgedrungen in Kauf, vor allem in Aufgabenbereichen, die möglichst weit weg sind von der Glaubensverkündigung - in Hauswirtschaft, Rechnungswesen und (nur wegen Fachkräftemangel) in Pflege und Erziehung?
Für die Caritas sollten andere Bedingungen gelten. Denn uns bei der Caritas bindet ein Team-Spirit zusammen, den die katholische Kirche nicht für sich allein beanspruchen kann, weil sich auch Menschen außerhalb der Kirche überzeugend und sensibel für gerechte Lebensverhältnisse einsetzen. Warum das Verbindende der Caritas auf Katholiken beschränken, wenn "wir" eigentlich viele sind?
Dass es theologisch gar nicht gefordert ist, noch nicht einmal wünschenswert und glaubwürdig, bei der Caritas nur Menschen zu beschäftigen, die mit dem katholischen Katechismus konform gehen, das erklärte der Linzer Moraltheologe Michael Rosenberger bei einer Fachtagung "Caritas und Theologie" in Frankfurt. Die Kirche - und zwar Caritas und Seelsorge gleichermaßen - ist im heutigen Gemeinwesen eine unter vielen gleichwertigen Teamplayern, die gemeinsam um hochkomplexe Zukunftsfragen ringen. Es geht um Klimapolitik, Globalisierung und Digitalisierung, um Tierschutz und Veganismus, um Antidiskriminierung, Pluralität und Diversität. Das alles sind Themen, in denen sich unsere Gesellschaft derzeit in Windeseile weiterentwickelt, während die katholische Kirche, ächzend und sich um sich selbst drehend, ihren eigenen Standpunkt sucht, anstatt als Ideengeberin voranzuschreiten. Im Gegenzug tritt die Kirche aber meist verlässlich für die Menschenwürde ein, die vielleicht sonst unter die Räder geraten würde.
Es kann kein Schaden sein, wenn in den Caritasverbänden Menschen agieren, die angesichts der davonrasenden Entwicklung ihre eigene berufliche Position zwischen Professionalität, Empathie und komplexen Zusammenhängen schon definiert haben. Was aber hält uns bei der Caritas dann zusammen?
Michael Rosenberger beruft sich auf den Moraltheologen Alfons Auer, der sich direkt nach dem II. Vatikanischen Konzil äußerte - hätte man doch nur damals schon auf ihn gehört! Die Kirche und ihr Lehramt könnten sich in Fragen des Glaubens natürlich frei äußern, sagte Auer. Wenn die Kirche aber etwas zum "Weltethos" beitragen will, also zu Fragen des Zusammenlebens, die alle Menschen unabhängig von ihrer Weltsicht gemeinsam beantworten müssen, dann muss die Kirche Folgendes tun:
- Das bessere Argument nutzen: die eigenen ethischen Überzeugungen ohne Rückgriff auf Glaubensaussagen aus der Bibel oder der Tradition begründen, damit man die vorgetragenen Argumente auch dann übernehmen kann, wenn man den christlichen Glauben nicht teilt.
- Sich nicht abseits halten: Wie wenig glaubwürdig wäre das, wenn Kirche und Caritas andere Regeln für das Zusammenleben verträten als der Rest der Gesellschaft?
Spiritualität ist feinfühlig und barmherzig
Seele und Herz der Caritasarbeit stecken im Wunsch, etwas erkennbar Gutes zustande zu bringen. Basis dafür ist die eigene Spiritualität. Die kann man beim Rosenkranzgebet und in der Eucharistie pflegen, aber nicht allein dort. Diese Spiritualität hält wach. Sie ist feinfühlig und barmherzig gegenüber dem Leben, gegenüber Schwachen, Alten, Unglücklichen, Unter-die Räder-Gekommenen, gegenüber geschundenen Tieren und der bedrohten Natur. Sensibel sein für Lebenszusammenhänge, achtsam sein für die kleinen Dinge und Zeichen - selbstverständlich können das auch Menschen ohne Taufschein. Das ist der Team-Spirit der Caritas: Er schweißt Menschen guten Willens zusammen, unabhängig von ihrer Konfession.
Spiritualität ist nichts, was frei im Raum schwebt und einfach da ist. Sie will gepflegt werden. Christen haben da einen Vorteil, denn ihr Glaube und ihre Kirche geben ihnen für eine ehrliche, zukunftsorientierte Selbstreflexion erprobte Muster vor in jedem Impuls, jedem Gottesdienst, jeder meditativen Übung.
Die Moraltheologen Auer damals und Rosenberger heute sagen, es sei eine zentrale Aufgabe für die Führungskräfte der Caritas, diese Selbstreflexion anzuregen. In welcher Art wollen wir unsere Arbeit tun? Was läuft gut? Wo geraten wir an unsere Grenzen? Sind wir offen für die spirituellen Bedürfnisse unserer Klientinnen und Klienten, ihre und unsere eigenen Fragen nach dem Sinn des Ganzen?
Formale Teilnahme am kirchlichen Leben spielt bei diesen Fragen nicht unbedingt eine Rolle. Es geht um eine innerlich gepflegte Aufmerksamkeit für das Leben rundum. Das, so sagen Auer und Rosenberger, sei für Caritas-Mitarbeitende existenziell: ein spiritueller Rückblick auf den Tag, gemeinsames Feiern, Austausch über Erlebnisse mit all dem Verletzlichen rundum, über die eigene Helfer-Rolle, die Dankbarkeit auch für das, was man geben kann.
Das auszuleben, dafür gibt das Christentum mit seiner Botschaft, seinen Ritualen und seiner Gemeinschaft großartige Möglichkeiten. Aber es ist eben nicht die Kirche allein, die das bietet. Ob jemand zum Team-Spirit der Caritas passt, das liegt am Menschen selbst und nicht an seiner Kirchenzugehörigkeit.